Chat mit Ernst-Ludwig
Winnacker, Präsident der DFG


Moderator:
Sehr geehrter Herr Professor Winnacker, wir heissen Sie ganz herzlich im dritten
gemeinsamen Chat von politik-digital und der DFG willkommen. Sie nehmen sich
heute zwei Stunden Zeit, um über das Potential der Genforschung für die Medizin
der Zukunft zu sprechen. Sicher werden wir auch auf die Risiken der Genforschung
zu sprechen kommen. Fangen wir aber erst einmal bei den grundsätzlicheren Fragen
an:

Chris: Worin unterscheiden sich adulte und embryonale Stammzellen? Adulte
Stammzellen sind doch ethisch unbedenklich!

Ernst-Ludwig Winnacker: Adulte Stammzellen sind in einer späteren Phase
der Entwicklung als embryonale Stammzellen. Adulte Stammzellen lassen sich in
der Regel nicht gut zum Teilen anregen.

mkn: Sehen Sie einen ethisch-moralischen Unterschied zwischen der Nutzung
embryonaler beziehungsweise adulter Stammzellen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Selbstverständlich. Darum geht ja die ganze
Diskussion.

Moderator: Warum besteht da ein Unterschied?

Ernst-Ludwig Winnacker: Weil embryonale Stammzellen aus Embryonen in
einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung hergestellt werden. Dies führt zur
Zerstörung des Embryos.

KleinerOnkel: Kann man mit der Stammzellenforschung nicht warten, bis
man mit adulten Stammzellen arbeiten kann?

Ernst-Ludwig Winnacker: Warten kann man immer! Die Frage ist, ob man
adulte Stammzellen überhaupt ohne embryonale Stammzellen bearbeiten kann und
auf eine Therapie hin entwickleln kann.

Äule: Woher kommen eigentlich embryonale Stammzellen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Wenn der Embryo sich bis zum 100. Zellstadium
entwickelt hat, sieht er aus wie ein Hohlkugel. Im Innern dieser Kugel befinden
an einer Stelle circa 10 bis 20 Zellen, die man isolieren und als embryonale
Stammzellen in Kultur vermehren kann.

Moderator: Das ist die biologische Erklärung, wie ist es mit der Verwendung
von embryonalen Stammzellen? Ist das in Deutschland erlaubt?

Ernst-Ludwig Winnacker: Die Herstellung von embryonalen Stammzellen
ist in Deutschland verboten, weil gemäß Embryonenschutzgesetz eine fremdnützige
Verwendung von Embryonen untersagt ist. Die Herstellung von embryonalen Stammzellen
wäre eine solche fremdnützige Nutzung. Nicht verboten ist aber die Verwendung
bereits im Ausland hergestellter Zellen.

kurtmmayer: Sollen deutsche Forscher die Möglichkeit bekommen, embryonale
Stammzellen im Land herzustellen, oder genügen die im Ausland vorhandenen Linien?
Und: Muss das Embryonenschutzgesetz geändert werden, um Linien in Deutschland
herstellen zu dürfen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Derzeit genügen vermutlich die bereits im Ausland
hergestellten Zellinien. Sollte sich herausstellen, daß sie nicht genügen, und
dafür gäbe es sicherlich Gründe, hat die DFG vorgeschlagen, in Überlegungen
einzutreten, das Embryonenschutzgesetz diesbezüglich zu ändern.

Faust2: Warum halten sie es für notwendig importierte Embryonen zu Forschungszwecken
zu verwenden?

Ernst-Ludwig Winnacker: Weil wir die Mechanismen der Reifung von Zellen
bislang nicht verstehen. Dies müssen wir aber, um am Ende entweder adulte oder
embryonale Stammzellen medizinisch einsetzen zu können.

Moderator: Vielleicht mal ganz grundlegend: Für welche medizinischen
Zwecke braucht man embryonale Stammzellen, für welche Zwecke adulte Stammzellen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Im Prinzip für die Behandlung sogenannter degenrativer
Erkrankungen, also von Krankheiten die durch den Verlust von Zellen entstehen,
zum Beispiel Parkinson, Multiple Sklerose, vielleicht Herzinfarkt etc.

