Göttrik Wewer, Staatssekretär im Bundesministerium des
Innern, war am Donnerstag den 21. April zu Gast im BMI-Live-Chat,
durchgeführt von politik-digital.de. Themen waren die Initiative
Bürokratieabbau des Bundes, BundOnline2005 und
die Sorgen und Nöte der Bürger mit der Bürokratie.

Moderator: Sehr geehrte Damen und
Herren! Herzlich willkommen beim BMI Live-Chat. Unser heutiger Gast
ist Dr. Göttrik Wewer, Staatssekretär des Bundesministeriums
des Innern. In den nächsten 60 Minuten werden wir uns in diesem
Live-Chat aus Berlin über das Thema Bürokratieabbau unterhalten
und hoffen auf interessante Fragen von Ihnen, liebe Chatter und
Chatterinnen. Steigen wir doch gleich ein. Herr Staatssekretär
Wewer, sind Sie bereit für die ersten Fragen?

Göttrik Wewer: Ja!

Moderator: Eine erste Frage von mir, Herr Staatssekretär:
Bürokratieabbau ist eher ein vermeintlich trockenes Thema.
Was ist aus Ihrer Sicht dennoch so spannend genug daran, dass Sie
aus der Wissenschaft in die Politik wechselten?

Göttrik Wewer: Wissenschaft neigt dazu, die
Theorien und Konzepte der Kollegen oder auch aus der Praxis zu kritisieren.
Sie tut sich häufig schwer damit, positiv zu beschreiben, wie
man es besser machen kann. Außerdem ist es so, dass man in
der Wissenschaft seine Bücher und Aufsätze vielfach nur
für die Kollegen schreibt. Kurzum: in der Verwaltung oder in
der Praxis kann man mehr bewegen. Das war für mich der zentrale
Grund. Dabei schadet es allerdings nicht, einen wissenschaftlichen
Background zu haben.

Moderator: Eine weitere grundsätzliche Frage
von "Ludewig":

Ludewig: Was ist eigentlich die Motivation
für Bürokratieabbau? Klar, politisch will man es dem Bürger
leichter machen, das ist die Standard-Antwort. Aber geht es nicht
eigentlich viel viel mehr um Effizienzsteigerung, Geld sparen und
solche Dinge? Und bedroht damit der ‘Bürokratieabbau’ nicht
auch Arbeitsplätze?

Göttrik Wewer: Es geht um beides. Mehr Effektivität,
also eine bessere Zielerreichung, aber auch um mehr Effizienz; das
heißt eine kostengünstigere Verwaltung. Wir orientieren
uns daneben aber auch an den Zielen Bürgerorientierung und
Personalentwicklung. Zu tun gibt es genug, so dass die Sorge, es
würden in der Verwaltung durch Bürokratieabbau nur Arbeitsplätze
wegfallen, unbegründet ist. Vielleicht können die, die
man an der einen Stelle einspart, an anderer Stelle etwas Sinnvolleres
tun.gregor samsa: Bürokratieabbau klingt ziemlich trocken,
haben Sie den Eindruck, die Menschen interessieren sich dafür?

Göttrik Wewer: Die Untersuchungen zeigen, dass
die Verwaltung – negativer formuliert die Bürokratie -, ein
relativ schlechtes Image hat. Wenn man die Bürger aber nach
ihrem letzten Kontakt mit der Verwaltung fragt, dann äußern
sich rund 2/3 zufrieden oder sehr zufrieden. Das heißt, die
konkrete Erfahrung mit der Verwaltung ist eigentlich wesentlich
positiver als das abstrakte Image. Letztlich interessiert die Bürgerinnen
und Bürger nur, dass sie ihre Dienstleistungen von der Verwaltung
möglichst schnell und kostengünstig kriegen. Die abstrakte
Diskussion über Bürokratieabbau interessiert nach meinem
Eindruck die meisten nur am Rande. Gleichwohl muss man auf diesem
Feld etwas tun.

PeggyOstBerlin: Haben Sie schon
einmal eine Umfrage unter den Bürgern gestartet, um herauszufinden,
was sie vom eGovernmentprogramm des Bundes erwarten?

