Am
16.2. waren die Korrespondenten Martin Fritz und Mario Schmidt aus
dem ARD-Büro in Tokio zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation
mit politik-digital.de. Sie sprachen über Nordkoreas Atomwaffenprogramm
und berichteten über ihre Besuche in einem der abgeschottetsten
Ländern der Welt.

Moderator: Liebe Politikinteressierte,
herzlich willkommen im tagesschau-Chat. Heute sind die Asien-Korrespondenten
der ARD, Mario Schmidt und Martin Fritz, zu Gast im Chat. Die beiden
haben Nordkorea diverse Male bereist und als "sehr mysteriöses
Land mit vielen Rätseln" beschrieben. Am Tag des 65. Geburtstages
von Diktator Kim Jong Il und nur wenige Tage, nachdem sich Nordkorea
zum Stopp seinen Atomwaffenprogramms bereit erklärt hat, chatten
sie mit uns aus der japanischen Hauptstadt Tokio. Herr Schmidt,
Herr Fritz, tragen Sie heute eine "Kimjongilia" im Knopfloch?

Mario Schmidt: Gibt es leider in Japan nicht.

Martin Fritz: Geht leider nicht, ich trage einen
Pullover.



Die ARD-Korrespondenten Mario Schmidt (links) und
Martin Fritz haben Nordkorea mehrfach bereist.

cafetero: Wie ist die aktuelle Einigung mit Nordkorea
zu beurteilen?

Mario Schmidt: Schwierig, ein erster Schritt,
mehr nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Nordkorea das Atomwaffenprogramm
wirklich aufgeben will.

Martin Fritz: Zunächst kann sich die Lage
etwas entspannen, aber die nächsten Verhandlungen werden zeigen,
wie ernst Nordkorea es wirklich mit der Abrüstung meint.

uwe ernst: Worauf führen Sie das Einlenken
der Regierung im Atomstreit zurück?

Martin Fritz: Ein großer Faktor dürfte
der Druck von China gewesen sein. China war sehr verärgert
über den Atomtest. Es hat Nordkorea offenbar massiv unter Druck
gesetzt, eine diplomatische Lösung zu suchen.

Mario Schmidt: Vielleicht will Nordkorea nur Zeit
gewinnen. Kim Jong Il wartet auf das Ende der Bush-Regierung. Er
hofft, mit der neuen Regierung einen besseren Deal aushandeln zu
können.

Moderator: Ist es denn wirklich
ein Einlenken? Kritiker sprechen auch von einem Einknicken von George
W. Bush.

Mario Schmidt: Ich glaube, dass die USA sich tatsächlich
mehr auf den Iran konzentrieren. Die Haltung gegenüber Nordkorea
ist viel milder.

Martin Fritz: Das kann man tatsächlich so
sehen. Die USA haben viele Konzessionen gemacht, die sie bis Ende
letzten Jahres abgelehnt haben. Aber Nordkorea bekommt erst mal
nur 50.000 Tonnen Heizöl und Diesel, die übrigen 950.000
Tonnen fließen erst, wenn alle Atomprogramme offen gelegt
sind. Insofern würde ich nicht von einem Kotau sprechen.

hagbart: Was beinhaltet der gerade ausgehandelte
Abrüstungsplan Nordkoreas?

Martin Fritz: Die Einzelheiten sehen so aus: Einmotten
des Atomreaktors von Yongbyon und der Wiederaufbereitungsanlage,
dafür gibt es 50.000 Tonnen Schweröl. Offenlegung der
Atomprogramme danach für weitere 950.000 Tonnen Schweröl.
Ungeklärt ist die Frage, wie viel Atomwaffen Nordkorea hat
und ob es sie wirklich abgeben will.

Mario Schmidt: Eine Nagelprobe wird sein, ob Nordkorea
erklärt, dass es ein geheimes Uranprogramm hat. Bislang behauptet
Nordkorea, es habe nur ein Plutoniumprogramm. Die USA sehen das
anders.

Master Of Desater: Hätten die USA nicht eine
wesentlich bessere Verhandlungsposition, wenn gegen alle Länder
mit Atomwaffen (Indien, Pakistan, Israel) gleichermaßen konsequent
vorgegangen würde?