Moderator: Ist es bei diesen Krankheiten unerheblich, ob es sich um
adulte oder embryonale Stammzellen handelt?

Ernst-Ludwig Winnacker: Nicht unbedingt. Das wissen wir eben nicht.
Das entwicklungsbiologische Potential der verschiedenen Zellen ist unterschiedlich.
Außerdem stehen bei adulten Stammzellen nicht beliebig viele Quellen zur Verfügung.
Realistisch vielleicht nur Stammzellen des blutbildenden Systems oder der Haut.

dalderson: Wie weit sind die Forschungen an tierischen Stammzellen vorangeschritten?

Ernst-Ludwig Winnacker: Embryonale Stammzellen der Maus gibt es seit
1981 (Evans). Embryonale Stammzellen des Menschen erst seit Ende 1998. Adulte
Stammzellen sind in der Maus ebenfalls seit längerem bekannt, auch beim Menschen.
Daß sie sich aber ineinander umwandeln können ist, genauso wie die Tatsache,
daß es Stammzellen im Gehirn gibt. Es gibt also noch Hoffnung für uns alle,
auch für die über 60-jährigen.

Peter: Befürworten sie eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes?

Ernst-Ludwig Winnacker: Derzeit ist dies nicht notwendig. Wenn denn
die existierenden Stammzellinien nicht ausreichen, dann sollte man dies ins
Auge fassen.

Gabrielczyk: Lassen sich Stammzellen überhaupt in den Mengen und der
Reinheit produzieren, die für einen therapeutischen Einsatz erforderlich wären?

Ernst-Ludwig Winnacker: Das ist genau das Problem, weswegen noch sehr
viel Forschung in diese Systeme investiert werden muss. Adulte Stammzellen,
etwa des blutbildenden Systems, muß man aus Knochenmark isolieren und kann sie
nicht einfach beliebig vermehren. Embryonale Stammzellen teilen sich, aber müssen
natürlich in geeigneten Mengen dann auch umgewandelt werden.

Cornelia: Wie viele Embryonen benötigt man in einem Jahr in Deutschland
schätzungsweise für die Forschung?

Ernst-Ludwig Winnacker: Im Moment gar keine. Es ist verboten. Man arbeitet
auf diesem Felde mit sogenannten Zellinien. Die Herstellung einer solchen Linie
bedarf sicher einiger Versuchsansätze, vielleicht fünf Embryonen. Dann aber
kann man die Linien in Kultur halten und vermehren. In der Maus werden heute
fünf solcher Zellinien für 95% aller Versuche verwendet.

Moderator: Was sind Zelllinien?

Ernst-Ludwig Winnacker: Das sind Zellen, die man einmal aus einem Organ
isoliert und dann in Kultur in einer Nährflüssigkeit hält. Dort teilen sie sich.
Wenn die Petrischale gefüllt ist, nimmt man ein Drittel der Zellen und züchtet
sie weiter. Die anderen zwei Drittel friert man ein, um sie bei Gelegenheit
wieder zu verwenden. Bei menschlichen Zellen kann man dies nicht beliebig oft
machen. Sie durchlaufen nach 50 Teilungen eine sogenannte Krise und sterben
alle. Krebszellen haben diese Eigenschaft nicht und lassen sich immer weiter
züchten. Ähnliches gilt für embryonale Stammzellen.

stammzelle: Was ist der unterschied zwischen der Verwendung überschüssiger
Embryonen und extra zu Forschungszwecken hergestellten Embryonen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Welche Stammzelle fragt? Adult?

Moderator: Wahrscheinlich …

Ernst-Ludwig Winnacker: Bei der künstlichen Befruchtung können Embryonen
übrig bleiben, die nicht gebraucht werden, weil die Beteiligten entweder dazu
nicht mehr in der Lage oder interessiert sind. Das geschieht selten, aber es
geschieht. Diese Embryonen werden dann eingefroren und warten der Dinge die
da kommen. Diese – und nur diese – überzähligen Embryonen sollen hier verwendet
werden. Die Herstellung nur zu Forschungszwecken lehnen wir ab.

saba: Embryonale Stammzellen besitzen aber, so weit mir bekannt ist,
auch keine unbegrenzte Lebensdauer, das heißt, irgendwann wird es nicht vermeidbar
sein, immer wieder neue Stammzellen zu generieren?