Göttrik Wewer: Wir haben selbst eine Abfrage
gemacht unter Unternehmen, ob sie mit dem, was wir bei BundOnline
anbieten, zufrieden sind. Hier haben wir eine große Übereinstimmung
im Grundsätzlichen gefunden, aber durchaus auch Hinweise in
Einzelfragen, wo wir noch besser werden können. Wir haben auch
die Möglichkeit des "Chats", also des Austauschs
über das Netz, so dass wir durchaus Rückmeldung von Bürgerinnen
und Bürgern kriegen und wir werten natürlich sorgfältig
aus, was es an Umfragen und Studien in anderen Staaten – aber zum
Beispiel auch in den Bundesländern – gibt. Insofern meinen
wir, mit unserem Ansatz ganz richtig zu liegen.

Moderator: Die Wirtschaft hat mehr
Kontakte zur Verwaltung als der normale Bürger. Ist dies ein
Grund, warum es mehr Modellprojekte im Bereich Wirtschaft gibt denn
im Bereich Bürgerservice?

Göttrik Wewer: Das liegt in
erster Linie an der Kompetenzverteilung im Bundesstaat. Die meisten
Kontakte hat der Bürger mit der Kommunalverwaltung, wo er sich
anmeldet, sein Auto ummeldet oder einen Bauantrag stellt. Schon
mit einem Landesministerium hat "Otto Normalverbraucher"
relativ wenig zu tun. Und das gilt erst recht für ein Bundesministerium.
Auf der anderen Seite haben wir am Tag im BMI allein über 10.000
E-Mails und unser Bürgerservice und unser Call-Center werden
heftig frequentiert. Die meisten Rückmeldungen, die wir da
bekommen, sind übrigens sehr positiv.

Alf: Sehr geehrter Herr Wewer,
Bürokratieabbau bedeutet zunächst Machtverlust der Bürokraten
oder der Politiker, in deren Ressort die Entscheidungsgewalt liegt.
Die Föderalismusreform beweist, dass hier kein Politiker gerne
Abstriche macht. Kommen Sie sich manchmal vor wie Don Quijote?

Göttrik Wewer: Das nicht. Aber es stimmt, dass
die Projekte häufig schwierig sind, weil man mehrere oder viele
unterschiedliche Interessen unter einen Hut bekommen muss. Das liegt
nicht unbedingt daran, dass "Bürokraten" oder Politiker
keine Macht abgeben wollen, sondern häufig daran, dass der
Teufel im Detail steckt und einfach die Interessen unterschiedlich
sind. Don Quijote wäre vielleicht das falsche Beispiel, aber
Sisyphus kommt einem gelegentlich schon in den Sinn.

g.laudator: Die Deutschen haben
das Selbstbild, dass hier immer noch ein preußisches Bürokratiemodell
vorherrscht. Wie ändert man denn diese Kultur/ dieses negative
Selbstbild?

Göttrik Wewer: Ich glaube, dass man die heutige
Verwaltung – egal ob im Bund, im Land oder in der Kommune – überhaupt
nicht mehr mit Preußen vergleichen kann. Heute gibt es Bürgerbüros,
teilweise Krabbelstuben in den Behörden, und die Kolleginnen
und Kollegen haben auch alle keine Ärmelschoner mehr. Wenn
man die Verwaltung von 2005 mit der Verwaltung von 1965 vergleichen
würde oder gar von 1925, würde man sehr schnell sehen,
dass sich nicht nur die Gesellschaft völlig verändert
hat, sondern auch die Verwaltung.

Klaus: Wofür steht die Initiative
Bürokratieabbau? Bisher haben sich auch Vorgängerregierungen
daran die Zähne ausgebissen. Was soll bei Ihnen anders sein?

