Jeanette Hofmann
Die Expertin für
die Zukunft des Internets und Mitglied der deutschen Regierungsdelegation
beim UNO-Weltgipfel, Jeanette Hofman ist

am 11. Dezember 2003 zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de
und politik-digital.de.

Moderator:
Herzlich willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist
ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de. Heute begrüßen
wir live vom Paexpo Gelände in Genf die Wissenschaftlerin Jeanette
Hofmann. Sie ist Mitglied der Regierungsdelegation auf diesem einzigen
großen UN-Gipfel in diesem Jahr und wurde von den zivilgesellschaftlichen
Gruppen nominiert. Es sieht so aus, als ob im Gewimmel von mehreren Tausend
Menschen ein Computerplatz erkämpft werden konnte. Jeanette, bist
Du bereit für den 60-Minuten-Chat mit unseren Usern?

Jeanette Hofmann:
ja

Moderator:
Dann machen wir tacheles. Hier die erste Frage:

J. Knaak:
Könnten Sie die wichtigsten (vielleicht) drei Ziele des WSIS in wenigen
Worten benennen und darüber sprechen, ob diese durch den Gipfel erreicht
werden oder bereits wurden?

Jeanette Hofmann:
Das erste Ziel besteht in der Verbindung von Informationsgesellschaft
und der Verwirklichung der Menschenrechte – weltweit. Das zweite
Ziel besteht aus meiner Sicht in der Erhaltung der public domain, sprich:
der freien Zugänglichkeit von Wissen und Kulturgütern. Ein drittes
Ziel besteht in dem Erhalt eines freien Internet. Natürlich gibt
es noch viel mehr Ziele, die ich aber jetzt nicht alle einzeln aufführe.

Herbert_Kr:
Frau Hofmann, was erwarten sie von dem Gipfel?

Jeanette Hofmann:
Unter anderem, dass Informations- oder Wissensgesellschaft als eine gesellschaftliche
gestaltbare Entwicklung verstanden wird.

Sebastian
W. Lahn
: Halten Sie einen Gipfel dieser Größenordnung
für angemessen und für sinnvoll (im Sinne von Lösungen
und Ergebnissen) in bezug auf den Themenkomplex "Informationsgesellschaft".
Der Begriff umfasst doch mittlerweile eine solche Unmenge an Unterbegrifflichkeiten
und Strukturen, wie sich auch in der Vielzahl thematisch unterschiedlicher
Beiträge manifestiert.

Jeanette Hofmann:
Ja und nein, für diesen umfassenden Ansatz spricht, dass wir die
Dinge im Zusammenhang sehen, also: den Zusammenhang zwischen informationeller
Selbstbestimmung, Datenschutz und gemeinfreien Wissens, zum Beispiel.
Es verhält sich ja mit diesen Themen in etwa so wie mit der Umweltpolitik
in ihren frühen Tagen. Es dauert eine Weile, bis die Bezüge
richtig klar werden.

lutz:
Gibt es jetzt während des Gipfels immer noch abschließende
Verhandlungsrunden, oder sind nun alle Punkte zum Verabschieden der Einigungen
geklärt?

Jeanette Hofmann:
Seit vorgestern oder gestern sind alle Punkte geklärt. Die letzte
offene Frage bezog sich auf den digital solidarity fund. Auch hier wurde
ein schlechter Kompromiss gefunden.

Moderator:
Zum Solidarity Fund kommen wir später noch einmal.
Zunächst:

JensSeelbach:
Frau Hofmann, welche Vorschläge bringt die Bundesregierung in Genf
ein?

Jeanette Hofmann:
Das ist eine gute Frage. Die Bundesregierung hat sich eher in die Abwehrfront
eingereiht. Die Bundesregierung war zum Beispiel sehr gegen jede Form
der finanziellen Verpflichtung. Auch hat man sich gegen Zugeständnisse
bei der Nutzung geschützten Wissens ausgesprochen. In den meisten
Fragen hat man sich jedoch hinter der EU versteckt.

