Am Donnerstag, den 22. Mai, war Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke, zu Gast im tagesschau-Chat. Er sprach über die Unterschiede der Linken zur SPD, über die Themen des Bundesparteitags und erklärte, was Die Linke unter einer Gesellschaft des demokratischen Sozialismus versteht.
Moderatorin:
Herzlich willkommen im tagesschau-Chat. Heute ist Dietmar Bartsch zu
uns ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Er ist Bundesgeschäftsführer
der Linkspartei und damit der Zeremonienmeister des Parteitages, der
am Samstag in Cottbus beginnt. Liebe User, nutzen Sie die
Gelegenheit, Herrn Bartsch Ihre Fragen zu stellen. Herr Bartsch, noch
einmal herzlich willkommen. Können wir beginnen?
Dietmar
Bartsch: Ja, sehr gerne!
molodjez:
Was unterscheidet Die Linke von einer sozialdemokratischen
Partei?
Dietmar Bartsch:
Die Linke hat als Ziel eine andere Gesellschaft, die wir
demokratischen Sozialismus nennen. Und Die Linke ist eine Partei,
die, wenn man sich die aktuelle Politik ansieht, von der real
existierenden SPD weit entfernt ist.
Nihambe:
Würden Sie mit der SPD im Bund koalieren?
Dietmar
Bartsch: Die Möglichkeiten für eine Koalition mit der
SPD sind auf aufgrund der aktuellen Politik dieser Partei nicht
gegeben. Wer Auslandseinsätze der Bundeswehr befürwortet,
die Rente mit 67 eingeführt hat, die Bahn privatisiert und die
Hartz4-Gesetzgebung zu verantworten hat, ist für uns kein
Koalitionspartner. Langfristig jedoch wünsche ich mir in
Deutschland einen Politikwechsel und der ist nur in einem
Mitte-Links-Bündnis machbar. Dazu wären allerdings die
entsprechenden gesellschaftlichen, außerparlamentarischen
Voraussetzungen zu schaffen.
Neutral:
Wenn es denn jemals zu einer Regierungsbeteiligung Ihrer Partei
kommen würde, wie wollen Sie dann das bisschen Profil, welches
Ihre Partei derzeit dem Anschein nach besitzt, behalten? In einer
Koalition wäre eine strikte Ablehnungshaltung und das Schwenken
der sozialen Fahne nicht möglich, daher droht dann doch ein
Verlust der Glaubwürdigkeit durch die Ernüchterung der
Realität für die Wähler.
Dietmar
Bartsch: Diese Ansicht teile ich ausdrücklich nicht. Wenn
wir eine Regierungsbeteiligung anstreben würden, geht das nur
unter den Bedingungen: 1. der Überwindung der
Hartz-Gesetzgebung, 2. einer Reform der Gesundheitsreform, 3.
wirksame Maßnahmen für die Bekämpfung der
Kinderarmut, 4. Maßnahmen gegen Altersarmut für sichere
Renten, den Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan und der
Angleichung der Lebensverhältnisse Ost-West.
Sollten
wir dieses durchsetzen – und das ist politisch möglich – hätten
wir enorm Profil gezeigt.
"CDU und FDP sind logischerweise keine Partner"
Moderatorin:
Hier kommt eine Nachfrage:
kway:
Wenn Sie nicht mit der SPD koalieren wollen bzw. dürfen, mit wem
dann? Realistisch betrachtet wäre die SPD Ihnen doch noch am
nächsten verbunden.
Dietmar
Bartsch: Das ist zweifelsfrei richtig. Wir haben mit der SPD auf
kommunaler Ebene vielfache Zusammenarbeit und hatten auch
Regierungszusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt
und aktuell in Berlin. Nur die derzeitige Politik der SPD auf der
Bundesebene schließt aktuell Koalitionsüberlegungen aus.
CDU/CSU und FDP sind logischerweise keine Partner.
Moderatorin:
Und noch eine Nachfrage hierzu:
Silent Bob: Zur Frage
"Was unterscheidet Die Linke von einer sozialdemokratischen
Partei?": Wie sieht diese Gesellschaft konkret aus?
