Am
Welt-Aids-Tag, 1.
Dezember 2006, war Dr. Ulrich Heide, geschäftsführender
Vorstand der deutschen Aids-Stiftung, zu Gast im tagesschau-Chat in
Kooperation mit politik-digital.de. Er diskutierte mit den Nutzern
über Aufklärung, Kampagnen, und die Betreuung der Patienten
.

Moderator: Herzlich Willkommen
zum tagesschau-Chat am Welt-Aids-Tag. 49.000 Menschen sind in Deutschland
derzeit mit dem HI-Virus infiziert; jeden Tag kommen etwa sieben
neue Fälle dazu. Weltweit steigt die Zahl der HIV-infizierten
teils dramatisch. Was können Politik, Hilfsorganisationen und
die Bürger gegen Aids tun? 60 Minuten wird uns heute Dr. Ulrich
Heide, der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Aids-Stiftung,
für Fragen im Chat zur Verfügung stehen. Vielen Dank,
Herr Heide, dass Sie sich Zeit für den Chat genommen haben
und die Frage nach Bonn: Können wir beginnen?

Ulrich Heide: Ja gern.

gupsi: Ein Freund von mir hat Angst, seinen Eltern
zu erzählen, dass er HIV-infiziert ist. Ich weiß nicht,
wie ich ihm weiterhelfen soll. Was würden Sie ihm für
Tipps geben?

Ulrich Heide: Ich würde ihm empfehlen, zu
einer örtlichen Beratungsstelle zu gehen, also beispielsweise
einer Aids-Hilfe in seinem Wohnort und sich mit dem Berater sehr
konkret auf das Gespräch mit seinen Eltern vorzubereiten. Die
Adressen von Aids-Hilfen und anderen Beratungsstellen sind über
die Homepage der Stiftung www.Aids-stiftung.de auffindbar.

norisknofun: So wahnsinnig viele Menschen sterben
doch gar nicht an Aids. Da ist es doch gefährlicher auf einer
Autobahn unterwegs zu sein. Warum wird gerade dieses "Lebensrisiko"
so hoch gehängt?

Ulrich Heide: Erstens gilt die Aussage, dass nicht
so viele Menschen sterben nur für Deutschland und nicht für
die weltweite Situation, denn weltweit werden in diesem Jahr über
drei Millionen Menschen an Aids sterben – alle elf Sekunden ein
Toter. Für Deutschland rechnen wir in diesem Jahr mit 600 bis
700 Todesfällen durch Aids, weil seit zehn Jahren Medikamente
zur Verfügung stehen, die das Leben Infizierter und Erkrankter
deutlich verlängern können. Die Zahl der Neuinfektionen
mit dem HI-Virus ist in den letzten Jahren bei uns aber deutlich
gestiegen und die Infektion ist ja leicht zu vermeiden, im Wesentlichen
durch Kondomnutzung. Darum ist es wichtig, immer wieder auf diesen
Schutz hinzuweisen, wie im Straßenverkehr auf das Anlegen
des Sicherheitsgurtes.

konzentrat: Wieso denkt eine steigende Anzahl
Jugendlicher, Aids spiele für sie keine Rolle?

Ulrich Heide: Dafür gibt es wohl mehrere
Gründe. Der erste Grund: Aids ist in Deutschland nicht zu einer
solchen Katastrophe geworden, wie wir sie in anderen Ländern,
insbesondere in Afrika, sehen. Damit hat die Aufmerksamkeit für
das Thema und das Risiko einer Infektion und Erkrankung deutlich
abgenommen. Zweitens: Viele verwechseln Behandelbarkeit und Lebensverlängerung
durch neue Medikamente mit Heilung oder hoffen, dass der medizinische
Fortschritt in wenigen Jahren eine Heilung ermöglichen wird.
Hierfür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Von daher sollte
sich jeder weiterhin in riskanten Situationen, also zum Beispiel
beim Sex außerhalb von langfristigen, festen Partnerschaften,
vor dem Virus schützen. Drittens: In vielen Ländern der
Welt, insbesondere in Afrika, ist Aids zu einer gigantischen gesellschaftlichen
Katastrophe geworden. Das verleitet uns oft dazu, Aids nur noch
als ein Problem der Entwicklungsländer anzusehen.

