Am Mittwoch, den 20.02.2008, war ARD-Korrespondent Florian Meesmann im tagesschau-Chat in Zusammenarbeit mit politik-digital.de zu Gast. Live aus Islamabad beantwortete er die Fragen der User zu den Auswirkungen der pakistanischen Parlamentswahlen.
Moderator: Herzlich willkommen zum tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital. Mein Name ist Ulrich Bentele, ich begrüße Sie alle aus dem ARD-Hauptstadtstudio Berlin. Unser heutiger Chat-Gast sitzt viele tausend Kilometer entfernt. ARD-Korrespondent Florian Meesmann ist uns aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad zugeschaltet. Herr Meesmann, steht die Internet-Verbindung?
Florian Meesmann: Einen herzlichen Gruß in die Heimat, ja, wir sind online!
Moderator: In der kommenden Stunde möchten wir über die Parlamentswahl in Pakistan sprechen, Perspektiven und Chancen für das krisengeschüttelte Land ausloten. Und los geht’s:
Firekiller: Glauben Sie, die Wahlen sind korrekt abgelaufen?
Florian Meesmann: Im Großen und Ganzen sind sie korrekter abgelaufen, als das viele Beobachter zuvor befürchtet hatten. Wahlbehinderungen und auch Unregelmäßigkeiten sind uns aus verschiedenen Landesteilen berichtet worden, doch für massive Wahlfälschungen haben wir keinerlei Hinweise.
tim: Was glauben Sie, wie lange wird es Musharraf noch gelingen, im Amt zu bleiben? Bekommt er Gegenwind aus der Bevölkerung?
HUJK: Welchen Rückhalt hat Musharraf bei der Bevölkerung?
Florian Meesmann: Pervez Musharraf hat in den vergangenen zwölf Monaten stetig an Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Die Absetzung der höchsten Richter des Landes, die tagelangen Kämpfe mit Islamisten rund um die Rote Moschee im Zentrum der Hauptstadt, die Wochen des Ausnahmezustandes am Ende des vergangenen Jahres – all das hat zu einer wachsenden Unbeliebtheit in der Bevölkerung geführt, die sich ja auch im Wahlergebnis für die Musharraf treu gesinnte PMLQ wieder spiegelt: Unter 15 %, das ist nicht eben
ein Votum für den Präsidenten.
strunks: Was glauben Sie, wie lange sich Musharraf halten kann?
Florian Meesmann: Er hat in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, dass er bereit ist, mit den Wahlsiegern aus der Opposition zusammenzuarbeiten, doch ob es ihm gelingen wird, sich länger als ein paar Monate in der Rolle eines Moderators des Übergangs zu halten, ist doch zweifelhaft.
kollhl: Hallo Herr Meesmann, wie schätzen Sie die Chance ein, dass die Bhutto-Partei doch noch einen Deal mit Musharraf macht?
Florian Meesmann: Lieber Kollhl, diese Befürchtung wurde vor der Wahl immer wieder geäußert, amerikanische Beobachter wollen dies immer noch nicht ausschließen, doch dieser Deal ist sehr, sehr unwahrscheinlich geworden. Das Volk hat deutlich gemacht, dass das Vertrauen zu Musharraf gering ist. Und wenn jetzt ausgerechnet die stärkste Oppositionspartei dazu beiträgt, ihn weiter an der Macht zu halten, so wäre dies den Anhängern der PPP wohl kaum zu vermitteln. Es ist allerdings möglich, dass er mit der andauernden Drohung eines Amtsenthebungsverfahrens durch das Parlament in einer letztlich machtlosen Rolle als Präsident noch eine Weile im Amt bleibt.
Erft: Wie stabil könnte denn ein Bündnis der beiden Gewinner-Parteien dieser Wahl überhaupt sein?
Florian Meesmann: Lieber Erft, darüber wird hier viel diskutiert, denn die Bhuttopartei und die Muslimliga Nawaz Sharifs darf man getrost als politische Erzrivalen in der Parteienlandschaft bezeichnen. Mehrmals nahmen sich diese Parteien in den 90ern die Macht gegenseitig ab und bisher einte sie wohl der Wille, an die Macht zu gelangen und die Ära Musharraf zu beenden. Doch ob sie in der praktischen Regierungsarbeit angesichts der immensen Probleme des Landes auf Dauer fest zusammenstehen werden, das darf doch als
zweifelhaft gelten.
franz: Welche Aussagekraft hat denn das Wahlergebnis überhaupt, wenn nur rund 40% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben haben?
