Am Mittwoch, den 15. März 2006, war
Jörg van Essen
,
MdB und Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion
,
zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de.
Er beantwortete Fragen zum anstehenden Untersuchungsausschuss zur
BND-Affäre und zu einem möglichen Bundeswehreinsatz im
Kongo.

Moderator:
Liebe Freunde und Gegner von FDP und BND-Ausschuss, willkommen zum
Tagesschau-Chat. Ins ARD-Hauptstadtstudio ist heute Jörg van
Essen gekommen, der Parlamentarische Geschäftsführer der
FDP-Fraktion, in allen Oppositionsfragen mit Sicherheit gut informiert.
Wie immer sind Fragen zu allen Themen möglich, von BND-Affäre
über Tarifstreit und Kongo-Einsatz der Bundeswehr bis zur Landtagswahl.
Wir sortieren ein bisschen und dann gehen Sie an Jörg van Essen.
Los geht’s:

Kaja: Haben Sie aus dem Visa-Ausschuss
und u.a. dem unsäglichen Lügenausschuss immer noch nichts
gelernt? Ihre Untersuchungsausschüsse nimmt doch keiner mehr
ernst!

Jörg van Essen: Die Untersuchungsausschüsse
sind eines der wichtigsten Mittel für die Opposition. Der Visa-Ausschuss
hat das Bild des damaligen Außenministers Fischer dramatisch
verändert. Ich finde, der Untersuchungsausschuss zu den jetzigen
Fragen (CIA, El-Masri) ist wichtig, weil die Bundesregierung ihre
Chance, aus eigener Kraft aufzuklären, nicht genutzt hat.

annett: Herr van Essen, wie stehen Sie zu dem
Vorwurf, dass ein Untersuchungsausschuss zur BND-Affäre das
Verhältnis zu den USA erneut belasten würde?

Jörg van Essen: Die Befürchtung muss
man ernst nehmen, aber ich teile sie im Endeffekt nicht. Der wissenschaftliche
Dienst im Bundestag hat uns aufgelistet, wie offen und streng das
amerikanische Parlament mit seinen Geheimdiensten umgeht.
Von daher erwarte ich Verständnis dafür, dass auch wir
das tun. Geheimdienste, die aus Fehlern gelernt haben, können
besser zusammen arbeiten.

Moderator: Nun hat man nach den Geheimdienst-Vorlagen
für den Irak-Krieg aber nicht unbedingt den Eindruck, dass
die US-Geheimdienste gut kontrolliert werden.

Jörg van Essen: Ich habe dazu keine Erkenntnisse,
wie die Qualität der Kontrolle ist. In aller Regel versuchen
Geheimdienste, sich der Kontrolle zu entziehen. Umso wichtiger ist
es, dass wir notwendige Konsequenzen ziehen. Einige liegen schon
auf der Hand. Wir werden deshalb als FDP-Fraktion einen Gesetzentwurf
für eine Reform des Parlamentarischen Kontrollgremiums des
Bundestags vorlegen.

Marcus: Ich glaube schon, dass ein Untersuchungs-Ausschuss
sinnvoll ist. Aber warum geben Sie den Grünen und insbesondere
den Linken hier eine Steilvorlage? Bei einer Schröder-Schelte
bin ich immer dabei, aber damit schaden Sie doch auch der großen
Koalition und damit der CDU, mit denen Sie doch eigentlich koalitionsfähig
und -willig sind, oder?

Jörg van Essen: Zunächst einmal: Der
Untersuchungsauftrag kann nur gemeinsam von der Opposition formuliert
werden. Wir sind damit mit Grünen und der Linken in einer ähnlichen
Zwangsehe wie CDU/CSU und SPD. Uns geht es natürlich um die
politische Verantwortung. Ich bin froh, dass wir uns da gegen die
Grünen durchsetzen konnten, die ihren Auftrag nach dem Motto
formuliert hatten: „die Kleinen hängt man, die Großen
lässt man laufen“. Wir sehen als bürgerliche Opposition
unsere Pflichten und haben deshalb einen Ermittlungsbeauftragten
vorgeschlagen, der bei dieser sensiblen Materie hilfreich ist und
außerdem zur Beschleunigung der Untersuchung beitragen kann.