Amadeus: Welche Formen von Aufklärung über
Aids gibt es? Gibt es das schon in der Schule?

Ulrich Heide: Für die Aufklärung von
Jugendlichen und insgesamt der Allgemeinbevölkerung ist in
Deutschland vor allem die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) zuständig. Die Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung hat etliche Broschüren für
Jugendliche entwickelt und Materialien für die Arbeit in der
Schule. Diese Informationen können über www.bzga.de abgefragt
oder bestellt werden.

HarryPotter: Wie erfolgreich sind die Anti-Aids-Kampagnen
(mit Promis) tatsächlich? Welche Resultate gab es, und was
sind die Ziele für die neue Kampagne "Gemeinsam gegen
Aids"?

Ulrich Heide: Alle Kampagnen haben unterschiedliche
Methoden für unterschiedliche Zielgruppen. Bei den Kampagnen
wie "Gemeinsam gegen Aids" und bei der Arbeit mit Prominenten
geht es uns vor allem darum, überhaupt Öffentlichkeit
für das Thema HIV und Aids herzustellen und damit Aufmerksamkeit
für die weiterhin bestehende Risikosituation zu schaffen. Gleichzeitig
haben die Kampagnen und die Arbeit von Prominenten eine wichtige
Funktion, wenn es um die Verhinderung der Diskriminierung von Menschen
mit HIV und Aids geht. Um wirkliche Verhaltensänderungen wie
die Nutzung von Kondomen in riskierten Situationen zu erreichen,
brauchen wir andere Methoden. Wir setzen aber auch andere Methoden
ein. Vor allem direkte Beratung und das persönliche Gespräch
in Beratungsstellen oder auch durch Streetworker, die z.B. Bars
und Kneipen aufsuchen. Deutschland hat eine der niedrigsten Infektionsraten
weltweit. Beispielsweise ist die Infektionsrate in der Schweiz dreimal
höher, in Italien viermal höher und in Spanien sogar siebenmal
höher als bei uns. Dies belegt, dass die Präventionsarbeit
in Deutschland insgesamt sehr erfolgreich war und ist, auch wenn
es uns Sorge machen muss, dass die Neuinfektionszahlen in den letzten
Jahren steigen.

Moderator: Ich weiß nicht, ob jemand schon
mal so eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufgestellt hat, aber man
hat ja häufig den Wunsch, nach schönen klaren Zahlen:

Samira: Herr Heide, mal ganz konkret: Wie hoch
ist die Gefahr, wenn ich in einer deutschen Großstadt ausgehe
und mich abschleppen lasse, mich zu infizieren?

Ulrich Heide: Das hängt von sehr unterschiedlichen
Dingen ab. In Deutschland sind es nach wie vor vor allem Männer,
die Sex mit Männern haben, die bedroht sind. Vor allem, weil
innerhalb dieser Gruppe der prozentuale Anteil der Infizierten weit
höher ist als im heterosexuellen Teil der Bevölkerung.
Eine statistisch geringe Wahrscheinlichkeit einer Infektion schützt
im Einzelfall aber natürlich gar nicht und man sieht bei demjenigen,
von dem man sich abschleppen lässt ja auch nicht, welche sexuelle
Vorgeschichte man mit ins Bett nimmt.

Andi0110: Gibt es Unterschiede wo man sich in
Deutschland befindet? Nord versus Süd oder Berlin im Vergleich
mit Frankfurt?

Ulrich Heide: Ja, die Mehrzahl der Menschen mit
HIV und Aids leben in den sehr großen Städten. Ca. 50%
aller Betroffenen leben allein in den sechs Großstädten
München, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Hamburg und
Berlin. Oft sind sie aber erst nachdem ihnen die Infektion bekannt
geworden ist in eine der Großstädte gezogen, weil dort
die Beratungssituation und oft auch die medizinische Versorgung
besser ist als auf dem "flachen Land".

