Jeanette Hofmann forscht am Berliner Wissenschaftszentrum
und leitet dort das Projekt "Internet und Politik". Sie beschäftigt sich seit längerem
mit der Architektur des Netzes und war auch Gründerein des Projektes "Kulturraum Internet". Seit kurzem
ist sie Mitglied beim CPSR (Computer Scientists for Social Responsability). Ihre politischen Ambitionen
und wissenschaftlichen Interessen zu verbinden: ICANN könnte diesen Wunsch möglich machen.

politik-digital: Sie haben den Sprung in die Reihe
der ICANN-Kandidaten an zweiter
Stelle geschafft. Haben Sie mit dieser großen Resonanz gerechnet? Woher kamen ihre Wähler?

Hofmann:Chancen habe ich mir schon ausgerechnet, sonst hätte ich ja meinen
Hut nicht in den Ring geworfen. Allerdings habe ich zum Zeitpunkt
meiner Kandidatur nicht geahnt, dass der Andrang auf der
europäischen Liste derart groß sein würde. Insofern hat mich das
Ergebnis dann doch überrascht.
Wer mich gewählt hat, ist schwer zu sagen. Wir wissen ja nicht mal,
wer eigentlich Mitglied bei ICANN ist. Einige alte Bekannte aus
früheren Tagen im Netz werden darunter sein, aber auch Menschen,
die eine unabhängige Kandidatin unterstützen wollten.

Jeanette Hofmann

Jeanette Hofmann

politik-digital: Wie wollen Sie es schaffen
bei den europäischen @large-Mitgliedern
bekannt
zu werden?

Hofmann: Die Vorwahlen haben mir ja bereits einige Sichtbarkeit verschafft. Das
Wahlsystem hatte den wohl gewollten Effekt, dass die KandidatInnen
mit den meisten Voten die größte Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Nähere Bekanntschaft kann man mit mir auf der europäischen
Mailingliste icann-europe@fitug.de schließen.
Ein Problem ist allerdings, dass bislang nur die deutsche Presse die
Wahl der ICANN Direktoren wichtig genug findet, um darüber
regelmäßig zu berichten. Der mediale Kanal zu einer breiteren
europäischen Öffentlichkeit ist derzeit ziemlich verstopft.

politik-digital: Welche Chancen rechnen Sie sich
gegen z.B. Andy Müller-Maghun aus?

Hofmann: Diese Frage stellen mir alle! Ich gehe davon aus, dass wir
unterschiedliche Wählerkreise ansprechen. Interessanterweise hat ja
nur ein Bruchteil derer, die ihre Mitgliedschaft aktiviert haben, auch
tatsächlich gewählt. Niemand weiß, wieviele Mitglieder sich bei der
eigentlichen Wahl an die virtuelle Urne begeben werden. Daher läßt
sich auch über die Chancen der sieben KandidatInnen bloß
spekulieren – und dafür sind andere zuständig 😉

politik-digital: Können Sie ihr Wahlprogramm in
Stichpunkten umreissen?

Hofmann: Ein Wahlprogramm, wie man es von Parteien kennt, habe ich nicht.
Sehr wichtig ist mir die Zukunft der At Large Membership. Deren
weiteres Schicksal soll ja durch eine Evaluierungsstudie geklärt
werden. Diese Studie hat zur Aufgabe, die direkte Beteiligung und
Repräsentanz der Nutzer, aber auch die Wahl der At Large
Direktoren grundlegend zu hinterfragen. Mein Vorschlag besteht
darin, dem Ergebnis dieser Studie durch das Schaffen von Fakten,
sprich: durch die Selbstorganisation der individuellen Nutzer,
zuvorzukommen. Notwendig ist jetzt, dass sich die Mitglieder innerhalb
der fünf Wahlkreise eine Struktur geben und handlungsfähig werden.
In Europa gibt es die Bereitschaft dazu. Daran will ich mich aktiv
beteiligen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist das Domainnamensystem. Dessen
Reformierung ist auch Gegenstand meines derzeitigen
Forschungsprojekts. Domainnamen sind – wie IP Adressen auch – als
öffentliches Gut geschaffen worden. Das bedeutet keineswegs, dass
sich jede(r) willkürlich jeden Namen unter den Nagel reißen darf. Es
geht vielmehr darum, Regeln zu formulieren, die für einen egalitären
Zugriff auf den Namensraum sorgen. In der internationalen
Netzgemeinde wird die Kontroverse über das Domainnamensystem
inzwischen auf das Recht der freien Meinungsäußerung zugespitzt.
Der Gedanke, dass im Verteilungskonflikt um Domainnamen nicht
allein die Präsenz der individuellen Nutzer im Cyberspace verteidigt
wird, sondern auch das Recht, öffentlich Position zu beziehen, setzt
sich hierzulande erst allmählich durch.

politik-digital: In eigener Sache: Warum
sollten die Europäischen @large member für
Sie stimmen?

Hofmann: Zum Glück repräsentieren die sieben KandidatInnen leicht
unterscheidbare Fähigkeiten und persönliche Stile.
Meine
Kompetenzen liegen im Grenzbereich von Technik und Politik. Ich bin
Technikforscherin mit einem ausgeprägten Sinn für
gesellschaftspolitische Fragen – gerade auch solchen, die sich aus
der Entwicklung der Netzarchitektur ergeben. Im Unterschied zu den
anderen europäischen KandidatInnen trete ich unabhängig von
irgendeiner Organisation an. Aber für wen die europäischen At Large
Member stimmen sollen, das wissen sie selbst am besten.


politik-digital: Was interessiert Sie an ICANN? Reizt
Sie die top-level-domain Vergabe
oder glauben Sie, dass ICANN auch an politischem Einfluss gewinnen kann?

