Am 7. Mai war Ulrich Wickert, der ehemalige
ARD-Frankreich-Korrespondent, im tagesschau-Chat in Zusammenarbeit
mit politik-digital.de. Er sprach über seine Erwartungen an
die französische Außenpolitik unter Sarkozy, die Folgen
für die Europäische Union und die Haltung der Franzosen
zu ihrem neuen Präsidenten.

Moderator: Herzlich willkommen zum tagesschau-Chat
in Kooperation mit politik-digital.de. Wohin wird der neue französische
Präsident das Land steuern? Wie steht es um die Europapolitik?
Und wie nimmt die Bevölkerung das Wahlergebnis auf? Sie können
Ihre Fragen gerne jetzt schon stellen, der langjährige ARD-Frankreich-Korrespondent
Ulrich Wickert wird sie von 17.00 bis 18.00 Uhr an dieser Stelle
beantworten. Ulrich Wickert

Ulrich Wickert: Hallo liebe User, hier ist Ulrich
Wickert. Ich bin eben gerade aus Paris zurückgekommen, wo ich
den zweiten Wahlgang miterlebt habe. Ich bin jetzt gespannt auf
Ihre Fragen.

Moderator: Hallo Herr Wickert, schön, dass
Sie da sind! Die ersten Fragen beziehen sich auf das deutsch-französische
Verhältnis:

akira: Hallo Herr Wickert, wie, denken Sie, werden
sich die Beziehungen Frankreichs zu Deutschland mit dem neuen Präsidenten
entwickeln?

eggi: Wie wird sich die deutsch-französische
Partnerschaft im Rahmen der EU entwickeln?

DTH07: Was glauben Sie, in welchem politischen
Verhältnis zukünftig Deutschland und Frankreich agieren
werden? Wird die Achse Berlin – Paris bleiben oder sich verlagern?

Renni: Wird das Verhältnis zwischen Deutschland
und Frankreich jetzt erschwert?

Wickert: Wenn es um die Zukunft des deutsch-französischen
Verhältnisses geht und die Einstellung des neuen Präsidenten,
dann muss man wahrscheinlich unterscheiden zwischen dem, was er
bisher gesagt hat, und dem, was er als Präsident wirklich umsetzen
wird. In den letzten Jahren hat er sich immer wieder kritisch über
die deutsch-französische Sonderstellung in Europa geäußert.
Und im Wahlkampf hat er äußerst unfreundliche Aussagen
über Deutschland gemacht, indem er sagte, Frankreich habe ja
die Endlösung nicht erfunden. Er wollte damit sicherlich Stimmen
bei den Rechtsradikalen einfangen. Jetzt hat Nicolas Sarkozy angekündigt,
seine erste Auslandsreise werde nach Berlin führen. Das lässt
darauf hoffen, dass er die Tradition seiner Vorgänger wahren
wird.

IGM: Wäre für Deutschland nicht ein
Sieg von Royal besser gewesen? So hätten Frau Merkel und Frau
Royal eher „unter Frauen" Angelegenheiten klären
können.

Wickert: Das glaube ich nicht. Denn Frau Royal
ist nicht als Frau in den Wahlkampf gegangen, sondern als eine moderne
Politikerin, die zum Beispiel das Internet ganz bewusst für
ihren Wahlkampf eingesetzt hat. Sicherlich steht sie in einigen
Punkten Frau Merkel näher. Sie ist einmal Umweltministerin
gewesen und hätte in den Fragen der alternativen Energie sich
mit Angela Merkel besser verstanden.

Kritzel: Wohin steuert Frankreich jetzt außenpolitisch?

Wickert: Das wird man erst nach einigen Monaten
feststellen können. Denn Nicolas Sarkozy hat im Wahlkampf zu
erkennen gegeben, dass er noch kein außenpolitisches Konzept
erarbeitet hat. Um sich von dem scheidenden Präsidenten Jacques
Chirac zu distanzieren, hat er sich bei George Bush als Politiker
eingeführt, der nicht wie Chirac ein kritischer Gegenspieler
sein will.

Moderator: Unsere User machen sich dennoch Gedanken,
vor allem um die Zukunft der EU:

mainzel: Wie steht Sarkozy denn zur EU als Staatenbund?
Wird er eher Motor oder Bremse bei der Erstellung einer neuen europäischen
Verfassung sein?