Mario Schmidt: Jeder Fall ist anders. Auf Nordkorea
Einfluss auszuüben ist komplizierter. Gezielte Angriffe gegen
Atomanlagen sind zum Beispiel unmöglich. Man weiß nicht,
wo sie sind. Außerdem könnte es schlimme Vergeltungsschläge
gegen Südkoreas Hauptstadt Seoul geben. Die Lage könnte
sofort eskalieren.

Martin Fritz: So hart wie Nordkorea verhandelt
wohl kein Land. Es hat nur sein Atomprogramm zu verkaufen und will
deshalb so viel wie möglich dafür rausschlagen.

Moderator: Zwei Fragen im Block…

max43: Wie wahrscheinlich ist es, dass Nordkorea
all seine Atomwaffen tatsächlich aufgibt und nicht hinter den
Kontrollen der Internationalen Atombehörde weiter forscht und
baut, ähnlich wie der Iran?

hagbart: Wie glaubwürdig ist die ausgehandelte
Atomvereinbarung?

Martin Fritz: Ich bin der festen Überzeugung,
dass Nordkorea seine Atomwaffen niemals aufgeben wird. Wir waren
im November da und haben überall gehört, wie stolz die
Menschen auf den Atomtest waren. Wie kann die Führung ihrem
Volk verkaufen, dass es diese Superwaffe wieder abgibt? Das ist
eigentlich unmöglich.

Mario Schmidt: Nordkorea hat die Vereinbarung
von 1994 mit den USA gebrochen. Diesmal spricht für die Einhaltung,
dass die Vereinbarung mit fünf Staaten getroffen wurde.

Master Of Desater: Warum war China über den
Atomtest verärgert?

Mario Schmidt: China hat Nordkorea öffentlich
aufgefordert, keinen Test zu machen. China stand danach als ziemlich
machtlos dar. Der Einfluss von China auf Nordkorea wird seitdem
bezweifelt.

Martin Fritz: China fürchtet sich vor einem
atomaren Wettrüsten vor seiner Haustür. Wenn Nordkorea
nuklear bewaffnet ist, könnten auch Südkorea, Japan und
Taiwan nach der Bombe greifen. Das wäre ein Alptraum für
Peking.

DennisL: Hinsichtlich der Vergangenheit: Welche
Gründe hat Nordkorea, sich an die Abmachungen der letzten Sechsergespräche
zu halten?

Martin Fritz: Nordkorea ist wirtschaftlich am
Ende und abhängig von Hilfe aus China und Südkorea. Beide
Länder haben deutlich gemacht, dass sie Nordkorea nicht mehr
weiter unterstützen, wenn es auf dem Atomkurs bleibt.

Mario Schmidt: Wenn Nordkorea auch diese Vereinbarung
bricht, gilt das Land endgültig als unglaubwürdig.

jockl: Gilt es inzwischen eigentlich als gesichert,
dass das wirklich ein Atomtest war?

Mario Schmidt: Ja, es war ein Atomtest, aber wohl
nur ein Bömbchen. Vermutlich haben sich die Nordkoreaner einen
größeren Knall versprochen. Es war kurz vor einer Blamage
wie bei der Taepondong 2 – Rakete, die kurz nach dem Start explodierte.

Martin Fritz: Eben weil der Test eigentlich nicht
erfolgreich war, muss man damit rechnen, dass Nordkorea irgendwann
noch mal einen Test machen wird, um der Welt zu beweisen, dass es
tatsächlich Atommacht ist. Diesen Status möchte das Land
auf jeden Fall erringen.

raisingirl: Die ganzen Drohungen Nordkoreas –
alles nur Bluff oder hat Kim Jong Il wirklich soviel Macht?

Mario Schmidt: Ja, ich glaube, er hat nichts zu
befürchten im Land. Das Militär ist auf seiner Seite.
Die Bevölkerung kann sich gegen ihn nicht erheben. Sie ist
komplett überwacht. Nordkorea ist nicht zu vergleichen mit
anderen kommunistischen Staaten. Die Kontrolle durch Geheimdienste
ist unbeschreiblich. Kein Mensch kann seine Stadt zum Beispiel ohne
Erlaubnis verlassen. Für etwa 40 Familien gibt es einen Blockwart,
der täglich Bericht erstattet, was die Leute gemacht haben,
mit wem sie sich getroffen haben. Bei Verdacht werden die Leute
aus der Stadt geschickt oder ins Arbeitslager.

