Die ARD-Korrespondentin für Österreich und Südosteuropa, Susanne Glass, stellte sich am 2. September im tagesschau-Chat live auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin den Fragen der Chatter. Susanne Glass beantwortete Fragen zu der aktuellen Situation im Balkan, der Neuwahl in Österreich und ihrem Lieblingsgericht.

Moderatorin: Herzlich willkommen, liebe Leser, zum tagesschau-Chat von der Internationalen Funkausstellung in Berlin. In den kommenden 60 Minuten steht Ihnen Susanne Glass zur Verfügung. Frau Glass ist die ARD-Korrespondentin für Österreich und Südeuropa. Ich wünsche uns allen viel Vergnügen. Nun erst einmal ein herzliches Dankeschön an Frau Glass. Herzlich willkommen! Können wir starten?

Susanne Glass: Ja.

Moderatorin: Diese Frage hat die meisten Leser interessiert:

Mahoni: Wie unterscheidet sich die journalistische Arbeit in Österreich von der in Deutschland?

Susanne Glass: Ich denke, dass die Medienvielfalt in Deutschland größer ist. Dadurch ist das Arbeiten in Deutschland für Journalisten einfacher. Sie können kritischer berichten. Ich habe den Eindruck, dass die österreichischen Medien noch stärker Rücksicht nehmen auf diverse Parteiinteressen.

Moderatorin: Top 2 bei unseren Lesern ist diese Frage:

Hacklebarry: Wie sind Sie denn in Österreich gelandet – es gibt doch sicher spannendere Länder für Auslandskorrespondenten?!

Susanne Glass: Österreich ist der Sitz unseres Studios für Südosteuropa. Ich bin insgesamt für elf Länder zuständig, für alle Länder Ex-Jugoslawiens, Albanien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn. Ich habe sehr viel Krisenberichterstattung gemacht, unter anderem über die Balkankriege berichtet. Ich finde deshalb meine Region sehr spannend.

Moderatorin: Direkt zur Krisenberichterstattung:

phlo: Wie verarbeiten Sie besonders schlimme Ereignisse, die Sie ja sicherlich in Südosteuropa erlebt haben?

Susanne Glass: Wenn man arbeitet, steht man ja häufig unter Zeitdruck, den Druck Informationen zu beschaffen und Interviewpartner zu finden. Das hilft im ersten Moment sicherlich, sich abzulenken und gibt einem außerdem das Gefühl, dass man etwas Sinnvolles tut vor Ort. Das hilft mir sehr. Gleichzeitig aber fällt mir auf, dass ich auch oft erst Wochen später – wenn ich längst zu Hause bin – wieder an diverse Situationen denke, sie dann erst Zeit verzögert verarbeite.

Gwendola: Können Sie sich an eine besonders bewegende Situation während Ihrer Zeit als Korrespondentin erinnern?

Susanne Glass: Also, ich war direkt in der zweiten Reihe, als in Belgrad das Parlament gestürmt wurde und Milosevic gestürzt worden ist. Das war für mich sehr, sehr bewegend. Dann sind eigentlich alle Situationen sehr bewegend, in denen man mit Menschen spricht, die im Krieg Angehörige verloren haben. Jene, die es letztendlich dann trotzdem schaffen, diesem ehemaligen Kriegsgegner zu verzeihen und sich dann entscheiden, in ihre ehemalige Heimat zurückzugehen. Da denke ich oft lange drüber nach.

Moderatorin: Ein großes Thema für unsere Leser: die Große Koalition in Österreich.

zum Chat!:Was kann unsere Große Koalition aus dem Scheitern der Österreicher lernen?

Susanne Glass: Das ist eine interessante Frage, weil in Österreich eher gefragt wird, was hätte die österreichische Koalition aus dem Nicht-Scheitern der Deutschen lernen können.Offen gestanden, habe ich den Eindruck, dass die jetzt gescheiterte österreichische Große Koalition wenig geboten hat, aus dem man hätte lernen können.

