Der Computerspielexperte Mathias Mertens war
am 12. April 2007 zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit
politik-digital.de. Er diskutierte mit den Nutzern den Zusammenhang
zwischen virtueller und realer Gewalt und erklärte, warum elterliche
Zuwendung wichtiger ist als ein Killerspielverbot.
Moderator: Liebe Freunde und Gegner von Ego-Shootern
und Ballerspielen, willkommen im tagesschau-Chat . Unser Gast heute
ist Dr. Mathias Mertens, Computerspiel-Experte
und Medienwissenschaftler an der Universität Hildesheim. Ihre
Fragen können Sie wie immer jederzeit stellen, es geht nichts
verloren. Mathias Mertens chattet aus Hildesheim, gleich die Frage
dorthin, können wir beginnen?
Mathias Mertens: Ja, das können wir.
Moderator: Erstmal persönlich:
hanna: Spielen Sie selbst auch Computerspiele?
Welche, die auch Gewalt beinhalten?
Mathias Mertens: Ja, ich spiele sehr viele Computerspiele.
Und weil fast jedes Computerspiel Darstellungen von Gewalt beinhaltet,
spiele ich auch solche. Darstellungen von Gewalt, nicht Gewalt.
Moderator: Ihr persönlicher Lieblings-"Egoshooter"?
Mathias Mertens: "Doom2".
fideidefensor: Gibt es ein klassisches Computer-Freak-Profil?
Mathias Mertens: Vielleicht gab es das mal irgendwann
in der Frühzeit. Menschen, die sehr technikaffin waren und
deshalb einen Computer hatten. Aber mit der massenhaften Verbreitung
von Computern und damit einhergehenden Popularisierung sind Computerspieler
heute genauso vielfältig wie jede andere Bevölkerungsgruppe.
Hilli: Ganz einfach: Gibt es statistische Belege
für den Bezug zwischen Ballerspielen und Gewaltbereitschaft?
Mathias Mertens: Ganz einfach: Nein. Es gibt tausende
Untersuchungen, die für ein bestimmtes Setting die Möglichkeit
eines Zusammenhangs nicht ausschließen können. Aber das
ist jenseits von Belegen.
m0nstersin: Wieso wird dann beides immer wieder
in Zusammenhang gebracht und so publiziert?
Mathias Mertens: Weil es Ausdruck eines Medienwandels
ist. In dem Moment, in dem ein neues Medium sich so weit verbreitet
hat, dass es als ernst zunehmende Kommunikationsform in Konkurrenz
mit anderen, etablierten Kommunikationsformen tritt, entsteht dort
ein Verteidigungsimpuls. Einfacher gesagt: Dem Fernsehen passt es
nicht, dass Leute Computerspiele spielen und nicht fernsehen. Also
muss die Kritik, die es selbst früher einstecken musste, jetzt
an den Konkurrenten ausgeteilt werden.
Keek: Was halten Sie davon, dass immer wieder
neue Wörter direkt mit einer Beurteilung von den Politikern
zu einer Diskussion erfunden werden? Wie in diesem Fall "Killerspiele"?
Moderator: Zusatzfrage: Muss ich mich jetzt schuldig
fühlen, weil ich für den Chat getextet habe: "Machen
Killerspiele aus Kindern Killer?"?
Mathias Mertens: Der Begriff "Killerspiele"
folgt ganz einfachen politjournalistischen Mustern. Etwas muss so
griffig benannt werden, dass man ganz viele Anschlussbeiträge
zu dem Thema produzieren kann, weil sich alle sofort etwas unter
dem Begriff vorstellen können und dann immer denken, sie wüssten
Bescheid, wenn darüber berichtet wird. Man – der Journalist
– unterschätzt aber oft das Wirkungspotential solcher
Begriffe. "Killerspiele" ist ein ideologischer, nicht
technischer Begriff. Wenn so etwas in Gesetzesentwürfen auftaucht,
ist der Entwurf eigentlich schon diskreditiert. In Gesetzen zum
Nichtraucherschutz werden Zigaretten ja auch nicht als "Sargnägel"
oder "Nikotinnuckel" bezeichnet.
