(Artikel) Wo Menschen ihr Zusammenleben organisieren müssen, findet Politik statt. Auch in Computerspielen, bei denen die Spieler im Internet gegeneinander antreten. Ein Blick in das soziale Innenleben von Online-Multiplayer-Spielen.
Wir schreiben das Jahr 2021. Die Ausbeutung der Umwelt durch den Menschen hat zur Vernichtung der Erde geführt. Nun muss ein neuer Planet erobert werden. Der Spieler besiedelt die neue Welt und muss entscheiden, ob er entweder Krieg führt und die Macht an sich reißt, oder friedlich mit den anderen handelt und ein Wirtschaftsimperium aufbaut. Eigentlich läuft es bei Escape-to-Space aber immer auf Krieg hinaus.
Nicht alle Computerspieler sitzen allein zu Haus.
Quelle: Flickr Creative Commons (Carl Johan)
Escape-to-Space (ETS) ist ein
Aufbaustrategiespiel in Echtzeit. Ziel ist es, durch geschicktes Handeln am Ende einer Runde die höchste Punktzahl zu erreichen. ETS ist eines von vielen so genannten
Browserspielen, die man direkt auf jedem internetfähigem Computer spielen kann.
Isolation Fehlanzeige
„Dogma“ nennt sich einer der aktivsten Spieler unter den rund 4000 Teilnehmern: „Das Spiel besticht durch seine Einfachheit“, antwortet er auf die Frage, was ihn an ETS reizt. Für den Wirtschaftswissenschaftler aus Leipzig ist „vor allem der Communitygedanke herausragend. Allein kann man nur bedingt erfolgreich sein“. Der Hauptinhalt des Spiels ist daher die Kommunikation mit den anderen Siedlern auf dem neuen Planeten. Allianzen und Verbündete sind notwendig, um dauerhaft erfolgreich mitspielen zu können.
Allianzen
Es gibt unzählige dieser Allianzen, die dem neuen Spieler einen schnellen Einstieg ermöglichen und dem Erfahrenen eine Plattform zur schlagkräftigen Durchsetzung seiner Ziele bieten. Dabei ist der Allianzgründer oft auch der Chef – meist unterstützt von anderen ranghohen Mitspielern. Je nach Allianz ist die Entscheidungsfindung unterschiedlich organisiert. Die einen sind demokratisch und befragen ihre Anhänger, andere wiederum üben diktatorischen Einfluss auf ihre Untergebenen aus. Einige imitieren sogar politische Systeme aus der Vergangenheit und (ver)handeln wie Pharaonen im alten Ägypten, Kreuzritter im Mittelalter oder die Mafia in den 1930er-Jahren. In Internetforen wird, vor allem in größeren Allianzen, Einfluss auf die Spieler und ihre Spielweise ausgeübt. Oft herrscht „Fraktionszwang“ – wer nicht spurt, wird ausgeschlossen. Der Vorteil für die Mitglieder liegt dabei vor allem im Schutz vor Angriffen verfeindeter Spieler und der erweiterten Schlagkraft bei gemeinsamen Aktionen in der virtuellen Welt. Erfahrene Spieler treffen sich außerdem in Chats, um zum Beispiel den Angriff auf die Stadt eines Gegners exakt gleichzeitig durchzuführen und so Beute zu machen.
Kommunikation
Diskutiert wird auch die Weiterentwicklung des Spiels an sich. Der Umgang miteinander macht aber nicht an den Grenzen der Spielewelt halt. Die mit Abstand am mit häufigsten kommentierte Kategorie im offiziellen Spielforum ist der Off-Topic Bereich, indem nicht nur Probleme mit dem USB-Speicherstick besprochen werden, sondern auch in Umfragen wie „Haben Vergewaltiger und andere Schwerverbrecher ein Recht auf die Menschenrechte?“ debattiert wird.
Die Spielbeziehungen gehen häufig über virtuellen Charakter hinaus, so „entstehen Freundschaften und sogar vereinzelt Beziehungen“, berichtet Dogma. Auf den regelmäßigen Treffen in der echten Welt wird nicht nur über Strategien und Allianzen gefachsimpelt, sondern auch ganz Persönliches besprochen. Das Spiel wird so zum Alltag.