Marianne: Warum ist die Große Koalition in Österreich Ihrer Meinung nach gescheitert?

Susanne Glass: Weil der eigentlich kleinere Partner in der Großen Koalition der Meinung war, dass er der größere sein müsste – und sich auch so benommen hat. Aber er hatte ja auch Anlass dazu, an der Stärke des größeren zu zweifeln.

Moderatorin: Können Sie das näher ausführen?

Susanne Glass:Sie ist daran gescheitert, dass sich der ÖVP-Chef Molterer und der SPÖ-Bundeskanzler Gusenbauer letztlich in keinem Punkt einigen konnten. Die SPÖ hat meiner Meinung nach, um die Macht zu halten, zu oft zu populistischen Verfahren gegriffen.

Dr. Peter Venkman: Wie erklären Sie sich die Popularität von Jörg Haider?

Susanne Glass: Das ist ein Kärntner Phänomen. Jörg Haider hat sicher sehr viel Charisma, und er schafft es immer wieder, sich als der Verteidiger der kleinen Leute zu präsentieren. Letztlich glaube ich wirklich, dass man als Deutsche diese Popularität niemals ganz begreifen wird.

hans: Zum Thema Albanien: Wie häufig sind Sie denn da? Und warum ist es das vielleicht am wenigsten beachtete Land Europas?

Susanne Glass: Also, in Albanien bin ich vielleicht alle drei Monate. Es ist leider so, dass es dort zu ruhig ist, um ständig darüber berichten zu können. Aber es heißt ja nicht, dass das Leben für die Menschen dort leicht ist – ganz im Gegenteil. Ich bin eigentlich auch der Meinung, dass man viel häufiger über Albanien berichten sollte. Der letzte Beitrag, den ich gemacht habe, war eine Reportage über Kinder, die von Blutrache bedroht sind, und deshalb von ihren Eltern nicht in die Schule geschickt werden. Für diese Kinder gibt es jetzt ein Internat in Südalbanien, wo sie besonders geschützt werden sollen. Darüber haben wir für das Europa-Magazin eine große Reportage gemacht.

Pieter: Ich war neulich einmal während eines Korfu-Urlaubs in Albanien. Wird das Land jemals wirtschaftlich den Anschluss an seinen Nachbarn schaffen?

Susanne Glass: Davon ist es sicherlich noch weit entfernt. Wenn Sie während eines Korfu-Urlaubs in Albanien waren, dann waren Sie sicher in Südalbanien. Das wird ja touristisch inzwischen etwas erschlossen, aber Südalbanien unterscheidet sich vom völlig verarmten Norden sehr, sehr stark. Aus diesem Grund denke ich, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis Albanien einigermaßen einen wirtschaftlichen Anschluss schafft. Sicherlich nicht ohne Hilfe der Europäischen Union.

Winston Churchill: Wie reagieren die Albaner denn auf eine deutsche Reporterin?

Susanne Glass: Sehr höflich und nett und vor allem sind die Menschen dort unheimlich gastfreundlich – wie überall in meinem Berichtsgebiet. Ich bin der Meinung, dass wir Deutsche von der Gastfreundlichkeit noch einiges lernen können.

Moderatorin: Nun zum Kosovo:

Sunstroke: Glauben Sie, dass das Kosovo auf Dauer eine Chance hat, sich als souveräner Staat zu behaupten?

Susanne Glass: Es ist ja bereits ein souveräner Staat. Die Kosovo-Albaner aber haben sicherlich damit gerechnet, dass nach der Unabhängigkeitserklärung viel mehr Länder das Kosovo anerkennen werden. Jetzt kommt außerdem die große Enttäuschung, dass nach wie vor nicht die Europäische Union – wie angekündigt – die Mission im Kosovo führt, sondern weiterhin die UNO. Ich denke, das zeigt schon, wie schwerwiegend die Probleme sind. Auch hier gilt, wie für die ganze Region: Alle hoffen, dass die Europäische Union hier Wunder wirkt.