Moderator:
Sie sind ja nicht Regierungsvertreterin, sondern Teil der Zivilgesellschaft
in der Regierungsdelegation. Hier die Frage von Hendrik dazu:

Hendrik:
Welchen Stellenwert genießen die zivilgesellschaftlichen Vertreter
im Moment, da der Gipfel im vollen Gange ist?

Jeanette Hofmann:
Das frage ich mich ehrlich gesagt auch. Während der Vorbereitungskonferenzen
war die Zusammenarbeit zwischen Regierung und zivilgesellschaftlichen
Gruppen sehr eng. Jetzt ist der Kommunikationsfluss weitgehend ins Stocken
geraten.

Sebastian
W. Lahn
: Gibt es eine Konfliktlinie innerhalb der Zivilgesellschaft?
Wenn ja, wo, bzw. zwischen wem verläuft sie?

Jeanette Hofmann:
Es gibt schon ein paar. Man muss ja auch bedenken, dass die zivilgesellschaftlichen
Gruppen aus allen Teilen der Welt kommen und daher sehr bunt zusammengesetzt
sind. In der zivilgesellschaftlichen Deklaration gibt es etwa einen Passus,
dass indigene Völker das Recht haben sollen, ihr Wissen und ihre
Verfahren rechtlich zu schützen. Damit sind viele Gruppen nicht einverstanden.
Man muss jedoch sehen, dass die Zusammensetzung der zivilgesellschaftlichen
Gruppen nicht ganz so heterogen wie die der Regierungen ist. Bei uns bestreitet
niemand die Bedeutung der Menschenrechtsdeklaration, zum Beispiel.

Moderator:
Zu den einzelnen Themen, auch wenn es angesichts der Masse an Themen schwierig
ist, hier auszuwählen. Zunächst: Menschenrechte und Zensur…

Sebastian
W. Lahn
: Frau Hofmann, wird Tunis, Gastgeberland für den
Folgegipfel 2005, das Recht auf Information als Menschrecht anerkennen,
obwohl es einer totalitären Regierung unterliegt?

Jeanette Hofmann:
Viele zivilgesellschaftliche Gruppen skandalisieren schon jetzt, dass
der Folgegipfel überhaupt in einem solchen Land stattfinden soll.
Immerhin werden dort Menschen wegen ihrer politischen Positionen eingesperrt.
Auf der anderen Seite ist nie auszuschließen, dass ein solcher Gipfel
nicht doch auch zu einer Liberalisierung der Innenpolitik beiträgt.

Moderator:
Zwei Fragen:

J. Knaak:
Sollte das www reglementiert werden? Wie wird dies tatsächlich durch
Länder wie China umgesetzt? Wie sieht in diesem Punkt die Verständigung
zwischen den teilnehmenden Ländern aus?

Zensur:
Stichwort Zensur: Wie funktioniert die Zensur beispielsweise in China.
Wie können die chinesischen Behörden technisch dafür sorgen,
dass ich nur Zugriff auf für das System "ungefährliche
Inhalte" erhalte?

Jeanette Hofmann:
Das ist ja ein ganzes Bündel von Fragen! Ich persönlich bin
gegen jede Zensur im Internet. China handhabt den Zugang zum Internet
sehr restriktiv. Viele Websites sind von China aus nicht erreichbar. Die
anderen Länder reagieren darauf mit unterschiedlichen Formen des
Drucks. Für die EU war beispielsweise klar, dass sie einer Einschränkung
oder Nicht-Erwähnung der Menschenrechte, wie China das verlangt hat,
auf keinen Fall zustimmen werden. China zensiert, indem bestimmte IP Adressen
gesperrt werden.

kosmo:
Wie kann das Internet an Verbreitung gewinnen, wenn viele Regierungen
gar kein Interesse an Transparenz haben?

