Moderator: Herzlich willkommen zum D21-Chat mit
Sascha Lobo, live vom D21-Jahreskonress in Dresden. Der Werber,
Internetfachmann und digitale Bohèmien saß gerade noch
auf dem Podium, jetzt ist er hier an den D21-Messestand gekommen.
Die erste Frage vorab an Sascha Lobo. Wie sieht es aus, können
wir starten?
Sascha Lobo: Hallo, übrigens.
Sascha Lobo
d20: Haben Blogs Einfluss auf politische Entscheidungen?
Sascha Lobo: Ja. In Deutschland allerdings bedeutend
weniger als in anderen Staaten. Ich halte die politische Diskussion
in Blogs in Deutschland im Übrigen für unterentwickelt.
R2D2: Braucht die E-Society eine Elite, die sie
vorantreibt?
Sascha Lobo: Ah, Sie spielen auf den Satz an,
mit dem ich hier vorgestellt wurde. Er ist nicht von mir. Ich habe
nichts gegen das Wort „Elite“, das ist in diesem Kontext
aber etwas muffig besetzt. Was wir brauchen, sind Menschen, die
sich mit der Digitalen Gesellschaft intensiv beschäftigen,
auch und besonders abseits von Unternehmen und der Administration.
Oberholzer: Das Café St. Oberholz in Berlin-Mitte
gilt auch dank Dir als Inbegriff der „digitalen Bohème“.
Welche weiteren Orte und Rahmenbedingungen braucht die E-Society,
um sich kreativ entfalten zu können?
Sascha Lobo: Viel weniger Orte als Rahmenbedingungen.
Ich glaube, dass es ein Recht auf Internetzugang geben sollte, vergleichbar
mit der „Grundversorgung“ durch öffentlich-rechtliche
Medien, und im übrigen ebenso querfinanziert, also vom Nutzergefühl
her kostenlos. Darüber hinaus halte ich ein Schulfach Online-Erziehung
für sehr sinnvoll. Und notwendig, so als Rahmenbedingung.
Moderator: Eine erste Nachfrage zu den unterentwickelten
politischen Blogs:
pfpfpf: Wie könnte sich die politische Diskussion
denn besser entwickeln und mehr Bedeutung bekommen?
Sascha Lobo: Ich weiß keine klinisch reine
Antwort auf diese Frage, leider. Ich glaube aber, dass mehr Menschen
politische Diskussion im Netz als notwendig für die Weiterentwicklung
der Demokratie ansehen sollten. Ich glaube, dass hier die Nutzer
in der Verantwortung sind. Politische Diskussion kann schwierig
von oben verordnet werden.
Moderator: Es regt sich Kritik zur Ankündigung
mit der Elite, aber auch an den Bloggern allgemein:
elite: Warum sind sich Blogger nicht bewusst, dass
sie keine Elite, sondern einem kleinen Nerd-Kreis angehören?
Warum überschätzen sich Blogger so maßlos?
Sascha Lobo: Das sind ja vollkommen zusammenhanglose
Fragen ohne tiefer gehende Ahnung. Die meisten Blogger sind sich
bewusst, dass sie keiner Elite im eigentlichen Sinn angehören.
Demgegenüber überschätzen sich Blogger maßlos,
weil sich Menschen maßlos überschätzen.
Reichelt: Muss die Blogosphäre politischer
werden?
Sascha Lobo: Muss muss sie nichts müssen,
ich würde es mir aber wünschen.
Rembrandt: In einigen Blogs ist zur Zeit die Rede
von einem Ende des Blog-Hypes. Was hältst du davon?
Sascha Lobo: In einigen Blogs ist immer die Rede
von irgendwas, das liegt in der Natur der Sache. Es stimmt aber,
dass sich die mediale Beachtung abkühlt. Umso besser, denn
das, was hinter Blogs steht, halte ich für gesellschaftlich
äußerst wertvoll. Diese Substanz besteht unabhängig
davon, ob Blogs jetzt häufiger oder seltener auf Spiegel Online
zitiert werden.
pfpfpf: Wie findest du denn den Jahreskongress
bis jetzt? Wie können solche Veranstaltungen die E-Society
voranbringen?
Sascha Lobo: Vom Kongress habe ich bis jetzt eigentlich
nur die Podiumsdiskussion mitbekommen und die fand ich gut, auch,
weil das Publikum überraschend interessiert war. Es ist original
niemand rausgegangen, also tatsächlich niemand im Sinne von
keiner. Ich glaube auch, dass jede Veranstaltung, die die Digitale
Gesellschaft in den Vordergrund stellt, sinnvoll sein kann – wenn
die richtigen Themen angesprochen werden.
