Am Montag, 30. Juli, war Claus Weselsky, stellvertretender
Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher
Lokomotivführer (GDL) ,Gast im tagesschau-Chat in Kooperation
mit politik-digital.de.
Er sprach über
die Verhandlungsunwilligkeit von Bahn-Chef Mehdorn und ob bzw. wann
die GDL die Bahn lahmlegen will.

 

Moderatorin: Herzlich willkommen
im tagesschau-Chat. Wir begrüßen heute im ARD-Hauptstadtstudio
Claus Weselsky. Er ist stellvertretender Bundesvorsitzender der
Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die ihre Mitglieder
gerade über weitere Tarifstreiks abstimmen lässt. Liebe
User, nutzen Sie die Gelegenheit, ihre Fragen rund um die Bahn an
unseren Experten zu richten. Herr Weselsky, können wir beginnen?

Claus Weselsky:
Ja, das können wir.

Claus Weselsky
Claus Weselsky
stellv. Bundesvorsitzender Gewerkschaft Dt. Lokomotivführer

jani: Jetzt lesen wir schon seit Wochen von
den unterbezahlten Lokführern, ohne je eine Summe zu erfahren.
Was verdient ein Lokführer durchschnittlich und warum ist das
verglichen mit anderen Berufen zu wenig?

Claus Weselsky: Lokführer verdienen 1970 Euro Anfangsgehalt
und nach spätestens sechs Jahren 2142 Euro brutto. Das bedeutet
für einen Alleinstehenden in der Steuerklasse 1, 1450 Euro
netto, wobei hier circa 150 Euro Zulagen und Zuschläge bereits
eingerechnet sind. Nach unserer Auffassung widerspiegelt dieses
Einkommen keinesfalls den verantwortungsvollen Beruf einerseits
und die Arbeit im Schicht- und Wechseldienst andererseits. Wir gehen
von einer 41-Stunden-Woche derzeit aus und unsere Kollegen haben
Dienstbeginn zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch über das Wochenende.

fritzmann: Es würde mich doch interessieren wie die
GDL Ihre überzogene Forderung von mindestens 31 Prozent – nach
oben alles offen – erklärt. Die Begründung mit der Verantwortung
und Wechseldienste et cetera sind für mich nicht ausreichend,
da wohl jeder Beschäftigte bei der Bahn eine Verantwortung
hat damit dieses Unternehmen funktioniert. Netto ausgezahlte 1500
Euro plus Zulagen sind kein Hungerlohn sondern ein guter Verdienst.

Claus Weselsky: Jeder andere bei der Bahn ist nach
unserer Auffassung auch nicht adäquat vergütet. Wir sind
der Überzeugung, dass die Lohnerhöhung von 4,5 Prozent,
die für alle anderen Eisenbahner Gültigkeit haben, beim
Lokführer oder Zugbegleiter 95 Euro brutto, 60 Euro netto Einkommenserhöhung
bewirken. Das ist nach unserer Auffassung eine zusätzliche
Tankfüllung im Monat, die nicht ausreichend ist, um die Aufwendungen
des Klientels auszugleichen. Darüber hinaus ist die Arbeit
des Fahrpersonals, also Lokführer und Zugbegleiter, eine sehr
spezielle, die nach unserer Auffassung auch eine differenzierte
Einkommensbetrachtung beinhalten muss.
Es ist uns in der Vergangenheit nicht gelungen, im Benehmen mit
den anderen Gewerkschaften bei der Bahn diese Spezialitäten
umzusetzen, beziehungsweise das Einkommensniveau dieser beiden Berufsgruppen
entsprechend der Anforderungen zu erhöhen.

Walimba: Warum sind die anderen Gewerkschaften auf
das Bahn-Angebot eingegangen? Was unterscheidet Lokführer von
Schaffnern?