Moderator: Wer soll diesen Job übernehmen?

Jörg van Essen: Wir haben bisher keinen Vorschlag
gemacht. Ein Ermittlungsbeauftragter muss von einer Zweidrittel-Mehrheit
der Mitglieder des Untersuchungsausschusses gewählt werden,
damit er über Vertrauen verfügt. Wir denken an Kandidaten,
mit denen wir aber noch nicht sprechen konnten. Deshalb wäre
es unfair, ihre Namen schon zu nennen.

Moderator: Nachfrage zur Erweiterung der Kompetenzen
des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG):

georg: Wie soll ihrer Meinung nach denn eine erweiterte
Kontrolle aussehen?

Jörg van Essen: Eine der Ideen, die wir diskutieren,
ist ein Vorschlag des ehemaligen Präsidenten für Verfassungsschutz,
Werthebach, ähnlich wie beim Wehrbeauftragten des Bundestages
einen Geheimdienst-Beauftragten zu installieren, der das Parlament
in seinen Aufgaben unterstützt. Wir werden im Übrigen
mit Sicherheit vorschlagen, dass die Mitglieder des PKG die Fraktionsvorsitzenden
unterrichten, um politisch brisante Fragen mit diesen diskutieren
zu können. Derzeit steht unser einziges Mitglied, Max Stadler,
bei allen Fragen ohne die Möglichkeit einer Rücksprache
und Diskussion da. In der gleichen Situation sind auch die Vertreter
von Linksfraktion und Grünen.

Moderator: Ist denn inzwischen klar, wer ihr Obmann
im BND-Ausschuss wird? Max
Stadler ziert sich ja noch ein bisschen.

Jörg van Essen: Ja, das ist richtig. Max
Stadler hat darum gebeten nach Möglichkeit nicht Mitglied zu
werden. Wir haben mehrere gute Bewerbungen aus der Fraktion und
wollen mit diesen Bewerbern noch Gespräche führen. Diese
Zeit haben wir aber auch noch, da der Ausschuss frühestens
in der letzten Märzwoche eingesetzt wird und erst in der ersten
Aprilwoche seine Arbeit aufnimmt.

Kaja: Zur Reform des Parlamentarischen Kontrollgremiums:
Sind da nicht irgendwann zu viele Köpfe involviert? Lähmt
das nicht die Arbeit des BND?

Jörg van Essen: Es müssen zwei Ziele
unter einen Hut gebracht werden: Einmal wirksame Kontrolle, die
auch dem BND dient, weil jeder vermiedene Fehler die Arbeit des
BND stärkt. Und auf der anderen Seite nicht zu viele Personen,
die damit befasst sind, weil sonst Geheimhaltung schwieriger wird.
Die Neigung zu plaudern – besonders gegenüber den Medien –
nimmt mit der Zahl der Mitglieder zu. Aus diesem Grunde ist dem
Ermittlungsbeauftragten im Gesetz ausdrücklich verboten, öffentliche
Erklärungen abzugeben.

Herr der Ringe: Warum hat sich Ihre Fraktion doch
für einen Untersuchungsausschuss ausgesprochen? Anfangs zögerten
Sie doch!

Jörg van Essen: Zu den Zögernden habe
ich auch selbst gehört. Mich haben zwei Dinge letztendlich
überzeugt: Einmal hatte Wolfgang Gerhardt die Chance, den geheimen
Teil der Bundesregierung zu studieren und war entsetzt, wie wenig
die Bundesregierung die Chance genutzt hat, klar begangene Fehler
einzugestehen – z.B. die Nichtunterrichtung des Parlamentarischen
Kontrollgremiums über die Entsendung der BND-Mitarbeiter nach
Bagdad. Zweitens hat unser Mitglied Max Stadler, dem ich sehr vertraue
und den ich als exzellenten Juristen schätze, in der Fraktion
erklärt, dass er weitere Fragen habe. Dies hat sich im Übrigen
auch bei meinen Verhandlungen mit den anderen Oppositions-Fraktionen
bestätigt, wo wir bei jeder der Fragen abgeklopft haben, ob
diese noch offen sind und das jeweils von den anwesenden PKG-Mitgliedern
Stadler, Neskovic und Ströbele bestätigt wurde.

