Am 2. Mai 2007 war der Moskau-Korrespondent der ARD, Stephan Stuchlik, zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er berichtete, wie es um die Freiheit der Presse und die Demokratie in Russland bestellt ist, wie der Kreml sich selbst sieht und wie die Russen zu ihrem Präsidenten stehen.
Moderator: Liebe Politik- und Russland-Interessierte, herzlich willkommen zum tagesschau-Chat. Unser Gast ist heute Stephan Stuchlik. Stephan Stuchlik ist seit 2005 Fernsehkorrespondent für die ARD in Russland und die früheren Mitgliedstaaten der Sowjetunion. Ein riesiges Berichtsgebiet, in dem es an vielen Stellen brodelt. Gerade erst hat Putin den KSE-Vertrag zur Rüstungskontrolle in Europa ausgesetzt. In Sachen US-Raketenabwehr fährt er einen Konfrontationskurs. Zugleich schwindet in Putins Reich die Pressefreiheit. Journalistenmorde werden nicht aufgeklärt und die Arbeit ausländischer Korrespondenten wird immer gefährlicher. Stephan Stuchlik selbst wurde erst vor wenigen Tagen Opfer russischer Polizeigewalt. Wir freuen uns auf Ihre Fragen zu allen Themen, Sie können diese jederzeit stellen. Wir versuchen, ein bisschen nach Themen zu ordnen.
Nach Moskau die Frage an Herrn Stuchlik, können wir beginnen?
Stephan Stuchlik: Herzliche Grüße aus
Moskau, es kann losgehen!
Moderator: Zweimal zur täglichen Arbeit:
lupus: Wie frei kann man als ausländischer
Korrespondent aus Moskau berichten? Gibt es Einschränkungen?
raureif: In Russland soll unter Putin die Pressefreiheit
wieder eingeschränkt worden sein. Wie macht sich das in der
journalistischen Realität bemerkbar?
Stephan Stuchlik: Wir können in Moskau eigentlich
noch relativ frei Bericht erstatten, wenn man das etwa vergleicht
mit anderen Staaten unseres Berichtsgebietes, wie Usbekistan oder
Turkmenistan. Was schlimmer geworden ist, sind die alltäglichen
Behinderungen durch immer neue Formulare, Drehgenehmigungen et cetera.
moritz: Was muss ich als Journalist in Russland
tun, bis ich in meiner Freiheit eingeschränkt werde?
Stephan Stuchlik: Es gibt viele Möglichkeiten,
aber im Grunde genommen kann man sagen: Je näher man der tatsächlichen
Macht kommt (Politik) oder den tatsächlichen Entscheidern in
der Wirtschaft, desto unangenehmer kann (nicht muss) die Situation
werden. Informationen von Menschen aus dem Kreml abzuzapfen oder
ein großes Portrait über Gazprom zu drehen, bringt enorme
Schwierigkeiten mit sich!
Betty: Morgen ist ja Tag der Pressefreiheit –
Wird man in Moskau da in irgendeiner Form drauf eingehen?
Stephan Stuchlik: Es wird die üblichen kleinen
Grüppchen von Menschenrechtlern und aufrechten Kollegen geben,
die daran erinnern, aber ansonsten: Fehlanzeige. Um das einzuordnen,
muss man sich allerdings auch ansehen, wie viele Leute in Deutschland
wohl morgen diesen Tag begehen werden.
center: Gibt es Unterschiede, wie russische und
wie ausländische Journalisten von der Polizei und Sicherheitskräften
behandelt werden?
Stephan Stuchlik: Als ausländischer Journalist
ist man in gewisser Hinsicht privilegiert. Während ich nach
meiner Verhaftung in Sankt Petersburg nach 20 Minuten wieder auf
freiem Fuß war (deutscher Pass), saß der Kollege aus
Russland meines Wissens noch zwei Tage in Haft. Kurz gesagt: man
stellt, denke ich, für die Mächtigen im Land prinzipiell
weniger direkte Gefahr dar, kann also freier berichten als die russischen
Kollegen und ist ein bisschen durch seinen eigenen Staat (in meinem
Fall Deutschland), seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und
natürlich seine Institutionen geschützt.
Moderator: Wie sieht es da speziell mit den deutschen
Journalisten aus. Ist es ein Vorteil oder ein Nachteil, Journalist
aus Deutschland zu sein – vielleicht im Vergleich mit einem US-Kollegen?