Fairly: Wann sind die Ex-Jugoslawien-Länder reif für einen EU-Beitritt? Oder erst in 20 Jahren oder so?

Susanne Glass: Da gibt es große Unterschiede. Kroatien ist sicherlich jetzt schon genauso reif für einen EU-Beitritt wie Bulgarien und Rumänien, die Mitglieder geworden sind. Für die übrigen Länder gilt, der Region mit einem möglichen EU-Beitritt zu helfen. Reif dafür im Sinne der bisherigen Kriterien der EU sind sie aber sicher noch lange nicht.

Sven Francisco: Sehen Sie die momentanen Konflikte auf dem Balkan als Nachwehen oder bleibt die Region durch die bestehenden Ressentiments auch weiterhin ein Pulverfass?

Susanne Glass: Sie bleibt ein Pulverfass. Dies zeigt sich ja allein schon dadurch, dass es in Bosnien nach wie vor zwei Entitäten gibt, also die muslimische Föderation und die serbische Republik. Ohne internationale Unterstützung könnte dieser Staat ja bis heute nicht eigenständig funktionieren. Für mich ist das ein Beispiel dafür, dass man die Konflikte in der Region nur eingedämmt, aber nicht gelöst hat.

Lepsius: Und kann die Europäische Union in der Region "Wunder wirken", was sollte sie tun?

Susanne Glass: In erster Linie geht es natürlich um wirtschaftliche Unterstützung, denn wenn es den Menschen wirtschaftlich besser geht und sie Arbeit haben, dann sinkt auch die Bereitschaft, sich wieder für Konflikte instrumentalisieren zu lassen. Eingebunden in die Europäische Union fällt es möglicherweise auch den bisherigen Kriegsgegnern auf dem Balkan wieder leichter, sich in einem gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Verbund zu sehen.

Slimer: Haben Sie erlebt, wie die Zivilbevölkerung auf den KFOR/EUFOR-Einsatz reagiert?

Susanne Glass: Zu Beginn absolut euphorisch. Ich war noch mit dabei, als die Kosovo-Albaner den Soldaten zugejubelt haben. Inzwischen sind es aber die meisten Menschen dort leid, dass sie nach wie vor so viele internationale Soldaten im Land haben. Immer mehr wünschen sich, dass sie bald ihre eigenen Leute in den verantwortungsvollen Positionen sehen.

Schekker: Ihr Kollege Markus Gürne hat gestern im Chat berichtet, dass deutsche Reporter im Ausland ein sehr hohes Ansehen haben und daher auch an "gute" Geschichten herankommen. Empfinden Sie das genauso?

Susanne Glass: Es ist zwiespältig. Ich merke immer wieder, dass viele Leute in dem Berichtsgebiet der Meinung sind, dass deutsche Journalisten professionell und unabhängig berichten. Das trauen sie ihren eigenen Medien oft nicht zu. Das bedeutet natürlich, dass man dadurch ein gutes Ansehen hat. Auf der anderen Seite war es vor allem nach den NATO-Bomben auf Serbien als deutsche Journalistin oft sehr schwierig, den Menschen in Serbien zu erklären, dass man kein Kriegsgegner ist, sondern unabhängige Journalistin.

Fred: Versuchen die nationalen Regierungen, Sie in Ihrer Berichterstattung zu behindern?

Susanne Glass: Ist mir bisher nicht passiert.

Dr. Egon Spengler: Welchen Ruf genießt die ARD in Südosteuropa, speziell im ehemaligen Jugoslawien?

Susanne Glass: Im Prinzip einen sehr guten Ruf. Wir hatten ab und zu Schwierigkeiten, wenn freie Journalisten im Berichtsgebiet unterwegs waren, sich als ARD-Journalisten vorgestellt haben und Beiträge gemacht haben, die – ich sage jetzt vorsichtig – nicht so fundiert waren. Aber das sind Einzelfälle.