Dietmar
Bartsch: Die Gesellschaft ist zunächst mal mit vielen
Adjektiven beschrieben. Es ist eine Gesellschaft in der soziale
Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit herrschen. Wir verstehen jedoch
unter dem demokratischem Sozialismus nicht nur ein Ziel, sondern auch
ein Wertesystem und den Weg zu dieser neuen Gesellschaft. Ich will
betonen, dass wir ausschließlich auf demokratischem Wege – auf
dem Wege der Emanzipation der Menschen – zu dieser neuen Gesellschaft
kommen wollen.
Moderatorin: Die User haben
Definitionsbedarf:
defender: Wie definieren Sie
überhaupt "soziale Gerechtigkeit"?
Dietmar
Bartsch: Soziale Gerechtigkeit ist ein Begriff, der Gerechtigkeit
zwischen Alt und Jung, Frauen und Männern, Nord und Süd,
Mensch und Natur einschließt. Er ist nur im Zusammenhang mit
den Begriffen Gleichheit, insbesondere in den Zugangsbedingungen zu
Bildung, öffentlicher Daseinsvorsorge u.ä. und Freiheit
darstellbar.
Moderatorin: Eine Frage aus der
Vor-Chat-Phase:
Freedom Call: Wie erklären Sie
sich die ausbleibende Empörung der Demokraten in unserem Lande
nach Ihrer Ankündigung "..die bestehende gesellschaftliche
Ordnung der Bundesrepublik Deutschland " im sozialistischen
Sinne verändern zu wollen? Offener kann man unserer freiheitlich
demokratischen Grundordnung nicht den Kampf ansagen?
Dietmar
Bartsch: Nein, Die Linke ist ausdrücklich eine Verteidigerin
unseres Grundgesetzes. Da auch insbesondere des Artikels 15, der auch
Vergesellschaftung möglich macht. Ich will auch daran erinnern,
dass selbst im Ahlener Programm der CDU die sozialistische
Gesellschaft Erwähnung findet. Also: Offensichtlich gibt es eine
Vielzahl von Vorurteilen bezüglich des Begriffes "Sozialismus".
Für uns ist dieser Begriff keinesfalls Einschränkung von
Freiheit, sondern Erweiterung von Freiheit.
Max: Wie
kann ich wissen, wofür Die Linke steht, wenn Ihre Partei bis zur
nächsten Bundestagswahl als einzige Bundestagsfraktion noch
immer kein Programm haben wird? Meiden Sie die Programmdiskussion,
weil Ihre Partei selber nicht genau weiß, wofür Sie
eigentlich steht?
Dietmar
Bartsch: Dieses dumme Vorurteil wird gern verbreitet. Schon nach
dem Gesetz hat jede Partei vor ihrer Registrierung ein Parteiprogramm
einzureichen. Die Linke hat ihr Programm mit einer Urabstimmung aller
Mitglieder beschlossen. Wir werden selbstverständlich vor der
Bundestagswahl ein Bundestagswahlprogramm und vor der Europawahl ein
Europawahlprogramm auf Parteitagen entscheiden. Natürlich geht
die programmatische Debatte in meiner Partei weiter und wird zu einem
neuen Programm etwa im Jahre 2010 führen. Dass wir
programmatische Grundlagen haben, zeigt unsere konkrete Politik in
der Kommune, in den Ländern, im Bundestag und im Europäischen
Parlament. Sollte allerdings gemeint sein, dass wir offene Fragen
haben, zu denen wir uns in unserem Programm ausdrücklich bekannt
haben, sehe ich das als einen Vorzug an. Ich glaube im Übrigen,
dass alle Parteien offene Fragen haben – oder zumindest haben
sollten.
Moderatorin: Sie nennen ihr Programm aber
selbst nicht Grundsatzprogramm, sondern Eckpunkte, weil Vieles offen
geblieben ist.
