Laurenz Meyer
Der Generalsekretär der CDU Laurenz Meyer
ist am 29. Oktober 2003 zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de
und politik-digital.de.

Moderator:
Liebe Politik-Interessierte, herzlich willkommen im tacheles.02-Chat.
Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de
und wird unterstützt von tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de.
Im ARD-Hauptstadtstudio in Berlin begrüße ich heute den CDU-Generalsekretär
Laurenz Meyer. Bis 14 Uhr hat sich Herr Meyer Zeit genommen, um Ihre Fragen
zu beantworten.
Herr Meyer, sind Sie bereit?

Laurenz Meyer:
Ja.

Angelo:
Kommt es der CDU nicht ganz gelegen, dass die SPD nun die über Jahrzehnte
verschleppten Reformen anfasst?

Laurenz Meyer:
Bis jetzt ist die SPD lediglich dabei, die Fehler rückgängig
zu machen, die sie nach dem Regierungsantritt 1998 gemacht hat – siehe
630 DM Verträge, heute 400 €, und Abschaffung des demografischen
Faktors in der Rentenversicherung. Wirkliche Veränderungen für
Deutschland oder richtige Reformen sehe ich bisher nicht.

Bundesrat-Fan:
Frage: Welche Chancen geben Sie dem Vorziehen der Steuerreform und den
Hartz-Gesetzen im Bundesrat?

Laurenz Meyer:
Bei den Hartz-Gesetzen müssen wir im Bundesrat Verbesserungen für
mehr Flexibilität in den Betrieben und eine bessere Motivation der
bisherigen Bezieher von Transferleistungen anstreben. Der Steuerreform
dürfen wir nur zustimmen, wenn den Arbeitnehmern wirklich mehr Geld
in der Tasche verbleibt und sie nicht ganz überwiegend über
noch mehr Schulden finanziert wird.

jens2:
Sie haben Recht. Sollten Sie jedoch nicht konstruktiv an den Reformen
mitarbeiten, und Kompromisse suchen, statt zu blockieren?

Laurenz Meyer:
Das ist völlig richtig. Aber wo wird blockiert?
Das einzige, was wir bisher blockiert haben, waren Steuererhöhungen
und das ist auch gut so.

Gesunde Skepsis:
Gibt es mittlerweile eine einheitliche Position der CDU/CSU zum Vorziehen
der Steuerreform?

Laurenz Meyer:
Im Prinzip ja, mit den Voraussetzungen, die ich eben schon genannt habe.
Allerdings haben unsere Ministerpräsidenten unterschiedliche Akzentsetzungen,
je nach dem, wie schlecht die derzeitige Haushaltslage in dem jeweiligen
Land ist.

Moderator:
Herr Meyer, in den vergangenen Wochen sind Sie zum "Zahlenmeister
der Union" geworden. Auf zahlreichen Regionalkonferenzen haben Sie
versucht, mit Hilfe einer Powerpoint-Präsentation und diversen Zahlenkolonnen
die Vorzüge der Herzog-Vorschläge zur Reform der Sozialversicherung
der Unionsbasis schmackhaft zu machen. Man hatte jedoch mitunter den Eindruck,
dass nicht alle Ihren Rechenkünsten folgen konnten. Haben Sie Ihre
Parteifreunde nicht etwas überfordert?

Laurenz Meyer:
Die Materie der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland
ist sehr kompliziert, deshalb habe ich auch versucht, über Bilder
und Grafiken die Veränderungen aufzuzeigen. Ich bin sicher, dass
alle in unserer Partei zumindest eins begriffen haben: Vor dem Hintergrund,
dass immer weniger Junge mehr Älteren gegenüberstehen müssen
wir handeln. Nichts tun und die Dinge auf sich zukommen lassen wäre
geradezu sträflich.

josefine:
Wie würden Sie kurz und prägnant den Unterschied zwischen der
Kopfpauschale und der Bürgerversicherung bezeichnen?

Laurenz Meyer:
Die Bürgerversicherung hat den schöneren Namen.
Ich halte allerdings von dieser Zwangs-AOK überhaupt nichts. Sie
würde auch keinen Beitrag zur Lösung der demografischen Probleme
bringen. Die Kopfpauschale bringt diesen Beitrag auch nicht, koppelt aber
wenigstens die Arbeitskosten in einem Teilbereich von den Sozialkosten
ab. Weil beide Vorschläge langfristig nicht tragen, schlagen wir
eine Gesundheitsprämie vor, die bei jeder Person für das Alter
Vorsorge treffen soll.

josefine:
Der Vorschlag der Grünen umfasst allerdings auch eine Wettbewerbssteigerung
zwischen den Krankenkassen. Was halten Sie von diesem Aspekt?

