Rainer
Brückers war am 15. Januar 2004 zu Gast im tacheles.02 Live-Chat
von tagesschau.de und politik-digital.de.


Moderator: Liebe Politik-Interessierte, herzlich willkommen
im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de
und politik-digital.de und wird unterstützt von tagesspiegel.de
und von sueddeutsche.de. Heute begrüße ich zum Chat im ARD-Hauptstadtstudio
Rainer Brückers, Mitglied des Bundesvorstands der Arbeiterwohlfahrt,
bei der es rund 8400 Plätze für Zivildienstleistende gibt.
Legen wir gleich los.

awo_ex: Die Grünen sehen die Wehrgerechtigkeit
nicht mehr gegeben. Was ist das eigentlich und sehen sie das auch so?

Rainer Brückers: Je weniger Wehrpflichtige und
Zivis einberufen werden können, desto mehr steigt die Gefahr, dass
keine Wehrgerechtigkeit mehr gegeben ist. Derzeit können nicht alle
Wehrpflichtigen eingezogen werden, so dass heute schon eine Wehrungerechtigkeit
festzustellen ist.

Moderator: Sie haben ja an der Vorlage zur Zukunft des
Zivildienstes mitgearbeitet:

Engelen: Was wird die Ministerin Schmidt heute in ihrem
Bericht vorstellen?

Rainer Brückers: Die Ministerin wird – vorausgesetzt,
die Wehrpflicht wird abgeschafft – vorschlagen, dass die Mittel, die heute
für den Zivildienst bereitgestellt werden, dann für Freiwilligenarbeit
zur Verfügung gestellt werden sollen. Das hoffe ich wenigstens.

Moderator: Wie sehen Sie die Chancen dafür? Schließlich
kostet ein Ende der Wehrpflicht Geld für Berufssoldaten.

Rainer Brückers: Die Diskussion darüber, ob
es sinnvoll ist, dass junge Menschen außerhalb der Schule und des
Berufslebens andere gesellschaftliche Bereiche kennen lernen, öffnet
auch die Chance für die Bereitstellung dieser Geldmittel für
einen freiwilligen Dienst.

Moderator: Konkret die Frage von "888":

888: Kann sich Frau Schmidt gegen Struck durchsetzen?

Rainer Brückers: Das hoffe ich, ja. Unsere Unterstützung
hat sie dabei.

stephan28: Unter welchen Voraussetzungen würden
Sie einem Wegfall des Zivildienstes zustimmen?

Rainer Brückers: Also zuerst einmal muss darüber
entschieden werden, ob die Wehrpflicht bestehen bleibt. Die Abschaffung
des Wehrdienstes zieht automatisch auch die Abschaffung des Zivildienstes
nach sich. Zweitens: Eine Zivildienstzeit unter neun Monaten macht weder
für Zivis noch für die Einsatzstellen Sinn, so dass eine Pflichtzeit
unter neun Monaten auch faktisch zu einer Reduzierung/Abschaffung des
Zivildienstes führen würde.

Moderator: Wird die Verkürzung auf neun Monate
heute verkündet werden?

Rainer Brückers: Das hängt entscheidend von
der Länge der Wehrpflicht ab – der Zivildienst ist unmittelbar an
die Länge der Wehrpflicht gekoppelt.

DerZweimannmann: Was kommen da auf die Pflegeunternehmen
an Kosten zu, wenn die Zivis nicht mehr kommen? Sind diese Kosten überhaupt
von den Diensten zu tragen?

Rainer Brückers: Heute kostet ein Zivi die Einsatzstelle
zwischen 600 und 700 Euro im Monat. Dieser Betrag müsste zukünftig
dafür verwendet werden, andere Beschäftigungsformen zu ermöglichen.

Moderator: Wie teilt sich das in etwa auf? Was zahlt
die Einsatzstelle, was kommt vom Bund?

Rainer Brückers: Die Einsatzstelle zahlt etwa 60
Prozent, der Bund ca. 40 Prozent.

Rambo: Das gäbe doch viele neue tolle Niedriglohnjobs,
oder?

Rainer Brückers: Es gäbe neue zusätzliche
Jobs, ein großer Teil davon auch im Bereich der geringfügig
Beschäftigten.

mummy: Es wird vorgeschlagen, den Verlust der Zivildienstleistenden
durch "neue Freiwilligendienste" aufzufangen. Wie werden sie
die Freiwilligen mobilisieren, wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird?

