Was bedeutet der Wandel des Mediums von Information zu Kollaboration nun für politische Kommunikation? Ist das Web 2.0 also eine Werkzeugkiste für politisch aktive Heimwerker? Ist gar jeder bloggende Bürger nun schon politisch aktiv?

Politische Partizipation und Aktivismus 2.0 ?

Technisch versierte politische Aktivisten machen immer wieder vor, wie sich das Internet nutzen lässt, um kommunikative Kräfte zu bündeln und dadurch gezielt Einfluss zu nehmen. Ein Beispiel ist die kürzlich erfolgreich durchgeführte, europaweite Kampagne gegen
Softwarepatente.

Jenseits von Staat, Markt und dem Internet gibt es bereits eine viel breitere Bewegung politisch Aktiver, die in unterschiedlichsten
Handlungsfeldern versuchen, Einfluss zu nehmen. Für die politische Kommunikation dieser zivilgesellschaftlichen Akteure birgt das Web 2.0 das größte Potenzial. Denn die Masse der politisch Engagierten, deren Engagement meist im lokalen Kontext stattfindet, weiß das Web für ihre gezielte politische Kommunikation noch nicht zu nutzen. Die technischen Möglichkeiten zur übergreifenden Vernetzung und Kollaboration sind den Aktiven fremd oder erscheinen ihnen nicht zweckdienlich.

Dabei ist Partizipation eher auf der Mikroebene möglich. Und genau hier liegen seit jeher ungenutzte Chancen im Internet. Zum einen können gerade kleine Grassroots-Initiativen ihren Wirkungsgrad durch die virtuelle Vernetzung mit anderen Akteuren und durch die Einordnung ihrer Themen in einen größeren kommunikativen Kontext erhöhen. Zum anderen kann der Staat davon profitieren, wenn er die Bürgerinnen und Bürger zur konstruktiven Deliberation öffentlicher Angelegenheiten ermutigt (Stichwort
«Urban Governance»).

Auf der Makroebene kann die politische Meinungsbildung an Bandbreite und Qualität gewinnen. Schon jetzt lassen sich für viele Themen neben den etablierten Instanzen neuralgische Agenda-Setter ausmachen, die die Chance nutzen, den Tendenzen zur Konzentration, Privatisierung und Kommerzialisierung der klassischen Meinungsführer entgegenzutreten.

Aber nicht nur für die Bürger, auch für Politiker bieten sich neue Möglichkeiten. Weblogs zum Beispiel ermöglichen eine ungefilterte Kommunikation mit den Bürgern. Sie können die Transparenz von Entscheidungen erhöhen und erlauben eine direkte, öffentliche Rückkoppelung.

Zuletzt ist auch der Staat auf dem Weg zu einer politischen Kommunikation 2.0 gefordert. Politik und Verwaltung müssten ihre Strukturen und Entscheidungsprozesse stark anpassen beziehungsweise öffnen, damit die Ergebnisse breiter argumentativer Beteiligung überhaupt berücksichtigt werden können.

Neue Bottom-up – Beteiligungskultur oder bloß der nächste Techno- Hype der Web-Avantgarde?

Bei allen Überlegungen politischer Kommunikation steht aber die Frage nach ihrem Erfolg oder Effekt im Vordergrund. Dieser jedoch ist für die Akteure momentan nicht ohne weiteres absehbar oder planbar. Denn mehr Beteiligung und stärkere Vernetzung erhöhen die Komplexität der öffentlichen Kommunikation. Unübersichtlichkeit kann die positiven Effekte zunichte machen. Es geht um die Fragen der Sichtbarkeit und der Evaluation von relevanten Beiträgen.

Wie sich in Zukunft diese Komplexität auf ein für den Einzelnen handhabbares Maß reduzieren lässt, welche Themen sich überhaupt auf die politische Agenda «pushen» lassen und welche Stimmen ungehört bleiben müssen, lässt sich nur schwer beantworten. Erst mit Möglichkeiten der Aggregierung und Analyse von ähnlichen Meinungen und Forderungen wird die kommunikative Macht greifbar.

Möglicherweise spielen hier von Politik und Verwaltung initiierte Beteiligungsverfahren (E-Partizipation) eine wichtige Rolle, da diese zeitlich befristeten, thematisch fokussierten Verfahren versuchen durch eine hohe Strukturierung der Kommunikation, die Komplexität der Beteiligung handhabbar zu machen. Ein Paradoxon zur durch Web 2.0 charakterisierten Bottom-up-Beteiligungsdynamik?

Die eigentliche Herausforderung des Web 2.0 liegt also nicht auf der technischen Ebene. Zwar müssen vorhandene Werkzeuge weiter entwickelt werden, vor allem aber müssen sie mit den Praktiken politischen Engagements vereint werden. Hierbei ist die Qualifizierung der politisch Aktiven im Umgang mit den neuen Technologien absolut entscheidend. Nur so kann sich eine breite bottom-up-Beteiligungskultur über ein wie auch immer genanntes Netz entfalten. Wenn dies nicht erreicht wird, bleibt Web 2.0 ein Konzept, dass zwar einen Hype ausgelöst hat, aber das altbekannte Problem des Digital Divide weiter verschärft.

Auch im Web 2.0 besteht die Aussicht auf eine radikale Demokratisierung der politischen Kommunikation nicht. Zum einen beherrschen viele nicht-politische Themen das Internet. Zum anderen bleibt das entscheidende Moment der Politik die Entscheidung. Und die wird in einer parlamentarischen Demokratie an anderer Stelle gefällt. Auch nach mehr als einem Jahrzehnt politischer Online-Kommunikation sind die Resultate diffus. Aber Grund zu Optimismus gibt es. Die Aussicht besteht, dass der Prozess des politischen Agenda-Settings zunehmend von unten angeschoben werden kann und dass das Empowerment von Engagierten, die sich sonst kein Gehör verschaffen könnten, durch das Web 2.0 einen angemessenen Kommunikationskanal bekommt.