Martin Fritz: Kim Jong Il war sehr clever. Er
hat die Parteidiktatur in eine Militärdiktatur umgewandelt.
Das Militär ist sehr stolz auf seine Bombe. Auch aus diesem
Grund dürfte es schwer für Kim sein, die Bombe am Verhandlungstisch
wieder aufzugeben. Das könnte ihn die Unterstützung des
Militärs kosten.

Moderator: Nochmal zwei Fragen im Block…

basti07: Mein Endruck ist, dass die Gefahr, die
von Nordkorea ausgeht, stark überschätzt wird. Die Armee
ist doch größtenteils marode und auf dem Stand der 50er
Jahre. Könnte es eine Atombombe überhaupt irgendwo hinbringen?
Hat es die Trägersysteme?

hugo: Stimmt es, dass Nordkorea Mittelstreckenraketen
besitzt, die somit die Westküste Amerikas erreichen könnten?

Mario Schmidt: Vermutlich kann Nordkorea die Bomben
noch nicht auf Raketen stecken. Aber vielleicht könnte es eine
Bombe aus dem Flugzeug abwerfen. Von Pjöngjang bis zur Millionenstadt
Seoul sind es nur 300 Kilometer.

Martin Fritz: Die größte Gefahr ist
weniger ein Angriff mit Raketen auf die USA, wobei die bisherigen
Raketen bisher nur den Rand von Alaska oder die Inseln von Hawaii
erreichen können. Die größte Gefahr aus amerikanischer
Sicht ist, dass Nordkorea sein atomares Knowhow an andere Länder
wie den Iran und Syrien verkauft oder sogar Plutonium an Terrorgruppen
verscherbelt. Das ist die rote Linie für Washington, die auf
keinen Fall überschritten werden darf.

Mario Schmidt: Nordkoreas Armee ist total marode,
aber man weiß wenig über den tatsächlichen Zustand,
ein Großteil der Anlagen ist unterirdisch. 50 Kilometer von
Seoul entfernt steht genug Artillerie, um Seoul in Schutt und Asche
zu legen.

joefox842001: Was, meinen Sie, wird die USA machen,
sollte Nordkorea doch ein geheimes Uranprogramm haben? Kann man
davon ausgehen, dass die USA etwas militärisch gegen Nordkorea
unternehmen werden?

Mario Schmidt: Nein, die USA werden nie militärisch
gegen Nordkorea vorgehen. Nordkorea könnte jeden Angriff sofort
vergelten. Es gibt unzählige Kanonen in Grenznähe. Eine
militärische Option gibt es nicht. Da sind sich alle Experten
einig.

Martin Fritz: Man sollte davon ausgehen, dass
Nordkorea mit allen Wasser gewaschen ist und mit allen Finten arbeitet.
Ein geheimes Urananreicherungsprogramm war der Auslöser für
die jetzige Atomkrise, die Amerikaner werden diesen Streit nicht
ohne Grund begonnen haben. Aber Beweise wurden bisher nicht vorgelegt.
Das könnte aber in den nächsten Verhandlungsrunden passieren.

Moderator: Nochmal zwei Fragen…

hugo: Was für ein Interesse hat China an
Nordkorea?

jan2: Ist China nicht mit Abstand Nordkoreas größter
Handelspartner, beziehungsweise hätte die stärkste Sanktionsmacht?

Mario Schmidt: China ist zum einen ein traditioneller
Bruderstaat und hat das Land im Korea-Krieg verteidigt. Zum anderen
hat China große Angst, es könnte eine Wiedervereinigung
mit Süden geben unter südkoreanischer Führung. Aufgrund
des Bündnisses von Südkorea mit den USA hätte China
Amerika dann an seiner Grenze. Das will es überhaupt nicht.

Martin Fritz: China und Nordkorea waren einst
so eng befreundet wie "Lippen und Zähne". Es gibt
weiterhin einen Beistandspakt, der China verpflichtet, bei einem
Angriff auf Nordkorea Pjöngjang beizustehen. In den letzten
Jahren hat es sehr viel Geld in Nordkorea investiert, um die Wirtschaft
anzukurbeln. Damit will man Flüchtlingsströme über
die Grenzflüsse vermeiden. Jenseits der Grenze leben nämlich
zwei Millionen koreanischstämmige Menschen, bei denen die Nordkoreaner
schon seit Jahren oft Zuflucht finden.

nozzy: Würde man Korea zutrauen, sich auf
einen Krieg einzulassen?