Billy@SPD: Wäre die Wahl 2002 zu Gunsten
der Union und FDP ausgegangen, hätte die FDP doch sicher kein
Problem damit gehabt, den BND mit den USA zusammenarbeiten zu sehen.
Wieso kritisieren Sie es also an der alten Regierung?

Jörg van Essen: Hauptkritikpunkt ist für
uns das Bild, das die alte Regierung in der Öffentlichkeit
gezeigt hat – nämlich strikt gegen den Krieg zu sein – und
das Bild, das sich jetzt zeigt, dass über die bekannten Dinge,
wie Überflugrechte, Bewachung von Kasernen hinaus, intensiv
kriegswichtiger Gedankenaustausch betrieben wurde. Im Übrigen
hat die FDP den Irakkrieg immer aus politischen und rechtlichen
Gründen für falsch gehalten. Wir haben aber unsere Kritik
gegenüber den Amerikanern als Freunde vorgetragen und haben
im Gegensatz zu Schröder und Fischer für unsere Kritik
deshalb offene Ohren gefunden.

Ludwig: Hat die FDP einen weitergehenden Untersuchungsauftrag
verhindert, wie es die Grünen suggerieren?

Jörg van Essen: Das Gegenteil ist der Fall.
Die Grünen hatten nur zwei Fragen zu El-Masri und überhaupt
keine Fragen zu den Vernehmungen unter Folterumständen formuliert.
Und die politische Verantwortlichkeit zu all dem was geschehen ist,
hat sie auch nicht interessiert. Die FDP hat durchgesetzt, dass
alles dies geschehen kann. Im Übrigen haben wir auch keinerlei
Generalabrechnung mit Rot-Grün beabsichtigt, wie es mein Kollege
Volker Beck immer wieder behauptet. Wir wollten einen Untersuchungsausschuss
zu politisch brisanten Fragen und keinen historischen Ausschuss
zur Regierungszeit von Rot-Grün.

Moderator: Zweimal in der gleichen Sache:

Richard: Sind die Handlungen des BND unrechtmäßig
gewesen?

Michi: War das Vorgehen des BND gesetzlich korrekt?
Wenn ja, handelt es sich dann nicht um einen politischen Untersuchungsausschuss?

Jörg van Essen: Ob rechtliche Grenzen überschritten
worden sind, soll der Untersuchungsausschuss gerade klären.
Da der Krieg gegen den Irak ohne völkerrechtliches Mandat geführt
wurde, war es der Bundesregierung und ihren Organen, darunter dem
BND, untersagt, aktiv diesen Krieg zu unterstützen. Deshalb
ist die Frage, ob beispielsweise Zielkoordinaten geliefert wurden
von enormer Bedeutung. Hier muss der Untersuchungsausschuss noch
Aufklärungsarbeit leisten. Dass der BND zwei Mitarbeiter zur
Aufklärung dorthin entsandt hat, um der Bundesregierung ein
eigenes Lagebild zu ermöglichen, ist allein für sich rechtlich
und politisch nicht zu beanstanden.

Hunger: Was wären den die rechtlichen Grenzen?
Ist der Informationsaustausch illegal?

Jörg van Essen: Das ist in der Allgemeinheit
schwer zu sagen. In der NATO gibt es ein gut funktionierendes Nachrichtenwesen,
das sicherlich auch in diesem Zusammenhang zu einem Informationsaustausch
geführt hat. Es kommt auf die einzelne Nachricht an, die bewertet
werden muss. Dinge die unmittelbar zu militärischen Reaktionen
geführt haben im Krieg, sind wegen der Rechtswidrigkeit des
Krieges höchst problematisch.

Markus R: Der Jugoslawien-Krieg wurde doch auch
ohne völkerrechtliches Mandat durchgeführt, da gab es
aber keinen Untersuchungsausschuss?