Rainer Brückers: Es gibt heute schon das freiwillige
soziale Jahr, was überwiegend von jungen Frauen genutzt wird. Diese
Form eines freiwilligen Dienstes gilt es auszubauen und als Alternative
zum Zivildienst auch stärker auf junge Männer auszurichten.

aparazzi: Die Arbeit der Freiwilligen soll durch ein
Dienstzeugnis als "Tätigkeits- und Kompetenznachweis" und
durch Schulungen aufgewertet werden. Außerdem müsse geprüft
werden, "ob die Ableistung im Rahmen späterer Ausbildungen anerkannt
werden kann". Solche Schulungen kosten aber auch Geld. Was sagen
Sie dazu?

Rainer Brückers: Dieses Geld muss aus den bisherigen
Mitteln für den Zivildienst finanziert werden. Das ist auch die Kernaussage
des Kommissionsberichtes.

Avoyelles: Wie sehen sie es mit der Gleichberechtigung?
Ist es noch in der heutigen Zeit sinnvoll, nur Männern einen Zwangsdienst
aufzuerlegen, während Frauen frei ihren Lebensweg gestalten können?

Rainer Brückers: Wir sind generell gegen einen
Zwangsdienst. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht wird auch das Zwangselement
aus dem zivilen Einsatzbereich verschwinden.

zuuzuuz: Die Kommission empfiehlt auch die Einführung
eines Bonussystems bei der Studienplatz- und Ausbildungsvergabe. Wird
das Bonussystem nur medizinische und krankenpflegerische Studien- und
Ausbildungsgänge, oder auch technische, wirtschaftliche, geisteswissenschaftliche
und andere Berufe betreffen?

Rainer Brückers: Geplant ist, ein solches Bonussystem
für alle sich anschließenden Ausbildungsgänge einzuführen.

Moderator: Ist das nicht wieder ein Stück Zwang,
wenn man Bonus für die Ausbildung erhält – vielleicht den Numerus
clausus verbessert? Wie schafft man den Anreiz für ein freiwilliges
soziales Jahr?

Rainer Brückers: Ein Bonussystem ist ja kein Zwang.
Wer etwas für die Entwicklung seiner eigenen Kompetenz tut, durch
ein FSJ beispielsweise, und damit auch der Gesellschaft einen Dienst erweist,
der hat auch ein Recht darauf, das dies anerkannt wird.

ti.frank: Hallo, meine Frage an Sie ist folgende: Ist
der Zivildienst/ die Wehpflicht in der Form noch haltbar, wenn man gleichzeitig
über eine Verkürzung der Zeit, in der die Jungendlichen auf
dem Arbeitsmarkt eintreten, spricht.

torte22: Ob Verkürzung oder nicht: Es existiert
schon heute keine Gleichberechtigung mehr. Und die letzten, die diesen
Dienst leisten werden, sind eben um ein Ausbildungs- und ein Gehaltsjahr
betrogen (dazu zähle ich mich, Zivi 2001/02). Zivis senken die Personalkosten
für Hilfsarbeiter-Jobs, die gleiche Funktion haben Grundwehrdienstleistende
beim Bund.

Rainer Brückers: Also ein freiwilliger sozialer
Dienst ist für den Erwerb sozialer Kompetenzen auch für ein
späteres Berufsleben ein sinnvoller Baustein. Deshalb ist es kein
verschenktes Jahr, sondern für viele junge Menschen ein wichtiger
Baustein auch für die zukünftige Berufsgestaltung.

Moderator: Ich kann allerdings die Frage unserer User
verstehen. Erkennt das Unternehmen, bei dem ich mich bewerbe, das auch
an, oder sagt es nur, der ist schon ein Jahr älter als sein Mitbewerber.
Soziales Engagement ist in vielen mittelständischen Betrieben in
Deutschland kein Pluspunkt.

Rainer Brückers: Es mag sein, dass es in vielen
Betrieben noch keine Anerkennungskultur für freiwilliges soziales
Engagement gibt. Dies muss sicherlich verbessert werden, und da muss auch
den Leitern kleinerer Betriebe die positive Bedeutung eines solchen Engagements
verdeutlicht werden. Deshalb brauchen wir ein Bonussystem, mit dem sich
auch solche Betriebe auseinandersetzen müssen.

stephan28: Aber wie schaffen wir es, den Menschen klar
zu machen, dass gesellschaftliche, soziale Arbeit notwendig ist. Vor allem
bei Vorstellungen, die gerade torte22 darlegte? Junge Leute sehen doch
heute nicht die gesellschaftliche Arbeit, sondern ihr persönliches
Fortkommen als erstes.