Moderator: Die Unterstellung von mastersin teile
ich nicht. Ich kenne eine Menge Kollegen, die sich mit dem Thema
ernsthaft auseinandersetzen, aber noch mal ein paar Fragen zur Medienproblematik:
mastersin: Wieso werden Beiträge auf ARD
und ZDF nie objektiv gehalten, sondern sind immer auf einen bestimmten
Punkt fixiert? Da wird nur noch subjektiv geschildert, wie schlecht
"Killerspiele" doch sind.
VAZZ: Falls Sie die beiden Sendungen von Panorama
verfolgt haben ("Spiel ohne Grenzen – wenn Computersucht die
Kindheit zerstört " und "Morden und Foltern als Freizeitspaß
– Killerspiele im Internet ") – könnten Sie die beiden
Berichte kommentieren? Würden Sie sagen, dass das Thema PC
– Spiele zu einseitig negativ in den Medien behandelt wird?
Arno: Mit welchen Gefühlen sehen Sie Berichte
in den Medien, in denen zum Beispiel, wie jüngst geschehen,
"Final Fantasy 7" als "Killerspiel" bezeichnet
wird? Wo ist die Grenze?
Mathias Mertens: Man könnte viel gegen die
Sendungen von Panorama und Frontal21 sagen und das tut die Community
ja auch sehr ausgiebig und mit sehr vielen, lang bewährten
Argumenten. Ich würde mal umgekehrt den Vorwurf machen, dass
die Community nur auf diese Beiträge reagiert und sich selbst
das Gefühl gibt, es gäbe nur solche Berichte. Das erzeugt
auch ein öffentliches Bewusstsein davon, dass Computerspiele
vielleicht doch so sind, wie sie in diesen "Aufreger-Beiträgen"
dargestellt sind. Es gibt aber keinen Jubel über gelungene,
originelle, andere Berichte und Texte. Dafür sollte man eher
eine Öffentlichkeit schaffen. Stattdessen verschanzt man sich
hinter dem beschränkten Urteil, dass ein gelungener Bericht
einer ist, der der Stiftung Warentest-Ästhetik der Games-Magazine
folgt. Das finde ich, schlicht gesagt, sehr beschränkt.
Moderator: Aber in der Summe: Sie halten die Darstellung
in den Medien für problematisch?
Mathias Mertens: Ich halte viele Darstellungen
in den Medien für problematisch und zur selben Zeit auch nicht.
Man muss sich auch auf die Produktionslogiken einlassen und etwas
auch danach bewerten. Wenn man in die Geschichte geht, dann wird
man feststellen, dass es identische öffentliche Diskussionen
über Video in den siebziger Jahren gegeben hat. In den fünfziger
Jahren über das Fernsehen. In den zehner Jahren über den
Film. Und so weiter, und so fort. Irgendwann, wenn alle meinungsführenden
Produzenten in Deutschland mit Computerspielen aufgewachsen sind,
wird auch diese Diskussion vergessen sein. Und die Computerspielverteidiger
von heute werden die schärfsten Kritiker des dann neuen Mediums
sein. Das ist, glaube ich, fast ein Naturgesetz, mit dem wir leben
müssen.
Moderator: Definitionsfrage:
Running-Duck:
Was ist in der landläufigen Meinung überhaupt ein "Killerspiel"? So wie
Frau von der Leyen es in ihrem Entwurf beschrieben hat, würden selbst
Spiele wie World of Warcraft darunter fallen, die eine
Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle von 12 Jahren bekommen haben.
marwin2901: Ab wann bezeichnet man ein Spiel als
"Killerspiel "?