Jeanette Hofmann:
Das ist eine schwierige Frage. Tatsächlich kann man sehen, dass die
hohen Zugangsgebühren in vielen Ländern verunmöglichen,
dass mehr Menschen das Netz nutzen. Rückblickend wird man in 10 Jahren
vielleicht sagen, dass hausgemachte Probleme die Durchsetzung des Internet
verlangsamt, nicht aber wirklich verhindert haben.

schinkel:
Gibt es diese Art von Zensur wie in China auch in anderen Ländern?

Jeanette Hofmann:
China ist das bekannteste Beispiel. Wir wissen aus Deutschland, dass manche
Behörden auch hier Zensurgelüste haben.

Moderator:
Sie vergleichen China aber nicht mit Deutschland, oder?

schinkel:
Was heißt das, Zensurgelüste?

Jeanette Hofmann:
Nein, ich kann schon noch zwischen Diktaturen und Demokratien unterscheiden.
🙂 Zensurgelüste heißt, dass etwa ein Regierungspräsident
in NRW versucht, die Blockierung von Websites durch Provider rechtlich
durchzusetzen.

Moderator:
Noch mal international gefragt:

kosmo:
Sind Informationsfreiheit und -zugang nicht abhängig von einer Demokratisierung
(Stichwort: China?) vieler Entwicklungsländer?

Jeanette Hofmann:
Aus meiner Sicht ja. Deshalb ist ja auch die Verwirklichung der Menschenrechte
von so großer Bedeutung. Ich bin auch der Meinung, dass Entwicklungshilfe
im kommunikationstechnischen Bereich an die Bedingung der Durchsetzung
von Meinungs- und Partizipationsfreiheit geknüpft werden sollte.

fred:
Die Daten werden genau so ungerecht um den Globus verteilt, wie dies bei
Gütern und beim Wohlstand, den Lebensbedingungen, der Krankenversorgung
und der Ausbildung der Fall ist. Ich bin eher pessimistisch was einen
gerechten Zugang zu Informationen angeht. Wie sehen sie das?

Jeanette Hofmann:
Mit dem ersten Teil ihrer Aussage bin ich nicht einverstanden. Die Daten
werden ja in erster Linie nicht verteilt, wir produzieren sie ja selbst!
Es liegt also an uns, unser Wissen zugänglich zu machen. Auch würde
ich behaupten, dass die Chancen einer gerechten Nutzung bei Informationsgütern
viel besser sind als bei dinglichen Gütern. Es kostet ja nicht mehr,
Wissen mehr Menschen zugänglich zu machen, weil Wissen sich nicht
im gleichen Sinne verbraucht wie eine materielle Ressource.

roger:
Hallo Frau Hofmann, wie sehen Sie die Chancen für die Entwicklungsländer?
Ist der Vorsprung in Sachen Netzkommunikation der Industrieländer
überhaupt noch aufzuholen (Ich meine jetzt nicht so Länder wie
Indien)?

Jeanette Hofmann:
Ja, dieser Vorsprung ist aufzuholen, weil die Kosten für die Infrastrukturen
stetig im Sinken begriffen sind. Das Problem ist lediglich, dass es in
vielen Gegenden nicht einmal eine hinreichende Stromversorgung gibt, also
die grundlegenden Infrastrukturen fehlen, auf dem digitale Netze dann
aufsetzen könnten.

Herbert_Kr:
Gibt es für die Entwicklungsländer nicht dringendere Probleme
als die "digitale Spaltung". Ich denke da zum Beispiel an AIDS,
Trinkwasserversorgung, Handelsbarrieren.