Ernst-Ludwig Winnacker: Im Maussystem sind die Mengen so groß, daß man
in der Tat lange damit arbeiten kann. Im menschlichen System ist die Sache längst
nicht so weit gediehen. Hier muß man sogar auf Feederlayer, zu deutsch Zellrasen
von anderen Zellen züchten, was derzeit sicherlich das Arbeiten erschwert.

Gabrielczyk: Wie lange können diese Zellinien menschlicher embryonaler
Stammzellen in Kultur gehalten werden?

Ernst-Ludwig Winnacker: In den Originalarbeiten ist zu lesen, daß sie
über viele Monate hinweg gehalten werden können. Da es sie erst seit 1998 gibt,
kann ich das nicht abschliessend beantworten.

Chris: Wenn man nur mit einigen Zelllininen forscht, sind die Ergebnisse
dann überhaupt allgemein gültig?

Ernst-Ludwig Winnacker: In der Regel schon. Es ist in der Tat aber wichtig,
daß es schon einige Zellinien sind. In der Maus wissen wir, daß sie leicht unterschiedliche
Entwicklungspotentiale aufweisen. Nun sind Menschen keine Mäuse, so dass auch
hier Unsicherheiten bestehen. Deswegen muß eben auch mit diesen Linien gearbeitet
werden.

Moderator: Kommen wir mal zum Einsatz der Stammzellen:

Anna: Wie gut stehen die Chancen degenerative Erkrankungen mit Stammzellen
zu heilen beziehungsweise zu stoppen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Wir reden hier über Forschung. Die Anwendung
wird einige Jahre auf sich warten lassen. Immerhin werden Stammzellen des blutbildenden
Systems schon in der Medizin eingesetzt, allerdings zu etwas anderen Zwecken,
beispielsweise in der Therapie von Blutkrebs.

Gabrielczyk: Welche Risiken müssen erforscht werden, bevor sich Stammzellen
therapeutisch einsetzen lassen. Gibt es etwa Infektionsrisiken durch Viren der
Mauszellen, auf denen die embryonalen Stammzellen kultiviert werden?

Ernst-Ludwig Winnacker: Viren sind sicherlich ein wichtiger Punkt. Weiterhin
ist die Reinheit der Zellen ein Problem und auch die Frage der Transformation,
also die Frage, ob sie nicht zur Krebsentstehung befähigt sind.

hinrich: Bei Herz-Patienten werden körpereigene Stammzellen verwendet
(letzte Woche gemeldet). Ist das keine Alternative?

Ernst-Ludwig Winnacker: Leider wissen auch die beteiligten Ärzte nicht,
ob hier überhaupt Stammzellen eine Rolle gespielt haben. Ein einziger Fall ist
eben keine Statistik. Ob adulte Stammzellen des blutbildenden Systems bei Herzinfarkt
eine Alternative werden könnten, ist weiterhin offen. Wir hoffen es und unterstützen
Forschungsarbeiten, die genau diese Frage bei der Maus untersuchen.

Moderator: Kurz zur Info: Die Fragen zu moralischen Risiken kommen noch!

Gabrielczyk: Ist es richtig, daß sich die potentiellen Zellersatztherapien
auf Stammzellbasis vor allem zur Behandlung von Krankheiten eignen, die weit
nach dem 50. Lebensjahr gehäuft auftreten (Alterdiabetes, Alzheimer, koronare
Herzrankheiten)?

Ernst-Ludwig Winnacker: Ist das eine Drohung?

Gabrielczyk: Nein

Ernst-Ludwig Winnacker: Das kann man so nicht sagen. Degenerative Erkrankungen
gibt es auch bei ganz jungen Leuten, zum Beispiel MS oder Herzkrankheiten.

Ernst-Ludwig Winnacker: Gabrielczyik: Meine vorige Antwort bezog sich
nicht auf ihre Frage, sondern die der Moderatorin.

Moderator: Keine Drohung, Herr Winnacker …

Moderator: Es geht schon los!

Stammzelle: Was wir eigentlich meinten: Warum darf an überschüssigen
Embryonen geforscht werden? Wo ist der moralische Unterschied??

