Am Sonntag, 20.
März, sprach Professor Hickel im tagesschau.de Live-Chat von
tagesschau.de und politik-digital.de über den Beschäftigungsgipfel
und die aktuelle Wirtschaftspolitik der Bundesregierung.

Moderator: Herzlich Willkommen
zum tacheles.02-Chat zum „Bericht aus Berlin“. Die Chat-Reihe
tacheles.02 wird von tagesschau.de und politik-digital.de veranstaltet.
In Bremen begrüße ich jetzt den Professor Rudolf Hickel,
Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft an der Uni
Bremen. Sind Sie bereit, Herr Hickel, können wir loslegen?

Rudolf Hickel: Ich bin gerne bereit!

Moderator: Ok, hier die erste Frage:

amon: Was meinen Sie denn, mit einer
Vermögenssteuer zu erreichen, außer dass Kapital legal/illegal
abwandert?

Rudolf Hickel: Die Vermögensteuer
könnte ein Beitrag sein, Finanzmittel für die Bildungsinvestitionen
zu gewinnen. Übrigens, das ‘Häusle ‘ bliebe steuerfrei.

Jason: Herr Prof. Dr. Hickel, macht es
nicht mehr Sinn, statt der Körperschaftssteuer die Lohnnebenkosten
zu senken? Schafft das nicht eher Arbeitsplätze, wenn man die
Arbeit billiger macht, statt die Unternehmensgewinne zu maximieren?

Rudolf Hickel: Die Senkung des Satzes
der Körperschaftsteuer auf 19% halte ich nicht für sinnvoll.
Kleinere und mittlere Unternehmen müssten für Investitionen
in Arbeitsplätze steuerlich belohnt werden.

Moderator: Wo sollte der Steuersatz ihrer
Ansicht nach liegen?

Rudolf Hickel: Der derzeitige Steuersatz
von 25% ist auch im internationalen Vergleich akzeptabel. Wichtig
ist die Mindestbesteuerung. Da hat der Bundeskanzler Recht. Viele
Kapitalgesellschaften können frühere Verluste immer noch
bis 60% mit heutigen Gewinnen verrechnen.

TomBerlin: Wäre es nicht auch sinnvoller
die Eigenheimzulage abzuschaffen und in die Renovierung von Schulen
zu stecken? Es hätte den Vorteil, dass dadurch das Handwerk
weiterhin begünstigt würde?

Rudolf Hickel: Ich stimme Ihnen eindeutig
zu. Die Eigenheimzulage sollte komplett abgeschafft werden. Gezielte
Hilfen im Rahmen der Stadtentwicklung sind sinnvoll. Reparaturen
von Schulen aus den Mitteln zu finanzieren, das ist sinnvoll!

Andreas Thiel: Sollte man die Mehrwertsteuer
auf handwerkliche Produkte und Dienstleistungen senken, um der Ich-AG
und dem Familienbetrieb unter die Arme zu greifen?

Rudolf Hickel: Ich stimme Ihnen zu. Mein
Vorschlag ist, für Handwerker den ermäßigten Satz
von 7% zuzulassen. Das ist auch ein Beitrag gegen Schwarzarbeit.

Kampfwissenschaft: Herr, Hickel: In den
USA gibt es ein hohes Wirtschaftswachstum. Dort wird, trotz steigender
Bevölkerungszahl, die Arbeitslosenquote gesenkt. Warum übernehmen
wir nicht mehr Elemente des US-Wirtschaftssystems?

Rudolf Hickel: Das ist ein spannender
Vorschlag. In der Tat, in den USA ist die Finanzpolitik expansiv
ausgerichtet, allerdings für Militärausgaben. Wir Europäer
können vor allem von der Geldpolitik à la Greenspan
lernen. Die USA zeigt, die Wirtschaftspolitik Makroökonomie
kann produktiv wirken

Martin_Hoffmann: Ich verstehe nicht,
warum der Turbokapitalismus durch eine Steuersenkung weiter angefacht
werden sollte – müssen sich die Unternehmen nicht umso ‘brutaler
‘ verhalten, je mehr ihnen vom Gewinn abgezogen wird?