Laszlo: Gibt es gerade in historischen Fragen Empfindsamkeiten zwischen Deutschen und Österreichern? Braucht man beim Thema Drittes Reich besonderes Fingerspitzengefühl bzw. mehr als ohnehin schon?

Susanne Glass: Inzwischen nicht mehr. Ich bin 1999 nach Wien umgezogen und habe dort mit meinem Job angefangen. Aber ich war sehr geschockt, als ich verfolgt habe, dass sich erst zu diesem Zeitpunkt die österreichische Regierung offiziell eingestanden hat, dass Österreich kein Opfer im Weltkrieg war.

Blume: Wie empfinden Sie die Arbeitsbedingungen in Austria?

Susanne Glass: Sehr angenehm. Ich habe den Eindruck, dass man in Österreich unbürokratischer an Interviewpartner kommt. Der österreichische Bundeskanzler joggt zum Beispiel jeden Morgen ohne Begleitschutz durch Wien. Ich kenne viele Journalisten, die ihn bei solchen Jogging-Runden erfolgreich nach Interviews gefragt haben. Nicht nur Gusenbauer ist so volksnah, das gleiche galt auch für seinen Vorgänger Schüssel.

Mensa: Wie sieht denn ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?

Susanne Glass: Den gibt es nicht. Das hängt immer davon ab, was im Berichtsgebiet los ist, wo ich gerade bin und ob ich fürs Morgenmagazin oder fürs Nachtmagazin arbeiten muss.

Michael: Haben Sie sich mit der Berufswahl, Journalistin zu werden, einen Lebenstraum erfüllt ?

Susanne Glass: Ja, ich wollte eigentlich seit ich 15 oder 16 bin Journalistin werden.

Horst Klein: Was fasziniert Sie an Südosteuropa?

Susanne Glass: Ich habe ursprünglich angefangen dort zu arbeiten, weil ich es sehr wichtig fand, über die Krisen nicht schwarz-weiß zu berichten; also, der ist gut und die ist böse, sondern so viel wie möglich Zwischen- und Grautöne zeigen wollte. Inzwischen fasziniert mich aber auch immer stärker die Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit der Menschen dort.

Moderatorin: Ganz konkret:

Dr. Raymond Ray Stantz: Was ist ihr Lieblingsessen auf dem Balkan?

Susanne Glass: Rindermedaillons mit Champignonsauce.

Michael: Muss man als Journalistin taff sein und einiges einstecken können, ja, oder?

Susanne Glass: Ja, aber ich glaube man darf sich auch nicht unter diesem Taff-Sein verstecken. Man muss in erster Linie immer Mensch bleiben – mit allen Gefühlen.

Bob Andrews: Waren Sie während des Krieges schon in akuter Lebensgefahr?

Susanne Glass: Ja, mehrmals. Es gibt sicher auch Situationen, von denen ich das gar nicht weiß. Aber bewusst war ich zum Beispiel in Lebensgefahr, als ich im Kosovo in einem Konvoi saß und der Wagen vor mir auf eine Mine aufgefahren ist. Außerdem bin ich häufiger mit Waffen bedroht worden.

Bob Andrews: Wäre Ihre Arbeit einfacher als Mann? Emanzipation hat doch sicherlich nicht so einen hohen Stellenwert in Südosteuropa?

Susanne Glass: Ich glaube auf keinen Fall, dass meine Arbeit als Mann einfacher wäre. Ich habe sogar eher den Eindruck, dass man als Frau in Krisengebieten deeskalieren kann und deshalb oft sogar einen Schutz für das ja überwiegend männliche Team ist. Außerdem bin ich als Frau schon häufiger an weibliche Interviewpartner gekommen, die mir viel offener von ihren Schicksalen erzählt haben. Ich glaube, ideal ist es, im Krisengebiet sowieso als Team zu arbeiten. Wenn da ein Mann und eine Frau zusammenarbeiten, funktioniert das meistens eher.

tlu: Heißt "als Journalistin taff sein", insbesondere mit vielen Neins umgehen zu müssen?