Jörg van Essen: Richtig. Zunächst einmal:
Die Problematik hatten wir auch beim Jugoslawien-Krieg. Die Entscheidung
ist mir aus diesem Grund damals sehr schwer gefallen. Es gibt aber
einen wesentlichen Unterschied: Wegen des andauernden Völkermordes
im Kosovo war nach der Meinung aller Demokratien dringendes Handeln
angesagt und man scheiterte an einem angedrohten Veto einer Diktatur,
der Volksrepublik China. Man hatte im Übrigen alle Möglichkeiten
ausgeschöpft, die die UN-Charta bietet. Ich habe damals deshalb
mit einem nicht guten Gefühl eine ähnliche Situation wie
bei einem innerstaatlichen, übergesetzlichen Notstand gesehen.
Alle diese Voraussetzungen treffen auf den Irak nicht zu. Es ist
mit getürkten Geheimdienstmeldungen gearbeitet worden. Auch
viele Amerikaner haben das Gefühl, man hätte sich ein
paar Wochen mehr Zeit geben sollen, um über die Richtigkeit
des Vorgehens nachzudenken.

Martin: Rechtwidrigkeit des Krieges? Das klang
ja vor vier Jahren noch etwas anders. Oder hat nicht die FDP damals
im Wahlkampf die SPD für ihre Stellungnahmen gegenüber
den USA verurteilt?

Jörg van Essen: Das ist völlig falsch.
Wir haben unsere rechtlichen und politischen Bedenken immer geltend
gemacht. Wir haben die SPD aber zu Recht kritisiert, dass sie das
wichtige Verhältnis zu dem USA durch das törichte Verhalten
des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers beschädigt
hat. Mit der Konsequenz, dass die deutsche kritische Stimme in Washington
nicht mehr gehört wurde. Bei einem Besuch von Wolfgang Gerhardt
und mir haben wir unsere Kritik klar und eindeutig vorgetragen und
uns ist gesagt worden, wenn Schröder und Fischer uns gesagt
hätten, sie wären unsere Freunde und nicht unsere Feinde,
würden wir ernsthafter mit ihnen diskutieren. Das hat uns nicht
gefallen und das kritisieren wir zu Recht.

Volker: Und das stellen Sie erst jetzt fest (falsche
Geheimdienstberichte)? Hat die FDP 2002 nicht auch das Regime im
Irak verurteilt und vor der Gefahr des internationalen Terrorismus
gewarnt und somit die Ängste in der Bevölkerung geschürt?

Jörg van Essen: Wir hatten damals schon,
wie viele, Zweifel an den Geheimdienstberichten. Trotz des politischen
Fehlers des Krieges ist doch aber nicht zu übersehen, dass
es sich bei Saddam Hussein um einen besonders gewalttätigen
Mörder handelt, der für viel tausendfachen Tod verantwortlich
ist. Ich erinnere nur an die Giftgasangriffe auf schiitische Dörfer.
Wir haben deshalb den politischen Kampf gegen Saddam Hussein unterstützt.
Er steht zu Recht vor Gericht.

Newroz: Herr Jörg van Essen, ich bin ein
irakischer Staatsbürger, meine Frage: Wir wissen jetzt alle,
dass Deutschland sich an den irakischen Krieg beteiligt hat. Ist
jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen, dass die Deutschen jetzt beim
Aufbau des Iraks helfen?

Jörg van Essen: Das tun sie doch bereits
in vielfältiger Form, beispielsweise durch finanzielle Mittel
aber auch durch Ausbildungshilfe. Unser Wunsch ist ein demokratischer
Irak und ein friedliches Zusammenleben von Schiiten, Sunniten und
Kurden in diesem Land. Die Hilfe wird natürlich erschwert,
wenn deutsche Staatsbürger, die als Helfer kommen, entführt
und mit dem Tode bedroht werden.

Moderator: Müsste mehr getan werden? Vielleicht
auch um das Ansehen Deutschlands wieder zu verbessern? In der arabischen
Welt dürfte das durch die BND-Affäre vermutlich auch beschädigt
sein.

Jörg van Essen: Ich habe noch keine gesicherten
Erkenntnisse, ob das deutsche Ansehen in der arabischen Welt, welches
immer sehr hoch gewesen ist, wirklich geschädigt worden ist.
Eine solche sichere Feststellung kann man derzeit noch nicht feststellen.
Die FDP hat allerdings vorgeschlagen, für den Nahen Osten eine
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit einzurichten,
die in der gegenwärtigen Krisensituation sowohl im Irak als
auch in Palästina besonders hilfreich sein könnte.