Ernst-Ludwig Winnacker: An die Moderatorin. Sie sollten mich nicht immer
ernst nehmen.

Ernst-Ludwig-Winnacker: Überzählige Embryonen haben keinerlei Chance
und Lebensperspektive mehr, so daß ich meine, dass man in dieser Hinsicht einen
Abwägungsprozess durchführen darf zwischen menschlichem Leben, das keine alternativen
Chancen mehr besitzt und den Interessen schwerkranker Patienten.

mehnert: Haben Sie selbst ethische oder auch moralische Vorbehalte hinsichtlich
der Stammzellenforschung beziehungsweise der Genforschung überhaupt?

Ernst-Ludwig Winnacker: Selbstverständlich. Wenn Sie unsere Empfehlungen
oder Äusserungen zu diesem Thema lesen, dann wird dies sehr deutlich. Seit 20
Jahren publiziere ich über die Fragen der Chancen und Risiken der Gentechnik
bei ihren verschiedenen Anwendungen am Menschen.

BiMi: Denken sie nicht, dass es gegen ethische Grundsätze verstößt,
generell an Embryonen zu forschen???

Ernst-Ludwig Winnacker: und andernfalls vernichtet würden.

Ernst-Ludwig Winnacker: Hier ist etwas verloren gegangen … Ich werde
es noch einmal versuchen.

Moderator: Danke.

Ernst-Ludwig Winnacker: Wir empfehlen auch nicht generell, an Embryonen
zu forschen. Es geht nur um die erwähnten überzähligen Embryonen, die andernfalls
vernichtet würden.

Relikurs: In welchem Stadium beginnt das menschliche, schützenswerte
Leben?

Ernst-Ludwig Winnacker: Schützenswert ist es meiner Ansicht nach immer.
Auch Ei- und Samenzellen "leben". Individuelles Leben beginnt allerdings erst
dann, wenn die Phase der Möglichkeit der Zwillingsbildung vorbei ist. In jedem
Falle bin ich der Meinung, daß in diesen allerfrühesten Phasen ein abgestufter
Lebensschutz postuliert werden kann.

Gabrielczyk: Lange Zeit haben Sie sich öffentlich gegen die Forschung
mit embryonalen Stammzellen gewandt. Dann haben Sie Ihre Meinung offenbar geändert.
Was war für diesen Sinneswandel entscheidend??

Ernst-Ludwig Winnacker: Es ist ziemlich einfach. Das Arbeiten mit embryonalen
Stammzellen konnte man nicht gut empfehlen, solange es diese nicht gab. In den
letzten Monaten hat es aber auf diesem Felde so große Fortschritte gegeben,
daß man darüber die Öffentlichkeit informieren musste. Das ist die Aufgabe der
DFG.

Rutz: Wie sieht dieser "abgestufte Lebensschutz" aus?

Ernst-Ludwig Winnacker: Er sieht so aus, daß wir eben nur mit überzähligen
Embryonen arbeiten wollen. Bekanntlich ist der Embryo auch in seinen frühesten
Entwicklungsphasen auch im Mutterleib nur sehr eingeschränkt geschützt. Nur
etwa 20% der natürlicherweise entstandenen Embryonen kommen überhaupt bis zur
Einnistung in dieGebärmutter.

hinrich: Als MS-Betroffener lechze ich nach Hilfe. Ist Ethik und Moral
nur eine Frage jener, die es sich leisten können?

Ernst-Ludwig Winnacker: Diese Frage dürfen Sie eigentlich mir nicht
stellen. Wir versuchen ja gerade, in dieser Sache etwas zu unternehmen. Ohne
die von uns befürwortete Grundlagenforschung wird es keine Entwicklungen geben,
die Ihnen helfen könnten. In der Tat!

ungers:Ich bin selbst seit sechs Jahren an MS erkrankt und trotzdem
sehr skeptisch gegenüber der embryonalen Stammzellforschung.Glauben sie, daß
sie eine Hoffnung ist?