Hofmann: Die Regulierung des Namensraums ist aus meiner Sicht eine
politische Angelegenheit. Bestimmend für die Entwicklung des
Domainnamensystems ist gerade nicht, was technisch machbar wäre
(Hunderte neuer Top Level Domains, nur so zum Beispiel), sondern
was sich gegen den erklärten Widerstand der gut organisierten
Schützer von Warenzeichen und geistigem Eigentum durchsetzen
läßt.
An ICANN interessiert mich, was ich im Internet schon seit Jahren
mit ungebrochener Neugier verfolge: Die Mechanismen und Strategien,
die dieses dezentrale Gebilde zusammenhalten: Welche andere
Infrastruktur gesteht ihren einzelnen Gliedern derart viel Autonomie zu?
Welche Infrastruktur hatte jemals ein so rapides Wachstum verbunden
mit unkontrollierbaren Funktionserweiterungen zu verkraften – und wieso
gelingt das immer überhaupt?
Derzeit werden diese Fragen unter der Rubrik "Internet Governance"
diskutiert. ICANN ist der Versuch, einen Teil dieser
Governancefunktionen "netzgerecht" zu institutionalisieren.

politik-digital: Wäre es vorstellbar, dass ICANN
irgendwann zwischen Ländern vermittelt,
wenn es z.B. um Seiten mit volksverhetzenden Inhalten geht?

Hofmann: Nein. ICANN ist für Namen und Nummern zuständig, nicht für die
Regulierung von Diensten und Inhalten. Und das ist gut so. Zumindest
im Netz haben bescheiden dimensionierte Autoritätsansprüche die
größeren Aussichten auf Erfolg.

politik-digital: E-Demokratie und Online-Wahlen
sind ein beliebtes Thema. In wie weit
können die ICANN-Wahlen hier als Versuchmodell gesehen werden? Oder
können wir eher aus den Fehlern für die Zukunft lernen?

Hofmann: Wieso oder? Die Wahlen sind ein Experiment. Entsprechend läuft
einiges schief. Zu einem großen Teil ist das darauf zurückzuführen,
dass ICANN weder finanziell noch personell in der Lage ist, eine
globale Wahl durchzuführen. Zur Veranschaulichung: Für die 160.000
Mitglieder von ICANN ist eine einzige Person zuständig. Das führt bei
allen Beteiligten zu Frustration. Wir wissen jetzt, dass sich mit einer
200.000 Dollar-Spende der Markle Foundation keine Wahl abhalten
läßt. Das mag trivial klingen, die Konsequenzen daraus sind es nicht.
Sollen die Wähler etwa künftig einen Obulus entrichten, um das
Wahlrecht zu erlangen? Das ist nur eine von vielen Fragen, die sich
demnächst stellen werden.

politik-digital: Wird ICANN durch die @large Direktoren
demokratischer?

Hofmann: Sicher nicht allein durch die fünf At Large Direktoren, sondern durch
die Mitwirkungsansprüche der Nutzer, die sie hoffentlich mobilisieren
werden. Das gilt übrigens für alle Direktoren: sie sind so einflussreich
wie die Interessen, die sie vertreten.


politik-digital: Wie kommerziell darf das Internet
sein? Wie reguliert muss es sein?

Hofmann: Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass die Wirtschaft das Netz
schließlich auch entdeckt hat und damit nun Geld verdienen will. Das
Schöne am Cyberspace ist ja, dass es genug Platz für alle gibt. Zum
Problem wird die Kommerzialisierung allerdings, wenn das gesamte
Internet den Spielregeln des Marktes unterworfen werden soll. Die
ausufernden Besitzansprüche gegenüber Domainnamen sind nur ein
Beispiel dafür.
Regulierungsmaßnahmen sollten darauf zielen, dass das libertäre
Nebeneinander im Netz gewahrt bleibt. Davon profitieren wir
schließlich alle.


politik-digital: Sie sind eine der wenigen
weiblichen Kandidaten und dazu noch aus dem
nicht so stark vertretenen Wissenschaftssektor, spielt das im ICANN-Umfeld eine Rolle?

Hofmann: Ja. Eine weit größere als ich im Jahr 2000 noch für möglich gehalten
hätte.


politik-digital: Zum Schluss noch die
leidige Finanzierungsfrage: Sollten Sie
Direktor werden, wie werden Sie diese Tätigkeit finanzieren und organisieren?

Hofmann: Ich bin in der dankbaren Situation, dass die Verwaltung des Internet
mein Forschungsfeld ist. Die Beschäftigung mit ICANN ist sozusagen
mein Broterwerb. Meine Arbeitgeber unterstützen meine Kandidatur
und haben mir zugesagt, für zusätzliche Kosten aufzukommen. Mit
dem Salär eines Direktors wird sich allerdings nicht der Aufbau der At
Large Membership finanzieren lassen. Wir benötigen einen
europäischen Fond, der unabhängig von der Person des Direktors
Mittel für die Aufgaben, die mit diesem Amt verbunden sind,
bereitstellt.