Virtuelle Staaten sind im Internet zur Zeit auf dem Vormarsch. In diesen sogenannten Mikronationen versuchen die User,
selbst politisch und gesellschaftlich zu gestalten. Gründer solch einer Mikronation ist auch Axel Lämmle. politik-digital
hat mit ihm gesprochen und versucht herauszufinden, was den Reiz der politischen Einflussnahme im Internet ausmacht.
politik-digital: Herr Lämmle: Im September 1999 haben Sie die Freie Republik Tir Na nÒg
gegründet. Als erstes drängt sich da die Frage auf, warum Sie diesen außergewöhnlichen Namen gewählt haben?
Axel Lämmle: Der Name stammt aus der irischen Mythologie und beschreibt das sagenhafte "Land der Verheißung", dies
erschien mir als ein passender Name für ein solches Projekt…
politik-digital: Was waren Ihre Motive, eine Mikronation zu gründen? Wo liegt der Reiz?
Axel Lämmle: Ich interessiere mich schon seit meinem 15. Lebensjahr sehr für Politik, bin seit Jahren parteipolitisch
aktiv und wollte ausprobieren, ob diese Art der Politiksimulation im Internet erfolgreich sein könnte. Mich reizte die
Vorstellung, die Prozesse in einer Demokratie, Wahlen, Parteien, Regierungsarbeit u.s.w. zu simulieren, besser, neu oder
einfach nur anders zu gestalten, oder vielleicht einfach zu lernen, wie schwer politische Arbeit tatsächlich sein kann…
politik-digital: Sehen Sie Ihre Mikronation als ein reines Spiel bzw. Abenteuer an oder
steckt mehr dahinter, beispielsweise die Umsetzung einer politischen Idealvorstellung?
Axel Lämmle |
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Axel Lämmle: Dieses Projekt soll in erster Linie Spaß machen. Dass auf spielerische Art natürlich auch die Prozesse
von Meinungsbildung, Gesetzgebung, Regierung und Opposition u.s.w. praktisch am eigenen Leib erfahren und gelernt werden,
ist der zweite wichtige Aspekt.
Die Freie Republik nennt sich "sozialistisch", ohne aber andere Richtungen auszugrenzen. In erster Linie geht es um die
Auseinandersetzung im positivsten Sinne mit den Mitbürgern.
politik-digital: Kennen sich die Bürger der Freien Republik auch persönlich oder
besteht der Kontakt nur über das Internet?
Axel Lämmle: Sowohl als auch. Es geschieht häufig, dass jemand einen guten Freund mit in die Freie Republik "hineinzieht",
weiterhin finden unregelmäßig reale Treffen der Bürger untereinander statt, aus denen sich durchaus auch Freundschaften
entwickeln. Großteils kennen sich die Bürger aber nur aus dem Internet.
politik-digital: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass man sich als Bürger einer virtuellen
Welt mehr und mehr von der Realität entfernt?
Axel Lämmle: Ich denke, dass eher das Gegenteil zutrifft. Wer versucht hat, den Weg von einer "Gesetzesidee" über
die Formulierung und Überzeugungsarbeit bis hin zur endgültigen Verabschiedung zu gehen, hat die Chance, den realen
Gesetzgebungsprozess, der ja noch um ein vielfaches komplizierter ist, leichter zu verstehen. Damit wird meines Erachtens
eher der politische Frust in der Realität abgebaut, weil man eben merkt, dass es teilweise schon im Kleinen sehr schwer ist…
politik-digital: Was für Menschen sind hauptsächlich Gründer oder Bürger einer Mikronation?
Axel Lämmle: Zu 80% männlich im Alter zwischen 15 und 40 Jahren, ansonsten quer durch den Gemüsegarten, alle
Schulabschlüsse und Einkommenshöhen vertreten, zumindest in der Freien Republik. Gemeinsam haben diese Bürger den Spaß am
Internet und der politischen Simulation sowie den Wunsch, auf einem bestimmten Gebiet etwas bewegen zu können.
politik-digital: Auf den Seiten verschiedener Mikronationen ist öfter von Kriegen
untereinander die Rede. Da stellt sich doch die Frage, wie so ein virtueller Krieg geführt wird, durch Hackerangriffe?
Axel Lämmle: Hacking-Angriffe sind verpönt, ebenso Mailbomben oder Virusattacken. Kriege unter den Mikros laufen
in den Foren ab, in dem man durch geeignete Programme versucht, das Forum, welches ja der zentrale Teil der Kommunikation
eines Landes ist, durch massenhafte Unsinn-Einträge vorübergehend lahmzulegen. Sie sind aber eigentlich eher selten und
gelten gemeinhin als Ärgernis. Die Freie Republik beteiligt sich nicht an solchen Kriegen.
politik-digital: Die Mikronation Cyber Yugoslavia scheint ihre Seite wesentlich ernster
zu nehmen als andere. Es ist sogar geplant, bei fünf Millionen Einwohnern, wahrscheinlich sogar früher, eine Mitgliedschaft
in der UNO zu beantragen. Was halten Sie von dieser Verschmelzung zwischen virtueller und realer Welt?
Axel Lämmle: Es ist Usus unter den Mikros, dass diese absolut virtuell sind und keinen Anspruch auf reale Existenz
erheben. Mikros, die einen solchen realen Anspruch haben, werden nicht in das virtuell-außenpolitische System integriert.
Cyber-Yugoslavia ist auch eher als Oppositionsbündnis gegen das real herrschende Regime zu verstehen, weniger als eine
Mikronation im klassischen Sinne.
Eine echte Vermischung beider Welten halte ich für nicht geeignet,
lässt sich aber manchmal aus tagesaktuellem Anlass nicht vermeiden.
Aber auch dies kann ja ein Vorteil sein: Eine virtuelle Rentenreform
dürfte auch virtuell eine schwer zu knackende Nuss sein und somit
Verständnis für die reale Politik wecken. Weiterhin ist die Realität
natürlich ein herrlicher Ideenspender…
politik-digital: Herr Lämmle, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führte Arnd Herrmann