Florian Meesmann: Nach letzten, offiziellen Angaben lag die Wahlbeteiligung wohl bei über 47% und damit sogar höher als bei den letzten Wahlen 2002. Also, die Wahlergebnisse sagen schon etwas aus über die Zustimmung, die die einzelnen Parteien im Volk haben.
Islamisten "weniger gewählt als zuvor"
MarNi: Bei den Parteien, die nun in Pakistan gewonnen haben, kann man da eher von einer demokratischen oder religiösen Ausrichtung sprechen?
Florian Meesmann: Die PPP ist fest im Süden des Landes verwurzelt, also eine säkulare Partei, die sich vor allem an die Landbevölkerung wendet mit dem Slogan: Brot, Unterkunft und Kleidung für alle. Die Muslimliga Nawaz Sharifs steht sicher den religiösen Kräften etwas näher. Doch beide Parteien sind weit entfernt von den radikalen Islamisten, die vor allem im Parteienbündnis MMA ihre politische Heimat haben und ein spektakulär schlechtes Wahlergebnis erzielt haben.
kollhl: Warum haben die
Islamisten nicht so stark abgeschnitten?
Florian
Meesmann: Lieber Kollhl, dafür gibt es zwei Hauptgründe:
Zum einen haben manche der Parteien in der NWFP, der
Nordwestgrenzprovinz und auch in Balutschistan die Wahlen
boykottiert, zum anderen sind sie aber dort, wo sie angetreten sind,
schlicht weniger gewählt worden als noch zuvor. Also, da gibt es
sicher eine Bewegung des Abwendens in Teilen der Bevölkerung,
wobei die Islamisten im Parlament nie eine machtvolle politische
Kraft waren.
Wahlverlauf
WernerLE: Wie läuft so eine
Wahl in Pakistan eigentlich ab, das Land ist doch riesig und hat
Gegenden, die ziemlich abgelegen sind (und wo der Staat auch nicht so
viel zu melden hat, oder?)
Florian
Meesmann: Diese Wahl wurde über Monate vorbereitet und diese
Vorbereitungen unterscheiden sich kaum von anderen Wahlen. Da werden
Wahllokale ausgewiesen, Wählerverzeichnisse angelegt, Wahlzettel
gedruckt usw.
WernerLE: Nachfrage zum
Wahlablauf: Und was ist in den viel zitierten Stammesgebieten, wie
läuft die Wahl da ab?
Florian
Meesmann: Dort hat es sicher die meisten Probleme gegeben,
vereinzelt wurden Wahllokale von bewaffneten Gruppen angegriffen,
Frauen wurden am Wählen gehindert. Gerade in den Stammesgebieten
– da haben Sie vollkommen recht – hat die Staatsmacht nur wenig
Einfluss. Aber auch dort gab es in vielen Gebieten einen geregelten
Verlauf der Wahl.
Gringo: Hallo, Herr Meesmann!
Wie stark unterscheidet sich die politische Stimmung auf dem Land und
in den Städten in Pakistan?
Florian
Meesmann: Hallo Gringo, die Unterschiede bestehen nicht nur
zwischen Stadt und Land sondern auch zwischen den einzelnen
Landesteilen. Gerade in der Nordwestprovinz und in Balutschistan
haben die religiösen Parteien vergleichsweise starken Rückhalt,
in der Provinz Sindh mit der Haupstadt Karachi die Bhuttopartei, in
Lahore (Punjab) die Muslimliga Nawaz Sharifs.
bert:
Könnte Musharraf versuchen, sich seine Macht mit Hilfe des
Militärs zu erhalten?
Florian
Meesmann: Dieser Gedanke wirkt beim Blick in die Geschichte
Pakistans natürlich nahe liegend, doch diesmal spricht wenig
dafür. Musharraf hat mit der Übergabe des Oberbefehls an
Kayani die starke Machtbastion Militär aufgegeben und es gibt
keinerlei Anzeichen, dass das Militär jetzt geneigt sein könnte
einzugreifen.