Claus Weselsky: Die anderen Gewerkschaften haben eine
Forderung von sieben Prozent erhoben, nach einer intensiven Mitgliederbefragung
und im Ergebnis 4,5 Prozent abgeschlossen, was die GDL als hervorragendes
Ergebnis bewertet, weil damit 63 Prozent der Forderungshöhe
im Abschluss erreicht worden ist. Die anderen Bahngewerkschaften
haben den Tarifabschluss als Meilenstein in der Geschichte der Bahn
bezeichnet, was wir akzeptieren, jedoch nicht als befriedigend in
der Einkommenshöhe für das Fahrpersonal betrachten. Die
GDL fordert auch für Zugbegleiter eine Einkommensverbesserung
in ihrer Zielstellung auf 2180 Euro brutto und für Lokführer
2500 Euro brutto als Einstiegsgehalt. Zugbegleiter und Servicemitarbeiter
sind zwei weitere Beschäftigtengruppen, die wir in unsere Tarifforderungen
eingebunden haben, weil sie von ihren Arbeitszeiten und ihrer Tätigkeit
her dem Fahrpersonal zugerechnet werden. Sie sind wie Lokführer
während ihrer Arbeitszeit auf dem Zug unterwegs, übernachten
auswärts und verbringen somit noch einen hohen Anteil ihrer
Freizeit nicht bei ihren Familien, sondern in Hotels irgendwo in
der Republik.

kutscher: Wie sehen sie das Verhältnis zur Transnet?
Entbrennt da nicht ein "Bruderkampf "?

Claus Weselsky: Bruderkampf kann nicht entbrennen, weil
wir nicht verwandt sind. Die landläufige Meinung ist hier,
dass Einigkeit stark macht und deshalb alle drei Gewerkschaften
nur gemeinsam etwas erreichen können. Wir mussten im Laufe
der Jahre erkennen, dass wir die Interessen des Fahrpersonals in
einer gemeinsamen Tarifwelt nicht entsprechend vertreten beziehungsweise
durchsetzen konnten. Im Jahre 2002 haben die anderen Bahngewerkschaften
einen so genannten Ergänzungstarifvertrag unterzeichnet, der
nur das Fahrpersonal negativ belasten sollte. Dabei sollten die
KollegInnen bis zu 18 Schichten im Jahr ohne Entgeltausgleich mehr
arbeiten.
Wir haben dies erfolgreich verhindern können, die Ergänzungstarifverträge
abgewehrt und seitdem kristallisiert sich heraus, dass sich gerade
die Zugbegleiter immer mehr der GDL zuwenden, weil sie hier ihre
Lobby sehen. Eine Interessenvertretung, die den speziellen Anforderungen
Rechnung trägt. Dies führte im Ergebnis dazu, dass die
GDL 2006 entschieden hat, einen eigenständigen Fahrpersonaltarifvertrag
für diese drei Beschäftigtengruppen zu schaffen und ihn
in der Tarifrunde 2007 im Verhandlungswege umzusetzen. Wären
wir mit den anderen beiden Gewerkschaften nach wie vor in einem
Boot, würde das Fahrpersonal diese 4,5 Prozent bereits als
Abschluss haben und wir wären nicht in der Lage, zum Beispiel
unsere Arbeitszeitkomponenten in diese Tarifrunde einzubringen,
weil die beiden anderen Gewerkschaften sehr frühzeitig entschieden
haben, eine ausschließliche Entgeltrunde in 2007 zu tarifieren.

Moderatorin: Hier kommen zwei ähnliche Fragen:

BennyBeimer: Bei uns in der Ecke fährt die Ostdeutsche
Eisenbahn GmbH (ODEG). Mir ist nicht bekannt, dass die GDL hier
auch 31 Prozent gefordert hätte. Ein Verwandter von mir ist
dort Lokführer und verdient jetzt schon viel weniger als bei
der Bahn. Spaltet die GDL jetzt auch ihre eigene Klientel in A-
und B-Lokführer?