Dietmar
Bartsch: Nein, nicht weil vieles offen geblieben ist, sondern
weil Die Linke vor einem Jahr in einem – nicht leichten – Prozess aus
PDS und WASG hervorgegangen ist und wir unter diesem politischen
Druck und Zeitdruck nicht alle Fragen klären konnten. Deshalb
haben wir die Überschrift "Programmatische Eckpunkte"
gewählt. Zweifelsfrei kann man auch darüber "Programm"
schreiben.
"Die Geschichte der Linken ist eine Erfolgsgeschichte"
Harr: Welche Bilanz ziehen sie nach etwa
einem Jahr Die Linke und was bedeutet das für den Parteitag?
Dietmar
Bartsch: Die – jetzt einjährige – Geschichte der Partei "Die
Linke" ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie die Bundesrepublik
noch nicht erlebt hat. Wir sind die einzige Partei mit
Mitgliederzuwachs, wir sind in vier westdeutsche Landesparlamente
eingezogen – was kaum jemand für möglich erachtet hat – und
wir haben die politische Agenda wesentlich mitbestimmt. Heute ist zum
Beispiel ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn
mehrheitsfähig in der Bevölkerung. Heute ist die Rente mit
67 und die sich abzeichnende größere Altersarmut
inakzeptiert in der Gesellschaft. Es gibt Diskussionen zu
Managergehältern, zur Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer.
Nur durch unser Engagement wurde die so genannte 58er-Regelung
verlängert und vieles andere mehr. In einem Wort:
Erfolgsgeschichte.
Reader: Was hat Die Linke im letzten
Jahr aus der Opposition verändern können? Treiben Sie die
anderen Parteien vor sich her?
Dietmar
Bartsch: Ich würde zwar nicht so weit gehen wie einige
Medien, dass Die Linke schon jetzt "mitregiert". Aber wir
haben die Achse der Politik ein Stück nach links verschoben. Der
Begriff der gesellschaftlichen Solidarität ist zurückgekehrt.
Soziale Gerechtigkeit wird von allen Parteien zumindest im Munde
geführt. Und das hat konkrete Auswirkungen. Ein Beispiel: Die
Verlängerung der Afghanistan-Mandate wurde nicht mehr routiniert
vollzogen, sondern es gab inzwischen 140 Abgeordnete des Deutschen
Bundestages, die gegen die Verlängerung gestimmt haben. Es wird
eine Veränderung der Rentenformel geben, durch unser
beharrliches Agieren und unsere Rentenkampagne, die wir in Cottbus
starten werden. Auch dass es in einigen Branchen einen gesetzlichen
Mindestlohn gibt, hätte es ohne unser Agieren hier zusammen mit
den Gewerkschaften nicht gegeben.
phlo:
Zur "Rente mit 67": Wie will Die Linke den Problemen des
demografischen Wandels entgegentreten?
Dietmar
Bartsch: Zunächst will ich feststellen, dass es in sehr
vielen europäischen Ländern Rente mit 60, mit 58 oder mit
65 gibt. Auch die Linke leugnet nicht und begrüßt, dass
die Menschen in unserer Gesellschaft älter werden. Die
Finanzierung des Rentensystems muss auf andere Grundlagen gestellt
werden. Zum Beispiel schlagen wir die Aufhebung der
Beitragsbemessungsgrenze, zunächst die Erhöhung, vor. Wir
treten ein für die Einbeziehung der Abgeordneten, Beamten und
Selbstständigen in die Rentenversicherung. Wir sind dafür,
dass die systemfremden Leistungen überprüft werden und
nicht zuletzt: Es ist möglich, über flexibles
Renteneintrittsalter zu reden.
phlo: Der
rot-rote Senat in Berlin wird oft als Beispiel für gute
Koalitionsarbeit mit Der Linken gebracht. Wie beurteilen Sie die
politische Arbeit in unserer Hauptstadt?