Rainer Brückers: Es muss für jeden jungen
Menschen nachvollziehbar sein, dass berufliches Fortkommen und soziales
Engagement kein Gegensatz ist, sondern für die berufliche und auch
für die persönliche Entwicklung zusammengehört.

Moderator: Kommentar von:

MaWa: Siehe auch die Diskussion ums Abitur nach 12 Jahren
– ganz schnell und jung ins Arbeitsleben!

egal: Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) befürchtet,
soziale Angebote einschränken zu müssen, wenn der Zivildienst
wegfallen sollte. Bei Ihnen auch?

Rainer Brückers: Es wird in einzelnen Bereichen
zu Einschränkungen kommen, vor allem auch in einer Übergangsphase,
wo es darum geht, neue Organisationsformen zu entwickeln.

hansen: Angeblich kann nicht allen Jugendlichen, die
ein FSJ machen wollen, ein Platz angeboten werden. Weshalb werden hier
nicht die notwendigen Mittel bereitgestellt, um zumindest den aktuellen
Bedarf an Einsatzstellen zu decken?

Rainer Brückers: Es ist derzeit so, dass nicht
alle, die ein freiwilliges soziales Jahrs (FSJ) machen wollen, auch einen
geeigneten Platz finden. Deshalb fordern wir ja gerade, dass insbesondere
bei wegfallenden Zivildienstleistungen diese Gelder für den Ausbau
des FSJ genutzt werden.

apotheker: Freuen sie sich schon auf Minijobsuchende,
die eigentlich keine Pflege machen wollen, aber vom Arbeitsamt zu ihnen
abgeordnet werden?

Rainer Brückers: Nein, wir brauchen für unsere
Dienste, Menschen, die eine innerliche Bereitschaft haben, sich um andere
zu sorgen. Dies kann man nicht per Abordnung machen.

Moderator: Noch mal zweimal mehr Kommentar als Frage:

MaWa: Zivis werden doch schon jetzt ganz offiziell auf
Arbeitsplätzen eingesetzt! Sie dienen also häufig nur als preiswerter
Ersatz. Dieses ist doch eigentlich gar nicht zulässig! Die Kosten
dieser Planstellen wären doch eigentlich ohnehin schon da – und werden
nur, da die Gesetzgebung nicht eingehalten wird, teilweise vermieden.

Avoyelles: Auch wenn es edel ist, sich für die
Gesellschaft einzusetzen. Aber das Gesundheitssystem muss eine Grundversorgung
sichern. Und da halte ich es für falsch, darauf zu hoffen, dass möglichst
viele einen FS-Dienst machen. Da muss man doch eine gewisse Planungssicherheit
haben und somit Festangestellte haben. Wir brauchen dringend eine Reform
und keine Flickschusterei.

Moderator: Was mich zu der Zusammenfassung bringt: Macht
das Ende des Zivildienstes am Ende die Krankenversicherung doch teurer?

Rainer Brückers: Sicherlich muss die Grundversorgung
im Gesundheits- und Pflegedienst durch den Einsatz von professionellen
Kräften gesichert werden. Dies ist auch heute schon so, auch wenn
Zivis eine wichtige Ergänzung leisten. Ich bezweifle, dass die Krankenversicherung
durch den Wegfall des Zivildienstes teurer wird. Allerdings werden nicht
alle Aufgaben im gleichen Umfang wie heute ohne Zivis zu organisieren
sein.

Moderator: Was bedeutet das bei der zu erwartenden steigenden
Zahl von Pflegebedürftigen?

Rainer Brückers: Wir brauchen mehr Menschen, die
bereit sind, sich im Pflegeberuf zu engagieren. Sowohl in der häuslichen
Versorgung von Pflegebedürftigen, als auch bei stationären oder
teilstationären.

jobbers: Die Kommunen müssten die in der Pflegeversicherung
eingesparten 2,2 Milliarden Euro zu einem großen Teil aus Mitteln
der Sozialhilfe finanzieren. Ist das nicht paradox, wo doch die Kommunen
entlastet werden sollten?