Ernst-Ludwig Winnacker: Ich kann jedenfalls nicht ausschliessen, dass
es keine ist. Deswegen muß ich als Wissenschaftler diesen Weg zu eröffnen versuchen.

g659574: Gibt es für Sie Grenzen für den Wunsch, zu heilen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Selbstverständlich. Die Forschungsfreiheit ist
nicht absolut. Die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes sind für die Wissenschaft
genauso wertvoll und verbindlich, wie für alle anderen auch.

Moderator: Gutes Stichwort, kommen wir mal zu den rechtlichen Fragen,
die hier aufkommen:

Nadine: Wie sieht denn die rechtliche Situation der Stammzellenforschung
aus?

Ernst-Ludwig Winnacker: An adulten, gewebespezifischen Stammzellen kann,
vorbehaltlich der Regeln des Standesrechts und Arzneimittelgesetzes etcc. gearbeitet
werden. Die Herstellung embryonaler Stammzellen ist gemäß Embryonenschutzgesetz
untersagt, ihre Verwendung aber nicht. Da in anderen Ländern die Herstellung
erlaubt ist, wäre bei uns ein Import solcher Zellinien möglich.

Chris: Ist das nicht paradox?

Ernst-Ludwig Winnacker: In der Tat. Deswegen haben wir auch empfohlen,
für den Fall, daß diese Zellen nicht wissenschaftsadäquat import werden können,
das heißt gemäß unserer eigenen Auflagen und Vorstellungen, diese auch bei uns
hergestellt werden müssten. Dies erschien uns ehrlicher, als allein auf den
Import zu setzen und die Forschungsrisiken samt ihrer moralischen Implikationen
auf andere abzuwälzen.

Moderator: Wieder zum Rechtsrahmen:

Sylvia: Wie stellen sich sich eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes
vor und in wie weit können Sie dabei auschließen, dass Artikel 1 des Grundgesetzes
verletzt wird ?

Ernst-Ludwig Winnacker: Das Embryonenschutzgesetz kann nur der Gesetzgeber,
also der Bundestag, ändern. Vielleicht ist dies aber auch gar nicht nötig. Meiner
Ansicht nach ist eben die Menschenwürde von solchen Embryonen nicht verletzt,
die keinerlei Chancen haben, zu Menschen zu werden.

informationer: Meiner Meinung nach sollte der Widerspruch zwischen Artikel
2 und 5 GG geklärt werden, welche den Schutz menschlichen Lebens sowie die Freiheit
der Forschung regeln und sich bis jetzt in diesem Punkt widersprechen.

Ernst-Ludwig Winnacker: Da sehe ich keinen Widerspruch. Artikel 5 gilt
nicht uneingeschränkt und ist den Artikeln 1 und 2 nachgeordnet. Menschenwürde
und menschliches Leben haben immer Vorrang. Aber auch Schwerkranke haben Menschenwürde.

Moderator: Herr Winnacker, hier sind echte Freiwillige aufgetaucht:

Marie: Ich halte die Stammzellforschung für hoffnungsvoll. Kann ich
mich freiwillig zur Eizellspende melden?

Ernst-Ludwig Winnacker: Eizellspenden sind nur einer Spenderin erlaubt,
die sich der künstlichen Befruchtung für sich selbst unterziehen will. Der Spende
geht ja eine sehr belastende medizinische Behandlung voraus, die sogenannte
Superovulation, die ihre Risiken birgt.

Moderator: Kurzer Einschub: Da wir leider nicht alle der zahlreichen
Fragen im Chat beantworten können, hat die DFG eine Service-Hotline geschaltet.
Nach dem Chat können Sie dort ihre Fragen an die Experten der DFG richten. Die
kostenlose Nummer lautet: 0800-5600969

Moderator: Mal grundlegend gefragt:

dalderson: Sieht sich die ‘deutsche Wissenschaft’ einem höheren Rechtfertigungsdruck
gegenüber der Öffentlichkeit ausgesetzt?

Ernst-Ludwig Winnacker: Die Diskussion über diese Fragen finden in vielen
Ländern statt. Angesichts unserer Geschichte und angesichts der rechtlichen
Situation verläuft sie bei uns allerdings unter veränderten Randbedingungen.
Diese hat auch die Wissenschaft zu berücksichtigen.

informationer: Wie sehen sie die rechtliche Entwicklung weltweit? Ist
hier überhaupt noch eine Kontrolle möglich? Speziell in den USA habe ich starke
rechtliche Bedenken!