Jeanette Hofmann:
Diese Entweder-Oder-Haltung scheint mir die falsche Herangehensweise.
Hoffentlich ist es ja so, dass digitale Infrastrukturen bei der Bewältigung
dieser Probleme helfen, indem sie beispielsweise die Bedingung für
die Versorgung der Menschen, die Erkennung und Behaltung von Krankheiten
verbessern.

thalassa:
Hallo Frau Hofmann. Eben weil die Daten selbst produziert werden – sind
sie nicht der Meinung dass auch ein Informationsdefizit in den meisten
internationalen Organisationen besteht (Stiglitz) und dass es auch dadurch
zu einer nicht gerechten Verteilung der Ressourcen kommt?

Jeanette Hofmann:
Falls Sie auf die ökonomische Theorie anspielen, muss ich sagen,
dass mir der Begriff des Informationsdefizits als sehr unpolitisch und
technokratisch erscheint. Erstens haben wir es derzeit ja eher mit Informationsüberfluss
in der westlichen Welt zu tun, es geht also eher darum, aus dem Datenfluss
sinnvolle Informationen herauszufiltern und zu brauchbarem Wissen zu verknüpfen,
zweitens lässt der Begriff des Informationsdefizits unberücksichtigt,
dass wir uns oft ganz uneinig darüber sind, wie solche Informationen
zu interpretieren und zu bewerten sind.

Moderator:
Wir kommen zum nächsten Thema: Dem lieben Geld. Es wurde im Vorfeld
die Idee eines Solidarity Funds geboren, der den Entwicklungsländern
zu Gute kommen soll. Hierzu einige Fragen:

lutz:
Frau Hofmann, die Regierung der Bundesrepublik hat sich offiziell gegen
einen Solidaritätsfond entschieden. Wie sieht das die Zivilgesellschaft?

Jeanette Hofmann:
Die Zivilgesellschaft moralisiert diesen Konflikt und stellt sich auf
die Seite des Südens, die einen solchen Fond einklagen.

Moderator:
Was soll eigentlich die Aufgabe dieses Fonds sein?

lapi:
Wird es einen "Digitalen Solidaritätsfond" geben, was soll
dieser bewirken und wer wird in diesen Fond einzahlen?

Jeanette Hofmann:
Er soll dem Aufbau digitaler Infrastrukturen zum einen und dem sogenannten
Capacity Buildung zum anderen dienen. Bei letzterem handelt es sich um
Ausbildung und verwandte Formen der Kompetenzbildung.

j.kaufmann:
Guten Tag Frau Hofmann. Welche Rolle spielen die Finanzen beim Zugang
zu Information und Daten in den Entwicklungsländern? Die können
das doch schon finanziell nie schaffen, auf ein ähnlich starkes Niveau
zukommen wie etwa Schwellenländer.

Jeanette Hofmann:
Ich bin mir da nicht so sicher, ob es tatsächlich allein um Finanzierung
geht. Häufig versickern Finanzierungshilfen auch oder werden ineffizient
genutzt, weil die Entscheidungsstrukturen intransparent sind oder die
gesellschaftlichen Eliten die Mittel einsacken. Die effiziente Verwendung
der Mittel setzt voraus, dass gesellschaftliche Entscheidungsstrukturen
halbwegs demokratisch berechenbar arbeiten.

wellhofen:
Wie groß sollte denn dieser Solidaritätsfond sein? Also wie
viel Geld müsste da hineinfließen?

Jeanette Hofmann:
Keine Ahnung. Kann sein, dass hier Zahlen genannt wurden. Ich habe keine
gesehen. Auch die Verwaltung ist unklar.

nonliner:
Muss das Internet für die User nicht viel billiger werden, damit
mehr Menschen online sind?

Jeanette Hofmann:
Ja, ja, ja! Das sieht man schon deutlich daran, dass in Deutschland vergleichsweise
wenige Menschen Zugang zum Netz haben verglichen mit unseren Nachbarländern
in Skandinavien, Holland oder der Schweiz.

Moderator:
Nächster Themenkomplex, zu dem einige Fragen hier aufgelaufen sind:

George:
Wie stark ist die Internetüberwachung auch bei uns ausgeprägt-
Stichwort 11. September?