Rudolf Hickel: Ich denke, die Kausalität
ist umgekehrt. Steuersenkungen erhöhen die Nettogewinne. Die
fließen aber nicht in die Finanzierung neuer Arbeitsplätze.
Im Gegenteil. Siehe nicht nur das Beispiel Deutsche Bank.

frank37: Körperschaftssteuer wie
z. Zt. diskutiert ist ja das eine, wir wie viele kleinere Unternehmen
sind eine GbR, stehen also u.a. auch voll in der Haftung, und ich
habe das Gefühl dass dieser Bereich in den meisten Überlegungen
in Berlin wenig Berücksichtigung findet

Rudolf Hickel: Zum Teil haben Sie Recht.
Immerhin hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass die Gewerbesteuer
bei den Personenunternehmen von der Einkommensteuer abgezogen werden
kann. Der Bundeskanzler hat am Donnerstag angekündigt, dass
die gesamte Gewerbesteuer komplett abziehbar wird. Das ist gut so.

herakles: Ist nicht das wirkliche Problem
in Deutschland, das uns durch Rationalisierung und Einsatz von Maschinen
und Computern die Arbeit ausgeht. Ist es nicht viel sinnvoller die
noch vorhandene Arbeit aufzuteilen, auch wenn dies nicht bei vollem
Lohnausgleich geschieht?

Rudolf Hickel: Sie treffen den Nagel
auf den Kopf. Sie weisen damit auf ein ärgerliches Tabu hin.
Im langfristigen Trend brauchen wir weniger Arbeit wegen der wachsenden
Produktivität. Da müsste die Arbeitszeit intelligent gekürzt
werden. Das Gegenteil prägt die Praxis.

Wiberg: Herr Prof. Hickel, ich vermisse
in der eigentlich doch sehr ernsten Diskussion um die Frage wie
man Arbeitsplätze schaffen könnte eine seriöse ANALYSE
der Ursachen. Bevor man an Maßnahmen denkt muss eine Situationsanalyse
erstellt und eine Strategie entwickelt werden. Dann erst geht es
an die Maßnahmen. In den Medien wird bis zum Erbrechen über
Patentrezepte gestritten, sei es Politikerrunden, z.B. auch der
heutige Pressespiegel. Peinlich!

Moderator: Fehlt die Analyse oder nicht.
Die Wissenschaftler sind sich ja auch nicht ganz, einig, was hilft
oder nicht.

Rudolf Hickel: Das ist wohl wahr. Wir
brauchen eine gute Ursachenanalyse. Aber ich muss die Politiker
auch mal in Schutz nehmen. Die ‘mainstream economics’ verkündet
eine Rezeptur, die nicht viel hilft. Wer heute fordert, Löhne
zu senken, der schwächt die Binnenwirtschaft. Unsere Wirtschaftswissenschaft
hat große Probleme.

Keynes: Sie arbeiten ja auch in der ‘Arbeitsgruppe
Alternative Wirtschaftspolitik ‘ mit. Wen man sich deren jährliche
Memoranden ansieht, muss man feststellen: Sie hatten in der Vergangenheit
völlig Recht mit ihren Analysen. Ihre Politikvorschläge
sind aber völlig anders als die praktizierten. Warum finden
diese nicht viel mehr Gehör in der Öffentlichkeit, da
man doch überprüfen kann, dass ihre Voraussagen wesentlich
treffender waren?

Rudolf Hickel: Es ist besser, sich seine
eigene Meinung zu bilden. Zu erst danke ich dem von mir hochgeschätzten
Lord Keynes für den Hinweis. Keynes hat die Antwort gegeben.
Was an Rezepten realisiert wird, ist immer eine Machtfrage. Ich
habe den Eindruck, dass die Arbeitslosigkeit den Sozialstaats-Demonteuren
ganz gut zu Pass kommt.

Wiberg: Was meinen Sie damit, ‘unsere
Wirtschaftswissenschaft hat große Probleme?’

Rudolf Hickel: Danke für die Nachfrage.
Ich sage es mal ganz deutlich: Die Empfehlungen meines Kollegen
Sinns, Deutschland müsse ein Billiglohnland werden sind katastrophal.
Da droht die beratende Wirtschaftswissenschaft zur größten
Standortbelastung zu werden.

dt16: Herr Hickel, wenn wir unser Land
mit Großbritannien, Frankreich oder anderen bedeutenden Wirtschaftsnationen
vergleichen, muss fast immer festgestellt werden, dass die Menschen
in (West-) Deutschland besser leben, aber immer unzufriedener sind
und schon fast immer waren. Sind wir nicht einfach ein Volk von
notorischen Jammerern?