Ernst-Ludwig Winnacker: Selbstverständlich sind hier Kontrollen möglich.
Präsident Bush erlaubt ausschließlich die Forschung mit öffentlichen Mitteln
an Zellinien, die bis zum 9. August hergestellt waren. Wir und andere bemühen
uns, diese Fragen international zu regeln, um die Übersicht über die existierenden
Zellinien zu behalten, beziehungsweise zu bekommen. Das ist auch aus rein wissenschaftlichen
Gründen wichtig.

Gabrielczyk: Was nützt aus Ihrer Sicht ein Verbot des therapeutischen
Klonens in Deutschland, wenn es in anderen Staaten, wie etwa Großbritannien,
gleichzeitig unter strengen Auflagen möglich ist? möglich

Ernst-Ludwig Winnacker: Es gibt eben ein internationales Rechtsgefälle.
Das enthebt mich nicht der Verpflichtung darauf hinzuweisen, daß diese Technologie
beträchtliche Risiken wissenschaftlicher und ethischer Natur besitzt, und daß
es zunächst im Tierversuch bearbeitet werden muß. Bekanntlich entstehen beim
Kerntransfer a la Dolly geklonte Tiere nur in geringsten Ausbeuten und mit vielerlei
Missbildungen. Ursache hierfür ist die stochastische Natur der Reprogrammierungsprozesse,
die hier nötig, aber nicht verstanden sind.

konrad: Sehen Sie eine Gefahr für den Wissenschaftsstandort Deutschland
bei einem eventuellen Verbot der Forschung an ES-Zellen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Für den Wissenschaftsstandort, ja!

saba: Befürchten Sie nicht, daß fähige Wissenschaftler unter diesen
Bedingungen ins Ausland gehen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Im Moment nicht, da, wie erwähnt, das Arbeiten
mit embryonalen Stammzellinien nicht verboten ist.

Beni: Wieviel Geld wird eigentlich in die Embryonenforschung investiert?

Ernst-Ludwig Winnacker: In Deutschland nichts. In das Arbeiten mit adulten
Stammzellen investiert allein die DFG circa 5 bis 6 Mio DM pro Jahr.

ChrisS: Warum werden die Bonner Forscher nicht engagierter gefördert
?

Ernst-Ludwig Winnacker: Weil die öffentliche Diskussion voll im Gange
ist und der Bundestag gebeten hat, bis zur Entscheidung des Ethikrates beziehungsweise
der Enquetekommission und seiner Entscheidung hierzu zu warten.

Moderator:Stichwort Enquetekommission:

dalderson: Welche Rolle spielt der Nationale Ethikrat bei der Diskussion
über Stammzellforschung?

Ernst-Ludwig Winnacker: Er ist ein vom Bundeskanzler eingesetztes Beratungsgremium.
Seine Meinung wird sicherlich in der Öffentlichkeit gehört werden.

Moderator: Und die Enquetekommission, was macht die?

Ernst-Ludwig Winnacker: Die Enquetekommission hat wohl ein sehr viel
breiteres Mandat und befasst sich längst nicht nur mit Stammzellforschung.

Snethlage: Wieviel Einfluß besitzt der Nationale Ethikrat auf die Entscheidungsfindung
im Bundestag?

Ernst-Ludwig Winnacker: Da müssen sie die Mitglieder des Bundestages
fragen!

Paul: Sie sind ja auch Mitglied bei der Ethikkommision: Wie ist dort
der Stand der Diskussion (quasi aus erster Hand!)?

Ernst-Ludwig Winnacker: Ich bin Mitglied im Nationalen Ethikrat. Er
wird sich bis Ende des Jahres mit der Frage des Imports von Stammzellinien befassen.
Er hat aber erst zweimal getagt, um sich überhaupt erst einmal kennen zu lernen.

Breher: Werden auch die deutschen "Akademien der Wissenschaft" zu diesen
Problemstellungen befragt?

Ernst-Ludwig Winnacker: Jeder kann sich in diesem Lande zu dieser Frage
äußern.

saba: Ist die Entscheidung des Ethikrates für die Forschung bindend?