Moderator: Vielleicht sollten wir auch für
die User, die nicht in Dresden sind, kurz erzählen, was auf
dem Podium besprochen wurde:
Rge: Wie war es denn gerade auf dem Podium?
Sascha Lobo: Auf dem Podium saßen der ziemlich
supere Tim Cole, der auch die beeindruckend offene Keynote gehalten
hat, dann der Chef von Intel, ein Vertreter der Europäischen
Kommission, der Geschäftsführer der ZEIT, ein Staatssekretär
von Schäuble und ich. Besprochen wurden auch die heiklen Themen
wie Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und Wahlcomputergetöse,
allerdings eher am Rand. Man war sich verhältnismäßig
einig, dass die Punkte Infrastruktur und Bildung rund ums Netz intensiver
angegangen werden müssen.
Moderator: Stichwort heiße Themen wie Online-Durchsuchung
etc.:
Rullermunk: Wenn Du Herrn Schäuble treffen
würdest, was würdest Du ihm sagen?
Sascha Lobo: Ich bin ehrlich gesagt verhältnismäßig
froh, dass er nicht konnte.
Moderator: Eine Nachfrage zur digitalen Gesellschaft,
die Du angesprochen hattest:
katta: Was sind denn die „richtigen“
Themen?
Sascha Lobo: Die richtigen Themen sind die Erhaltung
der freien Struktur des Internets, die Teilhabe aller Menschen an
der digitalen Welt und die Entwicklung von so etwas wie einer Gesellschaft
im Netz. Bis jetzt sind da nur ein Haufen User. Und ein paar Unternehmen,
natürlich.
katta: Was sind denn deine Modelle, gegen digitale
Spaltung vorzugehen und zumindest in Deutschland eine flächendeckende
Online-Nutzung zu gewährleisten?
Sascha Lobo: W-LAN für alle, festgeschrieben
als Teil der Grundversorgung. Zum Beispiel.
karfunkel: Was glauben Sie, wie wird sich die
E-Society in den nächsten 20, 30 Jahren entwickeln?
Sascha Lobo: Ich hoffe, dass (ich finde das Wort
E-Society grauenhaft) die digitale Gesellschaft sich zu einer treibenden
Kraft von einer offenen, toleranten und diskussionsintensiven Öffentlichkeit
entwickeln kann. Bin aber nur mitteloptimistisch.
Java: Wie möchtest du W-LAN für alle
finanzieren?
Sascha Lobo: Mir egal, ehrlich gesagt. Ich fordere
das nur, weil es möglich sein muss. Ob das über GEZ-artige
Gebühren oder über Steuern oder über werbefinanzierte
Modelle realisiert wird, kann man diskutieren.
Java: Welche Pflicht haben denn deiner Meinung
nach die Unternehmen, um eine digitale Gesellschaft zu stärken?
Sascha Lobo: Pflicht ist da schwierig. Ich wäre
schon froh, wenn sie einer digitalen freien Gesellschaft nicht im
Weg stehen würden. Aber ich hoffe, dass in Unternehmen die
entsprechenden technologischen Fortschritte erreicht werden können,
die eine solche Gesellschaft leichter möglich machen.
javaman: Was hältst du von der Freifunk-Bewegung
in Berlin? Das geht doch in diese Richtung.
Sascha Lobo: Ja, das ist richtig, aber noch zu
klein, um wirklich und nachhaltig etwas zu bewirken. Den Ansatz
finde ich auch super, aber es ist noch immer zu kompliziert (bzw.
war es bis vor einiger Zeit), um als Lösung für jedermann
und -frau zu funktionieren. Über neue Entwicklungen in diesem
Bereich kann man mich gerne informieren, ein Problem dieser Szenen
ist, dass sie sehr zersplittert und in einigen Bereichen „überpolitisiert“
zu sein scheint.
dermitdemiro: Welche gesellschaftspolitischen Pflichten
haben Unternehmen überhaupt, bezogen auf Neue Medien? In Deinem
Buch argumentierst Du ja sehr marktkonform, die FDP lässt grüßen.
Sascha Lobo: Der zweite Teil, diese FDP-Behauptung,
ist totaler Unsinn und zeigt, dass Du das Buch nicht oder nicht
richtig gelesen hast. Der erste Teil ist nicht leicht zu skizzieren,
weil Unternehmen immer interessengesteuert sind, und diese Interessen
auch mal einer Gesellschaft, wie ich sie für richtig halte,
diametral gegenüberstehen können. Daher kann man auch
über Modelle nachdenken, die das ganze über einen finanziellen
Mechanismus regeln.
wennnichjetzt: Stichwort Demokratie: Lässt
sich das Internet demokratisieren, ohne auch die politischen Strukturen
„draußen“ zu verändern?