Martin Fritz: Die Paranoia in Pjöngjang gegenüber
den USA ist groß. Man darf nicht vergessen, dass Nordkorea
im Korea-Krieg von amerikanischen Bomben systematisch in Schutt
und Asche gelegt wurde. Die heutige Führung hat den Krieg nur
unterirdisch überlebt. Während des Krieges haben die Amerikaner
überlegt, Nordkorea mit Atombomben anzugreifen. Diese Angst
sitzt bis heute sehr tief. Deshalb gibt es kein Vertrauen gegenüber
den USA.

Mario Schmidt: Gute Frage. Wenn das Regime am
Ende ist, ist nicht auszuschließen, dass es wild um sich schießt.
Es ist reine Spekulation. Aber auszuschließen ist es nicht,
dass das Regime andere mit in den Abgrund ziehen würde.

Moderator: Erneut zwei Fragen zusammen…

Zuhörer2: Wird sich mit dem Tod Kim Jong
Ils Grundlegendes ändern?

Hi Dung Gu: Gibt es schon einen Nachfolger für
Kim Jong Il?

Mario Schmidt: Das hängt davon ab, wann er
stirbt. Stirbt er überraschend schnell, ohne einen Nachfolger
ausgewählt zu haben, entsteht ein Machtvakuum. Dann ist alles
möglich. Er hat drei Söhne, einer davon wird wohl sein
Nachfolger. Aber über sie ist so wenig bekannt, dass es reine
Spekulation ist, was nach Kim Jong Il kommen könnte.

Martin Fritz: Die Nachfolge ist bisher ungeklärt.
Kim ließ vor zwei Jahren erklären, sein Vater Kim Il
Sung habe gesagt, sein Sohn und sein Enkel sollten sein Werk vollenden.
Das würde bedeuten, die Dynastie ginge weiter. Aber in Südkorea
gibt es auch Stimmen, die eine erneute Nachfolge innerhalb der Familie
für unmöglich halten. Dafür sei Nordkorea innenpolitisch
nicht stabil genug.

Moderator: Kommen die Söhne von Kim Jong
Il in Frage?

Mario Schmidt: Ja, eigentlich kommen nur die drei
Söhne in Frage. Der älteste Sohn heißt Jong-nam,
er ist eigentlich nicht mehr geeignet, nachdem er 2001 in Japan
festgenommen wurde – er wollte nach Disneyland. Das war sehr peinlich
für Nordkorea… Die besten Karten hat im Moment Chon-chol,
er ist vermutlich 25 Jahre alt. Man weiß wenig über ihn,
aber er hat wohl bereits Regierungsämter. Sollte Kim Jong Il
bald sterben, wäre er jedoch vermutlich zu unerfahren, um sich
gegen Partei und Militär behaupten zu können. Kim Jong
Il sagt, er könne noch lange regieren. In Nordkorea darf die
Nachfolge offiziell nicht thematisiert werden. Absolutes Tabu.

Martin Fritz: Andererseits gilt er als Favorit
seines Vaters. Als Jong-nam geboren wurde, soll Kim nachts mit einem
Autokorso durch Pjöngjang gefahren und ein Hupkonzert veranstaltet
haben. Er scheint seinem Vater ziemlich ähnlich: Übergewichtig,
dem Luxus, dem guten Essen nicht abgeneigt. Die letzten drei Jahre
soll er im chinesischen Glücksspielerparadies Macao in einem
5-Sterne-Hotel gelebt haben.

Moderator: Ein bisschen Klatsch…

DennisL: Wurde der mittlere Sohn nicht letztes
Jahr in Japan beim Besuch eines Eric-Clapton- Konzerts gefilmt?

Mario Schmidt: Das Konzerte war in Europa, ein
japanisches Team hat ihn angeblich mit einer Frau gefilmt.

Martin Fritz: Je weniger man weiß, desto
mehr wird spekuliert.

Hi Dung Gu: Habt ihr schon mal mit Kim Jong Il
gesprochen?

Mario Schmidt: Wir haben ein guten Zugang, aber
das ist unvorstellbar. Wir würden es sehr gerne tun. Fragen
hätten wir reichlich. Diplomaten bekommen ihn zu sehen, können
aber auch nicht mit ihm sprechen. Das nordkoreanische Volk kennt
seine Stimme übrigens auch nicht wirklich. Die Nachrichten
zeigen meist nur Fotos.