Jeanette Hofmann:
Die Provider sind in Deutschland gehalten, die Verbindungsdaten der Nutzer
über ein halbes Jahr zu speichern. Die Telekom hat das aber auch
vor dem 11.9. schon so gehandhabt – wegen ihrer Rechnungslegung. Mit Überwachung
kenne ich mich nicht gut aus.

bremen2:
Wie lassen sich freier Informationsaustausch, informationelle Selbstbestimmung
etc. in den Netzen anlässlich einer Bedrohung durch den Terrorismus
noch aufrechterhalten?

Jeanette Hofmann:
Gute Frage. Für mich sind das die Kernpunkte der Demokratieentwicklung.
Aus meiner Sicht ist die Demokratie keine fixierte Staatsform, sondern
ein dynamisches Gebilde, das sich fortwährend weiterentwickelt und
der täglichen Verteidigung durch die Bürger bedarf. Im Netz
wird das derzeit besonders deutlich.

bill-gates-schafft-uns-alle:
Thema Sicherheit: spielt das auf dem Gipfel eine Rolle – ich habe das
Gefühl, die letzten Virusattacken sind schon wieder in Vergessenheit
geraten und in der Zeitung lese ich, dass diese Sachen dem Mittelstand
richtig Probleme machen.

Jeanette Hofmann:
Das Thema Sicherheit spielt hier eine große Rolle. Im Vorfeld des
Gipfels während der Erstellung der Deklaration gab es einen großen
Streit zwischen Russland und den europäischen Ländern um die
Frage, ob Sicherheit im Netz auch militärtechnisch gefasst werden
soll. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang sind cyber wars.

Moderator:
Dazu passt diese Frage:

maili:
Bisher galt das Internet als freies Medium. Doch die Zensoren sind längst
auch im WWW aktiv: Missliebige Seiten werden blockiert, Web-Journalisten
verhaftet, Provider abgeschaltet. Gleichzeitig nutzen immer mehr Regierungen
das Internet als Propagandamedium. Muss darüber nicht stärker
aufgeklärt werden?

Jeanette Hofmann:
Bitte, fangen Sie an. Am besten noch heute! Im Ernst, wer wenn nicht wir
selbst sollte diese Aufgabe übernehmen?

spamer:
Spam-Mails sind in Deutschland verboten. Was kann der Gesetzgeber gegen
den elektronischen Müll machen. In den USA wird jetzt mit einer Gefängnisstrafe
bis zu fünf Jahren gedroht – wird Deutschland nachziehen?

Jeanette Hofmann:
Deutschland wird die EU Richtlinie umsetzen, nicht mehr und nicht weniger
– würde ich tippen. Aus meiner Sicht müssen die Provider
hier selbst stärker zur Verantwortung gezogen werden. Ansonsten empfehle
ich Selbsthilfe. Spam Assassin ist wirklich eine große Hilfe.

Moderator:
Der Delegationsleiter der deutschen Regierungsdelegation heißt –
Rezzo Schlauch. Hierzu einige Fragen:

Hendrik:
Bis auf Finnland hat kein EU-Land seinen Staatschef nach Genf zum UN-Gipfel
geschickt. Für die Bundesrepublik ist Rezzo Schlauch statt des Kanzlers
nach Genf gekommen. Haben die EU-Länder Angst vor Konfrontationen
und schicken deshalb Repräsentanten aus der zweiten Reihe?

Jeanette Hofmann:
Das Problem ist eher, dass der Gipfel in Deutschland nicht besonders ernst
genommen wird. Weil er nicht ernst genommen wird, schickt man eben nur
die dritte Reihe, was dann dazu führt, dass auch die Presse ihn nicht
ernst nimmt. Im Ergebnis wird die Chance verpasst, den globalen Charakter
der Wissensgesellschaft mitsamt ihren Problemen und Gestaltungsfragen
öffentlich so zu präsentieren, dass alle Bürger davon hören
und selbst darüber nachdenken.

lutz:
Rezzo Schlauch hat heute gesagt, dass die Vorbereitungen zum Gipfel nicht
zufriedenstellend gelaufen seien und dass das allerseits bekannt sei.
Ist der Verlauf und das bisherige Resultat des Gipfels wirklich so schlimm?
Immerhin durfte die Zivilgesellschaft dabei sein.

