Am 30. November war Prof. Dr. rer. nat. Thorsten Hampel, Juniorprofessor für Digitale und Kooperative Medien am Department of Knowledge and Business Engineering der Universität Wien, zu Gast. Im Chat beantwortete er Ihre Fragen rund um das Thema "Social Tagging".
Moderator: Hallo und herzlich willkommen zum e-teaching.org Expertenchat. Unser Gast heute ist Thorsten Hampel von der Universität Wien. So, Herr Hampel ist auch schon bei uns im Büro eingetroffen, wir können also pünktlich anfangen. Hallo Herr Hampel, danke, dass Sie sich heute Zeit für unseren Chat genommen haben.
Thorsten Hampel: Vielen Dank für die nette Einladung hierher.
Moderator: Zuerst die Frage, die unsere Nutzer im Vorfeld am besten bewertet haben:
Dalai: Grundsätzlich gefragt: Was versteht man unter Social Tagging und gibt es Unterschiede zur einfachen Verschlagwortung?
Thorsten Hampel: "Social Tagging" ist natürlich eine ganz besondere Form der Generierung von Meta-Daten. Das besondere am Tagging ist zum einen, dass es völlig und bewusst unstrukturiert ist. Tagging ist auch nicht zwingend an Texte gebunden, sondern kann ebenfalls Bilder, Grafiken, Videos, schlicht alle multimedialen Daten umfassen.
"Social Tagging" bedeutet, dass Menschen gemeinsam dieses Medium, also Tags, nutzen und dass sich zusätzlich aus diesen Strukturen auch soziale Strukturen zwischen Menschen ausbilden können. Deshalb "Social" für soziales Strukturieren von Wissen.
Tagging ist ein recht neues Phänomen und setzt dem fast schon klassischen Semantic-Web einen Gegenpool entgegen. War beim Semantic-Web noch der Ansatz ganz gezielt strukturierte semantische Information für das Internet bereitzustellen, geschieht dies beim Tagging zunächst chaotisch, aber nach meiner Ansicht ähnlich effektiv.
Wie erfolgreich das Ganze ist, erkennt man an der Vielzahl der erfolgreichen Web2.0-Applikationen. Dort findet man ja fast keine Applikationen mehr, die nicht eine Tag-Cloud enthält und sich Mechanismen des "Social Tagging" zu eigen macht.
Dr.Go: Können Sie den Begriff Folksonomy für Laien erklären?
Thorsten Hampel: Folksonomy ist ein Kunstwort, was von Thomas Vander Wal geprägt wurde. Die Folksonomy steht für den sozialen Effekt rund um Tags. Das bedeutet, Menschen vergeben Tags und ich kann plötzlich aus den Tags anderer Menschen ähnliche Interessenlagen und damit ähnliche persönliche Strukturen ableiten. Es entsteht aus dem Taggen verschiedener Personen eine gewisse soziale Gemeinschaft, daher das Kunstwort "Folk" für – vielleicht griechisch – Gemeinschaft und "Sonomy" , abgeleitet aus Tagsonomy, also strukturiert.
Features, Tools & Anwendungen
Tagomania: Welche Plattform arbeitet Ihrer Ansicht nach am cleversten mit Tags?
Thorsten Hampel: Das ist schwer zu sagen. Aus meiner Sicht heraus arbeiten noch sehr wenig wirklich erfolgreiche Plattformen gut und vielversprechend mit Tags. Wir werden da in der nächsten Zeit noch Entwicklungen erleben, die um einiges stärker die Leistungsfähigkeit der Tags beweisen. Erste Ansätze erkennt man zum Beispiel in so banalen Applikationen (auf das Tagging bezogen) wie zum Beispiel "Flickr". Hier dient das Tagging ja in erster Instanz nur dazu, Fotos für Freunde und Bekannte zur Verfügung zu stellen. Es funktioniert aber nach meiner Einschätzung besonders gut, weil es hier schon mit der Gruppen- und Rechtestruktur des Gesamtsystems verknüpft ist, dass heißt, man muss Tags wirklich mit Zugriffsrechten und mit der Gruppenstruktur seiner persönlichen Umgebung verknüpfen können. Erst dann erreicht es die Leistungsfähigkeit, die ich auch von zukünftigen Applikationen erwarten werde.
Uwe: Gibt es feste Regeln wie Tag Clouds gebildet werden oder backt da jeder Dienst seine eigenen Brötchen?
Thorsten Hampel: Nach meiner Meinung hat sich da quasi schon ein Standard ausgebildet,
indem eben häufig genannte Tags ja in der Schreibweise des jeweiligen Wortes des Tags größer dargestellt werden, also die Font entsprechend größer. Das liegt vermutlich daran, weil man diese Routinen für die Generierung von Tag-Clouds natürlich sehr einfach im Netz findet und diese in jeweiligen Applikationen integriert werden. Man kann sich natürlich um einiges spannendere Visualisierungen vorstellen, nämlich Darstellungsformen, in denen ich Tags semantisch untereinander verknüpfen kann und in denen mir semantische Relationen zwischen Tags flexibel dargestellt werden. Eine Darstellungsform wäre die, dass die Nutzer ihre Tag-Relationen selbst gestalten und flexibel arrangieren können. Das wäre dann ein kooperatives semantisches Strukturieren auf Basis von Tags.
siegurd: Nachfrage: Was sind Clouds in Bezug auf Tags?
Thorsten Hampel: Eine Tag-Cloud ist genau diese genannte Darstellungsform, in dem ich eben alle Tags ihrer Häufigkeit entsprechend abgestuft textuell darstelle. Ich kann diese Tag-Cloud zur Navigation innerhalb einer beliebigen Web2.0-Applikation nutzen und das wird ja auch rege gemacht!
Murmeltier: Wie lassen sich Feeds und Tags sinnvoll kombinieren?
Thorsten Hampel: Feeds sind erstmal eine sehr spannende und wichtige Fähigkeit des neuen Netzes, Informationen zielgerichtet an Nutzer zu liefern. Ich kann natürlich alle diese Fähigkeiten mit den Möglichkeiten des Taggings kombinieren. Die Möglichkeiten, die Ideen hierzu sind fast grenzenlos. Man muss seine ganzen abonnierten RSS-Feeds natürlich auch noch lesen. Das könnte ein Problem sein. 😉
flicka: Finden Sie, normale Bookmarks sind komplett überflüssig geworden?
Thorsten Hampel: Bookmarks sind erstmal ein Mechanismus, Referenzen im Netz für sich persönlich zu verwalten. Das Gleiche und Ähnliches kann ich auch im Netz tun und natürlich mit Hilfe von Tagsystemen auch in Gruppen. Der Nachteil der Bookmarks ist natürlich, dass ich sie auf dem lokalen Rechner ablege, also nicht an verschiedenen Orten zur Verfügung habe und auch nur schlecht mit anderen Nutzern austauschen kann.
cpritz: Wie und womit kann ich Tags erstellen? Gibt es bestimmte Tools? Wo/wie erfolgt die Integration bspw. in die eigene Site?
claudia: Gibt es ‘Tagging’ Programme die man ein eigene Applikationen integrieren kann?
Thorsten Hampel: Taggingsysteme werden mehr und mehr fester Bestandteil von verschiedenen Web2.0-basierten Arbeitsumgebungen und Toolkits, das heißt, wenn man eine Website oder auch ein Portal mit Taggingfähigkeiten ausstatten möchte, sollte man sich an den Möglichkeiten des jeweiligen Toolkits orientieren. Meines Wissens bieten die meisten Toolkits Mechanismen zur Integration des Taggingsystems in die private oder in die Portalwebsite.
Eng damit verknüpft ist das Thema der Webservices bzw. MashUps. MashUps erlauben es, verschiedene Web 2.0 Anwendungen möglichst einfach miteinander zu verknüpfen. Ein Beispiel wäre, dass sich Delicious-Tagclouds in jede beliebige Applikation integrieren lassen.
groman: Auf welche Plattformen oder allgemein Portale ließe sich das Tagging gut ausweiten?
Thorsten Hampel: Wir sollten, wenn wir über Tagging reden, immer die kooperative Strukturierung und Generierung von Wissen im Blick haben und das ist man automatisch in allen Bereichen des Wissensmanagement in Gruppen. Das klassische Feld des CSCW befasst sich mit Applikationen, die Menschen helfen in Gruppen Wissen zu generieren, zu strukturieren und zu verwalten. Hier werden Tagsysteme wichtige und einfache Mittel sein, um sich abzustimmen, also zu koordinieren und um Kooperationsprozesse zwischen sich zu strukturieren (Groupware).
LamPoon: Wikipedia, eine Web 2.0 Vorzeigeplattform, nutzt Tags noch so gut wie gar nicht. Ein Fehler, oder?
Thorsten Hampel: Könnte man schon so sagen. Wobei, ob Wikipedia jetzt eine Web 2.0-Vorzeigeplattform ist, auch noch eine Frage wäre. Die Frage wäre nämlich, inwieweit man in einer doch zentral strukturierten Plattform auch sozialere Strukturen der Wissensorganisation erlaubt – und das ist ja genau das Tagging.
pille: Google nutzt Tagging schon bei seinen GMails, warum sind andere Dienste noch so zögerlich im Umgang mit Tags?
Thorsten Hampel: Tags sind einfach erst zwei Jahre alt und Google ist in den Entwicklungen zur Zeit natürlich sehr schnell, wobei die grundlegende Idee, E-Mail-Kommunikation durch Mechanismen der Verschlagwortung zu strukturieren, seit den 60er Jahren existiert.
Tagging im E-Learning
Moderator: Und nun zur zweithöchstbewerteten Frage aus unserer Vorab-Phase:
Lara: Gibt es Beispiele für Social Tagging in der Lehre?
Thorsten Hampel: Beispiele für "Social Tagging" in der Lehre sind rar. Das liegt zum einen daran, dass Tag-Systeme sehr neu sind, zum anderen vielleicht aber auch daran, dass sich in der Lehre die festen Meta-Datenstrukturen etabliert hatten, im Sinne von Lehrenden für Lernende vorgegeben, was allerdings nicht bedeutet, dass diese Systeme sehr erfolgreich waren. Meiner Ansicht nach werden wir in den nächsten Jahren oder Monaten eine ganze Reihe erfolgreicher "Social Tagging"-Systeme für Lernanwendungen erleben. Erste kleine Beispiele finden sich in BibSonomy. Die BibSonomy erlaubt, digitale Semesterapparate mit Hilfe von Tagstrukturen sozial zu strukturieren. In den klassischen Lernumgebungen wie beispielsweise Moodle finden sich noch keine Tagsysteme. Das liegt daran, dass diese Systeme in sich viel zu wenig kooperative Lernumgebungen sind. Wirkliche kooperative Lernumgebungen mit Tagsystemen befinden sich zur Zeit im Aufbau; ein Beispiel könnte die DRUPAL sein, ein weiteres Beispiel ist das Paderborner KOALA-System, wo Tagsysteme für die Strukturierung von Lernumgebungen genutzt werden. KOALA ist eine Web2.0-Lernumgebung.
Fabian: Welche Vorteile bietet Social Tagging für das E-Learning?
Thorsten Hampel: Also, ich sehe "Social Tagging" als ein wichtiges Element für die kooperative Wissensgenerierung von Lernenden für Lernende. Tagging bedeutet in dem Zusammenhang, dass Wissen viel besser strukturierbar von den Lernenden für ihre persönlichen aber auch für ihre gemeinschaftlichen Lernperspektiven wird. Tagging ist einfach, leicht zu beherrschen und ist damit ein viel probateres Medium als beispielsweise die seit langen Jahren favorisierten Onthologien für Lehr-Lernzwecke.
hobbit: Wie kann man sich ein konkretes Szenario von der Nutzung des Taggings beim E-Learning vorstellen?
Thorsten Hampel: Ich kann mir in diesem Zusammenhang alle Mechanismen vorstellen, die sich an kooperative Lernprozesse anlehnen, das heißt, Lernende tragen – in welcher Form auch immer – aktiv mit persönlich strukturierten Materialen zum Lernprozess bei. In diesem Zusammenhang lassen sich Tagging-Mechanismen beispielsweise auch zur Bewertung und zur Strukturierung des Lernprozesses nutzen.
Lara: Nutzen Sie selber Social Tagging, um mit Ihren Studierenden oder Doktoranden Wissen zu teilen?
Thorsten Hampel: (Die Frage ist gemein!) Leider viel zu wenig. Ich verwalte Referenzen auf Websites über Taggingplattformen (beispielsweise Delicious). Und im Zuge unseres Workshops (am 21.-22. Februar in Tübingen, Mehr Informationen unter www.gmw-online.de/tagging) sehen wir uns zur Zeit eine Vielzahl von Plattformen an. (übrigens gibt es bei dem Workshop auch ein „Social Program“!).
Moderator: Ein Kommentar zum Tagging in der Lehre:
claudia: Tag Clouds, die sich auf einen Semesterapparat beziehen, können Lehrenden helfen, den tatsächlichen Wissenstand der Studierenden zu verorten.
Thorsten Hampel: Ja kann man so sagen. Wobei ich kein großer Freund einer Lernfortschrittskontrolle bin, schon gar nicht wenn sie automatisiert geschieht. Zunächst sollten wir getaggte Informationen den Gruppen der Lernenden selbst helfen, weniger als Monitoring und Kontrollinstrument.(Als Schüler hätte ich sonst immer schöne fertige, gut aussehende Tag-Clouds parat gehabt).
Nachteile & Probleme
hopfe: Oft sind Tags sehr schwammig oder einfach viel zu allgemein, wie kann man Abhilfe schaffen?
Thorsten Hampel: Ich würde erstmal Tagsysteme nicht reglementieren wollen. Die Erfahrung zeigt, dass sich Tagsysteme in ihrer Komplexität und Granularität durch die Nutzer selbst strukturiert organisieren. Das bedeutet: Viele Nutzer orientieren sich in der Vergabe ihrer Tags an den Tags anderer Nutzer. Das heißt, Tagsysteme erhalten im Idealfall irgendwann auch die Qualität einer ganz einfachen Onthologie.
Cpt.Morgan: Ich sehe ständig falsch gesetzte Tags, z.B. bei Fotoportalen. Müssen/sollten Admins Taglisten nicht manuell nachbessern?
Thorsten Hampel: Wenn wir das tun, dann ist man natürlich nicht mehr bei der grundsätzlichen Idee des "Social Tagging" sondern dann hätten wir ein "Admin Tagging". Natürlich ist Spam, auch Spam in Tagging, ein Problem – da sind vielleicht Filtermechanismen zukünftig gefragt.
Im Prinzip ist man in der gleichen Situation wie noch vor zehn Jahren, als die ersten Websites mit beliebig vielen Meta-Tag-Attributen ausgestattet wurden und die Suchmaschinen sich irgendwann nicht mehr an diesen Meta-Informationen orientieren konnten.
j-kay: Ich verstehe nach wie vor nicht, wieso Tags zwingend besser als Ordner sein sollen. Haben Ordner nicht in manchen Bereichen klare Strukturierungsvorteile?
Thorsten Hampel: Das ist auf jeden Fall so. Ordner sind erst einmal eine persönliche Strukturierung, die natürlich an der Schreibtischmetapher orientiert sind, das heißt, ich fasse Objekte in einem Ordner zusammen. Tags sind hier um einiges vielschichtiger; ich versehe ein Objekt mit verschiedenen semantischen Attributen. Mit Hilfe dieser Attribute kann ich das Objekt in verschiedenen Kontexten wiederfinden, oder auch eben andere Nutzer können es mit Hilfe dieser Tags wiederfinden. Das heißt, Ordner und Tags sind erst einmal unterschiedliche Dinge.
Moderator: Zwei Fragen zu den Nachteilen von Social Tagging:
saruman: Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Nachteile beim Social-Tagging?
fritze: Was sind denn Nachteile von Tagging? Ich meine, wenn ich tausend Bookmarks habe und dazu dann noch ohne Ende Schlagworte packe, dann wird das ja nicht unbedingt übersichtlicher, oder?
Thorsten Hampel: Der größte Nachteil der "Social Tagging"-Systeme ist zunächst der, dass ja die grundsätzliche Idee des semantischen Strukturierens im Netz und insbesondere des Semantic-Web die war, dass ich maschinenerschließbare Zugriffe auf das Internet erhalte. Sprich: Suchmaschinen sollten besser werden und ich sollte auch beim Browsen semantisch unterstützt werden. Tags erlauben zunächst nur sehr schlecht, dass sich Maschinen oder Computer aus den Tags anderer Nutzer Informationen ableiten. Forscher arbeiten zur Zeit daran aus Tagstrukturen, aus Folksonomys, für Maschinen oder Suchmaschinen auswertbare Strukturen abzuleiten. Inwieweit das vollständig gelingen wird, kann ich bis jetzt nicht sagen.
hobbit: Gibt es Risiken für den Missbrauch von Tagging (bspw. für Werbung oder Propaganda)?
Thorsten Hampel: Tagging-Dienste haben Probleme mit Spammern. Im Prinzip unterliegen natürlich alle Taggingsysteme den gleichen Risiken und Problemen wie jedes User-Generated-Content-Tool.
Tagging made in Germany?
dMoll: Die Internationalität von Tags ist doch immer noch ein Riesenproblem, oder? Schließlich sind die meisten auf Englisch!
Thorsten Hampel: Das sehe ich eigentlich nicht so als großes Problem. Natürlich sind viele Web 2.0-Anwendungen wie beispielsweise MySpace.com zunächst in den USA entstanden. Diese Systeme werden aber schnell in andere Kulturkreise wachsen und mit diesen verschiedenen Kulturkreisen ergeben sich natürlich auch eigene Tags.
weberwu: Gibt es schon Forschung über das Taggen von Tags, damit man weiß, dass z.B. Deutschland und Germany dasselbe sind?
Thorsten Hampel: Viele interessante Arbeitsgruppen im Bereich der KI (Künstliche Intelligenz) beschäftigen sich genau mit dieser Fragestellung. Im Prinzip handelt es sich dabei um das, was ich mit dem Matchen von Onthologien meinte. Das heißt, man versucht ähnliche Tags zu erkennen und allgemein gesprochen aus Tagsystemen semantische Strukturen abzuleiten.
Mehr dazu können Sie auf dem Workshop zum Social Tagging erfahren, der aktuell von der GMW veranstaltet wird. Vom 21. bis 22. Februar im schönen Tübingen. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.gmw-online.de/tagging/ (Und erst das "Social Program“!)
Tagging im Unternehmen
siegfried: Welchen Stellenwert hat Social Tagging in Unternehmen?
Thorsten Hampel: Leider noch einen sehr geringen, wobei meiner Meinung nach auch "Social Tagging"-Mechanismen für beliebige Knowledge-Management-Aktivitäten in der Industrie genutzt werden können. Ich habe beispielsweise im letzten Semester mit meinen Studenten in Wien den Prototypen eines China-Collaborateurs entwickelt, der es verschiedener Firmen erlaubt, mit Hilfe von beliebigen getaggten Fähigkeiten Ähnlichkeiten und Fähigkeiten anderer Firmen zu finden und damit Geschäftsbeziehungen flexibel aufzubauen. Anwendungsfeld war hier europäisch-chinesische Kooperation zwischen Firmen.
Community Building
Leon: Funktioniert Social Tagging denn immer? Was ist das Rezept für erfolgreiche Communities ?
Thorsten Hampel: Schon Howard Rheingold hat gesagt, dass ein wichtiges Merkmal für virtuelle Gemeinschaften ein gewisser realer Bezug dieser Gemeinschaften ist, ein gewisser realer sozialer Bezug (passion for topics – geteilte Leidenschaft), wie zum Beispiel bei Flickr die Leidenschaft für Fotografie. Das bedeutet, dass natürlich auch diese Grundstrukturen einer Gemeinschaft auch im "Social Tagging" vorhanden sein müssen.
Uwe: Gibt es eine Daumengröße ab wann (Anzahl Nutzer, Dokumente) das Social Tagging funktioniert?
Thorsten Hampel: Eine gewisse kritische Größe sollte schon erreicht sein. Tagging-Mechanismen sind zunächst nichts für ganz kleine Gruppen von Nutzern bzw. dort funktionieren natürlich die Folksonomy-Effekte eher schlecht. Der Effekt der Folksonomy ist erst ab Größenordnungen von – sagen wir mal – mehreren hundert aktiven Teilnehmern zu spüren.
Das heißt natürlich nicht, dass Taggingmechanismen nicht auch für Kleingruppen sinnvoll wären. Hier stehen dann entsprechend die sozialen Abstimmungsprozesse innerhalb der Gruppe im Vordergrund und es müssen entsprechend viele Ressourcen in den Tag-Prozess einbezogen sein. Wenn fünf Leute fünf Seiten taggen, macht das keinen Sinn. Dann könnte man die Seiten auch nett bei einem Kaffee austauschen.
Forschung zu Tagging
Durchlaucht: Wie stark nehmen Nutzer die Möglichkeit des selbstständigen Verschlagwortens eigentlich an? Gibt es dazu Forschungen?
Thorsten Hampel: Ja! Die Nutzer nehmen das schon sehr gut an. Es gibt Untersuchungen, wie viele Nutzer welche Anzahl von Tags vergeben, das ganze wird auf Delicious gemacht, einige interessante Beiträge hierzu findet man auf den Websites der letzten W3C-Konferenz in Edinborough. Hier gibt es beispielsweise Untersuchungen, dass nur sehr wenige Nutzer mehr als 600 Tags vergeben. Viele nutzertypische Größen um die 100 Tags verwenden.
Tentalizer: Sind Portale wie Delicious nicht eigentlich schon älter? Warum kommt in Deutschland so etwas immer so spät an?
Thorsten Hampel: So viel später kommen die bei uns doch gar nicht an. Es kommt weniger auf die Nationalität an, sondern eigentlich viel mehr auf die Wissens- und Internetaktivitäten des Umfeldes.
Viele Plattformen, die in den USA zur Zeit sehr in sind (Web 2.0-Plattformen), werden auch in den nächsten Wochen wieder verschwinden. Die Europäer sind hier zunächst etwas konservativer, was aber nicht heißt, dass nicht diese Plattformen und Werkzeuge einen ähnlichen Erfolg erleben werden wie in den USA. Google gab es auch einige Jahre später erfolgreich in Deutschland und ist heute die Suchplattform Nummer Eins.
gringo: Wie kann die Social-Tagging-Community sich mehr Aufmerksamkeit sichern? Bisher ist es doch ein immer noch recht kleiner Kreis…
Thorsten Hampel: Gibt es denn eine "Social Tagging"-Community? Ich würde eher sagen, es gibt eine Community zur Strukturierung von Wissen in Gruppen. Ich finde beispielsweise Dinge wie MindMaps, kooperative SharedWhite-Boards, etc. um einiges wichtiger als eine Tag-Cloud.
Tagging ist eine Form vielfältiger Möglichkeiten der Wissensstrukturierung in Gruppen. In den letzten Jahren ist das WWW ja fast zu einem passiven Medium verkommen. Autoren haben Wissen für Nutzer bereitgestellt, alle aktiveren Formen der Wissensstrukturierung sind entsprechend wenig entwickelt. Dieser Trend dreht sich durch das Web 2.0 in gewisser Weise um. Tagging ist hierzu ein wichtiger Bestandteil.
Uwe: Delicious bietet die Möglichkeit, über eine Schnittstelle, die Tagging-Daten auszuwerten. Sehe ich es richtig, dass eigentlich die meisten (alle?) empirischen Daten auf diesem einen Dienst beruhen?
Thorsten Hampel: Meistens schon. Es gibt aber auch Untersuchungen zu Flickr und BibSonomy wurde zum Beispiel speziell für Forschungszwecke entwickelt.. Problem ist vielleicht, dass hinzukommt, dass fast alle Forschungen zu Phänomenen des Taggings sehr neu sind.
Leon: Wo macht man sich über Tagging schlau? Gibt es z.B. eine Übersicht mit interessanten Anwendungen/Portalen?
Thorsten Hampel: Man findet vielfältige Informationen zum einen bei den WWW-Konferenzen von W3C, das ist eine gute Referenz. In der Community Magnolia gibt es zum Beispiel eine Gruppe zu Folksonomys. Man kann auch einfach nach dem Begriff "Folksonomy" googeln und findet schon einige zigtausend Treffer.
Geotagging
CodeX0r: Wie sehen Sie die Zukunft des Taggings? Mit GoogleMaps zum Beispiel ließe sich das doch noch stark erweitern, nicht wahr?
Thorsten Hampel: Das ist ein sehr spannender Hinweis. Wir stehen mit den Entwicklungen des Web 2.0 in einer Phase der Kontextualisierung des Internets. Wenn ich Referenzen oder auch Personen auf einer GoogleMap darstelle, dann kontextualisiere ich Dienste nach räumlichen Gegebenheiten. Weitere Web 2.0-Anwendungen werden diese Fähigkeiten noch weiter ausbauen.
Das Internet wird mobiler und liefert mir Inhalte und Dienste meines entsprechenden Kontextes in dem ich mich aktuell befinde. Natürlich werden all diese Mechanismen enge Verbindungen zum "Social Tagging" aufweisen.
Charly: Welche neuen Formen der Kontextualisierung von Informationen eröffnen sich durch Geo-Tagging oder Social Navigation?
Thorsten Hampel: Hierzu kann man noch einmal ausdrücklich auf die Vielzahl der interessanten Anwendungen verweisen. Deutsche Communities in diesem Bereich sind zum Beispiel "Qype" und "SlideStar". Hier werden beispielsweise Tags dazu genutzt, Beziehungen zwischen virtuellen Welten und realen Orten herzustellen.
Digitale Bibliothek
Moderator: Was sagen Sie zu Social Tagging in digitalen Bibliotheken?
Thorsten Hampel: Bibliothekskataloge haben eine lange Tradition in der Verschlagwortung und Strukturierung des Medienbestandes. Tagging-Mechanismen stehen natürlich dieser klassischen Form des Findens und Suchens von Büchern entgegen. Meiner Meinung nach müsste man beide Mechanismen sinnvoll miteinander kombinieren. Man wird sich sicherlich nicht von seinen Klassifikationsmechanismen für Bücher oder Medien aller Art trennen wollen. "Social Tagging" kann hier jedoch helfen, Literatur und Referenzen auf einfachere Weise zu finden und durch den Nutzer verfügbar zu machen.
Letzte Tags…
Moderator: Das waren 70 Minuten e-teaching.org Expertenchat zum Social Tagging. Vielen Dank an unsere Nutzer für die vielen Fragen und natürlich ein besonderer Dank an Herrn Hampel für die Antworten. Herr Hampel, vielleicht noch ein Schlusswort?
Thorsten Hampel: Ja, zunächst mein herzlicher Dank für die Einladung. Wir sollten in der Thematik in Kontakt bleiben. Ich denke, Tagging ist ein spannendes Feld, das für eine wirklich neue Qualität nutzerzentrierter Werkzeuge steht. Viel spannender als das Tagging isoliert zu betrachten finde ich die neuen Generationen von kooperativen Werkzeugen die wir in den nächsten Jahren erleben werden. Hier wachsen klassische Groupware-Applikationen, Community-Websites und der Arbeitsplatz des Nutzers zusammen.
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Moderator: Wir wünschen auch noch ein schönes Wochenende!