Stephan Stuchlik: Man wird als Deutscher im Prinzip
in Russland wesentlich netter behandelt als ein Amerikaner (trotz
des Zweiten Weltkrieges et cetera). Was den Status der Journalisten
angeht dagegen, wird vom Kreml einmal die Kiste „Ausland "
aufgemacht, man kommt hinein, ob Deutscher, ob Amerikaner – egal
– und muss fortan mit den Vor- und Nachteilen dieses Status leben.
Ein amerikanischer Kollege bekommt nicht automatisch schneller ein
Kreml-Interview als die deutsche Presse. Umgekehrt können wir,
glaube ich, auch nicht behaupten, in irgendeiner Form privilegiert
behandelt zu werden. Also der Amerikaner wird vielleicht eine etwas
rauere Antwort auf der Pressekonferenz bekommen als ich, aber da
liegt der Unterschied dann eben im Ton.
Joerg85: Warum wurden Sie in Sankt Petersburg
verhaftet?
Stephan Stuchlik: Gute Frage, ich habe nichts
anderes getan, als die Situation beobachtet. Wir waren noch nie
gern gesehen auf Demonstrationen und es geht da immer etwas ruppiger
ab. Man kommt schon mal mit blauen Flecken nach Hause. Aber dieses
Mal hatten die Sicherheitskräfte einen Gang hochgeschaltet:
alte Frauen, Kinder et cetera – und ich hatte den Eindruck, dass
irgendjemand oben gesagt hat: „Und wenn es da einen Journalisten
miterwischen sollte, auch kein Beinbruch“. Einen offiziellen
Grund der Verhaftung habe ich trotz mehrfacher Nachfrage nie erfahren.
Moderator: Sie sind bei der Demonstration verletzt
worden, ist das richtig? Reagiert man da mit einer Anzeige oder
gar nicht?
Stephan Stuchlik: Ich bin richtig „durch
die Mühle gedreht worden" und habe eine Gehirnerschütterung,
sowie mehrere Schrammen im Gesicht und am Bauch davongetragen. Nichts,
was man nicht in drei Tagen auskurieren könnte, aber natürlich
ist das kein Umgang mit Pressevertretern. Daher werde ich wahrscheinlich
zusammen mit meinem Kollegen Wenja Sacharow, dem Tontechniker, der
ebenfalls überrannt wurde, eine Anzeige erstatten.
zuschauerin: Ist man sich im Kreml darüber
im Klaren, welchen Imageschaden Bilder von prügelnden Polizisten,
die Gewalt gegen Journalisten ausüben, zur Folge haben?
Stephan Stuchlik: Ich bin immer unsicher, was
die Frage der Außenwirkung angeht. Zum einen beschäftigt
der Kreml teure Imagefirmen, zum anderen habe ich beständig
den Eindruck, dass vor Ort nur nach innen- und sicherheitspolitischen
Maßstäben gehandelt wird. Da geht man auch schon einmal
– wie ich gesehen habe – mit 30 Sicherheitskräften mit Helm
und Schlagstöcken auf fünf Demonstranten los, die nichts
anderes tun, als gegen das Warenimportverbot aus Georgien zu demonstrieren.
Ein PR-mäßiger Albtraum, das läuft natürlich
auf allen Kanälen. Trotzdem passiert so etwas in schöner
Regelmäßigkeit. Die Reaktion des Auslands auf die Übergriffe
in Moskau und Sankt Petersburg allerdings haben allem Anschein nach
sogar den Kreml aufgeschreckt!
gdztdz: Inwieweit wird die Haltung Moskaus in
Hinsicht auf die Pressefreiheit und den momentanen politischen Kurs
von der breiten Bevölkerung akzeptiert?
Stephan Stuchlik: Die überwiegende Mehrheit
der Bevölkerung unterstützt den Kurs von Präsident
Putin. Dazu gehört auch, dass man das sehr einseitig ausgerichtete
Fernseh- und Informationsprogramm in Russland als normal empfindet
und die Abwesenheit anderer Meinung als der des Kreml überwiegend
nicht vermisst. Bei genauerem Nachfragen kann man natürlich
sehen, dass alle wissen, wie das Spiel mit den Kreml-Medien im Moment
läuft. Aber solange die aktuelle Regierung für eine stabile
Situation im Land und ein mäßiges Wirtschaftswachstum
sorgt, das auch beim Einzelnen hängen bleibt, solange verschiebt
man die Frage der freien Information auf unbestimmte Zeit in die
Zukunft, so mein Eindruck.
zippel: Ist es jemals anders gewesen? Oder hat
es berechtigte Hoffnung gegeben, dass sich die Situation Richtung
Demokratie hätte nachhaltig verbessern können?