Andreas_: HIV wird in der westlichen Welt häufig
immer noch direkt mit Homosexualität in Verbindung gebracht.
Selbst die Ärztekammer schließt Homosexuelle generell
vom Blutspenden aus, statt einfach nur nach häufig wechselnden
Sexualpartnern oder ungeschütztem Verkehr zu fragen. Neben
der Frage der Diskriminierung ist hier möglicherweise auch
die Gefahr zu sehen, dass Heterosexuelle für sich keine Gefahr
sehen. Was meinen Sie?

Ulrich Heide: Die Gefahr, dass Heterosexuelle
HIV und Aids nicht ernst nehmen, besteht tatsächlich. Dabei
ist weltweit gesehen HIV eine ganz überwiegend durch heterosexuellen
Verkehr übertragene Infektion. In Afrika sind inzwischen mehr
Frauen als Männer infiziert, aber auch bei uns nimmt die Zahl
der heterosexuellen Übertragungen von HIV zu. Obwohl in Deutschland
tatsächlich die Mehrzahl der Neuinfektionen auf Männer,
die Sex mit Männern haben, entfallen.

Drumma: Vor welchen Infektionsmöglichkeiten
sollte ich mich (abgesehen von Sexualkontakten, bin verheiratet)
schützen und wie mache ich das?

Ulrich Heide: Im Wesentlichen wird die HIV-Infektion
durch Blut-zu-Blut-Kontakt wie beispielsweise beim Benutzen nicht
steriler Spritzbestecke weitergegeben. Andere Risiken (neben ungeschützten
Sexualkontakten) bestehen in Deutschland kaum, da seit vielen Jahren
Blut und Blutprodukte auf das Virus kontrolliert werden.

micc: Eine Gruppe, unter welcher die HIV-Prävalenz
überdurchschnittlich hoch ist, ist die der Migranten. Was denken
sie, wie kann man diese Gruppe am besten erreichen?

Ulrich Heide: Migranten sind in Deutschland genau
wie die deutsche Bevölkerung ja keine heterogene Gruppe. Untersuchungen
zeigen zum Beispiel, dass Migrantinnen und Migranten aus Afrika
besser über HIV und Aids informiert sind als Migranten aus
Osteuropa. Beide Gruppen sind aber schlechter aufgeklärt als
der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Dies müssen
wir dringend ändern. Wir brauchen dazu die Hilfe von Menschen
aus den jeweiligen Migrantengruppen, die einerseits den Zugang haben,
die andererseits aber auch den soziokulturellen Hintergrund kennen
und daher in der Lage sind, Präventionsbotschaften und Informationen
so zu formulieren und weiterzugeben, dass sie akzeptiert werden
können und dadurch wirksam sein können. Die deutsche AIDS-Stiftung
hat zum Beispiel gerade mit einer Gruppe von jugendlichen Migrantinnen
und Migranten aus Afrika einen Präventionsspot für Jugendliche
Migrantinnen und Migranten produziert.

Moderator: Zwei Fragen zum Thema Osteuropa:

Stanislaw: Wie kommt es, dass gerade in Osteuropa
die Zahl der HIV-Neuinfizierten in den letzten Jahren steigt? Was
ist dort anders als in Deutschland? Schlechtere Aufklärung?

Ariane: Sehr geehrter Herr Heide, ich befinde
mich im Moment in Litauen und bin doch sehr enttäuscht, dass
es keine gute Aufklärungsarbeit gibt. Viele scheuen sich auch,
Kondome zum Schutz zu kaufen. An dieser Stelle möchte ich Sie
fragen, ob es auch Abkommen oder besser gesagt gemeinsame Projekte
mit den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gibt?
Vielen Dank!