Cholostase: Was sind denn eigentlich Killerspiele?
Die Definition ist nicht klar. Oder werden mit "Killerspielen"
alle Spiele mit gewalttätigem Inhalt bezeichnet? Dann müssten
aber auch Spiele die eine Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle
von 12 bekommen verboten werden, oder?
Mathias Mertens: An diesem Punkt offenbart sich
der ideologische Gehalt des Begriffs. Denn man könnte niemals
trennscharf definieren, was ein Killerspiel eigentlich ist. Letzten
Endes ist ein Killerspiel immer das, was in diesem Moment für
bestimmte Leute moralisch nicht einwandfrei ist. Das ist in fünf
Jahren aber anders. Und das war vor fünf Jahren auch anders.
Die Gefährlichkeit einer solchen Gesetzesinitiative wäre,
dass hier eine Lizenz für permanente Einzelfallentscheidungen
aus moralischen Gründen geschaffen würde. Und das wäre
Zensur in ganz klassischer Form: Was den Mächtigen nicht passt,
das wird verboten. So lange, bis es ihnen wieder passt. Oder auch
nicht.
Moderator: Die ganze Diskussion hat ja einen Hintergrund,
daher die Schlagzeilen-Frage:
LyR: Würde ein Verbot helfen Amokläufe
zu verhindern?
Mathias Mertens: Ich bin ja fast versucht, zu
sagen: Lasst es uns ausprobieren! Nur um dann beim nächsten
Amoklauf trotz Killerspiel-Verbot schadenfroh sagen zu können:
Hab ich es nicht gesagt! Wenn es nur nicht so schrecklich wäre.
Amokläufe könnten dadurch verhindert werden, indem man
Menschen verbietet. Denn es die menschliche Natur, die sich in solchen
Taten offenbart.
Moderator: Vielleicht kann man es mal von verschiedenen
Seiten eingrenzen:
Ezechielpitau: Sicherlich sollten Fünfjährige
nicht Doom spielen. Wie würden Sie sinnvolle Altersgrenzen
setzen?
Mathias Mertens: Ich würde alle Eltern ermutigen,
sich mit ihren Kindern und dem, was diese interessiert, zu beschäftigen
und dann aus ihrer Erfahrung heraus persönliche Altersgrenzen
zu setzen. Und diese Grenzen dann auch mit ihren Kindern zu diskutieren
und zu erklären. Denn nur solche direkten Moralsysteme, in
die man selbst eingebunden ist und die man nachvollziehen kann,
sind auch sinnvoll. Ich finde das System mit der Selbstkontrolle
der Wirtschaft und den Altersempfehlungen aber sehr sinnvoll, das
sind sehr gute Orientierungen für individuelle Entscheidungen.
Johanna: Aber ist es nicht so, dass sich Jugendliche
durch die so genannten "Killerspiele" isolieren und in
eine sehr gewalttätige Welt flüchten können, in der
sie mal Herrscher sind, was im Leben normal nicht vorkommt?
Mathias Mertens: Na, Gott sei Dank können
sie dann mal Herrscher sein. Das ist doch das Grundprinzip allen
Spielens: die Regeln zu meistern und Herr über das Geschehen
zu sein. Und dieses Isolationsargument hat für mich auch einen
zweitausendfünfhundert Jahre alten Bart. Wie oft haben Leute
denn schon gemeinsam ein Buch gelesen? Die sehe ich auch immer nur
völlig paralysiert herumsitzen und keinen Kontakt haben. Und
im Kino sitzen sie auch alle völlig gleichgeschaltet und starren
auf eine Leinwand. Das ist eben so: Man richtet seine Aufmerksamkeit
auf etwas. Und je interessanter das ist, desto mehr Aufmerksamkeit
erhält es.