Rainer Brückers: Mit der beabsichtigten Absenkung
der Entgelte aus der Pflegeversicherung für die stationäre Pflege
kommt ein erheblicher zusätzlicher Aufwand auf die Kommunen zu. Dem
stehen allerdings nach den derzeitigen Planungen auch Entlastungseffekte
entgegen, so dass auf keinen Fall zwei Milliarden Euro zur Debatte stehen
werden. Ich befürchte, es wird zu einer Mehrbelastung um die 300
Millionen kommen, die die Kommunen zu Teilen dadurch auffangen können,
dass sie sich verstärkt um den Ausbau ambulanter Dienste kümmern.

hmmm: Für die ambulante Pflege sind nur sehr geringe
Aufschläge zwischen 68 und 116 Euro pro Person pro Monat vorgesehen.
Reicht das aus oder was bedeutet das? Verschlechterung der Pflege?

Rainer Brückers: Das bedeutet, dass der Ausbau
ambulanter Pflege nicht in dem Umfang vorgenommen werden kann, wie der
Gesetzgeber es erwartet.

alters: Wie sehen denn die Pläne für eine
sinnvolle aber kosteneffiziente Pflege aus? Was beabsichtigen sie zu ändern?
Es wird doch sehr viel Geld ausgegeben.

Rainer Brückers: Wir müssen die häusliche
Versorgung von Pflegebedürftigen besser ermöglichen als das
heute der Fall ist. Dies ist die einzige Chance, um die zunehmende Inanspruchnahme
der Altenheimversorgung zu verringern.

Moderator: Noch einmal zurück zu Zivildienst, freiwilligem
sozialem Jahr (FSJ) etc.:

hansen: Was halten sie von den sogenannten generationenübergreifenden
Freiwilligendiensten?

Rainer Brückers: Aus meiner Sicht ist der generationsübergreifende
freiwillige Dienst ein Zukunftsprojekt, in dem es darum geht, dass neben
der Interessenslage junger Menschen (FSJ) auch die Interessenslagen mittlerer
oder älterer Generationen an der freiwilligen sozialen Arbeit stärker
berücksichtigt werden müssen. Damit haben wir bisher noch wenig
Erfahrungen.

Moderator: Bei zunehmender Zahl von RentnerInnen eine
Chance oder nur ein Ausweg?

Rainer Brückers: Ich denke, eine Chance: Sowohl
für die Rentnerinnen und Rentner, als auch für die Gesellschaft.

Till-Eulenspeigel: Wie könnte ein zeitlicher Rahmen
aussehen, der die Abschaffung der Wehrpflicht und den flächendeckenden
Aufbau eines freiwilligen Netzes möglich macht? Fakt ist, dass die
meisten FSJ’lerInnen doch in Baden-Württemberg sind und die bundesdeutsche
Verteilung ganz klar im Süden ist!

Rainer Brückers: Ob wir je dahin kommen, dass der
heutige Zivildienst durch Freiwilligendienste völlig kompensiert
werden kann, ist schwer einzuschätzen. Wir brauchen aber zur Umsteuerung
eine Anerkennungskultur und bei entsprechenden organisatorischen Strukturen
mindestens einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren.

pfleger3: Naja, bei der Reformbereitschaft der deutschen
Politik wird es wohl eher keine Experimente wie den generationsübergreifenden
Freiwilligen geben, oder? Sehen sie dafür eine politische Chance?

Moderator: Würde ja auch etwa bedeuten, Zuverdienstgrenzen
bei Rentnern zu ändern, etc.

Rainer Brückers: Ich glaube, dass auch die Politik
keine andere Wahl hat, als in diese Richtung sich zu bewegen, weil wir
sonst kaum die Möglichkeit haben werden die anstehenden Versorgungsprobleme
auf hohem Niveau zu organisieren.

Moderator: Es gilt also: Ausprobieren was geht, weil
sich etwas verändern muss?

Rainer Brückers: Ja.

pfleger3: FSJ klingt schrecklich nach DDR. Braucht es
nicht einen wohlklingenderen Namen?

Rainer Brückers: Wenn es einen attraktiveren Begriff
gibt, soll man ihn gerne verwenden. Mit den drei Kürzeln "freiwillig",
"sozial", "Dienst" sind die Kernbereiche beschrieben,
um die es geht. Aber ich bin für alle Verbesserungen in dieser Frage
offen.

henhan: Wenn man von einer Kürzung der Zivildienstdauer
oder einem eventuellen Ersatz spricht, wo sehen sie die notwendige Mindestdauer
eines solchen Dienstes in Bezug auf Einarbeitungszeiten? Wo liegt die
Rentabilitätsgrenze?