Dietmar
Bartsch: Die damalige PDS ist in Berlin in
Regierungsverantwortung gewählt worden, nach dem Desaster der
Großen Koalition und dem bisher größten
Bankenskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Berlin war über
beide Ohren verschuldet und die Stadt war politisch, kulturell und
wirtschaftlich geteilt. In dieser Situation haben wir uns auf den
schwierigen Weg in Berlin gemacht, die Stadt gemeinsam mit der SPD
zukunftsfest und zu einer Ost-West-Metropole zu machen. Da gibt es
Erfolge, die sich sehen lassen können. Unter anderem auch die
Haushaltssanierung, aber insbesondere, dass Berlin wirklich eine
Kulturhauptstadt ist. Dass es ein Kultur- und ein Sozialticket gibt
und vieles andere mehr. Und es gibt Dinge, an denen wir arbeiten
müssen. Wir haben in der ersten Legislatur Fehler gemacht, die
uns auch ein wenig erfreuliches Wahlergebnis gebracht haben. Aber aus
diesen Fehlern wurde in Berlin gelernt und ich hoffe, dass wir nach
fünf Jahren das auch von den Wählerinnen und Wählern
honoriert bekommen.
"Beobachtung der Partei ist inakzeptabel"
Malfa:
Welche Chancen rechnen Sie sich in Bayern aus, jetzt da auch die CSU
wieder mehr Sozialthemen in den Vordergrund rückt?
Dietmar
Bartsch: Zunächst freue ich mich, dass die CSU zum Beispiel
unsere Forderung der Wiedereinführung der Pendlerpauschale ab
dem ersten Kilometer aufgenommen hat. Allerdings weise ich darauf
hin, dass die CSU genau diese Entscheidung mitgetragen und befördert
hat. Die Tatsache, dass wir in Bayern überhaupt eine Chance
haben, in den Landtag einzuziehen, finde ich sensationell. Wir werden
mit der Unterstützung der Bundespartei in Bayern kämpfen,
dass wir diese Chance nutzen. Die Kommunalwahlen in Bayern haben
gezeigt, dass Die Linke auch in diesem Land gewünscht ist. Also:
Eine Sensation ist möglich.
Legolas:
Welche Argumente haben Sie gegen eine Beobachtung Ihrer Partei durch
den Verfassungsschutz?
Dietmar
Bartsch: Die Beobachtung der Partei Die Linke oder auch von
Zusammenschlüssen ist völlig inakzeptabel. Die Linke stellt
Bürgermeister, Landräte und viele Abgeordnete. Sie ist in
den Überwachungsgremien des Verfassungsschutzes vertreten.
Mehrfach und klar und eindeutig haben wir uns nicht nur zum
Grundgesetz bekannt, sondern verteidigen es gegen Angriffe wie den
Einsatz der Bundeswehr im Inneren, Online-Durchsuchungen und
ähnliches. Die Linke war in einigen Bundesländern im
Übrigen verfassungsgebende Partei. Und richtig ist, dass
Landesämter des Verfassungsschutzes wie Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Berlin aber auch Schleswig-Holstein und das
Saarland jegliche Beobachtung eingestellt haben. Dem sollten Herr
Schäuble und Herr Fromm folgen. Und auch die Bundeskanzlerin ist
hier gefordert, als jemand, der aus dem Osten kommt und die Linke
etwas mehr kennt.
Theophil:
Wie stehen sie zu einer Kandidatur von Sahra Wagenknecht für ein
höheres Parteiamt oder ein Bundestagsmandat?
Dietmar
Bartsch: Sahra Wagenknecht wird in Cottbus für den
Parteivorstand kandidieren. Sie war bereits in den letzten Jahren im
Parteivorstand und ich gehe davon aus, dass sie auch gewählt
wird. Die Repräsentanz der kommunistischen Plattform mit einem
Mitglied in einem 44köpfigen Parteivorstand sehe ich als
angemessen an. Die Entscheidung bezüglich der Bundestagswahlen
stehen noch nicht an und diese Entscheidungen werden in den Ländern
getroffen. Allerdings wird die Bundesspitze der Partei sich dazu sehr
schnell nach Cottbus verständigen und vielleicht auch die ein
oder andere Anregung geben. Bisher war das Thema Sahra Wagenknecht
und Kandidatur zur Bundestagswahl kein Thema, weil sie im
Europaparlament für die Linke sitzt.