Moderator: Kommentare von:
Dingsbums: Erst wenn das letzte Killerspiel verboten
ist, werden wir erkennen, dass man seine Kinder immer noch erziehen
muss.
andiebar: Ich finde ihre Schreibe einseitig. Kann
es sein, dass Sie selbst computerspielsüchtig sind und versuchen,
ihre Leidenschaft zu rechtfertigen?
Gerky: Ist ihnen bekannt, ob die "Killerspiel"-Debatte
auch in andern Ländern geführt wird? Wenn nein: Wieso
geht Deutschland einen "moralischen Alleingang"?
Mathias Mertens: Ich will keine einzelnen Computerspiele
verteidigen, ganz viele finde ich furchtbar langweilig und geschmacklos.
Aber ich will die pauschale Verurteilung angreifen, die Folgen hat,
die schlimm wären. Denn wir würden uns einer Kunstform
mit großem Potential berauben, wenn wir das jetzt unterdrücken.
Und was die Einseitigkeit angeht: Die sehe ich auf der anderen Seite
genauso. Darauf kann man nur so reagieren. Ich habe das vorhin ja
auch kritisch angemerkt: Dass nur auf dieses Thema abgezielt wird.
Man sieht es doch auch hier im Chat, dass hier niemanden etwas anderes
über Computerspiele interessiert, als ob die dargestellte Gewalt
reale Gewalt auslöst. Darüber kann man nur einseitig diskutieren.
Lieber wären mir aber andere Aspekte.
Haber: Ist die Killerspieldebatte zum großen
Teil nicht einfach ein "Kampf der Generationen?"
Mathias Mertens: Ja, diejenigen, die mit anderen
Medien aufgewachsen sind, können mit der Weltsicht des neuen
Mediums nichts anfangen und fürchten Ausgrenzung.
Jottoj: Ich habe mich schon dabei ertappt, nach
einem Autorennspiel zu riskant im realen Leben gefahren zu sein.
Gibt es wirklich gar keinen Zusammenhang zwischen "Killerspielen
" und Gewalt?
Moderator: Wie schätzen Sie Grand Theft Auto
ein? Meinen Sie auch, dass dieses Spiel ein großes Potenzial
hat, Spielinhalte auf die Realität zu projizieren? Wird ja
oft in Beiträgen genannt.
Mathias Mertens: Grand Theft Auto ist eines der
interessantesten Spiele der letzten Jahre. Nicht, weil sein Grundprinzip
originell wäre, das ist so wie tausend andere Spiele auch:
Beseitige alle Feinde, überlebe. Sondern wegen seines Zugriffs
auf eine Welt, die mit der Welt in unseren Köpfen zusammengeschlossen
wird. Wenn ich durch San Andreas oder Vice City fahre, dann fahre
ich eigentlich durch die achtziger oder neunziger Jahre, in denen
ich aufgewachsen bin und kann meine eigenen medialen Erfahrungen
darauf projizieren. Nicht GTA wird auf die Welt projiziert, sondern
die Medien meiner Kindheit werden auf das Spiel GTA projiziert.
Das ist, glaube ich, der Grund für seinen Erfolg.
Moderator: Zwei Fragen stellvertretend für
viele andere:
coyo: Welche positiven Aspekte haben Computerspiele
im Allgemeinen und auch "Gewalt-Spiele" im Speziellen?
Karsten Schick: Lässt sich auch Positives
über diverse Taktik-Shooter im Internet sagen? Man könnte
doch meinen, dass diese, sofern im Team gespielt, die Fähigkeit
mit diesem umzugehen um ein Vielfaches steigern.
Mathias Mertens: Das Taktikelement stimmt wohl,
klingt aber wirklich wie eine blöde Rechtfertigung nach außen.