Rainer Brückers: Die meisten Träger der Dienste
sagen, dass ein Einsatz unter einem Jahr problematisch ist. Sowohl für
den Betroffenen selber – das heißt, bis er sich selbst orientiert
hat – als auch für die Organisation des Einsatzumfeldes.Es mag einzelne
Dienste geben, in denen kürzere Zeiten denkbar sind, z.B. Einsatz
als Rettungssanitäter und Krankentransport.

hihi: Der Gesetzgeber erwartet, streicht an anderer
Stelle. Ist der Gesetzgeber überfordert? Hört er auf Experten
wie sie?

Rainer Brückers: Zu wenig.

Moderator: Das ist mir auch zu wenig. Können Sie
das ein bisschen weiter ausführen. Wo klemmt’s?

Rainer Brückers: Gesundheitsversorgung und Versorgung
mit sozialen Diensten sind sehr sensible Aufgabenfelder. Die Umsetzung
des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes zeigt, an wie vielen Stellen Menschen
durch direkte Betroffenheit zu Recht unzufrieden sein müssen, weil
viele Dinge im Vorfeld nicht ausreichend geklärt und abgesprochen
werden konnten. Aktuelle Beispiele sind im gesamten Zuzahlungsbereich
zu finden.

Moderator: Also ein bisschen mehr Politik der ruhigen
Hand in der Reformdebatte?

Rainer Brückers: Zumindest eine Politik, die ausreichend
Zeit für die Berücksichtigung der Umsetzungsschwierigkeiten
beinhaltet und nicht alles oder wichtiges einem Vermittlungsausschussverfahren
überlässt, in dem Detailfragen keine Rolle mehr spielen.

unioner: Von der Opposition habe noch nichts zum Thema
gelesen. Was denken die oder haben die kein Konzept?

Rainer Brückers: Ich weiß, dass die Opposition
auch für den Ausbau freiwilliger Dienste ist, wenngleich ich konkrete
Vorschläge auch bisher nicht wahrgenommen habe.

swiss17: Könnte man nicht die Arbeitlosen die Zivildienstleistungen
austragen lassen,

Rainer Brückers: Nein. Das kann man deshalb nicht,
weil gerade für soziale Aufgaben eine innere Bereitschaft vorhanden
sein muss, die nicht durch Zwang hergestellt werden kann. Deshalb gibt
es gerade im Zivildienst – im Gegensatz zur Wehrpflicht – auch die so
genannte Einverständniserklärung, die eine freiwillige Zustimmung
des Trägers zum Einsatz des Zivis beinhaltet.

abba: Mehr als die Hälfte der Kriegsdienstverweigerer
arbeitet in der Behinderten-Betreuung. "Sollten diese Kräfte
wegfallen, wäre das kaum zu kompensieren", warnte Helbig (Brandenburgs
DRK-Landesgeschäftsführer, Anm. d. Red.). Was sagen Sie dazu?

Rainer Brückers: Ich weiß, dass gerade die
individuelle Schwerstbehindertenbetreuung durch den Wegfall des Zivildienstes
am stärksten betroffen sein wird. Befriedigende Lösungen sind
dafür derzeit nicht in Sicht.

henhan: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ausreichend
Freiwillige fänden!?

Moderator: Muss nicht am Ende doch ein bisschen Zwang
her und dann auch für Männer UND Frauen?

Rainer Brückers: Dass jede Änderung zukünftig
Frauen und Männer in gleicher Weise betreffen sollte, ist unstreitig.Aber
Freiwilligendienste und Pflicht schließen sich gegenseitig aus.
Wir brauchen eine Veränderung der Anerkennungskultur des freiwilligen
sozialen Engagements.

Moderator: Für die Aufgabe, einen freiwilligen
sozialen Dienst in der Gesellschaft akzeptabel zu machen, brauchen Sie
mächtige Verbündete. Ein Job für den nächsten Bundespräsidenten?

Rainer Brückers: Sicherlich für ihn, wie auch
für den Kanzler und seine Regierung. Die Wohlfahrtsverbände
werden alle Aktivitäten dazu unterstützen.

Moderator: Unsere Chat-Stunde ist um, vielen Dank für
Ihr Interesse und die zahlreichen Fragen. Es bleiben wie immer noch viele
Fragen. Vielen Dank, Herr Brückers, dass Sie Zeit für den Chat
gefunden haben.