Laurenz Meyer:
Die wird es bei der Bürgerversicherung nicht geben.
Im Gegenteil, der Ausgleich in den Kosten unter den Krankenkassen soll
noch ausgedehnt werden. Das führt letztlich zur Einheitskasse.

Simon Weber:
Ist die Kopfpauschale nicht sozial unausgewogen?

Andreas Möhring:
Herr Meyer, ist es nicht sozial "ungerecht", wenn ein Abteilungsleiter
den gleichen Betrag zahlen muss wie eine kleine Schreibkraft?

Laurenz Meyer:
Eine Kopfpauschale braucht sozialen Ausgleich für geringe Einkommen
und Familien. Der Ausgleich über das Steuersystem, den wir vorsehen,
ist allerdings wesentlich sozialer als weiter wie bisher ausschließlich
die Arbeitnehmer mit Einkommen zwischen zwei- und dreieinhalbtausend Euro
Monatseinkommen mit den gesamten Kosten des sozialen Ausgleichs zu belasten.

Laurentinus:
Dr. Herbert Rische, der Präsident der Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte und Mitglied der Herzog-Kommission, sagte vor Wochen
hier im Chat, dass die Kopfpauschale nicht organisierbar sei. Was sagen
sie dazu?

Laurenz Meyer:
Herr Rische hat Unrecht, ein solches System gibt es zum Beispiel in der
Schweiz. Wir wollen allerdings im Gegensatz zur Kopfpauschale, dass der
Einzelne individuelle versicherungsmathematisch berechnete Prämien
zahlt, um für sein jeweiliges Alter vorzusorgen, weil sonst die Beiträge
sowohl im jetzigen System wie auch bei der Bürgerversicherung und
den Kopfpauschalen, in wahnsinnige Höhen steigen werden.

Herzogin:
Die Kopfpauschale erfordert vielfältige soziale Ausgleichsmechanismen,
die weder verwaltungsmäßig organisierbar sind, noch dem Gerechtigkeitsempfinden
vieler Versicherter entsprechen. Ihre Meinung dazu?

Laurenz Meyer:
Ich sehe überhaupt keine Verwaltungsprobleme. In unserem System sind
zurzeit die Beträge auf maximal 15 Prozent vom Einkommen begrenzt.
Bei Arbeitnehmern oder Rentnern, bei denen die Prämie 15 Prozent
übersteigen würde, würde sich die Versicherung den Rest
direkt als staatliche Zuwendung besorgen.

Frau Maget:
Aber die Schweiz hat ja auch Probleme in ihrem System, oder?

Laurenz Meyer:
Weil sie eben keine Gesundheitsprämie, sondern eine Kopfpauschale
eingeführt hat, und deshalb die Beiträge mit zunehmender Alterung
der Bevölkerung und dem medizinischen Fortschritt nach wie vor steigen.
Trotzdem, auch diese Kopfpauschale hat wirtschaftlich erhebliche Vorteile
und ist auch durch den Ausgleich über das Steuersystem sozialer.

Moderator:
Das sieht Herr Geißler aber anders.

Laurenz Meyer:
Das habe ich auch gelesen, aber erstens hat Herr Geißler nicht immer
Recht und zweitens lehne ich die Lösung, die er vorschlägt,
die Probleme über zusätzliche Zuwanderung zu suchen, ab.

Martini:
Wie hoch schätzen Sie betragsmäßig den Anteil ein, den
die Krankenkassen durch Einsparung im Verwaltungsbereich nach Einführung
des Kopfpauschalensystems einsparen werden?

Laurenz Meyer:
Ich glaube nicht, dass die Einsparungen bei den Verwaltungskosten, die
notwendig sind, die Systemprobleme lösen helfen.

Simon Weber:
Muss man aber nicht grundsätzlich ALLE Abgaben und Sozialversicherungen
in einer Art und Weise organisieren, die festlegt, dass diejenigen, die
mehr verdienen, auch einen höheren sozialen Ausgleich tragen müssen?

Laurenz Meyer:
Ja, genau aus dem Grunde schlagen wir ja diesen sozialen Ausgleich über
das Steuersystem vor, weil nur hier alle, auch die höheren Einkommen,
die Freiberufler, die Beamten, die Politiker, einen Beitrag zu diesem
Ausgleich leisten. Bisher müssen ausschließlich die qualifizierten
Arbeitnehmer zwischen 2000 und 3500 € den gesamten Sozialausgleich
für die geringen Einkommen leisten. Der Ausgleich, der hier stattfindet,
beträgt immerhin rund 40 Milliarden Euro.