Sie meinen aber, dass der Umgang mit dem Internet geschult wird,
und das ist das viel interessantere Argument. In Spielen lernen
wir Spielstrukturen und die Ähnlichkeit dieser Strukturen mit
Strukturen im "First Life" ist der wichtigste Effekt von
Computerspielen. Wir würden viele Interfacelogiken – zum Beispiel
die von diesem Chat – nicht verstehen, wenn wir nicht Spiele gespielt
hätten, deren Navigationsanforderungen und Informationsordnungen
ähnlich waren. Nicht nur, dass Spiele die Hardwareentwicklung
befördert haben, sie haben dann auch die Softwaremöglichkeiten
ausprobiert und weitergetrieben.
egospieler: Kann man überhaupt Spiele ohne
Gewalt produzieren?
Mathias Mertens: Gewalt ist der plakative Ausdruck
für Konflikt. Konflikt ist das Grundmuster für jede künstlerische
Betätigung. Insofern wird es wohl schwierig sein, in einem
Medium, das keine sprachliche Auseinandersetzung bietet, sondern
nur handlungsorientiert ist, ohne irgendwelche Gewalt auszukommen.
nikakoi: Gibt es signifikante nationale Unterschiede
hinsichtlich des Bedürfnisses nach Spielen, die Gewalt beinhalten?
Mathias Mertens: Das wird manchmal behauptet und
mit Verkaufszahlen belegt: Amerikaner spielen Egoshooter, Deutsche
spielen Aufbauspiele, Japaner spielen seltsame Simulationen. Aber
das liegt vielleicht weniger in irgendwelchen genetischen Programmen,
sondern schlicht und einfach daran, dass sich Vorlieben immer in
Gruppen ausbreiten und deshalb dort auch immer bestätigt werden.
Sobald sie dann aber die Grenze dieser Gruppe überschreiten,
finden die anderen das auch gut. Wenn es denn gut ist. Wir spielen
doch auch Wario Ware Inc. und Katamari Damacy, obwohl das schon
sehr seltsam ist
Thorsten: Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede
sind bei der Nutzung von Computerspielen bekannt? Von wem wurden
dazu in letzter Zeit Studien veröffentlicht (bestenfalls im
Internet)? Weiß man inzwischen schon genauer, welche Spiele
Frauen und Mädchen gerne spielen?
Mathias Mertens: Ich kann ihnen keine Studie nennen.
Die gibt es aber wohl. Man kann aber sagen, dass die enormen Verkaufszahlen
von "Die Sims " oder "Nintendogs " darauf beruhen,
dass diese Spiele von Frauen und Mädchen gekauft werden. Wie
bei anderen Medien auch bewahrheitet sich, dass man eigentlich für
Frauen schreiben, filmen oder programmieren muss, wenn man einen
Bestseller haben möchte.
Calvin2k7: Ich habe mich mit meinen Freunden gefragt,
ob dargestellte Gewalt in Computerspielen – aber auch in Filmen
und im Fernsehen – vielleicht ein Produkt von einer Generation ist,
die reale Gewalt, als höchste Form den Krieg, nicht mehr kennt.
Würden Kinder aus Afghanistan, wenn sie die Möglichkeit
hätten, solche Filme schauen und solche Spiele spielen?
Mathias Mertens: Das ist ein interessanter Gedanke.
Man muss sich ja tatsächlich fragen, warum wir diese Bilder
als realistisch ansehen, obwohl wir niemals eine solche Erfahrung
real gemacht haben und damit vergleichen könnten. Womit wir
es – und die Programmierer – aber vergleichen, sind Darstellungen
von Gewalt in Medien. Die Gewaltbilder der Computerspiele sind die
Gewaltbilder der Vietnamfilme aus den Achtzigern und der Fernsehkriegsberichte
aus den neunziger Jahren. Das ist unser Erfahrungshintergrund und
darauf verweisen die Bilder. Und realistisch ist es immer nur in
Differenz zu der vorherigen, minderwertigeren Darstellung. Insofern
würden Kinder aus Afghanistan diese Spiele wohl nur spielen,
wenn sie Berichte über den Krieg in Afghanistan gesehen hätten.
