(Interview) Von elektronischen Klängen bis zu hybriden Kunstformen im Web 2.0: Diana Maier sprach mit Christine Schöpf, Direktorin der Ars Electronica, dem größten Treffpunkt der digitalen Kunstszene, über die Entwicklung der Medienkunst.

Christine Schöpf (Quelle: Sabine Starmayr)

 

 

 

 

 

In mehr als 20 Jahren Ars Electronica ist ein großes und spannendes Netzwerk der Medienkunst entstanden. Wie steht es nach Ihrer Meinung im Vergleich zur transmediale? Tritt sie im Geiste bereits in die Fußstapfen des international bedeutendsten Festivals Digitaler Kunst?

 

In die Fußstapfen steigen, das klingt wie nachmachen. Klasse an der transmediale finde ich: Das Festival ist überschaubar, provokativ. Die transmediale fokussiert Themen der Medienkunst in einem viel engeren Sinne. Das kann sich die transmediale leisten. Die transmediale hat damit eine enorme Energie, sie beweist die Kraft, ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Ich wünsche mir, es gäbe mehr Festivals dieser Art. Die Ars Electronica als Gesamtkomplex von Festival, Prix, Museum und Futurelab ist mittlerweile so groß geworden, dass diese durchgängige Fokussierung durchgängig kaum möglich ist. Aber beide, Ars Electronica und transmediale, ergänzen sich durchaus sinnvoll.

"The Medium is the Message", welche Bedeutung hat dieser Satz von Marshall McLuhan für Sie? Sind die technischen Elemente und Formen der Digitalen Kunst nicht so stark ineinander verwoben, dass das Medium längst nicht mehr klar definierbar ist ?

Technische Innovationen sind kein Thema mehr. Auch bei der transmediale geht es ja nicht um eine technologische Leistungsschau. Das war in den 90er Jahren noch anders. Der künstlerische Anspruch stellt mehr denn je Kommunikation und Information in den Mittelpunkt. Das Medium steht fest. Die Technik bestimmt die Medienkunst und diese reflektiert wiederum das Medium. Dadurch lösen sich Grenzen mehr und mehr auf. Es entstehen hybride Kunstformen. Es bilden sich digital communities heraus, die eine Kategorie gesellschaftspolitischer Formation darstellen.

Kann netzbasierte Kunst nach wie vor als Gegenentwurf zur etablierten White Cube-Kunst gelten – oder hat die medienbasierte Kunst durch die Digitalisierung der Lebenswelt und des privaten Alltags ihren Platz in der Subkultur längst aufgegeben und damit an Sprengkraft verloren?

Wenn ich die Medienkunst als Gesamtheit aller Kunstformen in den unterschiedlichen Bereichen verstehe, dann kann ich nicht sagen "Medienkunst ist Subkultur". Medienkunst ist heute nicht mehr ein Gegenentwurf zur zeitgenössischen White Cube-Kunst, sondern ein Teil von dieser, und hat als solche ihren Platz Kulturtempeln, Konzerthäusern ohne an Sprengkraft gegenüber der „traditionellen“ verloren zu haben. Im Gegenteil!

Ist das Label Medienkunst noch zeitgemäß oder geht diese im allgemeinen Kunstdiskurs auf?

Ja und nein. Über das Label Medienkunst zu diskutieren, ist absolut sinnvoll, gerade weil sich die Medienkunst auf dem Kunstmarkt etabliert hat. Wenn man das Thema allerdings „nur“ von der Kunsttheorie her angehen wird, dann kann das eine ziemlich redundante Sache werden. Aus meiner Sicht stellen sich nämlich auch ganz pragmatische, auf den Kunstmarkt bezogene Fragen. Welchen Geldwert hat diese Kunst unter ökonomischen Gesichtspunkten? Die Diskussion dieser Frage ist notwendig. Daran schließt sich die Frage an, in wie weit sich das Kunstwerk erhalten lässt, wenn es die Hard- oder Software nicht mehr gibt. Wie gehen die Künstler mit der technisch bedingten Endlichkeit ihrer Kunstwerke um? Kann mediengestützte Kunst Sammlerobjekt sein? Das sind Fragen die sich für mich in diesem Diskurs auch stellen.

Stichwort: Partizipative Strukturen. Wie würden Sie die Evolutionsstufen, mögliche Unterschiede und die

Natur von Digitaler Kunst – Kunst im Netz ­– oder Netzkunst – Kunst als kollektiv-virtuelles Kunstschaffen – beschreiben?