Susanne Glass: Ich würde eher sagen, es heißt, mit vielen Jas umzugehen und die auch ablehnen zu können.

zum Chat!: Was war Ihr bisheriger Karrierehöhepunkt?

Susanne Glass: Ich hoffe, der kommt noch.

Günu: Mit welchen Vorurteilen sind Sie damals das erste Mal nach Südosteuropa gereist?

Susanne Glass: Hoffentlich mit sehr wenigen Vorurteilen. Ich war in erster Linie gespannt darauf, was dieses Land und die Leute mit mir machen. Und ich habe es immer gehasst, wenn ich im Vorfeld die Stammtischparolen gehört habe, wie "das sind die Serben" oder "die Albaner". Ich bin ja auch nicht unbedingt "die Deutsche".

Moderatorin: Wie hat sich Ihr Bild von der Region in den Jahren geändert?

Susanne Glass: Die Region hat sich geändert und damit natürlich auch das Bild, das ich von ihr habe. Als ich das erste Mal zum Beispiel im Kosovo war, war dort Krieg. Jetzt ist es unabhängig, damit hat sich auch das Selbstbewusstsein der Kosovo-Albaner sehr stark verändert. Man muss das Bild, das man hat, immer wieder der Realität anpassen.

wombat: Welches ist Ihr liebster Ort im gesamten Berichtsgebiet?

Susanne Glass: Drei liebste Orte: Sarajevo, Belgrad und Donau-Delta in Rumänien. An Sarajevo gefällt mir nach wie vor die bunte Mischung und das ethnische Miteinander. Belgrad ist eine sehr schöne Stadt an Donau und Save, in der man übrigens auch wunderbar ausgehen kann. Das Donau-Delta ist für mich eines der schönsten Naturparadiese.

Günu: Ist der Kontrast zwischen Österreich und den anderen Ländern schwer zu verkraften?

Susanne Glass: Ja, immer wieder. Aber gleichzeitig war es gerade während der Krisen auf dem Balkan oft wunderbar, wieder in die österreichische Zivilisation zurückzukehren.

Sylvia: Wie oft reisen Sie in die Länder, über die Sie berichten ab?

Susanne Glass: Da gibt es kein Schema. Ich versuche schon alle drei Monate in jedes Land zu kommen. Das hängt natürlich immer wieder davon ab, wo gerade der Fokus der Berichterstattung liegt. Ich habe zum Beispiel im Jahr 2000 sicher mehrere Monate in Belgrad und in Serbien verbracht.

Moderatorin: Stichwort Sport:

1000 Sascha: Gab es bei der Europameisterschaft in Österreich eine ähnliche nachhaltige Euphorie wie in Deutschland 2006, oder war die Mannschaft dafür einfach zu schlecht?

Susanne Glass: Ich glaube, die Mannschaft war zu schlecht. Aber dafür, dass sie letztlich doch enttäuschend war, haben die Österreicher die Euro doch noch sehr genossen.

Moderatorin: Und eine weitere "buntere" Frage, von unseren Lesern interessanterweise häufig gestellt:

Andi Autoritär: Muss man sich als Österreich-Korrespondentin in Wien auf der Ballsaison sehen lassen? Oder tun Sie dies gerne freiwillig?

Susanne Glass: Ich war einmal auf dem Opernball und werde dort nicht mehr hingehen.

Moderatorin: Warum nicht?

Susanne Glass: Weil ich es interessant fand und es mir reicht, es einmal erlebt zu haben. Ich habe es aber niemals geschafft, mit meinem Mann einen anständigen Walzer zu tanzen.