Göttrik Wewer: Es ist richtig, dass andere
Bundes- und auch Landesregierungen immer wieder Kommissionen eingesetzt
und sich Bürokratieabbauprogramme vorgenommen haben. Das war
auch richtig und wichtig, und es ist auch einiges erreicht worden.
Der große Durchbruch, der große Befreiungsschlag ist
auf der anderen Seite noch nirgendwo gelungen. Sonst müssten
wir uns ja heute nicht über das Thema unterhalten. Wir haben
versucht, aus den Erfahrungen früherer Anstrengungen zu lernen
und bewusst einen anderen Ansatz gewählt. Wir sagen nicht:
30% aller Normen können irgendwie weg – wobei die, die das
sagen, in der Regel nicht sagen, welche 30% sie meinen. Wir gehen
nicht mit dem Rasenmäher vor und auch nicht mit der Schrotflinte,
sondern wir haben uns auf 5 Handlungsfelder konzentriert, von denen
wir meinen, dass sie für die Wettbewerbsfähigkeit des
Standorts und für die Zufriedenheit der Bürger besonders
wichtig sind. Auf diesen Handlungsfeldern haben wir insgesamt 75
Projekte aufgelegt, von denen wir bisher 30 umgesetzt haben. Der
Rest soll bis Mitte nächsten Jahres erledigt sein.

Moderator: Wir haben einige Fragen zum Einsparpotenzial
und zu den Kosten der Initiative Bürokratieabbau. Hier die
erste:

Geldsammler: Wie viel Geld kann
die Bundesregierung durch eine konsequente Bürokratieabbau-Strategie
eigentlich sparen? Gibt es da Berechnungen?

Göttrik Wewer: Es gibt nicht Berechnungen für
das Gesamtprogramm der 75 Projekte. Es gibt aber für jeden
Einzelfall Kalkulationen, was es bringt, wenn man z.B. die Steuererklärung
elektronisch macht oder weniger Statistiken ausfüllen muss.
Die Neuorganisation der Rentenversicherung bringt z.B. jährlich
350 Millionen Euro Einsparungen. Die Gesundheitskarte soll insgesamt
eine Einsparung von einer Milliarde bringen, und die Reform des
Personenstandsrechts wird bei Ländern und Kommunen zu Einsparungen
von ca. 45 Millionen Euro führen.

Ludewig: Wie viel Geld musste eigentlich
in die verschiedenen Projekte investiert werden, die nun im Zwischenbericht
erwähnt wurden? Und wie viel Geld glauben sie langfristig mit
diesen Projekten zu sparen?

Moderator: (Der zweite Teil der Frage wurde bereits
beantwortet)

Göttrik Wewer: Wir haben nicht für jedes
Projekt im Einzelnen Buch geführt, wie viele Mitarbeiter des
Bundes oder der Länder in den jeweiligen Arbeitsgruppen wie
viele Stunden gearbeitet haben und was das gekostet hat. Die Frage
der Einsparungen ist ja auch nur ein Aspekt unseres Konzepts. Wenn
der Bürger am Ende zufriedener ist, weil er sich weniger belastet
fühlt, dann sollte man das auch dann tun, wenn man nicht einen
Euro dabei spart.

Vermögensamtler: Ich habe
mit Interesse den Zwischenbericht gelesen. In welchem der fünf
Modell-Bereiche (Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Forschung, Ehrenamt,
Bürgerservice) sehen Sie am meisten Nachholbedarf in Sachen
Bürokratieabbau? Spiegelt sich das in der Anzahl der noch laufenden
Projekte?

Göttrik Wewer: Nach meiner Einschätzung
müssen wir noch mehr tun im Handlungsfeld "Forschung,
Innovation und Technologie". Hier haben wir einiges auf den
Weg gebracht, können aber sicher noch mehr tun. Und um das
besser abschätzen zu können, sind wir im Gespräch
mit den Hochschulen und auch den privaten Forschungsstätten.
Deutschland ist ein Land ohne große Rohstoffe, so dass wir
davon leben, was uns an neuen Produkten und Dienstleistungen einfällt,
die wir dann möglichst weltweit verkaufen können. Insofern
ist das ein ganz wichtiges Handlungsfeld.Flo: Welche Projekte sind
denn noch geplant? Vor allem: Welche betreffen direkt den Bürger
und sind nach außen sichtbar?

Moderator: Und diese Frage noch als Ergänzung:Nele01:
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Initiative! Nur was springt
für den Bürger dabei raus?