Schlafwagen1: Hallo Herr Weselsky, warum bekommen wir Lokführer
bei Veolia Verkehr deutlich weniger Geld als die Lokführer
bei der Deutschen Bahn AG und warum fordern Sie nicht für uns
31 Prozent, sondern nur für die Lokführer, die ohnehin
viel mehr bekommen als wir?

Claus Weselsky: Die GDL hat erst jetzt in der Tarifrunde
2007 begonnen, auf Grund ihrer Mitgliederstärke einen Tarifvertrag
mit dem Arbeitgeber ODEG einzufordern. Wir müssen leider feststellen,
dass sowohl bei ODEG als auch bei Veolia Verkehr die Transnet bei
der Entstehung beider Unternehmen Tarifverträge abgeschlossen
hat, die 20 Prozent unter dem Niveau der Deutschen Bahn AG lagen.
Erst mit Durchsetzung unserer Tarifmacht waren wir in der Lage,
dieses Tarifniveau Stück für Stück anzuheben und
dem der Deutschen Bahn AG anzugleichen. Wir müssen akzeptieren,
das dies ein sehr langwieriger Prozess ist, begründet in der
dramatischen Absenkung am Beginn dieser Tarifverträge. Wir
gehen nicht davon aus, dass wir 31 Prozent bei der Deutschen Bahn
AG abschließen, wollen allerdings auf dem Verhandlungswege
eine signifikante Erhöhung der Einkommen erreichen. Im Nachgang
wird die GDL auch bei allen anderen Wettbewerbern das Tarifniveau
erneut anheben und dem des Branchenführers angleichen. Hier
unterscheidet sich die Zielstellung unserer Gewerkschaft signifikant
von der der Transnet, weil wir davon überzeugt sind, dass ein
Branchenführer, der 80 Prozent des Eisenbahnverkehrs in Deutschland
bewältigt, auch den Ton beim Tarifniveau angeben muss. Der
andere Weg wäre, das Tarifniveau bei der Deutschen Bahn AG
abzusenken und dem der Wettbewerber anzugleichen. Dies versucht
die Deutsche Bahn AG uns seit längerem einzureden, was sicherlich
aus Arbeitgebersicht auch verständlich ist. Wir jedoch sehen
unseren Auftrag in der Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen
des Fahrpersonals und deshalb ist die Richtschnur unseres Handelns
von einem Aufwärtstrend geprägt und nicht von einem ruinösen
Lohndumping mit dem Ziel, den Marktwert für Lokführer
und Zugbegleiter nach unten zu korrigieren.

kohert: Schneidet sich die GDL nicht in ihr eigenes Fleisch
mit drastischen Lohnerhöhungswünschen? Vollautomatische
Züge, also Züge ohne Lokführer, sind doch inzwischen
nur noch ein Investitionsproblem. Nun würde die Investition
sich noch schneller amortisieren, Lokführer würden kaum
noch gebraucht. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Claus Weselsky: Erstens sind wir der Überzeugung,
dass die Automatisierung von Zügen nur in kleinen, stark abgegrenzten
Bereichen möglich ist. Darüber hinaus wird es auf Dauer
auf dem Streckennetz der Bundesrepublik Deutschland Lokomotivführer
geben, weil hier tatsächlich die Höhe der Investition
in keinem Verhältnis zum Einsparungseffekt der Personalkosten
steht. Wenn man weiß, dass die Personalkosten im Fahrbetrieb
zwischen sieben und 13 Prozent zu den Gesamtkosten liegen, kann
man nicht von einer signifikanten Größe der Einsparungen
ausgehen, die diese Investition rechtfertigen würde. Außerdem
haben wir festgestellt, dass in der Vergangenheit der Arbeitgeber
immer dann Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt hat,
wenn er der Auffassung war, dass es sich für ihn rechnet. Dabei
haben wir in den vergangenen Jahren seit 1990 233.000 Arbeitsplätze
bei den deutschen Bahnen abgebaut. Auch dieses Rationalisierungspotenzial
ging zu Lasten von Lokomotivführern und Zugbegleitern. In dieser
Zeit haben wir 21.000 Lokführer bei der Deutschen Bahn AG abgebaut.
Dies wurde zum überwiegenden Teil durch Leistungsverdichtung,
Optimierung der Umläufe und Dienstpläne geschaffen. Auch
dies ist für uns ein Grund, das Einkommensniveau der Rationalisierung
anzupassen, weil das Fahrpersonal wesentlich intensiver während
ihrer Arbeitszeit in Anspruch genommen wird.