Ulrich Heide: Osteuropa und hier vor allem Estland,
die Ukraine und Russland sind die Länder, in denen im Augenblick
weltweit die Neuinfektionszahlen am schnellsten steigen. Es fehlt
und es fehlte vor allem in den zurückliegenden Jahren an der
Bereitschaft der Regierung und der Gesellschaft, offen über
HIV und Aids und die Möglichkeiten, sich zu schützen,
zu informieren. In Osteuropa ist die Bereitschaft gerade der Regierungen
wohl auch deshalb so gering gewesen, weil insbesondere junge männliche
Drogennutzer, die gemeinsam nicht sterile Spritzbestecke benutzt
haben, die Hauptbetroffenengruppe stellen – und damit neben HIV
und Aids immer auch illegaler Drogenkonsum und zum Teil Kriminalität
angesprochen werden müsste. Die Bundesregierung und die Europäische
Union bemühen sich seit einigen Jahren darum, dass der HIV-Prävention
auch in Osteuropa mehr Aufmerksamkeit beigemessen wird. So wird
im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr
2007 eine Konferenz der europäische Gesundheitsminister zur
Rolle von Regierungen und Zivilgesellschaft in der HIV/Aids-Prävention
in Bremen stattfinden.

Moderator: Wissen Sie, was da beschlossen werden
soll?

Ulrich Heide: Zentrales Thema soll vor allem die
Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Regierung, Selbsthilfe und
Zivilgesellschaft in der Prävention von HIV und Aids sein.
Aus meiner Sicht eine sehr gut gewählte Themenstellung, weil
die relativ guten Erfolge in der Prävention von HIV in Deutschland
maßgeblich auf das langjährige und insgesamt gute Zusammenspiel
von Regierung, Selbsthilfe und Zivilgesellschaft zurückzuführen
sind. Insoweit ist die deutsche AIDS-Politik durchaus vorbildlich
und kann Anregungen für die Arbeit zu diesem Thema in anderen
Ländern leisten.

John Doe: Was für großen Aktionen gibt
es im Rest der Welt? Macht Afrika zum Beispiel auch mit?

Ulrich Heide: Aids ist zurzeit die weltweit größte
gesundheitliche Bedrohung. Darum gibt es natürlich und glücklicherweise
in fast allen Ländern Anstrengungen zur Prävention und
zur Hilfe für bereits infizierte und erkrankte Menschen. So
gibt es auch etliche afrikanische Staaten wie beispielsweise Kenia,
Uganda und Ruanda, in denen es aufgrund intensiver Präventionsanstrengungen
gelungen ist, die Neuinfektionsraten gerade bei Jugendlichen zu
senken. Es gibt aber auch andere Länder wie die Republik Südafrika,
in denen die Regierung eine sehr indifferente Haltung zu HIV und
Aids einnimmt. So wird beispielsweise immer wieder von der südafrikanischen
Gesundheitsministerin bezweifelt, dass HIV Aids auslöst und
dass antiretrovirale Medikament helfen. Das führt trotz großer
Anstrengungen von Selbsthilfegruppen und internationalen Organisationen
dazu, dass in Südafrika noch keine entscheidenden Fortschritte
bei der Senkung der Neuinfektionsrate erreicht wurden.

Moderator: Zum Thema Osteuropa noch ein Kommentar
von:

micc: Die Deutsche Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit implementiert in den Baltischen Staaten ein angepasstes
deutsches Instrument zur HIV-Prävention. Es ist vor allem an
die dort lebende deutsche Minderheit gerichtet, erreicht aber auch
deren Umfeld. Es gibt also auch gemeinsame Projekte mit Deutschland.

Moderator: Ich weiß nicht, ob dies zu den
Aufgaben eines geschäftsführenden Vorstands der Aidsstiftung
gehört:

saldi: Wann waren Sie zum letzten Mal in einer
der Aids-Stationen in Nigeria, Südafrika etc.?