Kramerle: Welche Rolle spielt
eigentlich der Bhutto-Sohn und wie politisch erfahren ist
er?
harrystuttgart: Guten Tag an alle. Herr Meesmann,
welche Rolle wird der Sohn, der politische Erbe von Frau Bhutto, in
der Zukunft Pakistans spielen?
Florian
Meesmann: Die politische Erfahrung des 19jährigen
Bhutto-Sohnes darf man getrost als übersichtlich bezeichnen,
seine Ernennung zum Parteivorsitz hat keinerlei praktische
Auswirkungen auf die Arbeit der PPP. Als starker Mann gerierte sich
in den vergangenen Tagen sein Vater und Stellvertreter Asif Ali
Zardari, der Witwer Benazir Bhuttos. Seine Ernennung darf eher als
eine Symbol für den gleichsam dynastischen Anspruch der Bhuttos
auf die Führung der PPP verstanden werden.
Politische Stabilität Pakistans
MarNi:
Herr Meesmann, wie würden Sie die ständig diskutierte
politische Stabilität der Atommacht Pakistan nach der Wahl
einschätzen?
Florian
Meesmann: Wie viel Stabilität die Bildung einer neuen
Regierung den Pakistanern auf Dauer bringen wird, ist am dritten Tag
der Wahl kaum seriös einzuschätzen. Der vergleichsweise
friedliche Verlauf der Wahl hat zwar große Hoffnungen geweckt,
doch die sollte man mit gesunder Skepsis mischen. Aber das Risiko,
dass die pakistanischen Atomwaffen in falsche Hände geraten
könnten, ist zur Zeit als gering einzuschätzen. Es scheint
einen breiten Konsens in den großen Parteien zu geben, dass
dieses – im Übrigen schwer gesicherte – Arsenal keine Rolle in
den tagespolitischen Auseinandersetzungen spielt.
matthias:
Die USA spielen für Pakistan eine sehr wichtige Rolle – glauben
Sie, dass Washington auch mit der Opposition zusammenarbeiten will?
Florian
Meesmann: Das Hauptinteresse der USA gilt sicher einer stabilen
Regierung, die sich als verlässlicher Partner im "Kampf
gegen den Terrorismus" präsentiert. Aus diesem Grunde hat
Washington lange Präsident Musharraf gestützt, aus diesem
Grund werden die USA sicher auch mit der bisherigen Opposition
kooperieren. Heiß diskutiert wird in Islamabad zur Zeit die
Frage, welche Rolle die USA für Musharraf sehen: Soll er
abtreten, soll er weiter als ein machtloserer Präsident
fungieren? Die Antworten darauf werden auch in den USA gegeben und
sie werden hier mit Spannung erwartet.
bert:
Beeinflusst der Ausgang der Wahl das Verhältnis Pakistans zum
Nachbarn Indien?
harrystuttgart: Hat Indien Interesse
an einem stabilen Pakistan, das sich dann aber mit der
Kaschmir-Problematik befassen könnte oder an einem instabilen
Pakistan, das durch die Innenpolitik außenpolitisch
handlungsunfähig wird?
Florian
Meesmann: Lieber Bert, lieber Harry, es wird allgemein erwartet,
dass im Verhältnis zum Nachbarn Indien der eher pragmatische
Kurs der vergangenen Monate fortgesetzt wird. So wurden zum Beispiel
bei einem bilateralen Treffen wenige Tage vor der Wahl ein deutlicher
Ausbau der bisher eher spärlichen Direktflugverbindungen
beschlossen. Da gibt es in manchen Sachfragen ein pragmatisches
Miteinander. D.h. aber zum Beispiel auch, dass in den Zeiten des
Notstandes im November und Dezember eher maßvolle Töne aus
Delhi zu hören waren. Ein bisschen "piksen" wird Delhi
auch weiterhin, doch zu instabil darf der Nachbar auch nicht werden,
das könnte schließlich die ganze Region unruhiger werden
lassen.
Einschränkung der Medien
matthias: Bei der Ausrufung des
Ausnahmezustands wurden viele Medien gestoppt, Journalisten
festgenommen – wie steht es ein halbes Jahr danach um die
Pressefreiheit und wie frei können sie aus Pakistan berichten?