Svenne: Die GDL sagt ja wohl eindeutig, dass ihre Forderungen
dadurch finanziert werden sollen, dass die anderen Beschäftigten
weniger kriegen. Das finde ich, auf Deutsch gesagt, Scheiße!

Claus Weselsky: Dies sagt die GDL nicht. Ich verweise an
der Stelle auf meine Aussagen am Beginn des Chats. Für uns
ist der 4,5-prozentige Abschluss unantastbar, ohne das wir ihn akzeptieren
und für das Klientel Fahrpersonal ein höheres Einkommen
fordern. Bei einer Gewinnmarge von 2,5 Milliarden Euro brutto und
1,3 Milliarden Euro bereinigtem Ergebnis, ist unsere feste Überzeugung,
dass für das Fahrpersonal eine höhere Einkommensgewährung
möglich ist. Darüber hinaus verweisen wir gern auf die
in 2006 und 2007 stattgefundenen Einkommenserhöhungen im Bereich
der Vorstandsgehälter und des Aufsichtsrates. Der Vorstand
hat sich in 2006 eine Einkommenserhöhung von 62 Prozent gegönnt,
der Aufsichtsrat sage und schreibe 288 Prozent höhere Vergütungen.
Wir gehen davon aus, dass in diesem Licht unsere 31 Prozent, die
wir auch nicht im Verhandlungswege umsetzen werden und wollen, nahezu
bescheiden anmuten. Die Unternehmensgewinne in dieser Republik steigen
enorm und wir sind der Überzeugung, dass für unser Klientel
auch ein Stück Teilhabe dabei sein muss. Wenn die anderen Gewerkschaften
überzeugt sind, dass ihre Mitglieder nur sieben Prozent wollten
und mit 4,5 Prozent mehr als zufrieden sind, können wir diese
Einschätzung keinesfalls teilen, weil unsere Tarifforderungen
nicht in der Funktionärsebene entstanden sind, sondern auf
den Forderungen unserer Mitglieder aufgebaut wurden. Insoweit möchten
wir an dieser Stelle auch die Mär von einem Funktionärsstreit
und einem Organisationsstreit mit anderen Gewerkschaften beerdigen,
denn das was wir tun, ist schlicht und ergreifend der Wille unserer
Mitglieder, dem wir unserer Satzung entsprechend Rechnung tragen.

Milzbrand: Stichwort Streik: Was hat die Urabstimmung
über Ja oder Nein bislang ergeben? Ist die 75-Prozent-Hürde
schon übersprungen?

Claus Weselsky: Wir haben erst am Donnerstag vorige
Woche die Schreiben an unsere Mitglieder versandt, welche dann am
Freitag oder am Samstag sicherlich in deren Post angekommen sind.
Deshalb ist es derzeit zu früh, am ersten Tage des Rücklaufes.
Hier gesicherte Zahlen herauszugeben wäre schlichtweg unseriös.
Wir erwarten jedoch im Rücklauf eine deutliche Überschreitung
der 75 Prozent. Der Rücklauf der Urabstimmung wird am 3. August
abgeschlossen, am 6. August haben wir ausgezählt und werden
das Ergebnis der Öffentlichkeit mitteilen.

MBudnik: Mal eine ganz praktische Frage. Wann ist eigentlich
mit den ersten Streiks zu rechnen?