Ernst-Ludwig Winnacker: Für die Forschung bindend ist das Gesetz, mit
anderen Worten der Deutsche Bundestag. Der Ethikrat ist eine beratende Instanz.
Wenn bis 7.12. die Rechtslage nicht geändert ist, wird die DFG auf der Basis
des geltenden Rechts entscheiden.

Moderator: Ein wissenschaftliches Einzelschicksal:

anne: Ich würde gerne wissen, warum bis heute der bereits im letzten
Jahr von Dr. Brüstle/Dr. Wiesler von der Uni Bonn gestellte Forschungsantrag
mit embryonalen Stammzellen zwecks MS-Heilungsabsichten noch immer auf "Eis
liegt", obwohl das Importieren und somit Forschen mit embryonalen Stammzellen
eigentlich erlaubt ist.

Ernst-Ludwig Winnacker: Weil höchste Vertreter dieses Staates, inklusive
der Bundestag, die DFG gebeten haben, diese Entscheidung zurückzustellen.

Moderator: Die DFG-Service Hotline zum Thema Genforschung ist nach dem
Chat geschaltet: 0800-5600969. Machen wir zum schluss noch mal einen Querschnitt
durch die wichtigsten Themengebiete.

Ernst-Ludwig Winnacker: Bitte!

Moderator: Sozusagen ein Frequently Asked …

jojo: Ich fände es wirklich interessant zu wissen, wann "menschliches
Leben" nach der Definition von Herrn Winnacker beginnt …

Ernst-Ludwig Winnacker: Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen.
Aber: Auch Samen- und Eizellen sind für sich menschliches Leben. Menschliches
Leben hat letztlich keinen Anfang und Ende, sondern ist ein Kreisprozess, der
sich immer wieder auf die Keimzellen reduziert.

Moderator: Zu den Embryonen:

jeanne: Liegt nicht das Risiko darin, dass man eines Tages viele Zellen
brauchen und deshalb Embryonen züchten wird?

Ernst-Ludwig Winnacker: Das ist, nach allem was wir aus tierischen Systemen
wissen, eben nicht zu erwarten. Adulte Stammzellen beispielsweise würden immer
nur für einen einzigen Patienten gewonnen. Embryonale Stammzellen lassen sich
vermehren, und stehen daher unbegrenzt zur Verfügung. In der Maus ist dies jedenfalls
so.

miriam: Wo sind die Grenzen der Genforschung und vor allem wer kann
entscheiden wo sie liegen ?

Ernst-Ludwig Winnacker: Jedenfalls nicht die Wissenschaft. Zu entscheiden
hat der Souverän. Die Grenzen liegen beim Umgang mit dem Menschen, und damit
mit den bereits diskutierten Punkten Menschenwürde etccc.

RalphNeumann: Was halten Sie von dem Vorschlag (der von einem Autor
aus der FAZ stammt – näheres weiß ich leider nicht mehr), Stammzellen "zentral"
von einer Organisation weltweit zu vergeben? Dies würde weitgehend soziale,
rechtliche und ethische Regelungen auf internationaler Ebene ermöglichen und
denen, die nicht im geheimen in diesem Bereich forschen wollen, eine rechtliche
Absicherung ermöglichen.

Ernst-Ludwig Winnacker: Die DFG hat in ihren Empfehlungen in der Tat
gefordert, im Sinne der Transparenz und der Standardisierung der Arbeit genau
das zu tun. Vorgespräche und Überlegungen hierzu sind längst im Gange.

Moderator: Welche Organisation käme da in Frage?

Ernst-Ludwig Winnacker: Eine möglichst autonome Instanz, wie zum Beispiel
die Fertility Authority in England. Dies wäre uns durchaus ein Vorbild. Denkbar
wäre auch ein Modell à la ZKBS (Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit),
die sich schon seit 23 JAhren bei uns bewährt hat.

saba: Wie verhält es sich mit Stammzellen aus Nabelschnurblut – sind
sie eher zu den adulten Stammzellen zu rechnen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Eher zu den adulten. Aber: Das Problem ist,
es gibt nur sehr wenige davon. Die Hoffnung besteht darin, diese in Zukunft
besser züchten zu können. Ich glaube, es gibt nur 1500 bis 5000 Zellen im Nabelschnurblut.
In diesem Zustand ist eben alles noch sehr klein. Aber: Es gibt in Düsseldorf
eine Bank, wo man sich einfrieren lassen kann, ich meine, das Nabelschnurblut.
Man merkt die zwei Stunden!

Moderator: Wir sind auch bald am Ende, in Sachen Chat zumindest!

Bundesgesundheitsmin: Wie denken Sie, sieht die entfernte Zukunft der
embryonalen Stammforschung aus?

Ernst-Ludwig Winnacker: Sie wird kommen. Wir wünschen uns, daß es die
von uns angestrebten und vorgeschlagenen internationalen Lösung geben wird.
Ob am Ende embryonale Stammzellen oder adulte therapeutisch Bedeutung gewinnen
und in welchem Therapiefeld, ist offen.

saba: Ist es nicht möglich, den Menschen durch Information in einer
Sprache, die sie verstehen, sprich umgangssprachlich, die Angst vor der Forschung
mit Stammzellen zu nehmen? Dieses Interview ist ein Ansatz, aber auch Tage der
offenen Tür in Forschungseinrichtungen etc. …

Ernst-Ludwig Winnacker: Sie sagen es: Ich versuche es immer wieder.
Wir wissen alles über Mallorca, aber nur wenig über die frühesten Phasen unserer
Entwicklung. Ich erinnere an den Wissenschaftssommer nächste Woche in Berlin,
wo alles gut erklärt wird.

Moderator: Wissenschaftsommer?

Ernst-Ludwig Winnacker: Der Wissenschaftssommer beginnt nächste Woche
in Berlin. Auftakt ist eine Veranstaltung mit dem Bundeskanzler am 12. September,
nachmittags auf dem Marlene Dietrich Platz. Ein passender Ort.

Moderator: Noch zwei Fragen, Herr Winnacker:

dalderson: Haben Sie überhaupt noch Zeit, selber zu forschen?

Ernst-Ludwig Winnacker: Leider nein! Aber zu denken!

Moderator: Schon fast ein gutes Schlusswort …

gizmo: Hätten Sie als junger Biochemiker gedacht, dass Sie sich jemals
mit solch zukunftsweisenden Fragen beschäftigen würden?

Ernst-Ludwig Winnacker: Ja. Ich wollte immer Biochemie studieren. Damals
konnte man das aber nicht, jedenfalls nicht in Deutschland.

Moderator: Sie haben diese Brisanz in der Genforschung also vorausgeahnt??

Ernst-Ludwig Winnacker: Nein, sicher nicht. Aber als sie 1969 entdeckt
wurde, war ich in Berkeley, und wir haben nächtelang darüber geredet, bis es
dann zu Asilomar kam. Asilomar (bei San Francisco) war eine Konferenz im Frühjahr
1975, als die Wissenschaft erstmals mit diesem Thema an die Öffentlichkeit ging.

Moderator: Sehr geehrter Herr Professor Winnacker, haben Sie ganz herzlichen
Dank für diesen anschaulichen und spannenden Wissenschaftschat. Ich denke, mit
dem Chat und dem Transkript, das wir später veröffentlichen werden, haben wir
einige grundlegende Fragen verständlich beantwortet. Mir hat es Spass gemacht,
Ihnen hoffentlich auch. Danke auch im Namen der Chatter! Und hoffentlich bis
zum nächsten Mal!

Ernst-Ludwig Winnacker: Ich bedanke mich. Es hat Spaß gemacht!

Moderator: Die Hotline der DFG ist nun geschaltet. Unter 0800-5600969
können Sie mit den Experten der DFG über ihre Fragen zur Genforschung sprechen.
Die Hotline ist kostenlos!

gizmo: Vielen Dank und Tschüß!

Moderator: Der nächste Chat an dieser Stelle: Frank Steffel, Spitzenkandidat
der Berliner CDU am 14. September von 17:30 bis 18:30!

Moderator: Für alle, deren Fragen nicht beantwortet werden konnten:
Unter 0800-5600969 ist eine Experten-Hotline geschaltet!

Paul: Es war sehr informativ, danke!

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