SAS: Wie schätzen sie die Beziehungen Sarkozys
zu Merkel ein? Und wie sieht es aus mit seiner transatlantischen
Position? Wird er, ähnlich wie Chirac, weiter eher mit Europa
zusammen arbeiten, oder doch auch die USA bevorzugen?

ulle: Was denken Sie: Wird es mit Sarkozy eine
Europäische Verfassung geben?

Wickert: Sarkozy hat nach seinem Besuch bei George
Bush erfahren müssen, dass er damit bei seinen französischen
Wählern nicht unbedingt auf Zustimmung stößt. Er
möchte sehr schnell in Europa Frankreich wieder als starke
Macht einführen. Deshalb hat er vorgeschlagen, von dem Minimalvertrag
auszugehen, wie ihn auch Frau Merkel vorsieht. Dieser Minimalvertrag
soll nach seiner Vorstellung in Frankreich nicht mehr dem Volk vorgelegt
werden, sondern vom Parlament gebilligt werden. Erweiterungen der
Europäischen Union sieht er skeptisch. Sarkozy spricht sich
gegen die Aufnahme der Türkei aus und will auch die Verhandlungen
mit der Türkei so bald wie möglich einschränken.
Ganz wie Angela Merkel spricht er von einer privilegierten Partnerschaft,
die man der Türkei anbieten solle.

mainzel: Wie steht Sarkozy zur französischen
Atommacht? Werden wir – wie schon bei seinem Vorgänger – zeitnah
am Anfang seiner Amtszeit eine Demonstration der Stärke durch
einen Atomtest erleben?

Trinity: Wird sich die bisher defensive Atompolitik
Frankreichs ändern?

Wickert: Sarkozy wird sicherlich keine Atomtests
anordnen. Aber es ist davon auszugehen, dass er die französische
Atomverteidigung nicht abschaffen wird. Sie gehört zu der Ausstattung
Frankreichs als besondere Macht in Europa.

Moderator: Eine Nachfrage zur EU:

CaHaas: Steht Sarkozy für ein „Europa
der zwei Geschwindigkeiten"?

Wickert: Sarkozy steht für ein Europa der
zwei Geschwindigkeiten. Er kann sich vorstellen, dass es ein Kerneuropa
der Sechs gibt, die enger miteinander zusammenarbeiten. Und diese
Sechs sind Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien
und Polen.

sigfried: Wird sich Frankreich in militärischen
Fragen und Beiträgen verändern?

Wickert: Sarkozy hat bisher nicht zu erkennen
gegeben, dass er die Verteidigungspolitik Frankreichs grundsätzlich
verändern will. Er hat allerdings im Unterschied zu Jacques
Chirac erklärt, er sei dagegen, dass das Waffenembargo gegen
China aufgehoben wird. Wahrscheinlich wird er auch in der Nahostpolitik
eine andere Position einnehmen, da er anders als Chirac weniger
von den arabischen Staaten beeinflusst ist. Er wird starke Beziehungen
zu Israel aufbauen.

Spezi: Chirac kann mit einem atomaren Iran leben.
Sarkozy auch?

Wickert: Sarkozy wird eher die Position Deutschlands
einnehmen und natürlich Amerikas, die verhindern wollen, dass
der Iran eine Atombombe baut.

Moderator: Themenwechsel in die Innenpolitik.
Besonders die Probleme in den Vorstädten beschäftigen
die User:

Frankentaler: Wie wird Sarkozy innenpolitisch
mit den Jugendlichen umgehen? Behält er seine als Minister
praktizierte harte Linie bei? Wie will er die Integration von Jugendlichen
in die Gesellschaft schaffen?

MarLau: Viele Franzosen fürchten mehr „sozial
Kälte" durch Sarkozys Präsidentschaft. Werden sich
die Gräben, die sich angedeutet haben, verfestigen oder wird
es gelingen sie zu überwinden?

Christiane: Wie beurteilen Sie die Zukunftschancen
der Immigranten in Frankreich unter der neuen Regierung? Können
Sie sich vorstellen, dass der neue Präsident, zum Beispiel
insbesondere in den Pariser Vorstädten, neue Wege beschreiten
wird? Wenn ja, welche könnten das Ihrer Meinung nach sein?
Herzliche Grüße von einer Ihrer Verehrerinnen (die sie
noch immer in den Tagesthemen vermisst…).