Ulrich Heide: Die deutsche Aids-Stiftung unterstützt
seit sechs Jahren auch Projekte im Ausland, im Augenblick vor allem
im südlichen Afrika in den Ländern Namibia, Südafrika,
Mosambik und Tansania. Ich selbst war vor zwei Jahren in Tansania
und Südafrika. Mein Vorstandskollege vor einem Jahr in Namibia
und ich werde voraussichtlich Anfang nächsten Jahres nach Mosambik
und Tansania fahren. Wir versuchen, die Kommunikation mit den von
uns geförderten Projekten im Ausland zwar nicht nur über
zeit- und auch kostenintensive Reisen sicherzustellen. Aber es ist
trotzdem sehr wichtig, immer wieder auch den persönlichen Kontakt
und die persönliche Anschauung von der Entwicklung der Projekte
zu haben.

pandora: Arbeiten Sie auch mit den (katholischen)
Kirchen zusammen und wenn ja: Wie muss man sich das vorstellen?

Moderator: Ein weiterer User fragt dazu nach Ihrer
Einschätzung, wenn der Papst das Kondomverbot lockert. Was
würde das Ihrer Ansicht nach für die AIDS-Aufklärung
und die Kampagnen vor allem in den katholischen Ländern bedeuten?

Ulrich Heide: Wir arbeiten mit kirchlichen Einrichtungen
in Namibia, Südafrika und Mosambik zusammen. Unsere Erfahrung
zeigt, dass die Gemeinden an der Basis auf Grund ihrer Erfahrung
und aufgrund der Größe des Problems sich längst
von bestimmten Vorstellungen des Vatikans verabschiedet haben. Selbstverständlich
informieren auch von katholischen Gemeinden getragene Projekte über
die Nutzung von Kondomen. Teilweise stellen sie sie sogar zur Verfügung.

Moderator: Drei Fragen stellvertretend für
viele mehr zum Thema Bekämpfung der Erkrankung selbst:

Schnuffelino: Wie weit ist die Wissenschaft? Wann
gibt es Ihrer Schätzung nach so etwas wie einen Impfstoff oder
ein Gegenmittel?

stefanscheerer: Mich würde mal interessieren,
wie der Stand der Forschung/Entwicklung von Medikamenten derzeit
ist. Man liest/hört immer, dass geforscht wird. Gibt es greifbare
Ergebnisse?

hans84: Wie weit ist eigentlich der Forschungsstand
in Sachen Aids-Bekämpfung? und wie sieht es mit staatlicher/nichtsstaatlicher
Unterstützung zur Aids-Forschung aus?

Ulrich Heide: Im Bereich der Entwicklung neuer
Medikamente gibt es laufend Fortschritte, die aber auch dringend
nötig sind, um mit den Mutationen des Virus und der Resistenzbildung
Schritt zu halten. Ohne diese Fortschritte stünden die Therapieerfolge
der letzten 10 Jahre sofort in Frage. Es gibt aber bisher keine
große Wahrscheinlichkeit auf eine Heilung von Aids in einem
überschaubaren Zeitraum. Ein weiteres großes Thema für
die Forschung ist die Entwicklung eines Impfstoffes – aus meiner
Sicht die einzige Option, um Aids tatsächlich mittelfristig
weltweit deutlich zurückzudrängen oder günstigstenfalls
zu besiegen.

Seit einigen Jahren wird weltweit intensiver nach Impfstoffen gesucht.
Es besteht aber kaum eine realistische Hoffnung, in den nächsten
zehn bis zwölf Jahren einen wirksamen und marktfähigen
Impfstoff zur Verfügung zu haben. Gleichwohl muss intensiv
geforscht werden. Denn ohne Forschung hätten wir auch in 15
Jahren nicht die Chance auf eine wirksame Substanz. Bei der Entwicklung
von Impfstoffen fehlt es bislang an einer Unterstützung der
Bundesregierung.

Moderator: Die User fragen: Hilft schocken, statt
aufklären?