Moderator:
(Offenbar ein sehr informierter Zeitgenosse)

Jeanette Hofmann:
Der Erfolg des Gipfels bemisst sich ja nicht allein an prozeduralen Fragen,
also daran, wer nun mitmachen darf und wer nicht. Es geht auch darum,
was im Abschlusstext steht. Und hier haben die zivilgesellschaftlichen
Gruppen zu Recht einen Mangel an Vision beklagt und der fehlenden Berücksichtigung
zivilgesellschaftlicher Positionen.

walter l.:
Hallo Frau Hofmann, haben Sie den Eindruck, dass die deutsche Regierung
schon richtig begriffen hat, wie wichtig das Internet ist?

Jeanette Hofmann:
Ja, das glaube ich schon. Allerdings ist es natürlich schwierig,
über „die“ Regierung zu sprechen. Immerhin setzt die
sich ja auch aus mehreren Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen und
Interessen zusammen.

Moderator:
Im Vorgriff auf den Folgegipfel in Tunis: Was sind die Forderungen der
Zivilgesellschaft an die Bundesregierung?

Jeanette Hofmann:
Zum einen soll die Bundesregierung natürlich die Zusammenarbeit mit
uns verstärken. Zum anderen wünschen wir uns, dass wir nicht
nur angehört werden, sondern unsere Positionen auch einen Niederschlag
finden. Drittens wäre es sehr nett, wenn der internationale Charakter
der Wissensgesellschaft sowie die politischen Gestaltungsfragen, die sich
daraus ergeben, ein wenig mehr Beachtung finden würden.

Sebastian
W. Lahn
: Im Gipfelplenum hält ein Regierungsvertreter nach
dem anderen eine Rede. Hat das politische Bedeutung, oder ist das alles
nur noch Show und die entscheidenden Beschlüsse des Gipfels sind
längst gelaufen?

Jeanette Hofmann:
Letzteres.

Moderator:
Wie ist eigentlich die Stimmung auf dem Gipfel. Ich stelle mir das sehr
wuselig und international vor – oder sind das nur die üblichen Verdächtigen
und Spezialisten?

Jeanette Hofmann:
Es ist ein großes Durcheinander, ein unerträglich hoher Geräuschpegel
und sehr viel Kommunikationsstörung. Was zum Beispiel geradezu skandalös
ist, ist der Mangel an Druckern und W-Lan. Wir müssen ja hier richtig
Geld zahlen, um wireless ans Netz zu gehen.

Moderator:
Sollte man ja eigentlich genau das Gegenteil erwarten. Auch eine Frage
der Finanzen?

Jeanette Hofmann:
Ja, die Veranstalter haben möglicherweise die symbolische Dimension
eines Informationsgipfels nicht wirklich verstanden.

Moderator:
Und: Kann man so etwas über Wirtschaftssponsoren abfedern?

Jeanette Hofmann:
Das war die ursprüngliche Idee der ITU, hat aber wohl nicht ganz
so geklappt, wie man sich das vorgestellt hat.

Moderator:
Liebe Politik-Interessierte, vielen Dank für das Interesse und die
zahlreichen Fragen. Herzlichen Dank, Jeanette Hofmann, dass Sie sich die
Stunde Zeit genommen haben. Das Transkript dieses Chats finden Sie wie
alle anderen auch auf den Seiten der Veranstalter von tacheles.02. tacheles.02
ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de und sueddeutsche.de. Das tacheles.02-Team wünscht
allen noch einen schönen Tag.

Jeanette Hofmann:
Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag!