Am 2. Juli 2007 war Dirk Niebel, Generalsekretär
der FDP, zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de.
Er
wünscht sich eine stabile Zweierkoalition, hält Die Linke
für eine Gefahr und will das Klima mithilfe der Kernenergie
schützen.

Moderatorin: Herzlich willkommen
im tagesschau-Chat. Heute ist FDP-Generalsekretär Dirk Niebel
zu uns ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Bundeshaushalt, Koalitionsfrage,
Mindestlohn: Wie immer ist der Chat offen für Fragen zu allen
Themen, die unsere User interessieren. Herr Niebel, ich begrüße
Sie, können wir beginnen?

Dirk Niebel: Gerne, hallo.

Merle: Auch wenn es eine Steilvorlage ist: Wo sind
Ihrer Meinung nach die größten Schwachpunkte der Großen
Koalition?

Dirk Niebel: Oh, wie lange haben wir Zeit? 😉
Diese so genannte Große Koalition sollte eigentlich ihre großen
Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat dazu nutzen, die Probleme
der Menschen zu lösen. Stattdessen verliert sie sich in kleinlichem
Gezänk und weicht auf Nebenthemen aus.

Dirk Niebel
Dirk Niebel, Generalsekretär der FDP

NRWler: Die Arbeitslosenzahlen fallen, anscheinend
gibt es einen Wirtschaftsaufschwung – irgendwas muss die große
Koalition also richtig gemacht haben, oder?

Dirk Niebel: Dass die Arbeitslosenzahlen fallen,
ist gut, und dass die Wirtschaft wächst, ist auch gut. Wenn
man aber weiß, dass die Weltwirtschaft seit fünf Jahren
brummt, ist es doch ziemlich spät gewesen, dass der Aufschwung
uns erreicht hat. Sich jetzt auszuruhen und zu meinen, alles würde
von selbst gut werden oder bleiben, wäre ein großer Fehler.
Gerade jetzt müsste diese Regierung die Weichen für die
notwendigen Veränderungen stellen, die es uns ermöglichen,
auch in einer zu befürchtenden Konjunkturflaute, die irgendwann
kommen wird, erfolgreich zu bleiben.

Neutronenhülse: Wie lange geben Sie der großen
Koalition noch?

Dirk Niebel: Ich befürchte, die halten durch
bis zum bitteren Ende. Ähnlich wie die beiden Boxer in der
letzten Runde, die sich stützen, weil sie alleine nicht mehr
auf den Beinen stehen können. Wenn es schneller rum wäre,
umso besser.

Thomas51: Wer wäre Ihr Koalitionstraumpartner,
falls es zu Neuwahlen kommt?

Dirk Niebel: Unsere Koalitionspartner sind die
Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen so stark werden wie
irgend möglich. Unser Ziel bei Neuwahlen wäre eine stabile
Zweierkonstellation.

Moderatorin: Man hat aber schon
den Eindruck, die FDP ist in der Koalitionsfrage auf die Union fixiert.
Die schaut sich aber auch woanders um, zum Beispiel bei den Grünen.
Steigt in Ihren Reihen langsam Panik hoch?

Dirk Niebel: Wenn Herr Schäuble meint, dass
er, weil die Grünen mit Herrn Schily schon einschlägige
Erfahrungen haben, die Bürgerrechte mit den Grünen noch
weiter einschränken kann, muss er diesen Weg wohl gehen. Wir
wollen eine bessere Regierung für Deutschland. Dafür braucht
man eine starke FDP.

werwiewas: Was ist denn Ihre Meinung zu einem Bündnis
von SPD und Linkspartei?

Dirk Niebel: Was Herr Wowereit seit sechs Jahren
in Berlin praktiziert und gerade dieses Wochenende als Modell für
Deutschland erklärt hat, ist eine große Gefahr für
unser System. Was in über 80 Jahren in mehr als 70 Ländern
der Welt mit mehr als 20 Milliarden Probanden immer wieder zu den
gleichen Ergebnissen geführt hat, nämlich den Bankrott
des Staates und dem Ruf der Menschen nach Freiheit, ist für
eine deutsche Regierung nicht zukunftsfähig.

smarty: Gibt es eine strukturelle linke Mehrheit
in Deutschland und wenn ja, welche Funktion hat dann die FDP?

Dirk Niebel: Es gibt keine strukturelle linke Mehrheit
in Deutschland. Aber es ist richtig, dass bei abnehmender Wahlbeteiligung
der Grad der Mobilisierung der eigenen Wählerschaft wahlentscheidender
wird als in der Vergangenheit. Die Aufgabe der FDP ist, deutlich
zu machen, dass die Alternative zu einer bürgerlich liberalen
Gesellschaft etwas ist, was 17 Millionen Menschen in diesem Land
bereits leidvoll kennengelernt haben.

bn998: Herr Niebel, Sie haben auf die Frage der
Moderatorin hinsichtlich der Panik um die Ämter nicht beantwortet!

Dirk Niebel: Überhaupt keine Panik, keine
Sekunde lang. Im Gegenteil: Schwarz-grüne Überlegungen
führen eher zu einer Stärkung der Wählerschaft der
FDP.

Moderatorin: Zur aktuellen Innenpolitik:

frink75: Wie positioniert sich die FDP bei den
aktuellen Vorschlägen aus der großen Koalition zu Investivlöhnen
auf der einen und Deutschlandfonds auf der anderen Seite?

Dirk Niebel: Wir waren immer der Ansicht, dass
Mitarbeiterbeteiligung positiv zu bewerten ist. Allerdings ist der
so genannte Deutschlandfond der SPD eine absolute Luftnummer. Wer
in Fonds investieren möchte, kann das schon heute am Finanzmarkt,
ohne, dass ein womöglich von Gewerkschaftsfunktionären
verwaltetes Bürokratiemonster gebildet werden muss. Die Schaffung
einer neuen Steuersubvention durch die Union ist auch nicht hilfreich.
Vernünftig ist es, Arbeitnehmer am Erfolg des Betriebes zu
beteiligen, ohne den Betrieb für die Zukunft zu belasten. Das
bedeutet: Erfolgsabhängige Lohnkomponenten, die auch zum Teil
im eigenen Betrieb investiert werden, fördern die Bindung der
Arbeitnehmer an das Unternehmen, verbessern die Eigenkapitalquote
des Betriebes, ohne, wie zum Beispiel Tariflohnerhöhungen,
die auch in wirtschaftlich schlechten Jahren mitgetragen werden
müssen, Arbeitsplätze zu gefährden.

Redondo: Was halten Sie von der Mindestlohndebatte,
beziehungsweise einem Mindestlohn?

Dirk Niebel: Mindestlöhne sind maximaler Unsinn.
Sind sie zu niedrig, wirken sie nicht. Sind sie zu hoch, vernichten
sie Arbeitsplätze in der legalen Wirtschaft. Richtig wäre,
über Mindesteinkünfte zu diskutieren, wie die FDP das
mit ihrem Bürgergeldsystem, also einem Steuer- und Transfersystem
aus einem Guss, seit vielen Jahren tut.

Moderatorin: Kein Mindestlohn, sondern Bürgergeld,
in dem alle sozialen Hilfen des Staates zusammengefasst sind. Was
macht da den großen Unterschied?

Dirk Niebel: Der entscheidende Unterschied ist,
dass Menschen in die Lage versetzt werden, durch ihre eigene Arbeit
ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn produktivitätsorientierte
Löhne gezahlt werden, haben gerade Geringqualifizierte bessere
Chancen, wieder einsteigen zu können. Wenn diese Löhne
zu einem vernünftigen Leben nicht ausreichen, soll es aus den
ohnehin vorhandenen steuerfinanzierten Sozialleistungen einen direkten
Steuerzuschuss für den Arbeitnehmer geben. Das erhöht
den Anreiz zur Arbeitsaufnahme und verringert Mitnahmeeffekte, wie
sie bei anderen Modellen, wie zum Beispiel beim Kombilohn, garantiert
stattfinden würden.

jungundfrei: Stichwort Arbeitslosigkeit: Ist es
Ihrer Meinung nach ein realistisches Ziel, die Zahl der Arbeitslosen
auf unter eine Million Menschen zu drücken?

Dirk Niebel: Das politische Ziel muss nach wie
vor Vollbeschäftigung sein. Die Frage der Realisierbarkeit
beantwortet sich durch die Stellung der Rahmenbedingungen. Hier
werfe ich dieser Bundesregierung Arbeitsverweigerung vor – siehe
oben.

ass: Wo sind Ihrer Meinung nach die Milliardenüberschüsse
der Bundesanstalt für Arbeit am besten aufgehoben?

Dirk Niebel: Bei den Beitragszahlern. Alles, was
die Bundesagentur zuviel an Geld hat, hat sie Arbeitnehmern und
Arbeitgebern vorher zuviel weggenommen. Die Möglichkeit, die
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, besteht schon
seit Anfang des Jahres. Bei einem Beitragssatz von 3,5 Prozent hätten
Arbeitnehmer mehr vom selbstverdienten Geld übrig und Arbeitgeber
könnten leichter einstellen, wenn es weniger kostet.

jungundfrei: Stichwort Sozialstaat: Wo sehen Sie
noch Änderungsbedarf?

Dirk Niebel: Die sozialen Sicherungssysteme müssen
generationengerecht und zukunftssicher gestaltet werden. Das bedeutet
bei der Pflegeversicherung einen gleitenden Einstieg hin zur Kapitaldeckung,
bei der Rentenversicherung neben einer Stärkung der privaten
Altersvorsorge einen flexiblen Renteneintritt bei Wegfall aller
Hinzuverdienstgrenzen als Alternative zum starren Renteneintrittsalter.
Bei der gesetzlichen Krankenversicherung brauchen wir einen dritten
Weg zwischen Bürgerzwangsversicherung und Kopfpauschale. Unser
Privatmodell sichert eine gute Gesundheitsversorgung zu bezahlbaren
Preisen in der Zukunft. Last but not least muss die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und die Stärkung des Bildungssystems
insbesondere auch im frühkindlichen Bereich eine Daueraufgabe
der Politik bleiben.

Moderatorin: Hier kommt ein Kompliment:

montagsmaler: Ich finde es sehr gut, dass Sie in
letzter Zeit auch die soziale Komponente stärker betonen. Viele
Freunde, die vorher stark FDP-skeptisch waren, sehen das ebenso.
Werden Sie es schaffen, auch diesen Flügel stärker zu
betonen – so wie in den letzten Monaten?

Dirk Niebel: Die sozialpolitische Ausrichtung der
FDP hat immer den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Auch unsere
Vorschläge in der Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik dienen
letztlich der Verbesserung der Lebenssituation der einzelnen Bürgerinnen
und Bürger. Dass dieser ganzheitliche Ansatz jetzt deutlicher
wahrgenommen wird, freut mich.

S.Hennecke: Also Vollbeschäftigung ist aus
volkswirtschaftlicher Sicht sicher Unsinn, aber wie wollen Sie konkret
das Ausbildungsniveau in Deutschland erhöhen (Stichwort Autonomie
von Bildungseinrichtungen)?

Dirk Niebel: Die Stärkung autonomer Bildungseinrichtungen
ist eine langjährige Forderung der Liberalen. Das beginnt mit
Wahlfreiheit im vorschulischen Bereich (Stichwort Betreuungsgutscheine),
Wahlfreiheit im schulischen Bereich (Wegfall der Schulamtsbezirke)
und Autonomie der Hochschulen. Dazu gehört im Bereich der beruflichen
Bildung die deutlich verbesserte Durchlässigkeit der Bildungsgänge,
aber auch eine weit größere Modularisierung der Ausbildungsberufe.

Fiwi_Bochum: Ich arbeite als wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. Seit einem Semester
zahlen unsere Studierenden Studiengebühren. Leider dürfen
die Gelder nicht für zusätzliche Mitarbeiter, Professoren
oder technische Ausstattung verwendet werden, sondern im Wesentlichen
nur für Tutorien und Bibliotheken. Leider verlieren die Gebühren
damit jeglichen Sinn, denn die Lehre wird nicht verbessert. Wie
konnte es zu dieser Fehlsteuerung kommen?

Dirk Niebel: Studienentgelte, die etwas anderes
sind als Gebühren, geben den Studierenden Nachfragemacht und
verbessern die Kapitalausstattung der Bildungseinrichtung. Die Details
der NRW-Hochschulfinanzierung sind mir nicht bekannt, ich weiß
aber, dass das Hochschulfreiheitsgesetz von Nordrhein-Westfalen
in der Fachwelt als Meilenstein für eine verbesserte Autonomie
der Bildungseinrichtungen angesehen wird. Der Einstieg in Studienentgelte,
die der Bildungseinrichtung unmittelbar zugute kommen, also nicht
an klebrigen Fingern von Länderfinanzministern hängen
bleiben, war überfällig und wird mittelfristig zu deutlich
verbesserten Angeboten für die Studierenden führen.

Moderatorin: Zwei Fragen zur Schulpolitik:

kanone: Stichwort Bildung: Wie stehen Sie zu der
frühen Selektion von Schulkindern im deutschen Bildungssystem?

mitvielenfragen: Wie steht die FDP zu der Zusammenlegung
von Haupt- und Realschulen in einzelnen Bundesländern – halten
Sie dies für den richtigen Weg?

Dirk Niebel: Die Schulpolitik ist in der Kompetenz
der jeweiligen Bundesländer und auch die Qualität der
jeweiligen Schulen variiert von Land zu Land sehr stark. In meinem
Bundesland Baden-Württemberg sehen wir bereits den Kindergarten
nicht nur als Betreuungsstätte sondern als Bildungsstätte
an. Die Stärkung der frühkindlichen Bildung hat bei uns
schon deshalb einen hohen Stellenwert, weil die Startchancen der
Kinder dadurch verbessert werden. In Baden-Württemberg haben
wir uns gerade jetzt für eine Stärkung der Hauptschule
im dreigliedrigen Schulsystem entschieden, weil wir der Ansicht
sind, dass sie breiten Bevölkerungsschichten mehr Grundlagenbildung
mitgeben muss, als das in der Vergangenheit oftmals der Fall war.

Moderatorin: Themenwechsel:

Mehdorn: Wie stehen Sie angesichts der Streiks
zum Thema Bahn-Börsengang?

Dirk Niebel: Ich bin nach wie vor für den
Börsengang der Bahn, allerdings bin ich auch nach wie vor für
die Trennung von Netz und Betrieb. Die Zurverfügungstellung
des Bahnnetzes soll eine staatliche Aufgabe bleiben, allerdings
muss jeder, der Züge fahren lassen kann, dann auch einen gleichen,
diskriminierungsfreien Zugang bekommen. Nur so wird der Wettbewerb
auf der Schiene sich zum Besten für den Verbraucher entwickeln
können.

Moderatorin: Haben Sie keine Angst vor Qualitätsverlust?

Dirk Niebel: Das Gegenteil ist der Fall. Wie sie
schon heute feststellen können, sind Qualität und Service
privater Anbieter auf den von der Deutschen Bahn AG aufgegebenen
Strecken um ein vielfaches höher, als bei der Staatsbahn.

wiwi: Mit Bezug auf Ihre Antwort zum Bahn-Börsengang:
Wäre das Halten der Netze in staatlicher Hand nach ihrer Ansicht
auch eine Lösung für Strom und Telefonnetze?

Dirk Niebel: Nein, weil hier der Wettbewerb insbesondere
bei der Telekommunikation dazu geführt hat, dass sich, im Gegensatz
zum Monopolanbieter Bahn, die besten technologischen Entwicklungen
durchsetzen konnten.

ole: Bahn bedeutet Mobilität für alle,
ist auch am umweltverträglichsten. Glauben Sie, dass dies das
Ziel eines international agierenden Logistikkonzerns sein würde?
Haben wir es hier nicht eher mit einer hoheitlichen Aufgabe zu tun?

Dirk Niebel: Hoheitliche Aufgaben sind innere und
äußere Sicherheit, Justiz und Finanzverwaltung. Als Aufgabe
der Daseinsvorsorge kann das Vorhalten des Bahnnetzes durch den
Staat die Voraussetzung für diskriminierungsfreien Zugang jedes
geeigneten Betreibers sein. Es ist nicht Aufgabe des Staates, internationale
Logistikbetriebe zu unterhalten. Die Expansion der Deutschen Bahn
AG in diesen Bereich unterstreicht nochmal die Notwendigkeit der
Privatisierung.

Moderatorin: Zu einer hoheitlichen Aufgabe – Sicherheit:

Andreas25: Nach den jüngsten Terrorakten in
London und Glasgow und den Gerüchten über mögliche
Anschläge der Taliban in Deutschland dürfte die Sicherheitslage
sehr angespannt sein. Wie steht die FDP zu Einsätzen der Bundeswehr
im Inneren? Sollte die Bundeswehr nicht auch zur Sicherung öffentlicher
Plätze und Gebäude eingesetzt werden?

Dirk Niebel: Die Trennung von innerer und äußerer
Sicherheit ist nicht nur historisch sondern auch praktisch zu begründen.
Soldaten sind keine Hilfspolizisten und wenn Planstellen bei der
Polizei nicht besetzt werden, müssen die Innenminister sich
das vorhalten lassen, dürfen aber nicht nach dem Militär
schreien. Notwendig ist es, bürgerliche Freiheitsrechte und
den berechtigten Wunsch nach Sicherheit mit Augenmaß abzuwägen.
Selbst in totalitären Staaten gibt es keine absolute Sicherheit.
Es gibt aber auch keine Freiheit ohne Sicherheit, so dass der Abwägungsprozess
das politisch Entscheidende ist.

marc lichtenberg: Herr Niebel, Bundestrojaner hin
oder her – Herr Schäuble will den Beweis für die Unschuld
von dem einzelnen Bürger, anstatt der Beweispflicht des Staates.
Wie geht das mit der FDP zusammen?

Dirk Niebel: Überhaupt nicht. Die Unschuldsvermutung
in der Strafprozessordnung ist ein Fundament unserer Rechtsordnung.
Beim öffentlich-rechtlichen Wurm, also dem Ausspähen von
privaten Computern, wird die Terrorismusbekämpfung bestimmt
nicht gestärkt. Erstens würden Terroristen jeden Computer
wahrscheinlich nur einmal benutzen, zweitens müsste die Software
dem Staat einen Zugang offen halten, der innerhalb kürzester
Zeit auch jedem zweitklassigen Hacker bekannt wäre. Betroffen
wären wieder mal die ganz normalen Bürger, die gegenüber
dem Staat auch ein Recht auf Privatheit haben. Deswegen lehnen wir
Online-Durchsuchungen kategorisch ab.

Hauptgefreiter: Sie sind doch auch Soldat gewesen:
Was würde die FDP in Sachen Bundeswehr anders machen?

Dirk Niebel: Seit vielen Jahren sind wir der Ansicht,
dass die Bundeswehr zu einer freiwilligen Armee umgebaut werden
muss. Die Wehrform richtet sich nach der außenpolitischen
Bedrohungslage und den verteidigungspolitischen Notwendigkeiten.
Beides hat sich seit dem Kalten Krieg deutlich geändert. Darüber
hinaus ist die Dienstgerechtigkeit nicht gegeben, wenn nur gut ein
Drittel eines Jahrgangs zu irgendeinem Zwangsdienst herangezogen
wird. Die Bundeswehr muss als Freiwilligenarmee für die aktuellen
sicherheitspolitischen Fragestellungen ausgerüstet und ausgebildet
werden, um mit weniger Soldaten als heute eine höhere Einsatzfähigkeit
als heute zu erhalten.

Moderatorin: Da sind wir beim Haushalt. Der FDP-Haushaltsexperte
Otto Fricke schlägt vor, bei der Bundeswehr zu sparen. Geben
Sie ihm Recht?

Dirk Niebel: Eine Freiwilligenarmee, wie wir sie
fordern, würde nicht billiger, aber effizienter werden. Durch
die damit einhergehende Strukturveränderung würde es auch
Auswirkungen auf die Truppenverwaltung und die Ausstattung der Streitkräfte
geben. Mit einer Konzentration auf die Kernaufgaben einer Armee
und der weiteren Nachfrage nicht-militärspezifischer Aufgaben
bei privaten Anbietern kann die Kostenstruktur der Streitkräfte
deutlich verbessert werden.

Moderatorin: Noch ein weiteres aktuelles Thema:

joe333: Stichwort Energiepolitik. Nach den aktuellen
Atomkraftwerk-Störfällen in Krümmel und Brunsbüttel
stellt sich wieder mal die Ausstiegsfrage. Wie sehen Sie die künftige
Energiepolitik?

Dirk Niebel: Die Tatsache, dass von interessierten
Kreisen der Brand eines Transformatorhäuschens zu einem kerntechnischen
Störfall umgedeutet wird, ist geradezu putzig. Wenn Umweltminister
Trittin auch nur einen einzigen Anhaltspunkt für irgendeinen
Sicherheitsmangel bei einem Kernkraftwerk gefunden hätte, wäre
dies garantiert sofort abgestellt worden. Übrigens zu recht.
Wir brauchen für die Zukunft einen vernünftigen Energiemix,
wobei die Kerntechnologie als Übergangstechnologie nicht nur
aus wirtschaftlichen sondern vor allem aus umweltpolitischen Erwägungen
dazugehört. Klimaschutz ohne Kerntechnologie wird zumindest
für einen Übergangszeitraum schwer zu realisieren sein.
Energieeffizienz, Forschung in bessere Speichertechnologien zur
Erhöhung der Grundlastfähigkeit regenerativer Energien
und die Energieforschung müssen Hand in Hand gehen.

Moderatorin: Wir kommen schon langsam zum Ende.
Es gibt auch Interesse an Partei-Interna:

montagsmaler: Warum beschränken Sie sich bei
der Außendarstellung nur auf den Generalsekretär und
Herrn Westerwelle – andere Parteien, auch kleine, zeigen mehr Experten
vor oder tun zumindest so, als ob sie das könnten.

Dirk Niebel: Wir beschränken uns in keiner
Weise. Wir haben viele hervorragende Experten für alle Politikfelder
und versuchen bei Medienanfragen diese auch möglichst zu positionieren.
Leider ist es oftmals so, dass Anfragen zum Beispiel an den Vorsitzenden
gehen und wenn dieser jemand anderen anbietet, der mindestens genauso
gut und vielleicht mit noch mehr Detailkenntnis bei Fachfragen zur
Verfügung stehen würde, lautet die Antwort oft "Den
kennt ja keiner." Wie aber soll denn derjenige bekannt werden,
wenn viele Medienvertreter vielleicht auch wegen der Quote lieber
auf die bekannten Gesichter zurückgreifen?

Moderatorin: Das lassen wir jetzt mal so stehen.
Aber eine weitere Frage: Die FDP muss sich derzeit von vielen Seiten
einen Vorwurf gefallen lassen. Der lautet: "Geschlossen wie
nie, aber langweilig." Tödliche Gefahr für eine Partei,
oder?

Dirk Niebel: Ich glaube, die Beurteilung der Medienvertreter
und der Bevölkerung geht hier weit auseinander. Die Medien
lieben den Streit, die Menschen die Geschlossenheit.

Moderatorin: Das soll das Schlusswort sein. 60
Minuten tagesschau-Chat sind vorüber. Einmal mehr bitten wir
um Nachsicht, dass wir nicht alle Fragen unserer User stellen konnten.
Vielen Dank für Ihr Interesse. Auch herzlichen Dank an Sie,
Herr Niebel, dass Sie heute Zeit für uns hatten. Das Chat-Protokoll
finden Sie in Kürze auf tagesschau.de und politik-digital.de.

Dirk Niebel: Danke schön. Einen ergebnisorientierten
Arbeitstag wünsche ich noch.