Rudolf Hickel: Sicherlich sind wir Deutschen
im Jammern gut. Aber mit Verlaub, ein Arbeitsloser, der per Zumutbarkeit
in den Niedriglohnsektor gesteckt wird, der hat ja auch Grund zum
Jammern. Gelegentlich habe ich den Eindruck, der Vorwurf vom ständigen
Jammern machen diejenigen, die massiv die Lebensbedingungen der
Beschäftigten verschlechtern.

interesse: Lohnerhöhungsdebatten
sind doch Scheindebatten in Anbetracht der hohen Lohnnebenkosten.
Die Lohnhöhe ist Ok, allerdings werden sie durch die Sozialabgaben
belastet. Wäre es nicht auch bzgl. des Wandels der Beschäftigungslebensläufe
der Menschen klüger und gerechter, die Sozialabgaben über
die Steuer zu erheben?

Rudolf Hickel: Ihre Anregung finde ich
aus zwei Gründen wichtig. Erstens werden die sozialen Risiken
vielschichtig. Darauf müsste mit einer Grundsicherung reagiert
werden. Zweitens können über ein allerdings gerechtes
Steuersystem die Einkommensstarken und Vermögenden in die Finanzierung
relativ stärker einbezogen werden.

SFXartist: Bundespräsident Köhler
erklärt die BRD implizit zur einem Großbetrieb, wenn
er Vorfahrt für Arbeitsplätze fordert. Aber Wirtschaft
ist nur ein Teil der Gesellschaft. Die zentralen Prämissen
für ‘nationale Betriebswirte’ dürfen nicht aus den Wirtschaftswissenschaft
kommen, sondern aus der Gesellschaftswissenschaft, oder? Wir müssen
von konstant hohen Arbeitslosenzahlen ausgehen und dahingehend die
Gesellschaft neu ordnen, stimmen Sie zu?

Rudolf Hickel: Auf Ihre Anmerkungen hin
kann ich mich kurz fassen. Sie haben völlig Recht. Der Bundespräsident
sollte einen strategischen Satz von Schröder am vergangnen
Donnerstag übernehmen. Der soziale Zusammenhalt ist kein Luxusgut,
sondern zentral für die Demokratie.

Stockholm: Ok, vielleicht kommt ja eine
Frage von mir durch ;-). Herr Hickel, der Bundespräsident Köhler
hat sehr grundsätzlich einen Niedergang der deutschen Ordnungsvorstellungen
aus den 50er/60er Jahren beklagt. Halten Sie eine Wiederbelebung
dieser Ordnung angesichts von hohem materiellen Wohlstand, Globalisierung,
Europäisierung etc. für zeitgemäß?

Moderator: Es sind ne Menge Fragen, aber
wie man sieht, man hat Chancen…

Rudolf Hickel: Ich finde, eine ernstgenommene
Konzeption ‘Soziale Marktwirtschaft’ taugt als Leitbild für
die EU, wie überhaupt für die weltweite Wirtschaftsordnung.
Dabei kommt es auf die beiden Säulen an: harter ökonomischer
Wettbewerb plus Sozialstaat und ökologische Vorsorge. Von diesem
Konzept hat sich der Bundespräsident leider verabschiedet.

zuleser: Ist Ihrer Ansicht nach die Erwartung
ständigen Wirtschaftswachstums haltbar? Müssen wir uns
nicht angesichts der demografischen Entwicklung und der Konkurrenz
der Schwellenländer mittel- und langfristig eher auf ein Schrumpfen
der Wirtschaft einstellen?

Rudolf Hickel: Die Frage bricht mit dem
Wachstumstabu. Und das ist gut so: Unter dem Regime der Umweltkrise
müssen wir endlich wieder fragen: Was soll, für wen wachsen.
Ökologischer Umbau ist wichtig. Leider haben sich die Regierungsgrünen
von dieser Aufgabe machtpolitisch verabschiedet.

Udo Becker: Wie aber den Spagat zwischen
den Idealen der Sozialen Marktwirtschaft einerseits und der Realität
der Globalisierung andererseits schaffen?

Rudolf Hickel: Darüber lohn sich
ganz intensiv nachzudenken. Eine Antwort könnte sein: Es geht
ja nicht um den Rückfall in nationalen Protektionismus. Die
Globalisierung muss gestaltet werden. Und dazu bedarf es eines Leitbilds.
Dazu taugt das Konzept sozial-ökologische Marktwirtschaft.
Aber auch Wettbewerbspolitik gehört dazu – zur Bändigung
der großen Multis (Microsoft etc.).