Extremleber: Warum stellt sich die Union denn
quer, wenn es um das Thema Untersuchungsausschuss geht? Liegt es
wirklich daran das die Union mit nicht mit einer Partei koalieren
kann, wenn es rauskommt, dass die SPD in der Frage nicht ganz die
Wahrheit gesagt hat?!

Jörg van Essen: Ich habe das Gefühl,
dass genau das der Grund ist. Unter der Hand kommen immer wieder
Kollegen aus der Union auf einen zu und sagen: Der Untersuchungsausschuss
ist doch genau richtig. Schade, dass wir soviel Ärger in der
Koalition haben, dass wir jetzt auch schon in dieser Frage Rücksicht
auf die SPD nehmen müssen.

Moderator: Zu der vorgeschlagenen Konferenz:

lagavulin: Wer sollte Ihrer Meinung nach an einer
derartigen Konferenz teilnehmen? Wer die Leitung innehaben?

Jörg van Essen: Natürlich die beteiligten
Länder der Region, einschließlich Israel. Im Übrigen
die EU, die Vereinigten Staaten und Russland. Also eine Zusammensetzung
wie sie erfolgreich ja auch bei der Konferenz über Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) schon einmal erprobt worden
ist und zum Zusammenbruch des Ostblocks geführt hat.

Inge: Sehr geehrter Herr Essen, ich selbst komme
aus Sachsen-Anhalt. Vor einigen Tagen habe ich in der Zeitung gelesen,
dass die FDP in ihrem neuen Haushaltsplan schon die Mehrwertsteuererhöhung
eingeplant hat, obwohl in diesem Wahlkampf sie damit werben, die
Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Wie ist das zu erklären?

Jörg van Essen: Ein kluger Kaufmann stellt
sich auf unangenehme Entwicklungen sicherheitshalber ein. Ob wir
als FDP das bei unserem Haushalt getan haben, ist mir gar nicht
bekannt, weil ich nicht sehen kann, wo wir als Partei überhaupt
Mehrwertsteuer zu zahlen hätten. Das ändert aber nichts
an unserer klaren politischen Haltung gegen die Mehrwertsteuererhebung,
die zu konjunkturellen Einbrüchen in der Wirtschaft und damit
zum Verlust von Arbeitsplätzen führen wird. Es wäre
schade, wenn Sachsen-Anhalt, das bei den Arbeitslosen bei der rot-roten
Regierung das Schlusslicht der Bundesrepublik war, und unter der
jetzigen schwarz-gelben Regierung diese Position verloren hat, wieder
mehr Arbeitslose haben würde.

Moderator: Die Mehrwertsteuererhöhung bringt
viele Milliarden auf einen Schlag. Selbst wenn man ihren Vorschlägen
zur Subventionskürzungen folgen würde, wäre das im
kommenden Jahr noch nicht zu realisieren. Sollte Finanzminister
Steinbrück also lieber noch mal den EU-Stabilitätspakt
reißen?

Jörg van Essen: Nein, das kann er gar nicht,
weil eben in diesen Tagen von den EU-Finanzministern deutlich gemacht
worden ist, dass man einen weiteren Verstoß gegen die Maastricht-Kriterien
nicht hinnehmen wird. Die FDP hat es sich schon im vergangenen Jahr
bei den Haushaltsberatungen nicht leicht gemacht. Wir haben nämlich
nicht, wie andere Oppositionsparteien, kräftige Ausgabenerhöhungen
gefordert, sondern ein dickes Sparbuch vorgelegt, um die Maastricht-Kriterien
zu erfüllen und eine Mehrwertsteuererhöhung überflüssig
zu machen. Das werden wir bei den diesjährigen Haushaltsberatungen
wieder ähnlich tun.

Jürgen: Herr van Essen, bei einem Neujahrsempfang
in Göttingen haben Sie sich gegen einen Bundeswehreinsatz im
Kongo ausgesprochen. Jetzt scheint ein solcher Einsatz aber bevorzustehen.
Wie verhält sich die FDP in dieser Frage?