Michael: Haben Sie als Journalistin, die ja eigentlich einen 365 Tage-Job hat, auch mal Zeit für sich? Ich stelle mir das schwierig vor, denn schließlich ist das täglich Leben Ihre Arbeit. Das Leben bleibt bekanntlich niemals stehen.

Susanne Glass: Da haben Sie völlig Recht, aber ich sehe meinen Beruf auch als Berufung und ich habe einen sehr verständnisvollen Partner und Freundeskreis. Die Momente, in denen ich wirklich dankbar dafür bin, dass ich diesen Beruf habe, überwiegen. Es gibt aber auch durchaus Situationen, in denen ich mein Handy im Wald vergraben könnte.

Moderatorin: Nur mal so:

Schekker: Ach, ich beneide Sie um Ihre schöne Arbeit….. seufz.

Susanne Glass: Och, schön.

Moderatorin: Zurück zu den harten Themen:

ronny32: Wo verorten Sie Ungarn? Ist es ein Schwergewicht in der EU oder eher ein kleines osteuropäisches Land?

Susanne Glass: Also, für ein Schwergewicht fehlt den Ungarn noch ziemlich viel. Im Moment haben sie große wirtschaftliche Probleme. Außerdem beobachte ich den aufkeimenden Rechtsextremismus in Ungarn mit Sorge.

Alexander Reichert: Wie beurteilen Sie die politische Situation in Bosnien zurzeit?

Susanne Glass: Das Land ist sicherlich auf einem guten Weg. Ich glaube, dass die Aussöhnung zwischen Moslems, Kroaten und Serben noch voran kommt. Ich finde es sehr wichtig, dass Karadzic festgenommen worden ist. Ich hoffe darauf, dass Mladic demnächst folgt. Trotzdem habe ich ja vorher schon geschrieben, dass Bosnien ohne die internationale Gemeinschaft nicht überlebensfähig wäre. Stichwort: hoher Repräsentant, der immer noch im Land die Richtlinien vorgibt.

2much: Welches Land sollte ich als Durchschnittseuropäer am besten bereisen, um ein paar schöne Eindrücke in Südosteuropa zu bekommen?

Susanne Glass: Unbedingt Rumänien. Das Donau-Delta muss man gesehen haben, bevor dort die Bagger anrücken. Wunderbar ist im Moment in Rumänien auch die Maramuresch. In der Region fühlt man sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. Wenn Sie sich noch ein bisschen weiter vorwagen wollen, kann ich auch Belgrad als Städtereise sehr empfehlen.

Michael: Wo sehen Sie in der Zukunft den Balkan stehen? Wird er sich weiter so stark entwickeln wie aktuell? Sie haben da sicher einen besseren Blick als wir alle drauf, da Sie an der Quelle sitzen.

Susanne Glass: Ich glaube, dass der Balkan sich mittelfristig der Europäischen Union immer weiter annähern wird. Einzelne Länder sind ja schon oder werden wohl demnächst Mitglied. Das ist wirklich die einzige Chance, die ich für den Balkan sehe. Ich habe aber nach wie vor auch die Befürchtung, dass sich die ethnischen Konflikte dort wieder zuspitzen können.

ronny32: Ist die Karadzic-Verhaftung eine Möglichkeit für die Verarbeitung des Konflikts oder wühlt das alte Querelen auf?

Susanne Glass: Eher eine Möglichkeit zur Verarbeitung. Ich bin aber persönlich auch sehr gespannt darauf, ob durch den Karadzic-Prozess jetzt endlich einmal die Rolle der niederländischen Blauhelmsoldaten und der Vereinten Nationen beim Massaker in der so genannten UN-Schutzzone Srebrenica geklärt wird. Nicht nur in Südosteuropa muss ein großer Teil der Geschichte verarbeitet werden. Auch die Niederlande und die UN sollten sich kritische Fragen nach einer Mitverantwortung stellen. Einfach, um künftig in ähnlichen Situationen besser und effizienter reagieren zu können.

que?: Würde ein Tribunal, wie in Kambodscha oder Südafrika, helfen, die alten Ressentiments abzubauen?