Martin Fritz: Kim Jong Il hat nur eine einzige
Pressekonferenz gegeben. Das war für südkoreanische Journalisten
beim innerkoreanischen Gipfel 2000. Aber sonst gilt in Nordkorea:
Journalisten sind die schlimmsten Menschen. Das haben wir bei unseren
Reisen mehrmals gehört. Ein Interview mit ihm ist deshalb so
gut wie unmöglich.

Moderator: Gibt es irgendein logisch nachvollziehbares
Ziel, das Diktator Kim Jong Il abseits des eigenen Überlebens
verfolgt?

Mario Schmidt: Nein, er will überleben, darum
geht es. Sein Problem ist doch: Sollte sich das Land auch nur ansatzweise
öffnen, könnte die Bevölkerung Vergleiche ziehen.
Die Menschen würden sehen, wie schlecht es ihnen im Vergleich
mit anderen Ländern geht. Sie würden sehen, dass sie betrogen
werden, dass Südkoreaner nicht mehr in Hütten wohnen,
sondern wohlhabend sind. Davor hat er Angst, denn irgendwann würde
die Bevölkerung fragen, warum es anderen so gut geht. Und sie
würden sehen, dass Amerika nicht an allem Schuld ist.

Martin Fritz: Es gab angeblich mal eine Überlegung
der europäischen Botschafter in Pjöngjang, Kim Jong Il
ein Auslandsexil anzubieten. Man kam angeblich auf folgende Idee:
Eine Villa am Schwarzen Meer mit vielen Frauen, viel Wein und vielen
Hollywood-Filmen. Auf jeden Fall heißt es, Kim habe Angst
davor, so zu enden wie Ceaucescu in Rumänien, nämlich
vom eigenen Geheimdienst hingerichtet zu werden.

*raisingirl: Wie groß ist die Distanz zwischen
dem Luxusleben des "geliebten Führers" und den Menschen
auf der Straße?

Mario Schmidt: Ein Problem. Niemand kann ganz
genau sagen, wie üppig der "geliebte Führer"
lebt. Kein ausländischer Beobachter war je in seinen Palästen.
Es gibt einzelne Stimmen, denen man glauben kann oder nicht. Ich
habe mal Kim Jong Ils ehemaligen Privatkoch kennen gelernt. Demnach
lebt er tatsächlich ein wunderbares Leben. Auf der Höhe
der Hungersnot in den 90er Jahren hat er sich Fisch einfliegen lassen,
während die Bevölkerung gestorben ist.

Martin Fritz: Der Abstand ist unvorstellbar groß.
Kim soll in den achtziger und neunziger Jahren der beste Kunde einer
großen französischen Cognacbrennerei gewesen sein. Bei
seiner Zugreise nach Moskau vor einigen Jahren ließ er sich
Hummer aus Europa einfliegen. Dagegen leben viele Menschen vor allem
in den abgelegeneren Gebieten bis heute von Grassuppe. Diese Menschen
gehören in der nordkoreanischen Einteilung oft zu den Gruppen,
die als nicht wichtig für das Regime eingestuft werden und
deshalb bei Arbeit und Essensverteilung gezielt benachteiligt werden.

Moderator: Hier kommen drei Fragen zum gleichen
Thema…

kerstin: Wieso gibt es keinerlei Putschversuche?
Werden zum Beispiel die Eliten auch so strikt überwacht? Oder
gibt es keine bzw. sind sie zufrieden?

mdms: Gibt es eigentlich in irgendeiner Form eine
Opposition in Nordkorea?

nikolaus12: Gibt es eigentlich eine Opposition
in Nordkorea?

Martin Fritz: Revolutionen sind in der Geschichte
fast immer von Mittelschichten ausgelöst worden, also Gruppen,
die bereits etwas hatten und Angst hatten, diesen Besitz zu verlieren.
Diese Gruppe ist in Nordkorea offenbar noch vergleichsweise klein.
Allerdings gab es letztes Jahr Gerüchte, dass es erstmals zu
einer Protestdemonstration gekommen sein soll. Die Demonstranten
waren Händler, die davon leben, dass sie in andere Gebiete
fahren, Waren einkaufen und auf Märkten verkaufen. Diese Gruppe
ist während der letzten Jahre ziemlich reich geworden und auch
zahlenmäßig gewachsen. Von ihr könnte eine Gefahr
ausgehen. Vermutlich deswegen versucht das Regime neuerdings, die
Märkte stärker zu regulieren. Reis wird zum Beispiel seit
dem Herbst wieder vom Staat verteilt.