Moderator: noch mal konkret zu dem was
helfen könnte:

Stockholm: Guten Abend aus Stockholm.
Eine weitere Frage an Prof. Hickel: Kann die strukturelle Arbeitslosigkeit
in Deutschland mittel- und langfristig durch Investitionen beseitigt
werden? Welche Investitionen müssten das sein, in Straßen,
Brücken und Gebäude oder andere?

Rudolf Hickel: Danke für die Nachfrage
aus Stockholm. Hätten wir einen konjunkturellen Aufschwung,
dann würden sich viele strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt
schnell auflösen. Wir brauchen eine öffentliche Investitionsinitiative
auf die Gemeinden konzentriert. Diese Forderung der Gewerkschaften
(ver.di/IGM) ist richtig. Die Investitionsfelder haben sie vortrefflich
genannt.

Moderator: Das hat die kommende Frage
vielleicht noch nicht ganz beantwortet, weil grundsätzlich:

yves: Verspricht Keynes Linderung auch
bei strukturellen Problemen?

Rudolf Hickel: Die keynessche Wirtschaftspolitik
setzt darauf, dass die effektive Nachfrage erhöht wird. Das
Marktsystem führt dazu, dass wir etwa heute nicht über,
sondern unter unseren Verhältnissen leben. Wir könnten
mehr produzieren!
Sicherlich müssen wir mit Bildung und Qualifizierung die strukturellen
Voraussetzungen auf den Arbeitsmärkten verbessern. Das geht
dann auf, wenn die effektive Nachfrage auch realisiert wird.

taghawi-nejad: Aber führen Investitionen
zur Belebung der Wirtschaft nicht zu mehr Steuern und verhindern
die Belebung der Wirtschaft dadurch?

Rudolf Hickel: In der Tat, sie haben
Recht. Wir müssen uns sehr genau anschauen, wie wir diese Investitionsinitiative
finanzieren. Mit höheren Steuern – das wäre ein Schuss
in Ofen. Wir brauchen eine Vorfinanzierung über die Kreditaufnahme.
Damit würde zugleich die riesige Liquidität abgeschöpft.

Moderator: Damit stiege die Neuverschuldung
und die 3%-Grenze des EU-Stabilitätspaktes ist endgültig
dahin. Spielt der für Sie keine Rolle mehr?

Moderator: Hätte ich noch ein bisschen
gewartet, hier ist auch das gleiche von:

Jason: Angesichts des Stabilitätspaktes
innerhalb der EU, wie wollen Sie ein Investitionsprogramm für
mehr Arbeitsplätze, das wahrscheinlich zur Erhöhung der
Verschuldung führen wird europapolitisch verkaufen? Ist da
nicht ein neuer ‘blauer’ Brief und Strafzahlungen vorprogrammiert?

Rudolf Hickel: Dank sei dem Weltökonomen
Helmut Schmidt. Der hat in der neuesten Ausgabe der „Zeit
„ alles dazu gesagt – was ich übrigens schon seit Jahren
sage. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist gegen Inflation
gerichtet. Die haben wir aber nicht. Was wir haben, ist eine Beschäftigungskrise.
Übrigens, mit einer Überschreitung von 3% durch Investitionen
in die ökologische Infrastruktur leisten wir auch einen Beitrag
für künftige Generationen. Die blauen Briefe darf es nicht
mehr geben. Die EU muss überprüfen, welchen Beitrag die
Mitgliedsländer zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten.

tack: Was meinen Sie, würde es einen
Vorteil bringen das System der Niederlande in Deutschland zu übernehmen,
immerhin hat es dort Erfolg gezeigt. Warum sollte es bei uns nicht
klappen?

lolo: Grundproblem ist der vor sich hin
dümpelnde Binnenmarkt. Die Bundesregierung hat durch die verschiedensten
Maßnahmen, wie z.B. Hartz IV, massenhaft Kaufkraft aus dem
Binnenmarkt genommen. Auch Gesundheitsreform, die Nichterhöhung
der Renten u.a. befördern nicht die Binnenkaufkraft. Jetzt
wird über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gesprochen.
Wie ist Ihre Meinung?

redpoint: Wie beurteilen Sie die momentan
diskutierte Idee der Mehrwertsteuererhöhung?

