Ursula Engelen-Kefer
Die stellvertretende DGB-Vorsitzenden, Ursula
Engelen-Kefer
, am 10. November
2003 zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.

Redaktion:
Aufgrund technischer Mängel können wir nur Teile des Transkripts
mit der DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer veröffentlichen. Wir
möchten uns zugleich bei allen Chat-Teilnehmern für die Unannehmlichkeiten
während des Chats entschuldigen.


Moderator: Herzlich willkommen im tacheles.02-Chat. Die
Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de
und wird unterstützt von tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de.
Heute begrüßen wir im ARD-Hauptstadtstudio die stellvertretende
DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer. Frau Engelen-Kefer, sind Sie bereit?

Des Onliners
Albtraum
: Der Gast ist da, die Leitung weg.

Ursula Engelen-Kefer: Ja.


Moderator: Es geht es los. Erste Frage:


Stolte: Die Vorsitzende des Deutschen Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes bezeichnete hier im Chat die Agenda 2010 als unsozial.
Die Reformen schaffen emotionalen Sprengstoff, der sich entladen wird.
Glauben Sie das auch?


Ursula Engelen-Kefer: Ich glaube auch, dass sehr viel
sozialer Konflikt enthalten ist. Nun ist ja die Agenda 2010 eigentlich
nur noch ein Oberbegriff. Wir befassen uns ja längst mit detaillierter
Gesetzgebung zu ihrer Ausfüllung. Wir haben zwar als Gewerkschaften
einiges erreichen können, die soziale Schieflage ein wenig zurecht
zu rücken. Zum Beispiel: Durch das Vorziehen der nächsten Stufe
der Steuerreform, die Gewährung eines Bundeszuschusses zur Bundesanstalt
für Arbeit, die Verhinderung, dass die zukünftigen Arbeitslosengeld
II-Empfänger auch ihr Vermögen zur Altersvorsorge aufbrauchen
müssen sowie eine unzulässig weitgefasste Regelung der Zumutbarkeit
zu Lasten der betroffenen Menschen. Wenn jedoch die CDU/CSU ihre Vorstellungen
zur Aufweichung der Tarifautonomie im Rahmen des jetzt anstehenden Vermittlungsverfahren
durchsetzen will, und die sozial verträglichen Korrekturen von unserer
Seite wieder zurückgenommen werden sollen, wird es erhebliche Konflikte
geben.


Henrik: In den letzten Wochen ist die Diskussion darüber
wieder aufgeflammt, ob nun eine Verkürzung oder Verlängerung
der Wochen-Arbeitszeit ein Weg aus der Misere der Arbeitslosigkeit sind.
Wie kann das sein, dass es da keine klare Antwort in dieser Frage gibt?
Und sollten nicht gerade weil sowohl das eine als auch das andere Vorteile
haben kann, die Gewerkschaften dafür sein, die flexibel auszuhandeln,anstatt
an der 35-Stunden-Woche festzuhalten?ARD-Hauptstadtstudio


Ursula Engelen-Kefer: Die Gewerkschaften setzen sich
seit vielen Jahren dafür ein, Regelungen zu finden für eine
flexible Gestaltung der Arbeitszeit, die sowohl den Interessen der Arbeitgeber
wie der Arbeitnehmer Rechnung trägt. Beispiele hierfür sind
die vielfältigen Formen von Teilzeitarbeit, Altersteilzeit, Arbeitszeitkonten
auf die Woche, das Jahr und längere Perioden bezogen. Diese Möglichkeiten
werden auch weitestgehend in den Betrieben genutzt. Wenn aber in einer
Wirtschaft die Leistung der Arbeitnehmer immer weiter steigt, sind pauschale
Erhöhungen der Arbeitszeit keinesfalls ein geeignetes Mittel. Folge
wäre ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit und ein Absinken
der Löhne.


Moderator: Eine kritische Frage von Johannes Berg:


Johannes Berg: Hat das Beschäftigungsmodell "5000
mal 5000" von VW nicht gezeigt, dass die Gewerkschaften die Schaffung
von Arbeitsplätzen eher behindert?


Ursula Engelen-Kefer: Ich kann ihre Frage nicht ganz
nachvollziehen, schließlich war es die IG Metall, die das Modell
„5000 x 5000“ gemeinsam mit VW auf den Weg gebracht hat. Sie
hat einen wichtigen Beitrag geleistet, Arbeitsplätze zu schaffen.


Ozzy: Wie viel Ost-Förderung brauchen wir noch?
Helmut Schmidt hat ja gesagt, die Ossis sollen das Jammern aufhören.
Wie ist dazu Ihre Meinung?


Ursula Engelen-Kefer: Es wäre nützlich in den
neuen Bundesländern durch verbesserte Wirtschafts- und Finanzpolitik
mehr Arbeitsplätze zu schaffen, dann gäbe es auch keine weitere
Veranlassung für Verhaltensweisen, die als Jammern bezeichnet werden,
wenn sie denn überhaupt so erfahren werden.