Sascha Lobo: Schwierige Frage, ich glaube eher
nein, wie man das jetzt in Burma gesehen hat. Ich weiß aber,
dass es umgekehrt einen guten politischen Einfluss hat, wenn das
Internet in einer Gesellschaft als Kommunikationsmittel dient.
kcirtap: Stichwort Gentrifizierung des Internets:
Nimmt Deiner Meinung nach die Anzahl von Blogs / Communities / Partnerbörsen
zu, in denen man lieber unter sich bleiben möchte?
Sascha Lobo: Ich weiß nicht, ob man das
so pauschalisieren kann. Gentrifizierung des Internet ist als Stichwort
totaler Quatsch. Alle gehören ins Internet und ich sehe keine
Verdrängung, die eine Voraussetzung für die Gentrifizierung
als verwendeter Begriff wäre.
euopol: Wo steht die deutsche E-Society im Vergleich
mit anderen Ländern?
Sascha Lobo: Ich kann das leider nur etwas oberflächlich
einschätzen, weil ich die digitale Gesellschaft nur in wenigen
Ländern gut einschätzen kann. Aber ich sehe Punkte, in
denen Deutschland mitprägend ist, etwa Wikipedia zu füllen,
und andere Punkte, in denen das nicht der Fall ist, wie die oben
angesprochene politische Diskussion oder auch Blogs generell. Deutschland
ist leider noch eine Art Blogentwicklungsland, wenn man von den
Nutzerzahlen ausgeht. Warum das so ist, da könnte ich jetzt
bunte Spekulationen hinschreiben, aber ich weiß keine echten
Gründe dafür.
papierlärm: Wie siehst Du überhaupt die
„Szene“ der Web 2.0 Bewegung in Deutschland? Da leben
doch viele nebeneinander her, nix mit sozial und gemeinsam, eher
beschnüffeln, Teilöffentlichkeiten und Abschottung, oder?
Sascha Lobo: Es gibt keine „Szene“,
Web 2.0 ist auch keine Bewegung oder so, sondern der gegenwärtige
Entwicklungsstand des Internet. Insofern leben natürlich viele
nebeneinander her, was auch vollkommen okay ist. Es gibt aber durchaus
viele Menschen, die online intensiver und mehr kommunizieren als
früher, bzw. vor dem Internet.
Flagship: Was sind eigentlich die schlimmsten Buzzwords,
die Du so innerhalb des letzten Jahres gehört hast? Und welche
davon hast Du selbst im Wortschatz?
Sascha Lobo: Die meisten Buzzwords sind schlimm,
bzw. phrasenhaft, aber ich finde, man sollte nicht zu sehr darauf
rumhacken bzw. ich nicht, denn ich habe ja auch eins mitgeprägt,
die digitale Bohème, haha.
Moderator: Passt vielleicht auch zum Thema:
eman resu: Ist die Idee einer E-Society nicht grenzenlos
überhyped und hat mit der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen
rein gar nichts zu tun?
Sascha Lobo: Nein. Das war auch schon die Antwort.
Purple: Was glaubst du, kann zur Verminderung
der digitalen Spaltung in unserer Gesellschaft beitragen?
Sascha Lobo: Dazu habe ich weiter oben schon Stellung
genommen. In der Hauptsache geht es darum, sowohl Infrastruktur
wie freies W-LAN zur Verfügung zu stellen, als auch Bildung
zu ermöglichen, etwa mit einem Schulfach Online-Erziehung.
carambolage: Welche Rolle sollte das Internet
in Bildung und Schule spielen, damit eine digitale Gesellschaft
erreicht werden kann?
Sascha Lobo: Wie gesagt, ich bin für ein Schulfach
Online-Erziehung. Dass das Netz in 99 Prozent der Bildungseinrichtungen
oberhalb der Schule selbstverständlich ist, zeigt ja, wo es
hingeht. (Also zu fächerübergreifende Integration)
data: Muss man für Online-Erziehung nicht
erstmal die Lehrer schulen? Und Politiker? Wer könnte diese
Leute ausbilden?
gereon: A propos Schulen: Hauptproblem ist die
Medienkompetenz der Lehrer nicht die Schulhardware. Wie soll man
da vorgehen?