Jörg van Essen: Ich bin weiterhin strikt
dagegen und freue mich sehr, dass heute der Bundeswehrverband in
ähnlicher Weise Stellung genommen hat. Die Frage z.B., ob die
Soldaten der EU im Kongo wirklich willkommen sind, ist von der EU
bis heute nicht geklärt. Auch der mögliche Auftrag für
die deutschen Soldaten liegt im Nebel. Unsere Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss,
die in der letzten Woche in Brüssel waren, kamen entsetzt über
den Stand des Planungsergebnissen zurück. Nach meiner Auffassung
darf die Bundeswehr in diesen Abenteuer nicht geschickt werden.
Ich halte die Zusage der Bundeskanzlerin für einen schweren
Fehler.

Moderator: Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul
hat den Einsatz angesichts von drei Millionen Toten im Kongo im
tagesschau-Chat als "wichtiges politisches Signal" bezeichnet.
Und Kinshasa ist derzeit kein Kampfgebiet, betont sie. Ist das für
Sie kein Argument?

Jörg van Essen: Überhaupt nicht. Denn
diese Millionen Toten sind ja eben nicht in Kinshasa zu beklagen
gewesen. Wenn man an der Situation in den Bürgerkriegsgebieten
nichts ändert, darf man mit diesen Zahlen nicht operieren.
Die Ministerin ist im Übrigen erschreckend blauäugig.
Seit langem kann man lesen, dass die Konfliktparteien derzeit intensiv
Kindersoldaten in die Region Kinshasa bringen.

richard: Haben sie nicht vor ein paar Minuten
(Irak) die internationale Verantwortung angemahnt und ist die Ermöglichung
von friedlichen Wahlen nicht Aufgabe der internationalen Gemeinschaft?

Jörg van Essen: Das ist so, aber nur dann,
wenn durch die Wahlen tatsächlich eine Änderung der Situation
erreicht werden kann. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Wahlen
im Kongo die Demokratie in diesem Land voranbringen und zu einem
Ende des Bürgerkrieges beitragen. Im Übrigen müssen
Sicherheitsprobleme nach meiner Erfassung zunächst einmal in
der Region gelöst werden. Hier im Herzen Afrikas ist deshalb
zunächst einmal die Organisation Afrikanischer Staaten (OAU)
gefragt. Bevor Deutschland auf den Plan tritt, sind nach m.A. zunächst
einmal die ehemaligen Kolonialstaaten in der Verantwortung, die
diese Länder ausgebeutet haben und in vielen Fällen zu
den heutigen Problemen im Wesentlichen beigetragen haben. Es ist
ein Fehlglaube, wenn man meint, durch die Entsendung deutscher Soldaten
in der Welt für Frieden sorgen zu können. Es ist für
mich eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz deutscher
Militärs, dass deutsche Interessen betroffen sind. Das sehe
ich im Kongo nicht.

HIT: Herr van Essen, ist das Argument, dass nur
in reicheren Regionen Interventionen Erfolgen (Schutz von Eigeninteressen
vs. Risiko) nur paranoid oder ist da was dran?

Jörg van Essen: Ich habe gerade schon gesagt,
dass eigene Interessen eine Rolle spielen dürfen und müssen.
Trotzdem sind wir selbstverständlich in der Verpflichtung überall
auf der Welt die Situation der Menschen zu verbessern und Freiheit
und Demokratie zu stärken. Aber wie gesagt, ich halte es für
einen Fehlglauben, wenn Deutschland wieder meinen sollte, das sei
seine militärische Aufgabe.

Moderator: Das waren 60 Minuten tagesschau-Chat
mit Jörg van Essen. Vielen
Dank, Herr van Essen, dass Sie zum Chat gekommen sind. Das Protokoll
gibt’s zum Nachlesen auf tagesschau.de und politik-digital.de.
Der
nächste fest geplante Chat findet am 21. März statt. In
der Woche
vor den Landtagswahlen diskutieren Sie und wir mit dem
Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen
(CDU). Dieser Chat beginnt ein wenig später als üblich
– um
sechzehn Uhr. tagesschau.de und politik-digital.de wünschen
Ihnen noch einen schönen Tag.