Susanne Glass: Es gibt ja bereits ein UN-Kriegsverbrechertribunal. Das ist mit allen Fehlern, die dort auch passieren, sicherlich sehr, sehr wichtig.

2much: Welche Rolle spielt Russland denn für die Länder? Haben sie genauso Angst wie die ehemaligen Satelliten-Staaten?

Susanne Glass: Ich habe mich jetzt über Russlands Rolle sehr gewundert. Einerseits hat Russland Serbien in den Bemühungen unterstützt, die Unabhängigkeit des Kosovos zu verhindern, beziehungsweise jetzt in Frage zu stellen. Andererseits machen die Russen mit Georgien eine genau umgekehrte Politik. Ich glaube, dass das ihre Glaubwürdigkeit auf dem Balkan beeinträchtigt.

Rolf Pankow: Ist, unter Berücksichtigung der Geschichte der Balkanländer, der Eintritt der Türkei in die EU zu begrüßen oder eher abzulehnen?

Susanne Glass: Ich bin nicht der Meinung, dass der mögliche Eintritt der Türkei in die EU an der Geschichte der Balkanländer gemessen werden soll.

Moderatorin: Noch mal zum Thema Tribunal:

que?: Ich meine ein Tribunal, das öffentlich direkt in der Region arbeitet.

Susanne Glass: Dafür sind, glaube ich, die Bedingungen noch nicht gegeben. Das soll heißen, dass es dort noch keine wirkliche Unabhängigkeit von der jeweiligen Geschichte und Politik gibt.

flips: Sind Sie extra für den Chat auf die IFA gekommen?

Susanne Glass: Nein, sondern wegen Berlin. Aber der Chat war für mich trotzdem auch ein sehr willkommener Anlass.

Aeffchen: Wie oft sind Sie eigentlich in Deutschland?

Susanne Glass: Drei, vier Mal im Jahr und dann meistens in München, um meine Freunde und Familie zu besuchen.

max: Was lieben Sie an Wien?

Susanne Glass: Immer mehr. Wien ist eine Weltstadt mit den Vorteilen, die das mit sich bringt. Trotzdem aber sehr gemütlich und übersichtlich für die Menschen, die dort leben.

Allgäuer: Sie sind ja kein Piefke und kennen sicher die meisten katholischen Politiker in Österreich. Glauben Sie, dass ein kleines Land wie Österreich effektiver, flexibler zu regieren und zu gestalten ist, als ein dinosaures Land wie zum Beispiel Deutschland?

Susanne Glass: Es ist sicherlich anders zu regieren und nicht so inhomogen wie Deutschland. Außerdem fängt ja in Österreich bekanntlich der Balkan an. Das trifft auch auf diverse politische Gegebenheiten zu.

Moderatorin: Unsere 60 Minuten sind schon wieder um. Vielen Dank, liebe Leser, und vielen Dank, Frau Glass! Sie haben das letzte Wort:

Susanne Glass: Ich bedanke mich sehr herzlich – mir hat es viel Spaß gemacht. Vor allem haben mich die vielen intelligenten und gut informierten Fragen sehr angeregt und nachdenklich gemacht. Ich glaube, um die wirklich fundiert zu beantworten, müsste man viel mehr Platz haben.

que?: Ein toller Chat. Vielen Dank, Frau Glass!

Moderatorin: Damit verabschieden wir uns. Morgen zu Gast im Tagesschau-Chat von der IFA: Ulrich Deppendorf, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios hier in Berlin. Auch dieser Chat beginnt um 13 Uhr.

Der Chat wurde moderiert von Nicole Diekmann, tagesschau.de.