Florian
Meesmann: Wir können hier zum Glück vollkommen
ungehindert berichten, die pakistanischen Kollegen, gerade die der
privaten Fernsehsender, stehen dort schon eher unter politischem
Druck. Während der Notstandsregierung musste mancher Sender, um
überhaupt weiter senden zu dürfen, Verhaltensregeln
unterschreiben, die eine freie Berichterstattung stark einschränkten.
So durfte zum Beispiel eine Zeit lang kaum offene Kritik am
Präsidenten geübt werden. Dieser so genannte "Code of
Conduct" ist in Teilen immer noch in Kraft und es werden auch
immer noch prominente Journalisten wie etwa Hamid Mir, einer der
Gründer von Geo TV, einem großen Privatsender, an der
Ausübung ihres Berufes gehindert.
Golfinho: Was bedeutet der
Wahlausgang in Pakistan für den Krieg gegen den
Terror?
Positionierung im "Kampf gegen den Terror"
hiawatha: Guten Tag Herr Meesmann, wie schätzen
Sie die Chancen ein, dass eine neue Koalitionsregierung die
Instabilität in den pakistanisch-afghanischen Grenzregionen in
den Griff bekommt?
Florian Meesmann:
In der pakistanisch-afghanischen Grenzregion, vor allem in den
halb-autonomen Stammesgebieten, hatte noch keine pakistanische
Regierung den vollen Einfluss der Staatsmacht. Daran wird sich in
absehbarer Zeit wohl auch nur wenig ändern.
Die
Positionierung im Kampf gegen den Terror ist sicher eine der
heikelsten Fragen für eine neue Regierung; zwar gilt es, gewisse
Verpflichtungen gegenüber den USA zu erfüllen, andererseits
weiß jeder, dass gerade die hohe Zahl der zivilen Opfer beim
Vorgehen der Armee im Swat-Tal und anderswo einen wesentlichen Anteil
an der Unbeliebtheit Musharrafs hatte – da steckt also auch die neue
Regierung in der einer Zwickmühle.
hiawatha:
Könnte die neue Regierung ein Amtsenthebungsverfahren für
Herrn Musharraf durchsetzen und ihn auf Grund seines damaligen
Putsches wegen Hochverrats anklagen?
Florian
Meesmann: Liebe Hiawatha, wenn sich die neue Regierung auf eine
Zweidrittelmehrheit im neuen Parlament stützen könnte, dann
könnte sie rein theoretisch Verfassungsänderungen
durchsetzen oder Musharraf mit einem Amtsenthebungsverfahren
zumindest drohen. Es ist rechtlich allerdings umstritten, welche
Rolle das Oberhaus des Parlamentes dabei spielen müsste. Eine
wichtige Voraussetzung, um gegen Musharraf rechtlich vorzugehen, ist
aber sicher die Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz,
denn noch ist der Oberste Gerichtshof des Landes eher mit
Musharraf-nahen Richtern besetzt, die der Präsident nach der
Amtsenthebung Iftikhar Chaudrys und seiner Kollegen im letzten
Frühjahr berufen hat.
Karl Empke: Wie
sieht das zukünftige Verhältnis der pakistanischen
Regierung zu der irakischen Regierung aus? Können Islamisten auf
eine "bequeme" Zeit hoffen, wenn der amerikanische Einfluss
im Irak nachgelassen hat?
Florian
Meesmann: Lieber Karl Empke, das lässt sich zurzeit nur
schwer beurteilen. Sicher gibt es Beziehungen zwischen militanten
Islamisten in beiden Staaten und wohl auch Reisebewegungen. Ob dort
aber ein direkter Zusammenhang zwischen dem politischen Druck im Irak
und der Situation in Pakistan besteht, ist schwer zu belegen.
Moderator:
Hier das Ergebnis unserer Chat-Umfrage. Wir hatten gefragt: Wird sich
Ihrer Ansicht nach die Lage im krisengeschüttelten Pakistan nach
der Parlamentswahl stabilisieren? 22% haben Ja gesagt, 78% Nein. Und
damit sind wir am Ende unseres heutigen Chats. Ich möchte mich
bei allen Teilnehmern für die rege Diskussion bedanken,
besonders aber bei Herrn Meesmann in Islamabad. Ihnen allen wünschen
wir noch einen angenehmen Tag!
Florian Meesmann: Vielen
Dank und herzliche Grüße nach Deutschland, Ihr Florian
Meesmann.