Ari:
Aber geben Personen wie Frau Wagenknecht nicht eher Gründe davon
auszugehen, dass es nicht allen Parteimitgliedern so wichtig ist mit
der Demokratie?
Dietmar
Bartsch: Ich kann nur empfehlen dort mit Sahra Wagenknecht direkt
ins Gespräch zu kommen. Mir ist sie in den Sitzungen des
Parteivorstandes nicht durch besondere Radikalität bei den
Zukunftsfragen unserer Gesellschaft aufgefallen.
amuego:
Stellt Die Linke einen alternativen Kandidaten zur
Bundespräsidentenwahl?
Dietmar
Bartsch: Mit Respekt haben wir die heutige Entscheidung von Horst
Köhler zur Kenntnis genommen, dass er für eine weitere
Amtszeit kandidiert. Die Linke wird sich nach den bayerischen
Landtagswahlen, wenn die Zusammensetzung der Bundesversammlung
feststeht und wenn gegebenenfalls weitere Kandidaturen bekannt sind,
positionieren. Ich rate meiner Partei bei dieser Wahl nicht zu
Wichtigtuerei, wie das Herr Westerwelle für die FDP tut, der
auch wie wir über knapp 100 Vertreterinnen und Vertreter in der
Bundesversammlung verfügt.
Moderatorin: Eine Bitte
um persönliche Antwort:
Merle: Wie stehen Sie zur
erneuten Kandidatur von Köhler?
Dietmar
Bartsch: Ich habe Horst Köhler persönlich als Mitglied
des Haushaltsausschusses, der für seinen Einzelplan (der Etat
des Bundespräsidialamtes, d. Red.) zuständig ist,
kennen und auch schätzen gelernt. Ich schätze insbesondere
sein nachhaltiges Engagement für Afrika und die Tatsache, dass
er sich zuhörend mit den besonderen Problemen der Menschen in
Ostdeutschland beschäftigt hat.
"Ich habe keinen Zweifel, Gregor Gysi zu vertrauen"
Moderatorin:
Themenwechsel:
defender:
Wann wird sich Die Linke mit ihrer Stasi-Vergangenheit befassen?
Dietmar
Bartsch: Wie keine andere Partei hat sich die PDS mit der
Vergangenheit sowohl mit ihrer Vorgängerpartei, der SED, der
Vergangenheit der DDR aber auch der Vergangenheit der
kommunistischen, sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegung
befasst. Wir haben dort um unserer selbst willen schmerzhafte auch
tränenreiche Debatten geführt, Konferenzen gemacht,
Publikationen herausgegeben und auf Parteitagen Entscheidungen zum
Umgang mit der Vergangenheit getroffen. Andere haben es sich sehr
einfach gemacht und schlicht Blockparteien übernommen, ohne sich
auseinanderzusetzen.
Das Thema
Staatssicherheit ist ein Aspekt dieser Auseinandersetzung, der in der
Öffentlichkeit häufig in besonderer Weise nach vorne
gestellt wird. Wir haben uns mit unserer Vergangenheit jedoch nicht
wegen des Mainstreams oder weil andere es von uns wollten,
auseinandergesetzt, sondern um unser selbst willen, um der Zukunft
des demokratischen Sozialismus willen.
dieter: Herr
Bartsch, kürzlich veröffentlichte die
Stasi-Unterlagenbehörde Papiere, die den Schluss nahe legen,
dass Gysi als IM für die Stasi gearbeitet hat. Wann zieht Ihre
Partei Konsequenzen und verlangt den Rücktritt ihres
Fraktionschefs? Oder ist es für Sie tragbar, einen
Stasi-Mitarbeiter als Chef zu haben?