Wickert: Sarkozy weiß, dass er mit der Banlieue
ein großes Problem hat. Gestern Nacht sind ja schon mehr als
200 Autos in Brand gesteckt worden. Er wird allerdings eine ganz
konsequente Einwanderungspolitik durchführen. Er hat angekündigt,
ein Ministerium für Immigration und französische Identität
einzurichten. Das bedeutet, Frankreich wird bestimmen, wer in Zukunft
„gewünscht" und wer unerwünscht ist. Er hat
gestern Abend schon klar gesagt: Unerwünscht werden diejenigen
sein, die die Rechte der Frau nicht respektieren, die die Mehrehe
praktizieren oder die ihre Töchter beschneiden lassen. Die
Banlieue ist aber erst einmal ein soziales Problem. Und es ist notwendig,
für die Jugendlichen ein Arbeitsprogramm zu erstellen.

sigfried: Ich habe mich beeindruckt gezeigt, als
Herr Sarkozy als einziger Präsidentschaftskandidat bei den
Unruhen in den französischen Vororten sich auf Polizeistationen
die Nächte um die Ohren geschlagen hat. Warum haben die anderen
Kandidaten dieses Verhalten kritisiert von außerhalb? Und
ist diese Tat nicht Sarkozy hoch anzurechnen, unabhängig davon,
was er in diesen Nächten gesagt hat?

Wickert: Sarkozy hat dies als Innenminister getan,
ist allerdings in den letzten Monaten nicht mehr in der Banlieue
erschienen, weil er befürchtet hat, dass dies zu Unruhen führen
würde.

teilzeit: Wie beurteilen Sie die Proteste nach
Bekanntwerden des Wahlergebnisses in Paris? Woher kam diese Aufgebrachtheit?

Wickert: Ich würde diese Proteste nicht überschätzen.
Solche Unruhen gibt es immer zu festen Daten. Die Polizei hat heute
erklärt, es seien nicht mehr Autos angesteckt worden als am
letzten Silvester oder am letzten Nationalfeiertag.

mainzel: Welche Themen wurden von Sarkozy bei
diesen Wahlen besonders „heiß" diskutiert?
Welche wird er demnach als erstes umsetzen müssen/wollen?

Wickert: Als erstes hat Sarkozy die Sicherheit
der Bürger hervorgehoben. Und er will sobald wie möglich
strengere Gesetze für Wiederholungstäter einführen.
Wer zum dritten Mal verurteilt wird, der soll mit der Höchststrafe
rechnen müssen. Als zweites hebt Sarkozy hervor, dass es wichtig
ist, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. … und dazu macht er einen
Vorschlag, die staatlich festgelegte 35-Stunden-Woche aufzuweichen.
Das heißt, Überstunden sollen in Zukunft nicht mehr bezahlt
werden, sondern steuerfrei sein und auch von Seiten der Arbeitgeber
befreit werden von Sozialabgaben. Allerdings werden die Überstunden
von Angestellten sowieso nicht bezahlt, und Empfänger des Mindestlohnes
zahlen meist keine Steuern.

Jan2007: Wie sieht es mit der Wirtschaftspolitik
aus? Wird Sarkozy weitere Anstrengungen unternehmen, um die Handelsbeziehungen
zu Deutschland und anderen EU-Ländern weiter zu verbessern?

Wickert: In der Wirtschaftspolitik will sich Sarkozy
„liberal" zeigen. Aber ob das in der Wirklichkeit auch
so sein wird, stelle ich in Frage, denn bisher hat er dies nicht
getan. Als die deutsche Firma Siemens die französische Firma
Alstom kaufen wollte, hat Sarkozy dies verhindert.
Da ist er wahrscheinlich doch noch sehr stark französischer
Zentralist.

Moderator: Zwei Fragen zu Airbus:

Christoph5: Wie steht Sarkozy Deutschland gegenüber
(vielleicht gerade in dem schwelenden Richtungsstreit bei EADS,
allgemein wirtschaftspolitisch)? Im Wahlkampf äußerte
er sich, dass er französische Interessen hart vertreten will.

ulle: Ist das Thema Airbus mit Sarkozy für
die deutschen Standorte besser oder schlechter geworden?

Wickert: Auch was Airbus betrifft, ist Sarkozy
„Franzose". Er hält die Doppelspitze für nicht
notwendig und da hat er wahrscheinlich Recht. Aber er meint natürlich
damit, dass an der Spitze ein Franzose sitzen soll, und kein Deutscher.

caspate: Bildungspolitisch hat sich Sarkozy eine
Menge vorgenommen. Wie will er das marode und nicht mehr zeitgemäße
Bildungssystem Frankreichs denn nun reformieren?