Stephan Stuchlik: Ich kann da leider nicht aus
erster Hand antworten, da ich erst 18 Monate in Russland arbeite.
Aber wenn ich Berichte meiner Kollegen aus dem Archiv sehe, die
zu Anfang der ersten Amtszeit von Präsident Jelzin gearbeitet
haben, also Anfang der 90iger Jahre, dann hat man (das persönliche
Gespräch mit den Kollegen verfestigt diesen Eindruck) schon
das Gefühl, dass die Vielzahl der politischen Meinungen im
Land, die Aufbruchstimmung, die damals neue Verfassung, die Beschneidung
der Rechte des Geheimdienstes und so weiter, zu einer Situation
geführt haben, aus der durchaus eine Demokratie hätte
werden können, wie es der westlichen Definition entspricht.
Moderator: Die vergangenen 18 Monate sind ja mit
Blick auf das Ende von Putins Präsidentschaft eine wichtige
Zeit. Haben Sie den Eindruck, dass sich die harte Haltung des Kreml
in der Zeit noch verschärft hat?
Stephan Stuchlik: Innenpolitisch werden mit Sicherheit
harte Zeiten auf alle zukommen. Es scheint auch im Kreml eine Unsicherheit
über den Kurs nach Putin zu geben. Das merkt auch die kleine,
zersplitterte Opposition und versucht, mit Märschen und Demonstrationen
den Keil anzusetzen. Das ist relativ aussichtslos, aber die Reaktionen,
die der Staat darauf gezeigt hat, werden härter und härter.
Das betrifft in der Folge dann auch: Einbringen neuer Sicherheitsgesetze,
Veränderung der Strukturen von Gewaltentrennung und so weiter.
Trotzki: Wer wird wohl der Nachfolger von Putin?
Welche Auswirkung wird das haben und welche weitere Rolle wird Putin
spielen?
mike_kaily: Putin muss demnächst seinen Platz
räumen und es wird ein neuer Präsident gewählt. Kann
dies an der Situation etwas ändern? Muss man eventuell sogar
mit einer Verschlechterung der Situation rechen?
Moderator: Und noch einer dazu:
Joerg85: Können Sie einschätzen, wie
und ob sich Russland nach der Ära Putin verändern wird?
Stephan Stuchlik: Lieber Trotzki, wenn ich den
Nachfolger kennen würde, könnte ich in Wettbörsen
einen Haufen Geld verdienen. Man gibt dem ehemaligen Verteidigungsminister
Iwanow sehr gute Chancen. Gehandelt werden unter anderem auch noch
der Chef der nationalen Projekte, Medwedjew und immer noch, immer
noch, Putin selbst (Dazu müsste man die Verfassung ändern!).
Was den Kurs angeht, so muss man nach allem, was man jetzt beobachten
kann, damit rechnen, dass Putin alles tut, um seinen Kurs auf absehbare
Zeit zu zementieren: Re-Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftszweige,
Beschneidung bürgerlicher Freiheiten, Disziplinierung eventuell
nach Autonomie strebender Landesteile. Ein Russland, dass nach außen
stark auftritt und in dem alles Wichtige im Innern ausschließlich
vom Kreml kontrolliert wird.
Moderator: Die Frage war natürlich auch schon
da, ich hoffe, die Frage zwei stellt sich nicht wirklich.
centech: Hallo Herr Stuchlik. Sagen Sie, ist es
wahrscheinlich, dass Putin die Verfassung ändern wird und damit
sein Amt verlängern könnte? Und sollte man, sollte es
so kommen, nicht gewarnt vor einem möglichen Krieg sein?
Stephan Stuchlik: Putin wird in diesem unwahrscheinlichen
Falle die Verfassung sicher nicht selbst ändern, sondern von
anderen ändern lassen. Viel ist geschrieben worden, was zu
solch einer Situation führen könnte. Es gibt Spekulationen,
dass es, wie Sie geschrieben haben, irgendwo einen Konflikt geben
könnte, der das Eingreifen des Präsidenten qua Notstandsverordnung
nötig machte, was ihn außerhalb der Verfassung setzen
und ihm damit die Möglichkeit geben könnte, noch einmal
anzutreten. Das halte ich für hochspekulativ und sehr verschwörungstheoretisch.