Moderator: Kommentar-Nachtrag zum Thema "Wer
spielt was?":
cybersnake-killerspieler: Thema Mädchen:
Ich habe viel Erfahrung in ESL (Electronic Sport League) und da
spielen viele Mädchen / junge Frauen so genannte "Killerspiele".
Jungeradler: Halten sie den zunehmenden "Realismusgrad"
in modernen Spielen für problematisch? Könnte dadurch
ein Risiko entstehen, dass Menschen nicht mehr zwischen Realität
und Spiel unterscheiden können?
Mathias Mertens: Sie sind nicht realistisch. Sie
folgen nur einer bestimmten Vorstellung von Realismus. Man vergleiche
einfach mal die Möglichkeiten eines Spiels mit der Realität
und man wird feststellen, dass man in der Realität schon daran
scheitert, dass man keinen Controller in der Hand hat.
Moderator: Kommentar-Nachtrag zum Thema Krieg und
Gewaltspiele:
malte G.: Dazu möchte ich gerne etwas sagen.
Ich selber bin Bundeswehrsoldat und war vor drei Monaten das letzte
Mal in Afghanistan. Ich habe vorher auch schon Egoshooter gespielt
wie CS 1.6 und Battlefield 2, allerdings spiele ich jetzt kein Battle
Field 2 mehr und gucke weniger Kriegsfilme, da für mich der
Anreiz verschwunden ist, da ich die Bilder aus dem richtigen Leben
kenne.
Gunther: Ich bin in der Ausbildung zum Kinder-
und Jugendpsychotherapeuten (Psychiatrie Uni-Klinik). Bei uns ist
die Meinung verbreitet, dass es inzwischen als neuropsychologisch
bewiesen gilt, dass auch Killerspiele (neben anderen Quellen) die
Hemmschwelle, andere schwer zu verletzen oder gar zu töten,
herabsetzt, indem die Empathie (…der Gegner leidet so, wie ich
an seiner Stelle leiden würde…) langsam aber sicher desensibilisiert
wird. Wie sehen Sie das?
Mathias Mertens: @malte: Genau das meinte ich
in Bezug auf die Kinder in Afghanistan.
@Gunther: Wenn man Menschen in genau dieselben Bedingungen setzt,
die von den Spielen vorgegeben werden, dann glaube ich, dass sie
das tun. Und genau so funktioniert jede behavioristische Versuchsanordnung:
Zeige Kindern Videos von Kindern, die auf Puppen eindreschen, und
dann sperre sie in Räume, in denen nichts anderes möglich
ist, als auf Puppen einzudreschen, dann werden sie es auch tun.
Moderator: Nachtrag:
malte G.: Ich gebe Ihnen in gewisser Weise schon
Recht. Man "vermisst" die Maus und die Tastatur, allerdings
ist Battlefield 2 recht realistisch gehalten und weckt in mir persönlich
bestimmte Erinnerungen.
Mathias Mertens: An was erinnert sie Battlefield?
Atlan: Das mit den Puppen finde ich etwas überzogen:
Wir sind alle in einer Welt voller Gewalt eingesperrt. Also können
wir nichts mehr tun?
Mathias Mertens: @Atlan: Nein, das war ein klassisches
Experiment von Bandura. Ich will nur fragen, ob die Spiele nicht
eher Ausdruck von bestimmten Bedingungen sind und nicht ihre Ursache.
Moderator: Frage an Dr. Mertens, können wir
ein paar Minuten überziehen?
Mathias Mertens: Ja, können wir.
Moderator: Prima. Stimmen Sie shadow zu?
shadow: Nachtrag: Wenn Kinder aus den viel zitierten
zerrütteten Verhältnissen kommen und eventuell sogar häusliche
Gewalt oder Gewalt in der Schule erlebt haben, ist ihre Motivation
für derartige Spiele eine völlig andere und sie schaffen
in dieser Parallelwelt etwas, was im normalen Leben nicht möglich
ist.