Wickert: Sarkozy will den Universitäten mehr
Freiheit geben, was ja sicherlich notwendig ist. Aber er sieht nicht
vor, das ganze System der Eliteschulen zu verändern.

Moderator: Noch eine Nachfrage zur 35-Stunden-Woche:

mainzel: Machen die Franzosen die „Aufweichung"
der 35-Stunden-Woche mit? Man hat beim Konsum der tagesschau/tagesthemen
eher das Gefühl, den Franzosen ist die 35-Stunden-Woche heilig.

Wickert: In Frankreich warnen gerade diejenigen,
die für Ségolène Royal gestimmt haben, dass es
zu einem heißen Herbst kommen könnte, wenn Sarkozy bei
seinen Gesetzesvorhaben zur 35-Stunden-Woche die Gewerkschaften
nicht in die Diskussion mit einbezieht. Die 35-Stunden-Woche ist
den Franzosen sicherlich heilig, insbesondere deswegen, weil in
Frankreich ein ungewöhnlich großer Teil der Beschäftigten
sich im Staatsdienst befinden.

hamma13: Sarkozy plant zudem, Steuern und Sozialabgaben
zu senken. Zukünftig soll keiner mehr als 50 Prozent seines
Einkommens an den Staat abgeben müssen. Wird der Sozialstaat
Frankreich darunter leiden? Wird es zu spürbaren Einbußen
bei staatlichen Serviceleistungen kommen?

Wickert: Im Wahlkampf hat Sarkozy verkündet,
dass die Steuern auf unter 50 Prozent gesenkt werden sollen. Er
will zusätzlich die Erbschaftssteuer fast ganz abschaffen und
nur für die ganz großen Vermögen noch einen kleinen
Steuersatz beibehalten. Er hat allerdings nicht präzisiert,
wie er dies finanzieren will und wo er Sozialleistungen kürzen
wird.

Moderator: Nun ein Blick in die Zukunft:

Manfred Klose: Glauben Sie, dass die Wahlen im
Juni ähnlich knapp ausfallen werden, oder sich dort denn eine
größere Mehrheit für Sarkozy abzeichnen wird? (Falls
die UMP diese Wahlen überhaupt gewinnt?)

fl: Wie schätzen Sie die Chancen der Parti
Socialiste bei den Parlamentswahlen ein? Viele Franzosen könnten
sich eine Cohabitation wünschen, um Sarkozy zu „zügeln".
Ist das realistisch, beziehungsweise wünschenswert?

Wickert: Die Franzosen hassen die Cohabitation.
Deswegen gehe ich davon aus, dass die UMP als Partei von Nicolas
Sarkozy bei den Parlamentswahlen eine große Mehrheit erhalten
wird. Das entspricht auch dem republikanischen Verhalten der Franzosen.
Immer wieder hat der neu gewählte Präsident bei den anschließenden
Parlamentswahlen die Mehrheit erhalten.

Moderator: Und noch eine Personalfrage:

PainAuChocolat: Ist schon bekannt, wer Premierminister
werden könnte?

hamma13: Wer wird ihrer Ansicht nach neuer Premierminister?

Wickert: Höchstwahrscheinlich wird François
Fillon der französische Premierminister.

gagmaus: Kann man sagen, Frankreich sei gespalten
in zwei etwa gleich starke, unversöhnliche Lager, ähnlich
wie die USA?

Wickert: Der Wahlausgang zeigt, dass Frankreich
aus zwei Lagern besteht, von denen das konservative eigentlich immer
das größere ist. Aber ich halte es für falsch, von
unversöhnlichen Lagern zu sprechen. Das zeigt die Verteilung
der Stimmen, zum Beispiel des Blocks von François Bayrou.
40 Prozent der Stimmen gingen zu Sarkozy, 40 Prozent zu Ségolène
Royal und 20 in die Enthaltung.

JanE: Mich würde interessieren, inwieweit
die „Rechte" in Frankreich mit der „Rechten"
in Deutschland vergleichbar ist. Anders gefragt: Ist es so, dass
das politische Spektrum in Frankreich generell nach links „verschoben"
ist, sodass die UMP und Nicolas Sarkozy in Deutschland eher zur
politischen Mitte gehören würden?