Ich persönlich habe den Eindruck, dass Putin selbst auch amtsmüde
ist. Aber wer das alles genau wüsste, könnte, wie gesagt,
auf Wettbörsen einen Haufen Geld verdienen.
Moderator: Zwei Raketenfragen:
mk83: Bekommen Sie eigentlich mit, wie die Bevölkerung
auf die von Amerika vorangetriebene Installation des Raketenabwehrprogramms
reagiert? Wie wird das innerhalb Russlands propagiert?
J.K.: Guten Tag. Ist Putins außenpolitisches
Gebaren, insbesondere gegenüber den Raketenplänen der
USA, begründet? Oder dient dies eher zur Ablenkung von innenpolitischen
Problemen?
Stephan Stuchlik: Solche außenpolitischen
Kraftakte macht man, denke ich, immer mit innenpolitischer Wirkung.
Es gibt jedoch eines, was man in Europa zum Teil, in Amerika noch
gar nicht begriffen hat. Wie Putin sagte: Wir haben nach dem Ende
des Kalten Krieges unseren Verteidigungsgürtel im Westen (Polen,
Tschechien et cetera) komplett aufgegeben und es zugelassen, dass
ihn der Westen für sich einnimmt (NATO-Beitritte). Wir können
aber nicht so einfach zusehen, wie man das jetzt auch noch mit Raketen
aufrüstet. Zu deutsch: Der russische Komplex, von Westen umzingelt
zu sein, von den Amerikanern vorgeführt zu werden, ist, meiner
Meinung nach, wesentlich schlimmer als die Angst vor dem eigentlichen
System.
Steve_0: Wie sollte die NATO in der gegenwärtigen
Situation reagieren?
Stephan Stuchlik: Den Amerikanern erst einmal
klarmachen, dass sie nicht einfach bilateral bestimmen können,
wie auf NATO-Gebiet Raketensysteme stationiert werden (das hat man
ja an der NATO vorbei vereinbart, also Tschechien mit USA, Polen
mit USA et cetera). Und nachdem das Ganze zum NATO-Projekt geworden
ist, das Thema im NATO-Russland-Rat auf den Tisch legen. Dafür
wurden solche Instrumente ja geschaffen. Einseitige, halbherzige
Angebote der Amerikaner, wie wir sie letzte Woche hier erlebt haben,
bringen keinen Millimeter weiter.
raureif: Wie ist die öffentliche Stimmung
in Russland? Teilt die Bevölkerung die „Angst "
vor dem Raketenspiegel und unterstützt sie Putins Positionen?
Stephan Stuchlik: Reale Angst haben, wie gesagt,
weder der Kreml noch die Bevölkerung. Es geht eher um diesen
„Alle-gegen-uns"-Reflex, der Jahrzehnte alt ist. Immer
wieder treten hier Experten auf, die relativ überzeugende Argumente
dafür vorlegen, warum der Raketenschirm niemanden etwas bringt.
Auch nicht den Amerikanern! Und da liegt der Schluss nahe, die Amerikaner
wollten dadurch nur demonstrieren, dass sie jetzt die Hoheit über
die ehemaligen Ostblockstaaten haben. Das will man sich natürlich
so nicht bieten lassen.
Anna: Entwickelt sich dadurch auch in der Bevölkerung
eine starke Anti-Amerika-Haltung?
Stephan Stuchlik: Die Anti-Amerika-Haltung ist
schon seit dem Abtritt Clintons auf Rekordhöhen und sie ist
besorgniserregend, in allen Bevölkerungsschichten etwa gleich
hoch.
askan: Müssen wir Angst vor einem zweiten
Kalten Krieg haben?
Stephan Stuchlik: Wenn man den Kalten Krieg definiert
als „Misstrauen plus Aufrüstung" dann ist ein Anfang
gemacht. Nur man kann den Prozess, denke ich, noch stoppen. Und
im Gegensatz zu früher ist die Welt multipolar geworden, also
es reden sicher die Europäer und andere (Indien, China et cetera)
auch noch ein Wort mit, wenn es um Rüstung auf der Welt geht.