Göttrik Wewer: Unser Ziel ist nicht, eine möglichst
große Zahl von weiteren Projekten zu erreichen, sondern wir
konzentrieren uns darauf, die 75 Projekte, die wir als prioritär
angesehen haben, zunächst einmal umzusetzen. Das schließt
nicht aus, das eine oder andere Projekt zusätzlich aufzunehmen.
Aber wir setzen vorrangig auf Qualität des Bürokratieabbaus
als auf die Quantität der Projekte. Die Projekte, die die Bürgerinnen
und Bürger vor allem betreffen, stecken vor allem im 4. und
im 5. Handlungsfeld, also die Stärkung von Ehrenamt und Zivilgesellschaft
und die Entbürokratisierung der Massenverfahren. Wir haben
uns nämlich angeguckt, welches die häufigsten Verwaltungskontakte
des Bürgers sind. Dabei stellen Sie zum Beispiel fest, dass
es in Deutschland im Jahr über 700 Mio. Kassenrezepte gibt,
die zum großen Teil 4 oder 5 mal per Hand angefasst werden.
Wenn Sie das elektronisch abwickeln, stellen Sie Millionen von Menschen
von unnötiger Arbeit frei und machen sie vielleicht auch ein
bisschen zufriedener. Ähnliches gilt für 16 Millionen
Kfz-An- und Ummeldungen, oder weit über 10 Millionen An- und
Ummeldungen von Wohnungen. Das sind die Massenverfahren. Und wenn
es gelingt, das An- und Ummelden, oder das Kfz-Anmelden deutlich
zu vereinfachen, machen Sie jeweils über zehn Millionen Menschen
glücklicher. Das ist unser Ziel.

Moderator: Eine Nachfrage zu dem oben erwähnten
Bereich Forschung, in dem "noch mehr getan werden getan werden
kann":Triceratops: Herr Wewer, die größten Bürokratieschleudern
sind doch das Hochschulsystem und die föderale Schulpolitik.
Muss am Anfang jedes Prozesses nicht erstmal eine Föderalismusreform
stehen?

Göttrik Wewer: Am Beginn der Föderalismusdiskussion
stand die klare Aussage der Länder, dass die Diskussion sofort
zu Ende ist, wenn irgendein Land in seinem Bestand in Frage gestellt
wird. Ähnliches würde sicher für die kommunale Selbstverwaltung
gelten. Insofern wollen wir uns auf diesen Feldern nicht verkämpfen,
sondern nehmen Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung
als Rahmenbedingungen, unter denen wir unser Anliegen verfolgen
müssen. Ich beobachte mit Interesse, dass die Bereitschaft
in den Ländern und Kommunen wächst, sich zusammenzuschließen,
Dienstleistungen gemeinsam anzubieten, oder auch Lösungen zu
zentralisieren. Aber das muss von unten wachsen und von allen Beteiligten
gewollt sein, ansonsten würde man dem Bund immer unterstellen,
er wolle jemand anderem etwas wegnehmen. Und dann wird der Widerstand
ganz groß.

Moderator: Wir gehen nun in ein einzelnes Themenfeld:
Zunächst: Die Gesundheitskarte:

Helmholz: Warum brauchen wir eine
elektronische Gesundheitskarte?