Mathias Mertens: Der Inhalt der Spiele ist völlig
egal. Wichtig ist, dass sie Kontrolle und Erfolg erleben. Das war
ihnen wohl versagt. Insofern kompensieren Spiele auch Enttäuschungen,
die sich in einer Wettbewerbsgesellschaft ergeben, in der man oft
nicht mehr die Chance erhält, in Wettbewerb zu treten. So wie
der Film vor hundert Jahren ein Sinnangebot gegeben hat in einer
Welt, die gerade durch die Fabrik völlig zerstückelt wurde.
Steppenwolf3: Solange Eltern ihren Minderjährigen
Kinder Spiele ab 18 kaufen, wird sich das nicht ändern. Sollte
man nicht lieber bei den Eltern im Sinne der Bildung von Medienkompetenz
beginnen?
Ferris: Sind Sie der Meinung, dass die Eltern
mehr gefordert werden müssten? Dass zuviel und zu schnell auf
Gesetze und Regelungen abgeschoben wird?
Mathias Mertens: Ja, ich finde es fatal, dass
wir alles durch Gesetze regeln wollen und damit immer mehr Verantwortung
für unsere Situation auf ominöse, ungreifbare Andere schieben
wollen. Und Eltern sollten unbedingt Computerspiele spielen. Nicht
nur, weil es ihnen vielleicht Spaß machen könnte. Sondern
auch, weil sie dann einen weiteren Bezug zu ihren Kindern aufbauen
können. Man hat doch auch Jahrhunderte lang vorgelesen und
diese Medienerfahrung geteilt. Warum nicht auch spielen?
Moderator: Noch mal ganz konkret:
The Killers: Wie ist es zu bewerten, dass bei
Spielen wie Counterstrike real existierende Schulen so realistisch
wie möglich als Maps umgesetzt werden. Sind Jugendliche, die
solche Maps entwickeln, prädestiniert dazu, selber zu Amokläufern
zu werden?
Mathias Mertens: Ich behaupte mal, dass Amokläufer
nicht so kreativ sind. Der Nachbau von Schulen zeigt, dass die Spiele
ganz anders begriffen worden sind: Nämlich als 3D-Umgebungen,
in denen man sich bewegt und die man auch gestalten kann. Die Gestaltung
greift dann auf eigene Erfahrungen zurück – und das sind für
Kinder meistens Schulen. Und, sehr wichtig: Das ist eine sehr reizvolle
Grenzüberschreitung, die da gemacht wird, indem das hierarchische
Modell der Schule mit so sozialdarwinistischen Ideologien wie dem
des Shooters gleichgesetzt wird. Es ist fast Kulturkritik, die dadurch
betrieben wird.
Moderator: Und noch eine Prognose:
LyR: Wie sieht die Zukunft der "Killerspiele"
Ihrer Meinung aus?
Mathias Mertens: Man sollte keine Prognosen abgeben.
Dann wird man später immer zitiert und alle lachen drüber.
Wie mit den drei Computern, die die Welt braucht. Das sagte der
IBM-Chef in den fünfziger Jahren.
Moderator: Das waren 75 Minuten tagesschau-Chat
bei tagesschau.de und politik-digital.de. Vielen Dank Herr Mertens,
dass Sie sich Zeit für den Chat genommen haben. Und vor allem,
dass Sie mit fliegenden Fingern auch noch so schnell geantwortet
haben. Vielen Dank an alle User für Ihr Interesse und die vielen
interessanten Fragen. Sorry, dass so viele nicht zum Zuge gekommen
sind. Das Protokoll des tagesschau-Chat ist wie immer in Kürze
zum Nachlesen auf den Seiten von tagesschau.de und politik-digital.de
zu finden. tagesschau.de und politik-digital.de wünschen allen
noch einen angenehmen Tag.