Mario Schmidt: Vergleich DDR: Dort konnte man
sich treffen, in Kneipen, Kirchen, wo auch immer. In Nordkorea würde
schon der Ansatz einer Versammlung Gleichgesinnter scheitern. Die
Überwachung ist unvorstellbar. Man kann nicht einfach am Wochenende
eine Nachbarstadt besuchen. Wenn man Besuch bekommt, wird das vom
Geheimdienst registriert. Die Menschen verschwinden so schnell samt
Familien in Arbeitslagern, so schnell kann man gar nicht gucken.
Die Opposition sitzt im Ausland. Flüchtlinge. Es gibt Internetseiten
und Radiosender. Jedes kritische Wort ist lebensgefährlich.

raschputin: Konnten Sie erleben, wie der Alltag
eines typischen Nordkoreaners aussieht?

Mario Schmidt: Ja und nein. Die Leute, die uns
präsentiert werden, wurden vorher ausgewählt, aber wir
konnten bei unserem letzten Besuch erstmals Wohnungen besuchen.
Darin konnte man leben. Aber wir wissen, dass es vielen wesentlich
schlechter geht.

Martin Fritz: Bei Interviews bekommen wir häufig
vorgestanzte politische Formeln zu hören. Das liegt daran,
dass der Nordkoreaner ein Drittel des Tages mit ideologischer Schulung
und Kontrolle verbringt. Wir wissen deshalb gar nicht, was die Menschen
wirklich denken. Das werden wir wohl erst dann erfahren, wenn sie
keine Angst mehr zu haben brauchen, ihre Meinung frei zu äußern.

Moderator: Stimmt es, dass die Nordkoreaner sich
durch Reisen nach China inzwischen ein sehr viel besseres Bild von
ihrem eigenen Land machen können?

Mario Schmidt: Ja, auf jeden Fall, aber das betrifft
nur die Elite. Es gibt Gegenden in Nordkorea, die sind so abgeschottet,
dass sie überhaupt keine Ahnung vom Rest der Welt haben. Wir
reden von Millionen von Menschen. In der Grenzregion zu China ist
es anders. Dort haben einige sogar Handys aus China und können
heimlich mit Südkorea telefonieren. Diese Leute wissen, wie
es im Rest der Welt aussieht.

Martin Fritz: In letzter Zeit ist der Strom der
Flüchtlinge über die Grenze stark zurückgegangen.
Die Grenze wird viel stärker kontrolliert als früher.
Viele Informationen sickerten eine Zeitlang über das nordkoreanische
Mobiltelefonnetz ins Netz. Als die Führung merkte, dass die
Zahl der Handys explosionsartig anwuchs, hieß es plötzlich,
das Netz müsse repariert werden. Alle mussten ihre Handys abgeben.
Seitdem dürfen nur noch ganz ausgewählte Nordkoreaner
und Ausländer mobil telefonieren.

kts: Wäre Südkorea eine Wiedervereinigung
überhaupt recht in Anbetracht der gesellschaftlichen und nicht
zuletzt der wirtschaftlichen Lage?

Martin Fritz: Südkoreas Präsident Roh
hat mir selbst in einem Interview gesagt, die deutsche Wiedervereinigung
sei für ihn ein abschreckendes Beispiel. Das Problem: Das Verhältnis
Südkorea zu Nordkorea bei der Bevölkerung ist zwei zu
eins, bei Deutschland war es West zu Ost vier zu eins. Wirtschaftlich
gesehen ist der Abstand Süd- zu Nordkorea 20 zu eins. Eine
Wiedervereinigung wäre deshalb für Südkorea viel
zu teuer. Man schiebt sie so weit wie möglich in die Zukunft
und will Nordkorea bis dahin wirtschaftlich hoch päppeln.

Mario Schmidt: Südkorea hat panische Angst
vor der Wiedervereinigung. Wir kennen die deutschen Probleme. Aber
zu den wirtschaftlichen Problemen kommen noch andere: Die Sprachen
haben sich unterschiedlich entwickelt. Mir hat ein Flüchtling
gesagt, sie wusste nicht, was ein Parfum ist. Die Nordkoreaner sind
durch Jahrzehnte ideologischer Schulung gegangen. Wie will man die
Menschen in eine moderne Wirtschaft und Gesellschaft eingliedern?
Das kann Jahre dauern.