Claus Weselsky: Wir werden nach der Auszählung der
Urabstimmung im Hause GDL in Frankfurt unsere Strategie festlegen.
Die Öffentlichkeit wird mindestens 24 Stunden vor jeder Aktion
von uns über die Medien informiert, auch wenn wir als Gewerkschaft
dadurch einen strategischen Nachteil haben, denn der Arbeitgeber
nutzt die lange Vorlaufzeit, um hier bestimmte Züge mit Lokführern
und Zugbegleitern zu besetzen, die sich im Beamtenstatus befinden
und nicht streiken dürfen beziehungsweise, die den anderen
Bahngewerkschaften angehören. Man kann davon ausgehen, dass
in der Woche nach dem 6. August mit Streikaktionen zu rechnen ist
– unter der Voraussetzung, dass die Urabstimmung ein deutliches
Votum für diese Arbeitskämpfe hergibt. Wir sind bestrebt,
diese Arbeitskampfmaßnahmen, soweit es möglich ist, nicht
auf dem Rücken der Reisenden auszutragen – dabei sind uns jedoch
natürlich Grenzen gesetzt. Wenn dieser Arbeitgeber nicht bereit
ist – was er jederzeit könnte – mit uns über den eigenständigen
Tarifvertrag und entsprechende Einkommens- und Arbeitszeitverbesserungen
zu verhandeln, wird es uns jedoch nicht gelingen, die Reisenden
aus diesem Arbeitskampf herauszuhalten. Wir möchten an dieser
Stelle ganz deutlich herausstellen, dass es der Arbeitgeber in der
Hand hat, diese Arbeitskampfmaßnahmen abzuwenden. Für
uns ist es das letzte Mittel, was uns zur Verfügung steht,
mit dem wir sehr sorgsam umgehen werden. Für den Arbeitgeber
bedeutet es nichts anderes als auf unsere Forderungen einzugehen,
mit uns über den eigenständigen Tarifvertrag zu verhandeln.
Wer hier nur Nein sagt, muss auch die volle Verantwortung für
das übernehmen, was nach der Urabstimmung folgt. Unsere Forderungen
jedenfalls sind weder rechtswidrig noch unverschämt, denn wir
haben zu jeder Zeit erkennen lassen, dass unser Tarifabschluss eben
nicht bei 31 Prozent liegen wird. Wenn wir jedoch vom Arbeitgeber
keine Verhandlungen angeboten bekommen, sind wir auch außer
Stande, diese Tarifforderungen im Wege der Verhandlung auf ein vernünftiges
Maß zu reduzieren.

Schopf: Was machen Sie, wenn Sie trotz wochenlangem Streik
die Forderung nicht bekommen?

Claus Weselsky: Man ist erst am Ende des Prozesses weiser
als am Beginn. Wir gehen davon aus, dass sich der Druck auf den
Arbeitgeber, auf Herrn Mehdorn, im Falle unserer Streikmaßnahmen
enorm erhöhen wird. Der Arbeitskampf ist ein legales Mittel,
tarifliche Ziele zu verfolgen und sie durchzusetzen. Der Druck sowohl
aus der Wirtschaft als auch vom Eigentümer Bund wird sich nicht
gegen die GDL richten, sondern gegen den Arbeitgeber, der seine
starre Haltung mit nichts begründen kann, außer dass
er nicht will.

Moderatorin: Themenwechsel:

hert: Sehen Sie Vorteile für Lokführer durch
die Privatisierung? Oder sind sie akut dagegen?