Göttrik Wewer: Der Trend geht hin zu Kartensystemen:
Bankkarte, Dienstausweise, Flugbuchungen, vieles andere mehr können
Sie heute bereits mit Chipkarten erledigen. Dieser Trend wird weitergehen.
Was wir nicht wollen, ist, dass jeder von uns 50 oder 100 Plastikkarten
mit sich herum trägt, sondern es muss im Prinzip so sein, dass
man mit relativ wenigen Karten möglichst viele Geschäfte
abwickeln kann. Die Gesundheitskarte soll das für den Gesundheitsbereich
bündeln, so dass der Hausarzt, das Krankenhaus, der Notarzt,
die Feuerwehr nach einem Unfall, Impfpass und ähnliche Anwendungen
dort so gespeichert vorfinden, dass z.B. unnötige Doppeluntersuchungen
vermieden werden und im Notfall vor Ort die Daten für die Retter
verfügbar sind. Da das hier ganz sensible Daten sind, muss
natürlich sicher gestellt sein, dass kein Unbefugter auf diese
Daten Zugriff hat. Es ist aber technisch ohne Probleme machbar,
auf einer solchen Karte verschiedene Sektionen einzurichten, auf
die nur bestimmte Nutzer, wie etwa der Hausarzt, zugreifen können.
Was uns im Übrigen besonders freut, ist, dass es uns gelungen
ist, eine einheitliche Sperrnummer für verloren gegangene oder
gestohlene Chipkarten in Deutschland zu installieren. So muss jemand,
der im Urlaub alle seine Karten verliert, nur noch an einer Stelle
anrufen, um den Verlust zu melden und z.B. seine Bankkarte zu sperren.
Niemand von uns nimmt ja im Urlaub alle die Telefonnummern mit,
die er bräuchte, um alle Karten individuell sperren zu lassen.
Hier sind wir in Deutschland die ersten in Europa, und darauf sind
wir durchaus ein bisschen stolz. Das ist gewissermaßen die
Notrufnummer für die Informationsgesellschaft.

Moderator: Hier mehrere Fragen auf einmal, gleiches
Thema und alle besorgt um den Datenschutz:

aldous huxley: Wäre das nicht
das Ende? Wenn wir eine Karte/ Chip für alles haben? Und wenn
der geklaut wird, gibt es uns nicht mehr oder jemand anders ist
ich.

student1999: Ist das nicht problematisch
mit dem Datenschutz, sollte jemand in der Lage sein, alle Daten
auf der Karte auszulesen, etwaige Sicherheitsmaßnahmen zu
knacken?new world order: Wir haben doch jetzt schon Probleme mit
der elektronischen Sicherheit. Wie soll das in Zukunft besser werden?

Göttrik Wewer: Die eine Karte für alles
wird es meines Erachtens nicht geben. Sie wird auch von niemandem
angestrebt. Sondern die Frage ist doch: haben wir 3 oder 4 oder
5 Plastikkarten oder schleppen wir 50 mit uns herum? Meine Antwort
wäre, möglichst wenige Karten für möglichst
viele Anwendungen. Was den Datenschutz angeht, so ist es technisch
problemlos möglich, die auf einer Karte gespeicherten Daten
unterschiedlich hoch abzusichern und zu verschlüsseln. Wenn
Sie heute Ihren Personalausweis verlieren, oder Ihnen der Führerschein
gestohlen wird, hat derjenige, der diese Dokumente in den Händen
hält, ebenfalls diese Daten von Ihnen. Mit diesen Daten kann
er aber relativ wenig anfangen. Aber Ihre Patientendaten, Ihre Finanzverhältnisse
und manches andere mehr müssen natürlich wesentlich besser
abgesichert sein, damit sicher gestellt ist, dass nur Berechtigte
diese Daten lesen können. Das lässt sich problemlos machen.
Ihren Namen und Ihre Adresse finden Sie ja auch in jedem Telefonbuch.
Insofern geht es bei allen Kartenprojekten darum, unterschiedliche
Sicherheitsniveaus für unterschiedliche Datenmengen zu beschreiben
und unterschiedlich hoch abzusichern.

dk4: Was halten Sie von Herrn Schaars
Vorstoß und Forderung eines Moratoriums bezüglich biometrischem
Reisepass?JuniorHacker: Die elektronische Signatur ist etwas altbacken.
Warum setzt man nicht gleich auf Biometrie?

Göttrik Wewer: Die EU-Staaten haben sich darauf
verständigt, ab Herbst diesen Jahres mit der Ausgabe von Biometrie-Pässen
zu beginnen. Das werden wir auch tun. Insofern teilen wir die Auffassung
des Bundesdatenschützers nicht. Was die elektronische Signatur
angeht, so ist das bei den Kartenprojekten, über die wir vorhin
geredet haben, durchaus ein Thema. Bei den Pässen gehen wir
aber in Richtung Biometrie.