Lobbie: Werden die Arbeitgeber aus den Flächentarifen
aussteigen und lieberwie im Osten einzeln
verhandeln?


Ursula Engelen-Kefer:
Gerade in den neuen Bundesländern sind bereits vieleArbeitgeber aus den
Arbeitgeberverbänden ausgestiegen oder gar nicht ersteingestiegen. Dies
hat allerdings nicht weniger, sondern nur noch mehr Probleme
verursacht. Es ist auch gerade im Interesse der Arbeitgeber durch
Flächentarifverträge sichere Rahmenbedingungen für den Umgang mit ihren
Beschäftigten zu haben und nicht einem permanenten „dumping“ von
Löhnenund Arbeitsbedingungen ausgesetzt zu sein, das letztlich auch zu
ihren Lasten geht. Unabhängig davon haben die Gewerkschaften auch
gerade im Rahmen von Flächentarifverträgen umfangreiche
Öffnungsmöglichkeiten für besondere betriebliche Problemlagen gegeben.


Michael22: Wieso lassen die Gewerkschaften keine im Unternehmen
selbstvereinbarten Tarifabschlüsse
zu? Unser Arbeitsmarkt braucht mehr Flexibilität!


Ursula Engelen-Kefer: Weil es im Betrieb keine Konfliktregelung
gibt. Die Möglichkeit zum Streik haben nur die Tarifparteien. Bei
betrieblichenRegelungen würden
die Arbeitnehmer und die Betriebs- bzw. Personalräte demDruck der Arbeitgeber
ausgesetzt, der im Zweifelsfalle die Form offener Erpressung annehmen
kann.


BertK: Zu "Arbeitszeiten": Das ist doch eine
Phantom-Diskussion. Wie lange wird denn wirklich gearbeitet? Einerseits
werden Fünfzigjährige bereits mit dubiosen Übergangsregeln
nach Hause geschickt. Andererseits muss ichunfähige, qualifizierungsunwillige
Fünfzigjährige behalten, da sie nicht mehrtragfähig kündbar
sind. Dafür kann ich qualifizierte Bewerber nicht einstellen (egal,
wie alt). Sucht man eine "Lösung", ist die Klage programmiert.


Ursula Engelen-Kefer: Wir brauchen in unserer Wirtschaft
die Leistungen vonjungen und älteren
Arbeitnehmern. Wir müssen endlich damit aufhören, Jüngere
und Ältere gegeneinander auszuspielen. Damit ältere Arbeitnehmer
weiterhin unter humanen Bedingungen im Arbeitsleben verbleiben und ihre
Leistungen genutzt werden können, müssen die Betriebe während
des gesamten Arbeitslebens Weiterbildungsmöglichkeit und auch und gerade für älter Arbeitnehmer anbieten.


Franzsika Hertle: Was halten sie von dem Video-Spot von
Ver.di?


Ursula Engelen-Kefer: Das müssen Sie Ver.di fragen,
aber ich würde empfehlen sich weniger über Video-Spots den Kopf
zu zerbrechen, sondern eher wie wir zu mehr Ausbildungsstellen kommen.
Ich glaube, wir verspielen unsere Zukunft, wenn wir jungen Menschen Perspektiven
durch geeignete Ausbildung und Beschäftigung verweigern.


Moderator: Letzte Frage!


AzubiS: Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen
Industrie (BDI) hatte eine Kürzung der Lehrlingsvergütungen
vorgeschlagen und die Höhe der Azubi-Löhne kritisiert. Was sagen
sie dazu?


Ursula Engelen-Kefer: Ich denke solche Totschlagargumente
bringen niemanden weiter. Ich bin daher froh, dass er Präsident des
Zentralverbandes des deutschen Handwerks, Herr Philipp, dieses Ansinnen
von Herrn Rogowski klar und deutlich zurückgewiesen hat. Die Wirtschaft
braucht qualifizierte Arbeitnehmer und nicht den "billigen Jakob".


Moderatorin: Liebe Gäste, der Chat ist vorbei, herzlichen
Dank für Ihr Interesse. Besten Dank, Frau Engelen-Kefer, dass Sie
unseren Usern zur Verfügung standen. Wir möchten uns bei allen
sehr für die technischen Schwierigkeiten entschuldigen, die zu den
Verzögerungen geführt haben. Wir hoffen, Frau Engelen-Kefer
in nächster Zeit noch einmal hier begrüßen zu können!
Sicher sind noch viele Fragen offen geblieben. Morgen ist CDU-Fraktionsvize
Wolfgang Schäuble von 17.30 bis 18.30 Uhr im tacheles.02-Chat –
Diskutieren Sie mit!


Ursula Engelen-Kefer
: Ich habe höchsten Respekt vor den
Tücken der Technik und bin gerne bereit, mich einmal wieder dem tacheles.02-Chat
zu stellen.