Moderator: Thema Nationalstolz, in Russland und
anderswo:
Newstiger: Wie reagiert die russische Bevölkerung
eigentlich auf den in letzter Zeit gezeigten „Nationalstolz"
(extreme Reaktion auf das Versetzen des Denkmals in Tallinn, starkes
Auftreten gegen die amerikanischen Abwehr-Raketen, Ausländerfeindlichkeit
gegen Georgier)? Sind da alle einer Meinung oder gibt es dazu auch
kritische Stimmen?
jaybee: Wie präsent sind die Auseinandersetzungen
in Estland in den russischen Medien und wie ist die Wahrnehmung
der Ereignisse bei der Bevölkerung?
Stephan Stuchlik: Estland ist für die russischen
Medien, das heißt also auch für den Kreml, seit Monaten
das Thema Nummer eins. Bei allem Verständnis für die Leiden
der Esten unter der sowjetischen Besatzung, muss man das Vorgehen
in Tallinn zumindest als undiplomatisch bezeichnen. Man kann zumindest
den Punkt verstehen, dass die Russen sagen: „Umsetzen des
Denkmals, das ginge gerade noch, aber in einer Nacht- und Nebelaktion
… und dann auch noch unsere Soldaten umbetten, die Estland vom
Faschismus befreit haben. Ist das eigentlich pietätvoll?“
Der Verlust der russischen Gemeinschaft in Estland, der Verlust
des Einflusses ist sicher auch so ein „Nach-Kalter-Krieg-Phantomschmerz“.
Die Reaktionen in Moskau sind aber mindestens so übertrieben
wie die politischen Vorgänge in Tallinn.
Moderator: Noch mal zu den Medien, wir sind ja
online, daher:
Sergej: Ist Internet das einzige Medium in Russland,
wo so etwas wie Meinungsfreiheit herrscht?
Stephan Stuchlik: Meinungsfreiheit ist in Russland
relativ. Ich vermute, dass auch das Internet überwacht wird,
wie vieles andere auch (da sind die Russen und die Vorschläge
von Herrn Schäuble gar nicht weit auseinander). Aber richtig
eingegriffen in dieses System wurde noch nicht (Zensur oder ähnliches).
Wir alle wissen aber, dass man etwa Blogs mit Spam-Mail et cetera
lahmlegen kann, Rechner von außen überlasten, und von
solchen Fällen haben mir Oppositionelle erzählt.
bommel: Welche russischen Medien verteidigen denn
vehement ihre Freiheit gegen die Gleichschaltung?
Stephan Stuchlik: Es gibt keine Zeitungen, Radiosender
oder TV-Stationen, für die das einfach so im Ganzen gilt. Es
gibt Inseln, die eine oder andere Sendung, der eine oder andere
Autor et cetera. Viele Kollegen arbeiten nicht unter direkter Zensur
oder so. Sie müssen fürchten, den Besitzern ihrer Medien
nicht zu gefallen, ihre Arbeit zu verlieren. Die Besitzer sind in
vielen Fällen Kreml-nahe reiche Russen.
Moderator: Und weil der Klimawandel hier so viele
gerade bewegt, noch ein ganz anders Thema:
Wolfgang S.: Erst mal schönen Gruß
nach Moskau von einem ehemaligen Mitbewohner aus Brüsseler
Zeiten. Dann die Frage: Nach der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls
durch Russland gab es eine gewisse Hoffnung, dass es mit der Umweltpolitik
dort aufwärts geht. Wie sieht es derzeit aus?
Stephan Stuchlik: Grüße nach Brüssel!
Die Anstrengungen Russlands, die Klimapolitik zu verbessern, sind
mickrig und werden meist als taktische Maßnahmen gegen unliebsame
Firmen eingesetzt. Wirkliche Verbesserungsprogramme sind rar und
meiner Meinung nach in den seltensten Fällen ernst gemeint.
Wie Russland die Kyoto-Vorgaben erfüllen will, ist mir vollständig
schleierhaft. Das sagen übrigens auch namhafte Umweltorganisationen.
Unterschreiben heißt noch lang nicht umsetzen.
Moderator: Unsere Zeit ist um, herzlichen Dank
nach Moskau an Herrn Stuchlik für den Chat. Und Respekt vor
Ihrer Tipp-Geschwindigkeit, das war wirklich Tempo! Herzlichen Dank
an alle Teilnehmer für Ihr Interesse und die zahlreichen Fragen,
die wir wie immer leider nie alle schaffen. Das Protokoll des tagesschau-Chats
ist in Kürze auf den Seiten von tagesschau.de und politik-digital.de
zu finden. Allen Beteiligten wünschen tagesschau.de und politik-digital.de
noch einen angenehmenTag.