politik-digital sprach mit Dr. Erik Meyer über die Perspektiven virtuellen
Erinnerns in Deutschland.


Dr. Erik Meyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich 434 Erinnerungskulturen an der
Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungs- schwerpunkte sind politische Kommunikation, politische
Soziologie posttraditionaler Vergemeinschaftungsformen und Cultural Studies. Er ist Gründungsmitglied der
AG für Sozialwissenschaftliche Politik-, Kultur- und Kommunikations- forschung, und forscht
im Rahmen des Teilprojekts Erinnerungskultur & Geschichtspolitik,
in dessen Mittelpunkt die Frage steht, welche Auswirkungen Deutungskontroversen über die Vergangenheit auf
allgemein-öffentliche Diskurse zur Bildung, Aushandlung und Revision kollektiver und nationaler Identität haben.
Zwei exemplarische Deutungskonflikte im vereinten Deutschland werden untersucht: Die Neugestaltung der ehemaligen
"Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald" und die Errichtung eines zentralen "Holocaust-Memorials" in Berlin.

politik-digital: Welche Vor- und Nachteile sehen
Sie im virtuellen Erinnern gegenüber der herkömmlichen Gedenkarbeit?

Erik Meyer: Gleichermaßen Vor- wie Nachteil virtueller Erinnerungs- und Gedenkangebote stellt die
Möglichkeit der Differenzierung dar: Es können die verschiedensten Informationen vermittelt werden und die
Rezipienten entsprechender Angebote sind in deren Auswahl relativ frei. Damit verbunden ist jedoch das Problem
eines möglichen Bedeutungsverlusts der jeweiligen Informationen: Die Bestimmung dessen, was von Bedeutung
ist, ist im Vergleich zu anderen Formen der Vermittlung tendenziell enthierarchisiert. Bereits die Bezeichnung
solcher "virtueller Gedenkstätten" als "Angebote" deutet dieses Problem an und verweist darüber hinaus auf
die Möglichkeit deren kulturindustrieller Kommerzialisierung unter aufmerksamkeitsökonomischen
Gesichtspunkten.

politik-digital: Welchen Stellenwert werden
Internet-Gedenkstätten zukünftig einnehmen?

Erik Meyer: Der Stellenwert entsprechender Angebote wird weiterhin zunehmen, vor allem auf Grund
ihrer Bedeutung für die politische Bildung: Die Form der Vermittlung stellt insbesondere bei der Arbeit mit
Jugendlichen eine Chance dar, auch verlorengegangenes Interesse wieder zu wecken. Für das individuelle
Gedenken im engeren Sinne dürfte die Bedeutung nicht besonders groß sein, da das Medium wenig zur
kontemplativen Reflexion geeignet ist.

politik-digital: Können Sie einen gleichwertigen
Ersatz für die jetzigen Gedenkstätten darstellen?

Erik Meyer: In diesem Sinne können sie konventionelle Gedenkstätten auf keinen Fall ersetzen, vor
allem wenn es sich dabei um authentische historische Orte handelt, die gleichzeitig große Friedhöfe darstellen.
Diese Umstände haben aber Pädagogen auch dazu verführt, beim Besuch solcher Einrichtungen vornehmlich auf
die vermeintlich belehrenden Effekte der Betroffenheit zu vertrauen und die Möglichkeit einer entsprechenden
"Abstumpfung" zu vernachlässigen. Daher geht es nicht um Gleichwertigkeit und Ersatz, sondern um spezifische
Funktionen, die jeweils wahrgenommen werden können.

politik-digital: Wie kann erreicht werden, dass
virtuelle Gedenkstätten tatsächlich reflektierendes Erinnern unterstützen helfen und nicht nur beim Surfen
nebenbei konsumiert werden?

Erik Meyer: Dazu bedarf es einer Einbettung des Mediums in übergreifende (didaktische) Konzeptionen
statt dessen Nutzung als ausschließlicher Informationsquelle. Darüber hinaus stellen sich besondere
gestalterische Aufgaben: Das Design entsprechender Angebote darf nicht versuchen, mit die Ästhetik
konventioneller und kommerzieller Web-Sites um Aufmerksamkeit zu konkurrieren.

politik-digital: Welche Chancen sehen Sie für
eine virtuelles Mahnmal in Deutschland und hätte dieses Vorteile gegenüber dem Realen?

Erik Meyer: Ein ausschließlich virtuelles Mahnmal ist nicht wünschenswert und hätte als alleiniger
Ausdruck offiziellen Gedenkens wahrscheinlich nur geringe Realisierungschancen, da Monumentalität für die
staatliche Symbolpolitik von besonderer Bedeutung ist. Die Vorteile entfalten sich erst in Verbindung mit einem
Monument: So würde die Problematik, die derzeit mit dem insbesondere von Staatsminister Naumann geforderten
"Ort der Information" verbunden ist (Raum- und Geldmangel), durch eine entsprechende multimediale Aufbereitung
der Informationen erleichtert. Denkbar wäre hier auch eine Kooperation mit Spielbergs "Shoa Visual History
Foundation": Die dort auf Video vorliegenden Zeitzeugenaussagen könnten Bestandteil eines derartigen
Informationssystems sein.