Claus Weselsky: Wir sehen derzeit die Bahn als nicht börsenfähig.
Darüber hinaus sind wir der Überzeugung, dass im Falle
der Kapitalprivatisierung das Netz ohne Einschränkung beim
Eigentümer Bund zu bleiben hat. Die Privatisierung fand ja
bereits 1994 statt und hat uns einen enormen Arbeitsplatzabbau gebracht.
Nach unserer Einschätzung wird die nunmehr bevorstehende Kapitalprivatisierung
den Rationalisierungsdruck erhöhen, weil Investoren immer auf
ihre Rendite bedacht sind und mit diesem Unternehmen Gewinne erzielen
wollen. Dabei – dessen sind wir uns sicher – wird sich der Druck
auf die Arbeitnehmer nochmals erhöhen und die Lohnabschlüsse
der Zukunft könnten entsprechend bescheidender ausfallen. Eine
Gewerkschaft ist nach unserer Einschätzung an keiner Stelle
daran interessiert, das Unternehmen oder nur Teile von Unternehmen
an strategische Investoren zu veräußern. Es gibt genügend
Beispiele in der deutschen Wirtschaft, die aufzeigen, welche Folgen
das hat. Insoweit kritisieren wir auch die Position der anderen
Bahngewerkschaften, welche die Kapitalprivatisierung gutheißen
und damit auch den ansteigenden Druck auf die Arbeitnehmer akzeptieren.

kutscher: Bekommen wir bei einer Privatisierung nicht so
schlimme Verhältnisse wie in England? Dort ist doch das ganze
Schienennetz marode.

Claus Weselsky: England dient dem Grunde nach
nicht als Vergleich, weil hier als absoluter Fehler bei der Privatisierung
auch das Schienennetz an private Investoren veräußert
wurde. Genau das will die GDL keinesfalls, denn in England haben
die Privatinvestoren keinerlei Unterhaltungsinvestitionen mehr getätigt,
sondern nur die Gewinne aus dem Netz gezogen, um anschließend
das marode Netz wieder dem Eigentümer Staat zur Verfügung
zu stellen, der nun Milliarden investieren muss, um den Eisenbahnverkehr
wieder sicher zu machen. Nach unserer Einschätzung sollte das
über Jahrzehnte gewachsene Volksvermögen nicht genau in
dem Moment an private Kapitalgeber verschleudert werden, in dem
das Unternehmen beginnt, Gewinne abzuwerfen. Milliarden an Steuergeldern
wurden investiert, um das Unternehmen und den Eisenbahnverkehr in
Deutschland in einen hervorragenden Zustand zu versetzen. Man kann
dies mit einem kurzen Satz darlegen, der lautet: Verluste werden
sozialisiert und mit Steuergeldern finanziert, Gewinne werden privatisiert,
so dass strategische Investoren zukünftig Einnahmen aus diesem
Unternehmen generieren können, das von den Steuergeldern erst
lebensfähig gemacht wurde. Für uns ist an dieser Stelle
auch die politische Zielrichtung nicht nachvollziehbar, dass, um
Geld zu beschaffen, Teile des Unternehmens verkauft werden müssen
und der Bund sich mit einer geringen Summe des Erlöses abspeisen
lässt, während anschließend Milliardensummen in
die Taschen privater Investoren fließen werden.

Moe83: Haben sie mit den Bedenken nicht einfach
nur Angst, dass Besitzstände wegfallen und es neue Konkurrenz
für die Bahn gibt, das heißt, einen Druck auf die Kosten,
was sie treffen würde? Sie wollen doch damit eine Sonderstellung
behalten, die kaum jemand in der Industrie hat.

Claus Weselsky: Die GDL hat keine Angst vor der
Privatisierung, weil wir entgegen dem allgemeinen Trend innerhalb
der Deutschen Bahn AG eben nicht nur 20 bis 22 Prozent gewerkschaftlich
organisierte Mitglieder haben, sondern aufgrund unserer Mitgliedernähe
und spezifischen Tarifpolitik weit über 75 Prozent aller Lokführer
bei der Deutschen Bahn AG organisieren. Wir sehen uns an dieser
Stelle sehr gut gerüstet, was die Durchsetzung der Mitgliederinteressen
betrifft und haben weder Angst vor diesem Arbeitgeber mit dem 100-prozentigem
Eigentümer Bund oder den Investoreninteressen. Nach unserer
Überzeugung liegt die entscheidende Komponente in der Mitgliedernähe,
der spezifischen Interessenvertretung und damit einhergehend in
einem hohen Organisationsgrad beim Fahrpersonal der DB AG.