Wickert: Die Rechte in Deutschland ist meines
Erachtens eine „linkere Rechte" als die Rechte in Frankreich.
Man darf nicht vergessen, dass vor fünf Jahren der rechtsradikale
Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl gekommen ist und fast 20 Prozent
der Stimmen erhielt. Auch dieses Mal haben 3,8 Millionen Franzosen
Le Pen ihre Stimme gegeben. Es ist nicht verwunderlich, dass Nicolas
Sarkozy ursprünglich in Edmund Stoiber seinen deutschen Partner
gesucht hat. Denn der liegt ihm inhaltlich sicherlich näher
als Angela Merkel.

Nevid: Ist Sarkozy ein so erzkonservativer Politiker,
wie man gemeinhin annimmt, oder gibt es bei ihm kleine liberale
Inseln?

Wickert: Es ist sehr schwierig, Nicolas Sarkozy
politisch einzuschätzen. Wer seine politische Laufbahn studiert,
wird feststellen: In allererster Linie geht es ihm um die Macht.
Und er hat die Wahlen vor fünf Jahren genau studiert, um die
jetzigen Wahlen zu gewinnen. Dazu gehörte, dass er sich in
manchen Bereich (Sicherheit, französische Identität) erzkonservativ
zeigen musste, um die Stimmen der extremen Rechten zu erhalten.
Er verspricht allerdings, mit der Macht „liberaler" umzugehen
als seine Vorgänger. Er will die Besetzung von wichtigen Posten
von der Zustimmung des Parlamentes abhängig machen. Und sogar
die Besetzung der wichtigsten Kommission im Parlament, nämlich
des Finanzausschusses, einem Oppositionsführer zu überlassen.
Er hat angekündigt, in seinem Kabinett, das aus nur 15 Ministern
bestehen soll (die Hälfte Frauen), auch Politiker des liberalen
Lagers zu berücksichtigen.

Daniel24: Frankreichs Wahlbeteiligung war ja enorm
hoch. Woran lag das? Konnten die Kandidaten so begeistern oder lag
es daran, dass nach zwölf Jahren Chirac Abwechslung auf dem
Programm stand?

mat: Glauben Sie, dass Frankreich nun wieder „politischer"
geworden ist, was die hohe Wahlbeteiligung vermuten lassen könnte?
Oder ist nach dieser polarisierten Wahl wieder schnell von einer
Normalisierung auszugehen?

Wickert: Die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang
lag in Frankreich immer zwischen 79 und 87 Prozent in den letzten
40 Jahren. Bei dieser Wahl kann man beobachten, dass alle Franzosen
von einem wahren Wahlfieber gepackt waren. In den letzten Wochen
gab es kein anderes Gesprächsthema als eben diese Wahl. Vergleichbar
war es mit dem Fußballfieber in Deutschland im letzten Sommer.
Frankreich hat mit dieser Wahl gezeigt, dass die Staatsbürger
immer sehr politisch denken.

Burgunder: Gibt es eine Neu-Ausrichtung dieses
politischen Spektrums mit einer neuen Mitte oder bleibt es beim
Rechts-Links Schema?

Wickert: Vermutlich bleibt es eher bei dem Rechts-Links-Schema.
Das hat auch mit dem französischen Wahlsystem zu tun. Denn
wenn es bei Präsidentschaftswahlen um ein Rennen zwischen zwei
Personen geht, dann ist es ein Entweder-Oder-System. Sarkozy und
Ségolène Royal hatten beide angekündigt, das
Wahlrecht ein wenig zu verändern und eine kleine Dosis Verhältniswahlrecht
einzuführen. Dies könnte einer Partei in der Mitte helfen.
Aber nach dem jetzigen Wahlrecht sieht es so aus, dass es sehr schwierig
sein wird für François Bayrou, eine „unabhängige
Fraktion der Mitte" zu bilden. Denn Abgeordnete, die sich im
Wahlkampf nicht für die Mehrheit des Präsidenten erklären,
werden von Sarkozy als Gegner angesehen und kaum Chancen haben,
gewählt zu werden.

Moderator: Damit kommen wir zur Verliererin der
gestrigen Wahl:

Pololitikschauer: Was wird Royal jetzt unternehmen?

Alex66: Wie sieht Ihrer Meinung nach die politische
Zukunft Ségolène Royals aus? Wird sie, ähnlich
wie in Deutschland bei verlorenen Bundeskanzlerwahlen, auf das Abstellgleis
ausmanövriert, oder war dieser Wahlgang ein Sprungbrett für
einen neuen, erfolgreichen Anlauf in fünf Jahren?