Rudolf Hickel: Bei nationalen Vergleichen
bin ich skeptisch. Die hochgelobte Niederlande hat mittlerweile
große Probleme. Das Setzen auf die Teilzeit hat zu Verlusten
bei der internationalen Konkurrenzfähigkeit geführt. Als
Exportland wäre dies für uns eine Katastrophe. Lolo, danke,
Sie haben Recht. Das ist eine Ursache der stagnierenden Binnenwirtschaft.
Ich kann nicht den sich abzeichnenden Kompromiss verstehen. Die
Mehrwertsteuer wird im Prinzip auf die Preise der Endverbraucher
überwälzt. Dann haben wir plötzlich ein Inflationsproblem.
Und dagegen geht die Europäische Zentralbank massiv vor.

Moderator: etwas historisch aber dennoch:

ls1407: War es nicht ein großer
Fehler, nur die monetäre Umstellung in EURO zu bewerkstelligen
und dabei nicht weitere Einigungen wie Steuergleichheit etc?

Rudolf Hickel: Nein, die Europäische
Währungsunion ist ein große Leistung. Übrigens ist
der Euro nach innen stabil und er wertet gegenüber dem US-Dollar
auf. Worauf es ankommt ist, dass die Finanzpolitik sich besser auf
Beschäftigungsziele in der EU koordiniert. Noch ein Satz: Als
Befürworter der Erweiterung der EU kommt es darauf an, soziale
Mindeststandards und Steuerstandards durchzusetzen.

lolo: Wäre es volkswirtschaftlich
nicht sinnvoller Hartz IV aufzugeben und zum früheren System
Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zurückzukehren?

Rudolf Hickel: Nach meiner Meinung war
Harzt IV ein schwerer Fehler. Langzeitarbeitslose werden in den
perspektivlosen Billiglohnsektor verfrachtet. Eine grundlegende
Korrektur ist unvermeidbar.

Moderator: Die Frage wäre für
Sie also beantwortet:

Butty: Laufen denn nun Rot-Grün
in die falsche Richtung?

Rudolf Hickel: Es gibt bei der Arbeitsmarktreform
auch positive Elemente. Dazu zähle ich den Versuch, die Arbeitsvermittlung
personenbezogen zu gestalten. Rot-Grün hat 1998 mit einem hervorragenden
Koalitionsvertrag begonnen. Die Ziele waren Arbeit, soziale Gerechtigkeit
und Umwelt. Daran gemessen ist die Regierungskoalition nicht mehr
zu erkennen. Aber es gibt noch massive Unterschiede: Kein Abbau
der Mitbestimmung, keine weitere Deregulierung der Arbeitsmärkte.
Das ist gut so!

Moderator: Problem Arbeitsmarkt-Export:

brummelndehummel: Die Unternehmen verlagern
ihre Produktionsstätten ins Ausland, wenn man sie nicht von
ihren Lasten befreit. Wie kann man Ihrer Meinung nach die zunehmende
Verlagerung der Lasten von den Unternehmen auf die kleinen Leute
begrenzen?

Rudolf Hickel: Zum Arbeitsmarkt-Export:
Hier müssen wir in der EU für soziale Mindeststandards
uns einsetzen. Da würde ich gerne ausführlichere Hinweise
geben. Vielleicht können wir dies nachholen. Hier nur so viel:
Noch profitiert die deutsche Wirtschaft auf der Ebene der Warenexporte
– gerade nach Osteuropa. Es werden auch Arbeitsplätze in Deutschland
durch die Vernetzung mit Standorten in Osteuropa gestärkt.

rainer007: was ist ihre Meinung nach
als erstes und schnellstes zu tun um die Arbeitslosenzahl in Deutschland
zu senken?

Rudolf Hickel: Drei Maßnahmenbündel:
Ein öffentliches Investitionsprogramm, Arbeitszeitverkürzungen
auf breiter Ebene und endlich der Hinweis, dass die Löhne zumindest
im Ausmaß der Produktivität und Inflation steigen müssen
(vgl. Bofinger, Horn, Flassbeck).

Moderator: Das war unser Chat zum „Bericht
aus Berlin“, die Stunde ist um. Vielen Dank für Ihr Interesse,
es gibt noch viele Fragen, offenbar müssen wir noch mal einen
Chat mit Professor Hickel einplanen. Vielen Dank an Professor Hickel
nach Bremen, dass Sie Zeit für den Chat hatten! Nun gibt es
voraussichtlich erst einmal eine kleine Osterpause bei den Chats.
Am 7.April haben wir den nächsten fest geplanten Termin. Dann
stellt sich SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter der Diskussion.
tagesschau.de wünscht allen noch einen schönen Abend!