Die Bremer Piratenpartei blickt der Bürgerschaftswahl optimistisch entgegen. politik-digital.de fragte Spitzenkandidat Erich Sturm, welche Chancen sich seine Partei ausrechnet und welche Rolle der Offline-Wahlkampf für die Piraten spielt.
Am kommenden Wochenende wählen die Bremer eine neue Bürgerschaft. Während an einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition unter Bürgermeister Jens Böhrnsen kaum gezweifelt wird, müssen sich CDU und FDP auf Stimmenverluste einstellen. Optimistischer blickt die Piratenpartei der Wahl entgegen und hegt sogar die Hoffnung, künftig in der Bürgerschaft vertreten zu sein. Der Landesvorsitzende Erich Sturm erläutert gegenüber politik-digital.de die Gründe.
Mit welchen Erwartungen gehen die Bremer Piraten in die Wahl?
Insgesamt rechnen wir mit 2,5 Prozent, in Bremerhaven mit deutlich über 3,5 Prozent, was für den Einzug in die Stadtverordnetenschaft reichen würde. Ein Gesamtergebnis unter 2 Prozent wäre enttäuschend, alles über 3 Prozent ein Erfolg.
Warum rechnen Sie mit so guten Ergebnissen für Bremerhaven?
Unser dortiger Spitzenkandidat (Mario Tants, Anm. d. Red.) ist bestens vernetzt und sehr bekannt. Es wäre daher auch für die anderen Parteien keine Überraschung, wenn wir uns in Bremerhaven im Vergleich zur Bundestagswahl leicht verbessern und künftig einen Abgeordneten in der Stadtverordnetenschaft stellen.
Wie beurteilen Sie das neue Bremer Wahlrecht, das von manchen als zu kompliziert kritisiert wurde?
Das neue Wahlrecht ist nicht so schwierig, wie es in manchen Medien verbreitet wurde.
Ich begrüße, dass der politische Wille des Wählers nun genauer abgebildet wird. Aus der Möglichkeit des "Panaschierens und Kumulierens" in Bremen, also der Abgabe von
fünf Stimmen, ergibt sich eine echte Chance, den richtigen
Kandidaten auszuwählen. Eine gute Methode für die Wähler ist es auch, sich vorher mithilfe der Plattform abgeordnetenwatch.de über die Kandidaten zu informieren. Ich hoffe, dass die Parteien dies bei der nächsten Bürgerschaftswahl nicht boykottieren. Leider gibt es auf abgeordnetenwatch.de noch nicht die Möglichkeit, sich über das bisherige Abstimmungsverhalten der Bremer Kandidaten im Senat zu informieren oder sie zentral zu befragen.
Bremen hat das Wahlalter auf 16 gesenkt. Ein klarer Vorteil für Ihre Partei, die traditionell bei Jungwählern gut abschneidet?
Vor einer Podiumsdiskussion in einer Schule hatte mir der Schulleiter gesagt, dass wir bei einer Probeabstimmung 30 Prozent hatten. Klar wählen uns insbesondere junge Menschen, die teilweise auf Bundesebene noch nicht wahlberechtigt sind. Daher wird die Wählerzahl der Piraten langfristig steigen. Uns beschäftigt bei den Erstwählern aber noch ein anderer Punkt: der laxe Umgang der Behörden im Umgang mit den Daten. In Baden-Württemberg sind teilweise Adressdaten der Wahlberechtigten vom Amt auf telefonische Anfrage direkt per E-Mail versendet worden. Nach intensiver Diskussion haben wir uns für folgendes Vorgehen entschieden: Wir haben die Adressen aller Erstwähler angefordert und diese darauf aufmerksam gemacht, wie leicht man an ihre Daten kommt. Die bisherigen Rückmeldungen sind durchweg positiv. Das Erstwählerschreiben eignet sich im Übrigen ausgezeichnet, um so sperrige Begriffe wie "Opt-out" und Opt-in" anschaulich zu erklären.
Wie haben Sie Ihren Wahlkampf organisiert? Von den Piraten würde man aufgrund des Kernthemas, aber auch wegen der überschaubaren personellen und finanziellen Ressourcen erwarten, dass sie vor allem auf Online-Wahlkampf setzen.
Nicht nur. Neue Wähler erreicht man nur direkt, beispielsweise über die Ansprache am Wahlstand, was in einem Stadtstaat wie Bremen natürlich auch gut möglich ist. Die netzaffinen Älteren und viele Junge kennen uns, wobei „kennen“ nicht gleich „wählen“ bedeutet. In der mittelalten und älteren Generation sind wir wegen der geringen Präsenz in den klassischen Medien Print und TV teilweise noch völlig unbekannt. Auch wenn wir zukünftig von unserer Popularität bei den jüngeren Menschen profitieren werden, müssen wir kurz- und mittelfristig die Leute direkt ansprechen und von unseren Zielen überzeugen. Übrigens zeigt sich in diesen Gesprächen, dass unsere politischen Forderungen in allen Altersschichten Zustimmung finden.
Müssten die Piraten im Wahlkampf nicht mehr auf Köpfe setzen, mit Personen werben? Bräuchte die Piratenpartei sowohl in Bremen als auch auf Bundesebene bekannte Personen, denen die Wähler vertrauen?
Natürlich würde eine Personalisierung Stimmen bringen. Das widerspricht aber unserem Politikverständnis und ist innerhalb der Partei nicht mehrheitsfähig. Meine Erfahrung im Wahlkampf ist, dass "Köpfe" auch ohne Plakate entstehen können. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen, Podiumsdiskussionen, das Internet usw. werden diejenigen, die aktiv vorne mitarbeiten, auch bekannt. Es dauert länger, aber es ist Substanz dahinter.
Was gibt es in Bremen netzpolitisch zu tun? Worin unterscheidet sich die Bremer Piratenpartei von den anderen Parteien?
In der Netzpolitik sind die regierenden Parteien in Bremen, also Rot-Grün, durchaus Vorreiter innerhalb der Bundesrepublik. Allerdings funktioniert die Umsetzung nicht immer so gut. Auch mangels Kontrolle. Deshalb unterscheiden wir uns zum Beispiel in der Forderung, den Datenschutzbeauftragten personell und finanziell wesentlich besser auszustatten. Und zusätzlich wünschen wir uns einen Transparenzbeauftragten, der sich um Probleme im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes und um die Verwirklichung von Open Government kümmert.
Erich Sturm, Jahrgang 1961, ist Landesvoristzender der Bremer Piraten. Der studierte Religionswissenschaftler und IT-Fachmann steht auf Platz 1 der Landesliste für die Bürgerschaftswahl.