Wickert: Die Schlacht hat schon begonnen. Gestern
Abend haben sowohl Laurent Fabius wie auch Dominique Strauss-Kahn
Ségolène Royal zur großen Verliererin erklärt
und klargemacht, dass jetzt die Zeit der Abrechnung gekommen ist.
Strauss-Kahn hat verkündet, dass die Sozialistische Partei
endlich ihr „Godesberg" nachholen müsse. Und er
stünde dafür zur Verfügung. Da Ségolène
Royal dies aber vermutet hat, trat sie sehr kurz nach Bekanntgabe
des Ergebnisses schon vor die Fernsehkameras und hat ihre Unterstützer
aufgerufen, nicht nachzugeben, denn jetzt gelte es zuerst, die Parlamentswahl
zu gewinnen und dann die Partei zu erneuern.

Moderator: Einige Zuschauer interessieren sich
noch für Ihre Meinung, Herr Wickert:

regent: Welcher Präsidentschaftskandidat
war Ihr ganz persönlicher Favorit? Wen hätten Sie gewählt?

sigfried: Wer wäre ihrer Meinung nach der
oder die beste Präsident/in für Frankreich?

Wickert: Hätte ich vor der Urne im ersten
Wahlgang gestanden, dann hätte ich lange gezögert und
wahrscheinlich François Bayrou meine Stimme gegeben. Und
hätte ich gestern wieder vor der Urne gestanden, dann hätte
ich vielleicht bis zur Schließung des Wahllokals gezögert,
ob ich mich enthalten soll oder nicht. Und so ging es ja auch dem
ein oder anderen Franzosen.

sabine: Haben Sie die Wahlen direkt in Paris verfolgt?
Wie reagierten die Franzosen auf den Wahlsieg von Nicolas Sarkozy?

Guckland: Wie haben Sie die Stimmung im Pariser
Zentrum gestern Abend erlebt? War diese typisch für den zweiten
Wahlgang oder wurde das Ergebnis eher ungewöhnlich groß
gefeiert?

Wickert: Am Samstagnachmittag traf ich in einem
Bistro in Belleville durch Zufall schon Leute, die sagten, am Sonntagabend
um sechs stehen wir auf der Bastille und das werden dann diejenigen
gewesen sein, die sich dort mit der Polizei ein kleines Scharmützel
geliefert haben. Auf dem „Place de la Concorde“ haben
sich dagegen diejenigen versammelt, die sich über den Sieg
von Nicolas Sarkozy freuten, und sie haben bis weit über Mitternacht
gefeiert. Die Anhänger der Sozialisten haben sich in der Rue
de Solferino getroffen und sind aber bald auseinander gegangen.
Als ich nach Mitternacht noch in einem Bistro in St. Germain einen
Absacker trank, zogen einige wenige Jugendliche mit Plakaten durch
das Viertel. Aber ansonsten herrschte eine Stimmung wie sonst auch
jeden Sonntagabend.

Moderator: Nun die letzten zwei Fragen. Auch diese
gehen direkt an Ulrich Wickert:

Alias2: Warum gerade Bayrou und nicht eines der
größeren Lager am Rand?

MarLau: Sie meinen also, dass einige Franzosen
erst am Wahltag ihre Entscheidung getroffen haben?

Wickert: Am Rand gab es keine größeren Lager. Und ich
weiß von französischen Freunden, dass sie ihre Entscheidung
erst am Wahltag getroffen haben. Das hat damit zu tun, dass Sarkozy
in den Umfragen am Freitag bei 55 Prozent lag, und das war manchen
Leute zu viel, denn sie sagten, das sei nicht gut für „Sarkos"
Ego, wenn er einen solch großen Sieg erringe.

Moderator: Das waren 60 Minuten tagesschau-Chat
bei tagesschau.de und politik-digital.de. Vielen Dank Ulrich Wickert,
dass Sie sich Zeit genommen haben. Herzlichen Dank an alle Teilnehmer
für Ihr Interesse und die zahlreichen Fragen, die wir wie immer
leider nicht alle beantworten konnten. Das Protokoll des Chats ist
wie immer in Kürze zum Nachlesen auf den Seiten von tagesschau.de
und politik-digital.de zu finden. Wir wünschen Ihnen allen
noch einen angenehmen Tag und bis zum nächsten Mal!

Wickert: Vielen Dank für die vielen Fragen
und auch das eine oder andere liebe persönliche Wort. Und wenn
es nicht zu früh wäre, würde ich Ihnen eine geruhsame
Nacht wünschen. Ihr Ulrich Wickert.