Moderator: Wir kommen zu einem weiteren Thema: Die
digitale Lohnsteuerkarte und Steuererklärung, die inzwischen
eingeführt ist. Wieder zwei Fragen auf einmal:Die Elster: Welche
Erfahrungen wurden mit dem Online-Steuererklärungstool ‘Elster
‘ gemacht? Erfolg oder Flop? Bitte um ehrliche Antwort!

Göttrik Wewer: Bei jeder Umstellung eines solchen
Verfahrens sind immer Kinderkrankheiten zu überwinden und müssen
sich die Leute daran gewöhnen, dass es künftig anders
läuft als es bisher war. Wir sind mit dem Start von "Elster"
ganz zufrieden und haben im Jahr 2004 bereits über 1,8 Millionen
elektronische Steuererklärungen bekommen. Das Ziel ist natürlich,
in absehbarer Zeit möglichst alle Steuererklärungen elektronisch
abzuwickeln. Was das bedeutet, kann man an den Zahlen ablesen: In
Deutschland werden pro Jahr 35 Millionen Lohnsteuerkarten und -bescheinigungen
ausgestellt. Es gibt etwa 29 Millionen Einkommensteuer-Erklärungen
pro Jahr und etwa 2,5 Millionen Freistellungsanträge. Wenn
Sie alle diese Massenverfahren voll elektronisch und ohne Medienbrüche
abwickeln können, haben Sie eine Menge geschafft und vielen
Menschen das Leben erleichtert. Je schneller das gelingt, umso besser.
Ab 1.1.2006 müssen alle Lohnsteuerbescheinigungen der Arbeitgeber
elektronisch abgewickelt werden. Dann sind wir einen deutlichen
Schritt weiter. Ende Februar 2005 lagen der Finanzverwaltung bereits
rund 30 Millionen elektronische Lohnsteuerbescheinigungen vor. Und
so wird das Schritt für Schritt weiter gehen.

Moderator: Zwei Nachfragen zu Elster:

ElsterMan: Lieber Herr Wewer, als
ich zu Beginn dieses Jahres meine Einkommensteuererklärung
per Elster elektronisch abwickeln wollte, bekam ich von der Dame
im Finanzamt ausgesprochen mangelhafte Auskünfte. Wie stellen
Sie sicher, dass auch die Verwaltungsangestellten die nötige
Medienkompetenz erhalten?

G.Füller: Ich wollte meine
Steuererklärung über Elster einreichen, bin aber an der
Technik gescheitert. Für den Normalverbraucher bleibt die Steuererklärung
ein unübersichtliches Ding. Könnte man das nicht gleich
so reformieren, dass ein Modell wie in Schweden gefahren wird, wo
die Bürger eigentlich nur noch unterschreiben müssen?

Göttrik Wewer: Ich gebe zu, dass ich das schwedische
Modell nicht so gut kenne wie offensichtlich Sie. Bei meinen bisherigen
Steuererklärungen musste ich allerdings immer erst etwas erklären,
bevor ich unterschreiben konnte. Wenn es in Schweden noch eine elegantere
Lösung gibt als bei uns, so werden wir uns diese ansehen. Was
die Kompetenz der Finanzamtsdame angeht, so kann ich dazu wenig
sagen. Aber es ist natürlich klar, wenn man ein Massenverfahren
wie Steuererklärung völlig auf Elektronik umstellt, kann
es sein, dass hier und dort nicht gleich alles rund läuft.
Ich baue darauf, dass sich diese Anfangsschwierigkeiten – auch hinsichtlich
der technischen Probleme, die Sie angedeutet haben, nach und nach
und möglichst schnell überwinden lassen.

fabeltier: wie sieht es mit der
Chancengleichheit der Systeme aus? Elster gibt es doch nur für
Windows oder?

student1999: Wird es ein Elster
System auch für Linux geben, ich hatte nur eine Windows Version
gefunden?

pinguin: Stimmt es eigentlich,
dass die elektronische Lohnsteuer nur mit Microsoft-Programmen funktioniert?
Wäre das nicht schwierig im Hinblick auf Chancengleichheit
und Opensource?