Maju:
Und wie soll sichergestellt werden, dass die geplanten staatliche Rücklagen
im Bereich der Gesundheitsvorsorge nicht angetastet werden?

Laurenz Meyer:
Wir brauchen staatliche Rücklagen, in unserem Vorschlag nur für
die Zeit bis zur Umstellung auf das Prämiensystem, damit die Älteren
im Umstellungszeitpunkt nicht horrend hohe Prämien zu zahlen haben.
Wir wollen diese Rücklagen bei der Bundesbank ansiedeln oder ein
Sondervermögen bilden, damit das Geld dem Zugriff des Finanzministers
entzogen ist.

Eichhorn:
Die Bundesregierung erwägt die Reduzierung der so genannten Schwankungsreserve
der gesetzlichen Rente, die Grünen denken sogar an „Null“
Schwankungsreserve. Aus Ihrer Sicht o.k.?

Laurenz Meyer:
Nein, damit sind die Rentner endgültig Verfügungsmasse des Finanzministers.
Nach unseren Vorschlägen soll die Schwankungsreserve schrittweise
auf zwei Monate aufgestockt werden.

Martini:
Wie hoch schätzen Sie die Einsparung für eine durchschnittliche
Familie bei der beide Eltern berufstätig sind ein, wenn das Pauschalenmodell
zum tragen kommt?

Laurenz Meyer:
Das hängt vom Einkommen ab. Ein Arbeitnehmer der heute 3000 Euro
verdient, würde um rund 200 Euro pro Monat entlastet.

Maju:
Fehlt in Deutschland nicht viel mehr das nötige Gespür für
private Vorsorge und Eigenverantwortung? Wollen wir nicht immer zuviel
Staat?

Laurenz Meyer:
Wir werden für die Zukunft, insbesondere bei der Altersvorsorge,
sehr viel mehr private und betriebliche Vorsorge brauchen. Ein heute 30-Jähriger
wird sich darauf einrichten müssen, dass er aus der gesetzlichen
Rentenversicherung nur noch zwischen 35 und 40% seines Bruttoeinkommens
erhalten wird.

Maju:
Thema Gesundheitsreform: wieso benötigt die CDU nach 4 Jahren Opposition
und dem allseits bekannten Wissen um den demografischen Faktor, erst wieder
eine "Kommission", um sich dem Thema anzunehmen? Hatte man nicht
genug Zeit "vorzuarbeiten"?

Graf:
Warum kommen die Reformvorstellungen der CDU erst so spät?

Laurenz Meyer:
Wir sind die erste Partei, die überhaupt für alle sozialen Sicherungssysteme
langfristige Vorschläge erarbeitet hat. Insofern kann ich die Frage
nicht richtig nachvollziehen. Sie sollte lieber der Regierung und der
SPD gestellt werden.

Bundesrat-Fan:
Frage: Raten Sie der Bevölkerung derzeit zum Abschluss einer Riester-Rente?
Würde eine CDU-geführte Bundesregierung die "Riester"-Rente
abschaffen oder modifizieren?

Laurenz Meyer:
Die CDU würde die Riester-Rente in der jetzigen Form abschaffen,
das Prinzip aber erhalten. Die Riester-Rente ist viel zu bürokratisch.
Wir brauchen für die Zukunft nur ganz wenige Kriterien, die eine
Kapitalanlage erfüllen muss, um als private Altersvorsorge auch gefördert
zu werden.

josefine:
Wie würden Sie die derzeitige Lage der CDU/CSU beschreiben. Gibt
es ihrer Meinung nach die Entwicklung einer starken Partei bis zur nächsten
Bundestagswahl 2006? Auch wenn die CDU/CSU Personaldebatten dahingehend
vermeiden will, sollte doch zumindest eine starke Person, das Bild der
Partei summierend darstellen können. Wie schätzen Sie die derzeitige
Situation der CDU/CSU ein?

Laurenz Meyer:
Wir werden zurzeit in den Meinungsumfragen nahezu bei einer absoluten
Mehrheit in Deutschland gesehen. Das darf uns allerdings nicht überheblich
machen. Wir dürfen auch die Fehler der SPD nicht wiederholen, die
in ihrer langen Oppositionszeit keine wirklichen programmatischen Vorstellungen
für eine Regierungszeit entwickelt hat. Deshalb haben wir unser Arbeitsprogramm
unmittelbar nach der letzten Bundestagswahl in Angriff genommen und werden
bis zum Ende des Jahres allen Menschen in Deutschland ganz konkret Antwort
geben können, was sich ändern muss im Bereich Arbeitsmarkt,
Steuern, und soziale Sicherungssysteme.