AngelOfLove: Viele junge Menschen in Deutschland
haben keine Sensibilität für die Krankheit Aids. In Großbritannien
gibt es eine tolle Kampagne durch Fernsehspots, die grade die Jugend
ansprechen. Warum nicht auch in Deutschland? Die Fernsehspots finde
ich eher langweilig. Bringen Schocker im Fernsehen noch etwas?

Richard5: Sehr geehrter Herr Dr. Heide, ich bin
in der Versicherungsbranche tätig und würde als ein neues
Gegen-Aids-Konzept das Prinzip der Angst vorschlagen, weil es sehr
effektiv ist. Ich selbst verhüte immer mit Kondom und spreche
offen über das Thema. Jedoch denke ich, dass man mehr Menschen
erreichen kann, wenn man ihnen vor Augen führt, was mit ihnen
passiert, sollten sie sich anstecken. Versicherungen werden effektiv
mit Angstmache verkauft.

Ulrich Heide: Sehr viele Untersuchungen haben
gezeigt und zeigen weiterhin, dass Angst nur kurzfristig wirksam
ist. Es geht aber bei der HIV-Prävention um eine mittel- und
langfristig stabile Verhaltensänderung, nämlich um die
ständige Nutzung von Kondomen in riskanten Situationen. Und
hier wirkt Angst nicht. Sondern nur eine durch sachliche Information
erzielte stabile Haltung.

Moderator: Nachfrage zum vieldiskutierten Thema:
Wer bezahlt die Aids-Bekämpfung in Afrika:

Hans FR: Das hört sich toll an! Leider können
sich fast keine Menschen in Afrika diese Medikamente leisten.

Moderator: Müssen sich die westlichen Länder
mehr engagieren?

Ulrich Heide: Das Hauptproblem bei der dringend
notwendigen Ausweitung von Therapieprogrammen in Afrika (bislang
haben nur ca. 15 Prozent der Menschen, die behandelt werden müssten,
in Afrika Zugang zu Therapien) ist im Augenblick nicht so sehr der
Preis der Medikamente. Denn einerseits stellen viele Pharmaunternehmen
Produkte für die Entwicklungsländer kostenfrei oder zu
extrem abgesenkten Preisen zur Verfügung, andererseits haben
fast alle großen Hersteller Lizenzen für die Generikaherstellung
erteilt. Somit stehen Medikamente in Afrika zu Preisen zur Verfügung,
die zwar nicht direkt von den Menschen bezahlt werden könnten,
die im Rahmen internationaler Hilfsprogramme – vor allem durch den
Global Fund – aber bezahlbar sind. Das Hauptproblem bei der Ausweitung
dieser Programme ist im Moment die schlechte Infrastruktur und vor
allem der Mangel an ausgebildetem Personal (Ärzte und Pflegekräfte).

Schnuffelino: Wenn Sie in Ihrer Position drei
Wünsche frei hätten, welche wären das?

Ulrich Heide: Weltweit eine offene und intensive
Informationsarbeit über die Gefahren von HIV und Aids und die
Möglichkeit, sich vor diesen Gefahren zu schützen. Weltweit
die Verhinderung der Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen
mit HIV und Aids und weltweit den Zugang zu qualitativ guten Therapieprogrammen
für alle Infizierten und Erkrankten, die der Medikation bedürfen.

Moderator: Das war unserer tagesschau-Chat bei
tagesschau.de und politik-digital.de. Vielen Dank für Interesse
und vielen Dank an Herrn Dr. Heide. Das Protokoll des Chats ist
in Kürze zum Nachlesen auf den Seiten von tagesschau.de und
politik-digital.de zu finden. Das tagesschau-Chat-Team wünscht
noch einen schönen Tag und ein schönes erstes Adventswochenende.

Ulrich Heide: Ich bedanke mich für Ihr Interesse
und wünsche ebenfalls ein schönes Wochenende. Für
weitere Informationen empfehle ich die Homepage der deutschen AIDS-Stiftung
www.Aids-stiftung.de.