Moderator: Gibt es, was die Wiedervereinigungsfrage
angeht, unter den südkoreanischen Parteien ähnliche Kontroversen
wie einst in der Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung?

Mario Schmidt: Es gibt die offizielle Version:
Pro Wiedervereinigung, wir sind ein Volk. Aber die inoffizielle
lautet anders: Bitte Nordkorea, brich nicht zusammen, zumindest
nicht so schnell.

Martin Fritz: Südkorea ist
politisch zweigeteilt: Die Generationen über 40 haben noch
Gefühle für den Norden, oft auch verwandtschaftliche Beziehungen.
Die jungen Leute unter 40 sehen Nordkorea als fernes Land und wollen
ihr gutes Leben nicht durch die Wirtschaftsprobleme nach einer Wiedervereinigung
verlieren.

kts: Wie würde das Regime reagieren, wüsste
es von diesem Chat und Ihren Aussagen? Würde das Ihre Beziehungen
beschädigen oder gar eine Gefahr für Sie darstellen?

Mario Schmidt: Wir hatten bislang
keine Probleme, trotz äußerst kritischer Berichterstattung.
Wenn wir aus dem Land berichten, versuchen wir auch den normalen
Alltag der Menschen zu zeigen. Was sind ihre Sorgen, ihre Freuden?
Aber natürlich leben wir immer mit dem Risiko, dass ein falscher
Satz an der falschen Stelle uns zum Verhängnis wird. Das heißt,
wir bekommen kein Visum mehr.

Martin Fritz: Wir bekommen zwar anders als viele
oft ein Visum, aber wir mussten uns dafür nicht verbiegen.
Bis jetzt haben wir immer gesagt, was wir sagen wollten und dabei
wird es auch bleiben, selbst wenn wir keine Einreisegenehmigung
mehr bekommen.

Anni: Kim Jong Il wird ja heute offiziell 65.
Ich habe aber gehört, dass er eigentlich schon ein Jahr älter
sein soll. Warum verschweigt er sein wahres Geburtsdatum?

Martin Fritz: Nach offizieller Geschichtsschreibung
ist er am 16. Februar 1942 geboren. Angeblich in einem Dorf am Fuß
des heiligen koreanischen Berges Paekdu. Dabei soll ein Stern über
dem Berg aufgegangen sein, eine Parallele zum Neuen Testament und
Jesu Geburt. Russische Historiker haben aber nachgewiesen, dass
Kim Jong Il in einem Lager der nordkoreanischen Kommunisten in der
Sowjetunion zur Welt gekommen ist. Das passt natürlich nicht
zur offiziellen Hagiographie.

Mario Schmidt: Auf jeden Fall wird heute groß
gefeiert. Was die Menschen wirklich von ihrem "lieben Führer"
halten, wir wissen es nicht. Eine der großen Fragen.

Moderator: Unser Chat ist um, vielen Dank für
Ihr Interesse und die zahlreichen Fragen – auch wenn manche unbeantwortet
geblieben sind. Herzlichen Dank, Herr Schmidt und Herr Fritz, dass
Sie sich für den Chat Zeit genommen haben. Das Transkript dieses
Chats finden Sie auf den Seiten der Veranstalter. Nächster
Chatgast wird Oskar Lafontaine, Fraktionschef der Linkspartei, am
28. Februar von 13 bis 14 Uhr sein. tagesschau.de wünscht allen
Beteiligten noch einen schönen Tag. Herr Fritz und Herr Schmidt,
Ihnen gehört das letzte Wort.

remember: Danke für den schönen und
informativen Chat!

Martin Fritz: Nordkorea ist weit weg und schwer
zu verstehen. Wir hoffen, wir konnten ein bisschen zum Verständnis
beitragen.

Mario Schmidt: Es ist schwer, über Nordkorea
zu berichten. Aber dort leben viele Menschen, die ein Interesse
an anderen Ländern haben. Ich hoffe sehr, dass es eine Öffnung
in irgendeiner Form geben wird. Auf jeden Fall freue ich mich sehr
über das große Interesse an dem Land.