Am Freitag, 22. Juni, war Andreas Maurer von
der Stiftung Wissenschaft und Politik zu Gast im tagesschau-Chat
in Koopration mit politik-digital.de. Der Europa-Experte sprach
über den EU-Gipfel in Brüssel und
darüber, ob ein Ausschluss Polens aus der EU möglich ist.

Moderator: Herzlich Willkommen im tagesschau-Chat
am Tag des EU-Gipfels in Brüssel, wo die EU-Staats- und Regierungschefs
wieder einmal in einer Krisensitzung zusammensitzen und versuchen,
die Interessen von mittlerweile 27 Staaten unter einen Hut zu bringen.
Im ARD-Hauptstadtstudio sitzt mir gegenüber Dr. Andreas Maurer,
als Leiter der Forschungsgruppe EU-Integration der Stiftung Wissenschaft
und Politik ein Kenner in Sachen „Wie regiert man in der EU“.
Vielen Dank, Herr Maurer, dass Sie noch Zeit für den Chat bei
tagesschau.de und politik-digital.de gefunden haben! Beginnen wir
damit:
KurtMueller: Besteht überhaupt noch Hoffnung, dass die EU-Länder
sich auf eine gemeinsame Linie einigen können? Wenn das jetzt
schon nicht klappt, wie sollen dann Verhandlungen mit mehr Mitgliedsstaaten
aussehen?

Andreas Maurer
Andreas Maurer
Stiftung Wissenschaft und Politik

Andreas Maurer: Verhandlungen wie die jetzt laufende
gehörten und gehören zum europäischen Tagesgeschäft.
Dass Mitgliedstaaten besonders strittige Punkte bis zur letzten
Minute zu verteidigen versuchen, gehört genauso zum „Gipfelgeschäft"
wie die Fähigkeit der Präsidentschaft, Maximal- von Minimalpositionen
unterscheiden zu können. Es kommt jetzt darauf an, einen Kompromiss
zu finden, der für alle Seiten tragbar ist; insbesondere im
Hinblick auf die Darstellung des Verhandlungsergebnisses gegenüber
der jeweiligen nationalen Öffentlichkeit. Verhandlungen zwischen
27 sind sicher schwerer als unter sechs oder 15. Aber die Zahl der
Teilnehmer erhöht auch die Bereitschaft aller, Positionen der
jeweils anderen Seite verstehen zu lernen. Auch dies gehört
zu den Besonderheiten der EU dazu.

Moderator: Gleich mehrfach die Frage, zwei stellvertretend
dafür:
Strobel: Sehr geehrter Herr Maurer, gibt es eigentlich die Möglichkeit,
per Mehrheitsbeschluss (wie immer der aussehen mag) Mitgliedsländer
aus der Gemeinschaft auszuschließen?
Spectas: Braucht die EU Maßnahmen oder die Möglichkeit
eines „Ausschlussverfahrens“, wenn sich ein Mitgliedsland
gemeinschaftsfeindlich verhält und wichtige Reformen über
Jahre blockiert?

Andreas Maurer: Ein Ausschlussrecht gibt es in
der EU aus guten Gründen der Demokratie und des Zusammengehörigkeitsgedankens
nicht. Bislang gibt es noch nicht einmal die rechtlich klare Möglichkeit,
dass ein Mitgliedsstaat aus der EU austreten kann. Erst der jetzt
auf dem Tisch liegende EU-Vertrag würde ein solches Austrittsverfahren
ermöglichen. Ein Ausschlussverfahren ist bislang nicht diskutiert
worden, da es schwerwiegende Konsequenzen für die Wirksamkeit
all derjenigen Rechtsakte zur Folge hätte, die in Zeiten der
Mitgliedschaft rechtsverbindlich verankert wurden. Bei einem Austritt
oder Ausschluss müsste in jedem Einzelfall geklärt werden,
welche Akte aus der Mitgliedschaft weiter gelten und wer welche
Entschädigung den Bürgern des betroffenen Staates dafür
zahlt, dass sie in Zeiten der Mitgliedschaft in bestimmte Produktionsanlagen
et cetera (zur Einhaltung von EU-Vorschriften) investiert haben.
Anstelle eines Austrittverfahrens bietet sich gegenwärtig längst
eine Klausel im EU-Vertrag (Artikel 7) an, nach der einem Mitgliedsstaat
bestimmte Mitgliedschaftsrechte entzogen werden können, wenn
er die Prinzipien der EU verletzt hat.