Sascha Lobo: Ein richtiger Punkt, vor allem bei
Politikern ist das Unwissen erschreckend und wird zum Teil kokett
vorgetragen. Aber hier ziehe ich mich wiederum aus der Affäre:
Mir ist egal, wie es ermöglicht wird, es muss eben ermöglicht
werden. Vor hundert Jahren waren Argumente wie „was, wir sollen
wirklich jedes Dorf mit so einer komischen „Straße“
anbinden“ ja auch schon doof.
Moderator: Ein Einwand und eine Frage gleich hinterher:
gereon: Fakt ist, dass Web 2.0 zwar in den Massenmedien
angekommen ist, aber nur als abgeschmacktes Zerrbild von dem, was
Menschen im Netz machen. Statistisch gesehen macht eben doch nur
eine kleine Elite da Kram mit den neuen Tools; abgesehen von ein
paar Spitzen, die dann im Longtail ganz vorne stehen und auch gar
nicht mehr so innovativ sind. Ich finde, das sind Gründe für
das Argument eines Hypes.
exeter: Wie wird Web 3.0 aussehen?
Sascha Lobo: Natürlich gibt es den Hype,
er ändert aber nichts daran, dass dahinter eine Substanz geschaffen
wird, genau in diesem Moment, die die Gesellschaft sehr stark prägt,
bzw. prägen wird.
Web 3.0 ist ein Begriff, der sich in fünf Jahren anhört
wie diese 60er-Jahre „Urlaub auf dem Mond“-Bilder heute
aussehen. Ich weiß noch keinen Begriff für das, was danach
kommt.
Hommage: Welche Strategien gibt es, um mit Weblogs
genug Geld zu verdienen, um davon leben zu können?
Sascha Lobo: Es gibt weniger Strategien, als Experimente.
Eines davon ist adical, also meine Firma mit den Menschen von Spreeblick
zusammen, die Werbung in Blogs verkauft. Ansonsten muss ein Blog
nicht vordringlich dem Geldverdienen dienen. Es sollte halt nur
möglich sein.
data: Wie frei kann man denn als freischaffender
digitaler Bohèmien tatsächlich sein? Immerhin gibt es
doch auch da Rechnungen zu bezahlen, Abhängigkeiten etc. Oder
etwa nicht?
Sascha Lobo: Ja, natürlich. Aber ich glaube,
dass die Abhängigkeiten da kleiner sind, bzw. geringer. Vollkommene
Unabhängigkeit existiert in meinen Augen nicht oder ist nicht
besonders spannend.
Moderator: Zwei Fragen zum gleichen Thema:
fantasta: Wie familienfreundlich ist das ganze
Konzept der digitalen Bohème eigentlich?
msaip: Was spricht eigentlich gegen eine Festanstellung?
Warum passt das nicht ins Konzept einer digitalen Elite? Für
die meisten Menschen bedeutet Festanstellung doch auch Sicherheit,
gerade für Familien.
Sascha Lobo: Halt, halt, hier werden verschiedene
Dinge durcheinander geworfen. Das Konzept der digitalen Bohème
ist unter den gegenwärtigen Bedingungen, die der Staat zur
Verfügung stellt, tatsächlich nicht besonders familienfreundlich.
Auf der anderen Seite sind Freiberufler in der Regel auch wesentlich
flexibler, was Arbeitszeiten und -orte angeht und das kommt auch
den Kindern zu Gute.
richy: Wenn du ein Kind hättest, zu was für
einer Ausbildung / Beruf würdest du ihm raten?
Sascha Lobo: Ganz klar nach Interesse, und zwar
ausschließlich. Es gibt nichts Bescheuerteres als einen Job,
den man hasst. Oder nur wenig.
ichertser: Bist Du eigentlich ein Nerd oder ein
Promoter?
Sascha Lobo: Eher Promoter, würde ich sagen.
Übrigens ist das „oder“ insofern unberechtigt,
als dass natürlich auch beides möglich ist.
Moderator: Dann sind wir auch schon kurz vor Schluss:
Sascha, willst Du noch ein Schlusswort?
Sascha Lobo: Man ist ja immer irgendwie kurz vor
Schluss. Ja, gern. Ich würde mich freuen, wenn jeder sein eigenes
digitales Gesellschaftsengagement in seinem Umfeld verbreitet. Und
zwar zu Gunsten von einer offenen, toleranten und freien Gesellschaft
(ohne Schlusspathos fühle ich mich immer so seltsam).
Moderator: Das waren 60 Minuten Live-Chat vom
D21-Jahreskongress in Dresden. Vielen Dank an die User für
die vielen Fragen und vielen Dank an Sascha Lobo für die Antworten.
Das Chatteam wünscht einen schönen Tag.