In den 1960/70er Jahren, also in der Frühzeit der Medienkunst, gab es Ansätze, die vorhandenen technologischen Entwicklungen künstlerisch zu nutzen und auszureizen. Viel flatware und elektronische Klänge. Mir fällt nicht allzu viel ein, was künstlerisch Bestand hatte und hat, wenn ich Videokunst und Konzeptkunst ausklammere – die frühen Filme von John Whitney sr., Max Bense, Stockhausen. Aber man darf in diesem Zusammenhang natürlich die völlige Abhängigkeit von der Industrie nicht vergessen. Ohne die Rechner von IBM, Westinghouse, Boeing, etc. wäre eine Schau wie Cybernetic Serentipity nicht möglich gewesen. Das änderte sich zwar mit der zunehmenden Miniaturisierung und Leistungsfähigkeit der Technologie, aber trotzdem dauerte es bis in die späten 1980er, dass sich die Kunst von der Technologie emanzipiert hat. Wichtige Stichworte dazu sind Interaktivität und Partizipation. Künstler wie Jeffrey Shaw, Perry Hoberman, Stelarc, Tamas Walicky etc. haben hier eine wichtige Rolle gespielt. Den nächsten Quantensprung, oder, wenn Sie so wollen Evolutionsschub, brachte dann mit dem World Wide Web das Internet. Interaktivität und Partzipation verlagern sich damit zunehmend ins Netz, neue Künstlerkollektive entstehen ebenso wie neue hybride Kunstformen. Dem gegenüber verliert die White Cube-Medienkunst zunehmend ihren spielerischen hands on-Charakter, im Vordergrund steht mit Themen wie Kommunikation, politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen der konzeptuelle Aspekt. Das heißt, dass sich der partizipative Ansatz zunehmend ins Netz verlagert und mehr Menschen am Prozess teilhaben und mitgestalten. Und mit Web 2.0 wird sich dieser Trend noch massiv verstärken.


Wie sehen die Möglichkeiten des Einzelnen aus, um am künstlerisch, medialen Dialog teilzunehmen?

Das deckt sich zum Teil mit meiner letzten Antwort. Die Medienkunst hat sich als eigene Kunstform etabliert. Das geht heute bis hin zu crossover-Formen wie der Hybrid-Art. Es gibt Ausdrucksformen, die auf Musik basieren, Performance-Art, Installation – aber diese Kategorien sind inzwischen zu eng. Auch für Medien wie Radio und Fernsehen stellt sich die Frage: Wird alles im Internet aufgehen? Nein, natürlich nicht. Aber es wird neue Möglichkeiten geben. Denken Sie nur an Podcasts oder YouTube – jeder einzelne kann sich mit Anwendungen wie Web 2.0 künstlerisch verwirklichen. Was sich daraus entwickelt, wenn diese Energie in Netzwerken aktiv ausgelebt wird, ist heute nur schwer abschätzbar. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch ein nochmaliges Umdenken in der Definition der Künstlerpersönlichkeit, des Kunstwerkes und natürlich auch des Publikums.

Die A
rs Electronica ist immer auch ein Maßstab für den Status Quo technischer Innovationen der Medienkunst-Szene. Ging es 1997 im begleitenden Ausstellungskatalog um den Fleshfactor – die Beziehung von Mensch und Maschine – hatten Sie 2006 das Electronica Animation Festival – mit breitem Einblick auf das digitale Filmschaffen ausgerufen. Was steht beim diesjährigen Festival im Focus?

Gerade am Wochenende haben wir das Thema für 2007 diskutiert. Es wird einiges von dem, worüber wir jetzt reden, behandeln. Es wird um die Licht- und Schattenseiten der Partizipation aus künstlerischer und gesellschaftlicher Sicht gehen. Mehr will ich Ihnen dazu aber noch nicht verraten.

Der prix ars electronica ist mit einem Preisgeld von 122.500 Euro jährlich der höchstdotierte Preis für Computerkunst weltweit. In diesem Jahr werden erstmals auch herausragende theoretische Arbeiten zum Thema Netzbasierte Kunstformen – mit dem Media.Art.Research Award ausgezeichnet. Warum erst jetzt?

Dafür gibt es einen ganz pragmatischen Grund. Seit dem letzten Jahr ist das Boltzmann Institut mit einer Förderung für die kommenden sieben Jahre eingestiegen. Es ist das erste Institut dieser Art. Wir kooperieren als Ars Electronica mit der Kunst Uni und dem Kunstmuseum Lentos. An diesem Boltzmann Institut unter der Leitung von Dieter Daniels wird das 28-jährige Archiv der Ars Electronica wissenschaftlich aufgearbeitet und damit wurde dieser Preis sinnvoll und machbar und soll jährlich thematisch ausgerichtet eine Plattform für Medientheorie werden.

Frau Schöpf, vielen Dank für das Gespräch.