MBudnik: Kann die GDL sich eine Beteiligung an
der Bahn vorstellen?

Claus Weselsky: Auch darüber kann man nachdenken.
Es ist zunehmend festzustellen, dass auch von Seiten der Politik
die so genannte Mitarbeiterbeteiligung immer mehr in den Vordergrund
gestellt wird. Aus unserer Sicht hat solch eine "Volksaktie"
jedoch nur Wert, wenn die Mitarbeiter auch tatsächlich die
Geschicke des Unternehmens beeinflussen können und darüber
hinaus ihre Anlagen auch tatsächlich als sicher eingestuft
werden können. Denn die GDL verwendet nicht eigenes Geld, sondern
es handelt sich immer um Mitgliederbeiträge, mit denen wir
sehr sorgsam umzugehen haben. An dieser Stelle verweisen wir auf
die Entwicklung bei Enron. In diesem Unternehmen war die gesamte
betriebliche Altersvorsorge der Beschäftigten in Aktien entstanden.
Es standen Millionenwerte zu Buche, die über Nacht verschwunden
sind, weil der Vorstand mit Rosstäuschertricks und Bilanzfälschung
gearbeitet hat. Wir können uns deshalb eine Beteiligung an
der Deutschen Bahn AG nur vorstellen, wenn vom Gesetzgeber die entsprechenden
Rahmenbedingungen geschaffen werden, die das Anlagevermögen
der Mitarbeiter und unserer Gewerkschaft entsprechend schützen.
Moderatorin: Hier zum Schluss noch ein paar Sympathiebekundungen:

Leipzig3000: Lieber Herr Weselsky, ich bin nur
zufällig auf diesen Chat aufmerksam geworden. Nun nutze ich
gleich die Gelegenheit, Ihnen Mut zu machen. Sie kämpfen für
eine gute Sache! Ein Lokführer, der verantwortlich für
hunderte Menschenleben oder Millionenwerte ist, sollte auch verantwortungsgerecht
bezahlt werden. Über einen Streik wäre ich zwar verärgert,
würde ihn aber in Kauf nehmen. Viel Glück!

Toneli: Der Streik ist voll berechtigt. Die Bahn
soll Geld für gerechte Entlohnung einsetzen, statt den Aktionären,
die NICHTS tun, hinzuschmeißen.

lok57: Lokführer sind total unterbezahlt!
Macht mal richtig Dampf!

Claus Weselsky: Wir bedanken uns ausdrücklich
an dieser Stelle für die große Sympathie und Akzeptanz
unserer Tarifpolitik. Wir versprechen, unser Möglichstes zu
tun, die Reisenden zu schonen, um einerseits die hohen Sympathiewerte
zu erhalten und andererseits auch zu dokumentieren, dass wir mit
unserer Tarifmacht, die nun einmal beim Fahrpersonal wesentlich
größer ist als beim Büroangestellten, auch sehr
sorgsam umgehen. Es liegt nicht in unserem Interesse, Arbeitskämpfe
zu führen, sondern wir wollen auf dem Verhandlungswege Ergebnisse
erzielen. Wir bedanken uns recht herzlich für die rege Teilnahme
und die Möglichkeit, in diesem modernen Medium unser Tun zu
begründen und auch zu rechtfertigen.

Moderatorin: Das war unser tagesschau-Chat bei
tagesschau.de und politik-digital.de. Vielen Dank für Ihr Interesse
und vielen Dank an Herrn Weselsky. Das Protokoll des Chats ist in
Kürze zum Nachlesen auf den Seiten von tagesschau.de und politik-digital.de
zu finden. Das tagesschau-Chat-Team wünscht noch einen schönen
Tag!