Dietmar
Bartsch: Gregor Gysi hat in dieser Angelegenheit diverse Prozesse
geführt und diese gewonnen. Auch er hat bezüglich seiner
Vergangenheit klare und präzise Aufklärungsarbeit
betrieben. Ich habe keinen Zweifel, ihm zu vertrauen und kenne auch
keine Dokumente, dass er inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums
für Staatssicherheit war. Die zufälligerweise vor dem
Cottbuser Parteitag formulierten Medienmeldungen habe ich in der
Geschichte der PDS mehrfach erleben dürfen. Ich werde das Gefühl
nicht los, dass hier bewusst einzelne Dokumente im Vorfeld von
wichtigen Parteientscheidungen das Licht der Welt
erblicken.
Moderatorin: Wird das Thema zu Diskussionen
am Parteitag führen?
Dietmar
Bartsch: Nein, ich gehe nicht davon aus, dass dieses Thema auf
dem Parteitag aufgerufen wird. Wobei man bei Parteitagen der Linken
nie abschließend weiß, was in den Diskussionen eine Rolle
spielt. Wir lassen uns aber nicht Diskussionen aufzwingen, für
die es keine Grundlagen gibt.
Moderatorin:
Zur Diskussionskultur in ihrer Partei:
Links: Sehr
geehrter Herr Bartsch, wie erklären sie es sich, dass Mitglieder
ihrer Partei überdurchschnittlich öfter andere Diskutanten
in so ziemlich jeder politischen Talkshow unterbrechen und ist dies
ihr Verständnis einer demokratischen, regierungsfähigen
Partei?
Dietmar
Bartsch: Nun ist jede Talkshow eine eigene. Und ich sage
selbstkritisch, dass auch bei mir dieses bereits vorgekommen ist.
Richtig ist, dass das nicht die Kultur ist, die ich mir wünsche.
Aber es ist leider auch so, dass wir Vertreterinnen und Vertreter der
Partei Die Linke in besonderer Weise häufig mit Kritik – an und
manchmal auch unter der Gürtellinie – konfrontiert werden. Ich
teile allerdings die Auffassung, dass generell die Kultur der
Talkshows verbesserungswürdig ist. Weiß aber auch, dass in
Erinnerung nicht der ruhige solide argumentierende Diskutant bleibt,
sondern häufig der- oder diejenige, die provoziert haben. Als
Vorpommer neige ich eh zu einem ruhigeren Umgang auch mit dem
politischen Konkurrenten.
phlo:
Öffentlich wird Ihre Partei immer noch von großen Teilen
der etablierten Parteien geschmäht. Wie steht es um die
inoffizielle Arbeit in den Ausschüssen und Gremien?
Dietmar
Bartsch: In den Bundestagsausschüssen, wo ich das beurteilen
kann, gibt es eine normale Zusammenarbeit. Leider ist es häufig
so, dass mit dem roten Licht einer Kamera die Gesichtszüge der
Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien sich ändern.
Allerdings hat sich das in den letzten Jahren normalisiert und mir
geht es auch nicht darum, dass mich Mitglieder des deutschen
Bundestags anderer Parteien lieben. Wir sind beauftragt, für die
Menschen das Beste zu tun. Und da ist der Umgang wichtig, aber nicht
das Entscheidende.
Cthulhu:
Ist Die Linke nicht die neue Konservative, da sie die
Sozialdemokratie der 80er predigt?
Dietmar
Bartsch: Die Linke predigt nicht die Sozialdemokratie der 70er
oder 80er Jahre. Allerdings schließen wir uns nicht der
neoliberalen Logik an, dass Steuersenkungen und Einschnitte bei den
sozial Schwächeren die einzige Entwicklungslogik sind. In
Deutschland ist die Schere zwischen dem riesengroßen Reichtum –
wir haben inzwischen 800.000 Vermögensmillionäre – und
völlig inakzeptabler Armut größer geworden. Laut
UNICEF leben 2,4 Millionen Kinder in Armut. Wenn man uns unterstellt,
dass wir uns mit diesen Verhältnissen nicht abfinden wollen und
die Umverteilung von unten nach oben stoppen wollen, dann ist mir
egal, wie man das bezeichnet. Die Linke ist Zukunftspartei und strebt
die Lösung der Probleme dieses Jahrhunderts an.