Göttrik Wewer: Um eine möglichst große
Zielgruppe kurzfristig zu erreichen, wurden die Programme zunächst
für Windows-Betriebssysteme entwickelt, die immer noch von
der größten Zahl von Nutzern verwendet werden. Für
die elektronische Übermittlung von Steuererklärungen aus
Linux-Umgebungen oder anderen System-Umgebungen stellt die Finanzverwaltung
sowohl allgemeine XML-Schnittstellen als auch die Plattform unabhängige
Programmschnittstelle "COALA" zur Verfügung. Zur
Chancengleichheit: Die Bundesregierung verfolgt in ihrer Software-Strategie
ganz bewusst parallel die Nutzung proprietärer Systeme (z.B.
Windows) und gleichzeitig Open-Source. Das machen wir nicht, weil
wir etwas gegen irgendeine Firma hätten, sondern weil wir Wettbewerb,
Transparenz und auch Unabhängigkeit wollen. Dies können
Sie in all den Dokumenten nachlesen, die wir dazu veröffentlicht
haben und die Sie auch auf unserer Homepage finden.

Moderator: Es sind inzwischen Fragen zu weiteren
Themengebieten eingegangen, die wir leider nicht mehr alle abdecken
können. Diese zwei Fragen aber möchte ich noch stellen.

Heda: Herr Wewer, sie waren ja
Wissenschaftler und haben sich damals schon mit Verwaltungsreformen
beschäftigt. Was hat sich an Ihrer Perspektive geändert,
seitdem Sie in der Politik tätig sind? ‘Mildere ‘ Forderungen
an die Verwaltung?

Göttrik Wewer: Es ist schon so, dass das Sein
immer auch das Bewusstsein prägt. Als Wissenschaftler, der
sich ideale Modelle ausdenken kann, sieht die Welt immer etwas anders
aus als für den Praktiker, der diese schönen Modelle teilweise
gegen viele Widerstände durchsetzen muss. An meinen Grundüberzeugungen,
was Ziele und strategische Ausrichtungen von Verwaltungsreformen
angeht, hat sich wenig geändert. Allerdings habe ich im Laufe
der Jahre auch manches dazu gelernt, was ich als junger Wissenschaftler
nicht gewusst habe. Ich glaube, dass mir aber die wissenschaftliche
Sozialisation und auch die Kenntnis des Forschungsstandes immer
geholfen haben, auch praktische Probleme zu lösen. Wie hat
ein kluger Kopf mal gesagt: Nichts ist so praktisch wie eine gute
Theorie.

Moderator: Und ganz zum Schluss noch eine Frage,
die vielleicht noch nicht beantwortet werden kann, aber dennoch
gestellt sein sollte:

Glaube: Sie sind doch auch für
die Fußball-WM zuständig, lese ich. Kommt der neue Papst
zur WM? 😉

Göttrik Wewer: Das weiß ich leider nicht.
Ich weiß, dass der alte Papst sehr sportbegeistert war. Ob
dass der Neue auch ist und ob er sich in den Trubel eines vollen
Stadions begeben will, weiß ich nicht. Aber spätestens
beim Weltjugendtag im August in Köln besteht eine gute Gelegenheit
ihn selbst zu fragen!

Moderator: Sehr geehrte Damen und Herren! Die 60
Minuten sind bereits wieder verstrichen. Im Namen des Bundesministeriums
des Innern möchten wir uns ganz herzlich bei Ihnen für
Ihr Interesse und für die Teilnahme an diesem Live-Chat bedanken.
Leider konnten nicht alle Fragen veröffentlicht werden, es
waren wieder einmal zu viele für eine Stunde. Unser besonderer
Dank gilt Herrn Staatssekretär Wewer, der seine Zeit für
die Beantwortung der Fragen geopfert hat. Das Transkript dieses
Chats wird Ihnen auf der Seite http://www.staat-modern.de und auch
auf http://www.politik-digital.de zum Nachlesen zur Verfügung
gestellt. Wir wünschen allen Teilnehmern einen schönen
Tag.

Göttrik Wewer: Vielen Dank für die interessante
Diskussion. Einen guten Tag noch!