Nico Wehnemann ist Webmaster bei Attac. Für das globalisierungskritische Netzwerk entwickelt er Online-Protest-formen: „Wir sind immer auf der Suche nach neuen Protest-formaten“, sagt er im Interview – für Ideen wie ein antikapitalis-tisches Second Life fehle aber das Personal.
Sucht man über Google nach „G8-Gipfel“,
stößt man bereits auf Platz drei des Rankings auf die
Attac-Kampagnenwebsite „Keine Macht für G8“. Welche
weiteren Online-Angebote und Protestformen nutzt Attac momentan,
um gegen den G8-Gipfel zu mobilisieren?
Zum einen haben wir eine Online-Petition, eine Unterschriftenliste,
die nur digital vorliegt. Die Petition kann online auch an Freunde
und Bekannte weitergeleitet werden.
Zum anderen führen wir Online-Demonstrationen durch: Verschiedene
Leute können über in Web-Interface ein Foto von sich auf
eine Website hochladen. Aus diesen Fotos wird dann ein Mosaik generiert.
Dass bedeutet, ein großes, neues Bild erscheint, das aus den
vielen kleinen Bildern besteht. Eingesetzt haben wir diese Protestform
für eine Kampagne
gegen Softwarepatente. Damals haben wir das Bild auch auf ein Banner
gedruckt, das vor dem Europäischen Parlament entrollt wurde.
So eine Online-Demonstration ist auch vor dem
G8-Gipfel geplant?
Nicht genauso, aber wir bereiten ein ähnliches Projekt vor,
zwei Wochen vor dem Gipfel soll es online gehen: Attac hat ein Gemälde
von einem Künstler gestiftet bekommen. Das wird hochgeladen
und in verschiedene Segmente geteilt. Die Nutzer können diese
Segmente freischalten: Immer wenn ein Nutzer anklickt: „Ich
bin dagegen“, wird ein Teil des Bildes aufgedeckt.
Weiterhin nutzen wir unseren Mailomaten:
Hier haben die Nutzer die Möglichkeit, einen offenen Brief,
den sie auch noch bearbeiten können, an Politiker zu schicken
– also nach dem Prinzip der Massen-Emails. Allerdings gehen
die Mails nur an Politiker aus dem Wahlkreis des Nutzers. So werden
nicht alle Politiker mit Massenmails genervt, sondern ganz gezielt
die, die ich auch gewählt habe. Zum G8-Gipfel wird es einen
Mailomaten geben, mit dem die Nutzer gegen die Agrarsubventionen
der EU protestieren können.
Wie steht Attac zum Mitmach-Internet Web 2.0?
Nutzen Sie für die Mobilisierung auch interaktive Tools?
Wir haben einen Mobilisierungsfilm
auf YouTube geschaltet. Der wurde schon etwa 36.000 mal angesehen
und ist der meist gesehene Film in der Kategorie „News&Politik“.
Zusätzlich haben wir Mailinglisten und Weblogs.
Gibt es ein zentrales Weblog von attac oder
werden die Blogs von den Mitgliedern geführt?
Das machen die Mitglieder. Während des Gipfels werden wie zusammen
mit einigen Redakteuren von Indymedia eine Blog-Plattform einrichten
und live vom Gipfelgeschehen bloggen. Das Blog wird über www.attac.de
zu erreichen sein und dort an prominenter Stelle platziert. Auch
das Rahmenporgramm wird über einen Livestream ins Internet
übertragen.
Abgesehen von Videos und Weblogs – welche
anderen, interaktiven Möglichkeiten setzt Attac ein?
Wir sind zur Zeit ziemlich unterbesetzt. Es gibt viele Ideen für
den Einsatz von Web 2.0, aber noch keine Arbeitskräfte. Viele
Projekte befinden sich in der Entwicklungsphase, es gibt jedoch
noch nichts Konkretes. Aber wir sind natürlich immer auf der
Suche nach neuen Protestformaten.
Auch wenn Sie noch nichts Konkretes haben –
welche neuen Formate erscheinen Ihnen denn besonders vielversprechend?
Vielversprechend sind Tracking-Dienste wie zum Beispiel Plazes.
Über diese Dienste kann man seinen derzeitigen Standort online
anzeigen lassen, sieht also immer, wo sich jemand befindet. Der
Dienst bietet auch eine Anbindung ans Handy. Das sieht für
uns sehr spannend aus.
Wir haben auch vor, mehr mit Videos zu arbeiten. Zum G8-Gipfel haben
wir zwei Videos veröffentlicht. YouTube war eine Mobilisierungsplattform,
die wir so vorher noch nicht genutzt haben.
Eine weitere Idee von uns: Wir überlegen, ein paralleles Second
Life zu gründen, das nicht so kapitalistisch und kommerziell
ausgerichtet ist wie diese virtuelle Online-Realität, sondern
zeigt, wie wir uns eine gerechte Welt vorstellen, ohne dabei die
erste Welt bloß nachzuahmen.
Das hört sich erst recht nach sehr viel
Arbeit an.
Das wird es auch sein, aber ich bin zuversichtlich, dass wir da
was hinbekommen. Im Vorfeld des G8-Gipfels fand ein Vortreffen statt,
an dem auch mehrere Programmierer teilgenommen haben. Die Vereine
„Kompass
eggs“ und der attac trägerverein e.V. haben sich
angeboten, etwas zu entwickeln. Wenn man sich vernünftig engagiert,
wird man das schaffen können. Eventuell kann man das Projekt
auch unter GNU-Lizenz stellen [die GNU-Lizenz für freie Dokumentation
ist eine Lizenzform, welche die Verbreitung und Veränderung
von Inhalten durch den Nutzer erlaubt, Anm. d. Red.]. So könnten
die Nutzer das Programm selbst weiterentwickeln.
Außerdem planen wir, unsere Internetpräsenz zu überarbeiten
und auf das Content-Management-System Typo3 zu übertragen [Typo3
ist eine frei verfügbare Software für die Erstellung von
Internetseiten, Anm. d. Red.]. Das bietet viele Vorteile, unter
anderem für ein einheitliches Layout.
Bieten Sie dem Nutzer dann auch mehr Rückkanäle
an? Die gibt es auf der aktuellen Website ja kaum.
Rückkanäle für Nutzer sollen angeboten werden. Wir
möchten eine große Diskussionsplattform schaffen. E-Maillisten
sind halt gut für Leute, die sich damit auskennen; in Zukunft
wollen wir transparenter und öffentlicher werden. Über
die Internetseite soll es dann auch möglich sein, andere Attac-Mitglieder
zu finden und Kontakt mit ihnen aufzunehmen und so eine große
Community zu gründen. Wir planen, bis Anfang nächsten
Jahres mit den Arbeiten fertig zu sein.
Wie sind Ihre Erfahrungen: Lassen sich über
die neuen interaktiven Möglichkeiten tatsächlich mehr
Menschen mobilisieren?
Ja. Gerade YouTube hat uns eine vollkommen neue Gruppe von Nutzern
geöffnet. Viele klicken einfach nur mal bei YouTube rein, um
zu sehen, was es Lustiges gibt. Dann stolpern sie über unser
Video, werden dadurch vielleicht politisiert – oder zumindest mal
eingeladen, auf unsere Website zu schauen.