Finanzierungsquellen für das Programm der Linken
Georg:
Wo soll denn das ganze Geld für Ihre Versprechungen herkommen?
Dietmar
Bartsch: Danke für die Frage. Sehr gerne will ich zunächst
vier Quellen nennen: Die Linke strebt eine Reform der
Erbschaftssteuer an, die das Aufkommen von bisher vier Milliarden
deutlich erhöht. In den nächsten Jahren werden 1,3
Billionen Euro vererbt. Hätten wir eine Erbschaftssteuer wie in
den Vereinigen Staaten, würden ca. 50 Milliarden in die
öffentlichen Haushalte kommen. Zweitens fordern wir die
Wiedererhebung der Vermögenssteuer, wie es sie bis 1996 gab, auf
verfassungsrechtlicher korrekter Grundlage. Auch dies kann einen
zweistelligen Milliardenbetrag bringen. Drittens wollen wir die
Einkommenssteuer verändern, so dass es eine höhere
Belastung für die Spitzenverdiener gibt. Sprich einen erhöhten
Spitzensteuersatz der von jetzt 42 Prozent in Richtung 50 Prozent
erhöht werden sollte. Gleichzeitig den so genannten
Mittelstandsbauch jedoch abschaffen und die ersten 8.000 Euro pro
Kopf steuerlich freistellen. Viertens hat die Linke auch schon im
Deutschen Bundestag die Einführung einer Börsenumsatzsteuer,
wie es sie zum Beispiel in Großbritannien gibt, vorgeschlagen.
Nicht zuletzt gibt es auch im aktuellen Haushalt ein großes
Einsparpotenzial und zwar nicht nur bei den Auslandseinsätzen
der Bundeswehr, die ca. eine Milliarde Euro jährlich kosten,
sondern bei vielen Etatposten. Hätten wir die durchschnittliche
europäische Steuern- und Abgabenquote in Deutschland, wären
unsere Haushaltsprobleme deutlich geringer.
MenuPerso:
Und die Erbschaftsteuer bezeichnen Sie also als fair. Ist Ihnen
bewusst, dass dann viele Erben das Haus ihrer Oma verkaufen müssten,
um die Steuer zu bezahlen?
Dietmar
Bartsch: Das will Die Linke ausdrücklich nicht. Es gibt
jetzt Freibeträge – und wir sind für hohe Freibeträge,
dass "Oma ihr klein Häuschen" nicht belastet wird.
Aber Milliardenbeträge in Geld und Immobilienfonds können
nicht so niedrig besteuert – wie in kaum einem anderen Land –
bleiben. Eine Situation, die sich in Deutschland so darstellt, dass
Kinder geboren werden, die das vererbte Vermögen bis an ihr
Lebensende nicht ausgeben können und auf der anderen Seite
Kinder, die ihre Fähigkeiten in unserem Land nicht entfalten
können, ist nicht hinzunehmen. Sie ist inhuman und letztlich
auch ökonomisch unsinnig, weil niemand bei der Geburt weiß,
aus welchem der beiden Kinder der neue Einstein wird.
Also
noch einmal: Freibeträge bei der Erbschaftssteuer, die
Möglichkeit Betriebsübergänge so zu gestalten, dass
Arbeitsplätze nicht gefährdet werden und trotzdem ein
deutlich erhöhtes Aufkommen ist das Angebot Der Linken, welches
auch in einem Gesetzesentwurf der Bundestagsfraktion nachzulesen
ist.
defender:
@Vermögenssteuer: Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die
Reichen sich von Ihnen ausnehmen lassen. Es wird eine massive
Kapitalflucht ins Ausland geben. Oder wollen Sie die Mauer wieder
aufbauen?
Dietmar
Bartsch: Weder wollen wir eine Mauer aufbauen noch wird es eine
solche Kapitalflucht geben. Warum flüchtet denn das Kapital
jetzt nicht nach Deutschland, wo es keine Vermögenssteuer gibt,
wo sie in anderen Ländern sehr wohl erhoben wird? Dieser
unsinnige Vorwurf tritt, wenn wir Nokia anschauen, auch ohne eine
Vermögenssteuer ein und ich wäre gespannt, wie die
vielfachen Milliardäre Gebrüder Albrecht (Aldi) ihre
Supermärkte unter den Arm nehmen und gehen. Der Maßstab
für unser Agieren können weder die Löhne in Malawi
sein noch die Nicht-Steuern in bestimmten Steueroasen.