General:
Meinen Sie nicht, die Blockade-Haltung der CDU kann auf Dauer die Umfragewerte
nach unten beeinflussen?

Eichhorn:
Wer wird von den guten Umfrageergebnissen profitieren? Koch, Merkel oder
Stoiber?

Laurenz Meyer:
Auch wenn ich mich jetzt wiederhole: Blockiert haben wir bisher lediglich
Steuererhöhungen, die die Bundesregierung durchführen wollte.
Im Übrigen geht es darum, die Vorstellungen der Bundesregierung auszuweiten.
Nun zu den Umfrageergebnissen: Meine Überzeugung ist, dass kein Mensch
in Deutschland zurzeit möchte, dass sich die CDU um Personaldebatten
kümmert, aber alle wollen, dass wir bei dieser unfähigen Regierung
einen Beitrag zur Überwindung der schweren Krise in unserer Wirtschaft
leisten. Das werden wir auch tun. Personalentscheidungen stehen an, kurz
vor einer Bundestagswahl, wann immer sie auch kommen mag. Hoffentlich
möglichst schnell.

Edmund:
Kann Angela Merkel sich im nächsten Wahlkampf gegen Stoiber und Koch
durchsetzen? Wen würden Sie als Kanzlerkandidaten favorisieren?

Laurenz Meyer:
Siehe die letzte Antwort.

General:
CSU-Chef Stoiber und DGB-Chef Sommer demonstrieren Einigkeit in der Ablehnung
des Herzog-Konzepts, die CSU bezeichnet sich als die Partei der kleinen
Leute – wo bleibt da die CDU? Ist es nicht ein Schlag ins Gesicht der
CDU in welcher Form sich die Schwesterpartei derzeit verhält?

Laurenz Meyer:
Gegen Partei der kleinen Leute ist zunächst mal überhaupt nichts
zu sagen, die sind nämlich zurzeit die wirklich gekniffenen der derzeitigen
rot-grünen Politik. Ansonsten wünsche ich mir natürlich,
dass sich die CSU möglichst argumentativ mit unseren Vorschlägen
auseinandersetzt. Für bessere Vorschläge sind wir nämlich
jederzeit offen. Die liegen allerdings bisher noch von niemandem, der
die Ergebnisse der Herzog-Kommission kritisiert hat, auf dem Tisch.

Moderator:
Hat Sie die Harmonie zwischen Stoiber und Sommer überrascht?

Laurenz Meyer:
So harmonisch hab ich das persönlich nicht empfunden. Herr Sommer
sucht ganz offensichtlich Verbündete gegen die derzeitige Bundesregierung.
Bei CDU und CSU würde er sie sicher dann auch finden, wenn der DGB
in seinen Positionen ein bisschen mehr an die denken würde, die heute
keine Arbeit haben, statt nur Besitzstände zu verteidigen.

Laurentinus:
Deutschland wird nach einer Prognose der EU-Kommission auch 2004 gegen
den Euro-Stabilitätspakt verstoßen. Soll die vorgezogene Steuerreform
nun kommen oder nicht? Und wie wollen sie die Finanzierung realisieren?

Wirtschaftsweiser:
Hallo Herr Meyer, wann kommen die Vorschläge der Union für die
Finanzierung einer vorgezogenen Steuerreform. Diese Woche, nächste
Woche, nie?

Laurenz Meyer:
Wir werden uns mit der vorgezogenen Steuerreform dann beschäftigen,
wenn wir um die Ergebnisse der nächsten Steuerschätzung Bescheid
wissen. Das wird Anfang bis Mitte November der Fall sein. Ich wiederhole
aber noch mal, wenn den Arbeitnehmern die Steuersenkung für ein Jahr
vorgezogen wird und ihnen gleichzeitig über Kilometerpauschale streichen
und Eigenheimzulage streichen mehr Geld abgenommen als ihnen gegeben wird
zu den enormen Schulden noch zusätzliche Schulden gemacht werden
sollen, halte ich diese Politik für unvertretbar.

Hinweis:
Wegen eines technischen Problems wurde der Chat wenige Minuten vor Schluss
unterbrochen. Wir bitten alle User um Verständnis.