Im Übrigen
habe ich bei Gesprächen mit vielen Menschen, die über ein
großes Vermögen verfügen, die Bereitschaft erfahren,
sich mehr auch über Besteuerung in gesellschaftliche
Verantwortung zu begeben. Es bleibt nun mal, dass stärkere
Schultern mehr tragen müssen als schwächere.
Dennis
Paustian: Wird Die Linke sich für die komplette
Gleichstellung von Schwulen und Lesben im Steuerrecht sowie im
Adoptionsrecht einsetzen?
Dietmar
Bartsch: Das ist Position Der Linken, wie sie im Übrigen
bereits Position der PDS war.
Moderatorin:
Wir haben während des Chats unseren Usern die Frage gestellt:
Ist die Linkspartei mittlerweile auch im Bund regierungsfähig?-
37 Prozent haben ja gesagt, 63 Prozent nein. Wie beurteilen Sie
das?
Dietmar Bartsch: Ich
finde das enorm hoch, dass 37 Prozent das so empfinden. Wenn die
Hälfte von denen uns wählt, werden wir ganz schnell zu
einem Partner für die Sozialdemokratie werden können.
Allerdings möchte ich wiederholen, dass für uns die Politik
der Maßstab ist. Es geht nicht um Ministerämter und andere
Vorteile. Sondern um konkrete Veränderung von Politik und das
erste Jahr der Linken hat gezeigt, dass wir aus der Opposition heraus
sehr viel verändern konnten.
Moderatorin:
Macht so ein (nichtrepräsentatives) Ergebnis einigen Mitgliedern
Ihrer Partei Angst?
Dietmar
Bartsch: Es ist so, dass in meiner Partei Mitglieder sind die
jegliche Regierungsverantwortung ablehnen. Aber das ist eine
Minderheit. Meine Position dazu ist klar und eindeutig: Man muss
regieren wollen, man muss regieren können und die
Voraussetzungen für das Regieren müssen stimmen, dass es zu
einem spürbaren Politikwechsel kommt. Dies wird auch in Cottbus
diskutiert werden.
Moderatorin:
Wie viel Sprengstoff liegt in dieser internen Frage?
Dietmar
Bartsch: Die Frage wird abstrakt, sehr häufig und sehr
intensiv besprochen. In der Praxis gehe ich davon aus, dass ein
eventuelles Mitte-Links-Bündnis aus der Gesellschaft heraus
wächst oder es wächst nicht. Es ist nicht entscheidend, wie
sich Parteien positionieren. Macht die SPD ein Angebot, was mit einem
wirklichen Politikwechsel verbunden ist, wird sich die Linke dem
nicht verschließen können.
Moderatorin:
Eine Stunde tagesschau-Chat ist fast vorbei. Dankeschön an
unsere User für die vielen Fragen, die wir leider nicht alle
stellen konnten. Herr Bartsch, möchten Sie noch ein Schlusswort
an die User richten?
Dietmar
Bartsch: Ich bedanke mich auch für die vielen interessanten
Fragen und würde mir wünschen, dass sich möglichst
viele das Bild über die Partei an ihren konkreten Forderungen
und Handlungen machen und weniger der ein oder anderen
Verlautbarungen anderer politischen Parteien über die Medien
vertrauen – außer natürlich tagesschau.de.
Moderatorin:
Zu viel Lob von der Politik wollen wir auch gar nicht. Vielen Dank
für Ihr Interesse und vielen Dank an Herrn Bartsch. Das
Protokoll des Chats ist in Kürze zum Nachlesen auf den Seiten
von tagesschau.de und politik-digital.de zu finden. Das
tagesschau-Chat-Team wünscht noch einen schönen Tag!