Ute Vogt
im BMI-Chat am 24.06.2004
Moderator: Liebe Open Source-Freunde und Skeptiker, herzlich
willkommen im Live-Chat, veranstaltet vom Bundesministerium des Innern.
Unser heutiger Gast ist die Parlamentarische Staatssekretärin Ute
Vogt, die direkt vom Business- und Behördenkongress im Rahmen der
Software-Messe "LinuxTag 2004" in Karlsruhe chattet. Das heutige
Thema: Open Source Software in der Verwaltung. Guten Tag Frau Vogt.
Wir haben 60 Minuten Zeit. Sind Sie bereit?
Ute Vogt:
Ja, klar.
Moderator: Sie sagen, Open Source Software (OSS) sei ein wichtiger
Innovationsfaktor für den Standort Deutschland. Können Sie
das bitte näher ausführen?
Ute Vogt: OSS gibt die Chance, viele unterschiedliche Ideen
im Wettbewerb zu entwickeln – Weg vom Monopol hin zur Vielfalt.
Max99: Welche Vorteile bringt Open Source Software
in der Bundesverwaltung?
Ute Vogt: Kommunikation kann zwischen unterschiedlichen Systemen
organisiert werden. Häufig sind die Lösungen kostengünstiger
und vorhandene Systeme müssen nicht komplett erneuert und vereinheitlicht
werden, sondern können aufeinander abgestimmt werden. Außerdem
lässt sich OSS auf die Bedürfnisse der Verwaltung anpassen,
z.B. zur Gewährleistung der Sicherheit.
Moderator: Nachfrage zur Vielfalt:
Wiener: Brauchen Behörden nicht statt mehr IT-Vielfalt
wenige Standards, um den Austausch zu erleichtern?
Ute Vogt: Ja, wir müssen uns auf offene Standards verständigen.
Die einzelnen Systeme und ihre Hersteller können und sollen durchaus
unterschiedlich sein. Wichtig sind gemeinsame Standards für die
Kommunikation und Transaktion.
Ruudi: Vielfalt in der Software-Landschaft von Behörden
durch OSS? Ist die IT-Struktur von Behörden nicht eh schon sehr
heterogen und untereinander inkompatibel? Wird das nicht verstärkt?
Ute Vogt: Entscheidend ist, dass nicht wenige große Anbieter
den Markt beherrschen und damit am Ende Preise und Gestaltung der Dienstleistung
dominieren. Vielfalt empfinde ich als positiv und Wettbewerb natürlich
auch.
Moderator: Sie sprachen Standards an. Gibt es da erste Ergebnisse?
Ute Vogt: Die Behörden und Wirtschaft sind sich darüber
einig, dass die Zukunft in der XML-Technologie liegt. Entsprechende
Standardisierungsvorhaben finden Sie z.B. im Rahmen der eGovernment-Initiative
Deutschland Online. Einheitliche Standards und Architekturen gibt u.a.
das SAGA-Papier aus dem BMI (Innenministerium) vor, das auch von vielen
Ländern und Gemeinden angewendet wird.
OnoSendai: Gibt es so etwas wie SAGA auch für
Dateiformate wie .doc oder .xls?
Ute Vogt: SAGA definiert als offenen Standard für offenen
Dokumentenaustausch das PDF-Format. Die deutsche Verwaltung hat sich
darauf geeinigt, künftig grundsätzlich ein offenes Dokumentenformat
zu verwenden. Welches dies sein wird, wird z.Zt. in vielen Gremien diskutiert.
Auch die Länder sind dabei und natürlich die europäische
Ebene.
Georg F.: Welche Probleme tauchen bezüglich der
Kompatibilität von Dateiformaten auf? Gibt es nicht bei OSS Probleme
der Kommunikation zwischen den Behörden.
Ute Vogt: Natürlich gibt es auch diese Probleme. Deswegen
wollen wir ja gerade auf ein gemeinsames offenes Format kommen. Dieses
muss aber auch von allen akzeptiert werden.
Zuhörer: Welche Vorteile haben die Bürger,
wenn die Verwaltung mit Linux arbeitet?
Ute Vogt: Der Zugang ist von unterschiedlichen Systemen aus
möglich und wir sparen Steuergelder.
Moderator: Gibt es Zahlen wie viel?
Ute Vogt: Wir haben noch keine Gesamtzahlen, da die Ersparnisse
auf unterschiedlichen Ebenen zustande kommen (Bundesbehörden, Länder,
Kommunen). Ich empfehle, zur Erkundung von konkreten Zahlen jeweils
bei einem konkreten Projekt nachzufragen.
heidelberger: Nachfrage zur Antwort zu Zuhörer:
Dass wir Steuern sparen, merkt der Bürger aber nicht direkt, Sie
bekommen (oder haben?) da ein Vermittlungsproblem.
Ute Vogt: Viele Bürger haben das Problem, dass sie denken,
sie würden Steuern nur für Politiker zahlen. In Wirklichkeit
sind wir gewählt, um die Ausgabenschwerpunkte zu setzen. Was wir
an Steuergeldern ausgeben, kommt in Form von Kindergärten, Schulen,
Straßenbau, Polizei und eben auch in Form konkreter Unterstützung
für moderne Kommunikationstechnik zu den Bürgern zurück.
Moderator: Weitere Fragen zum Thema Kosten:
EugenH.: Gerne wird behauptet, Linux sei günstiger
als Microsoft. Haben sie die Erfahrung auch gemacht beim Bund?
Ute Vogt: Es gelten auch im Bund die Gesetze der Marktwirtschaft.
Mehr Wettbewerb führt auch im Bezug auf große Anbieter zu
besseren Preisen.
JFiedler: Was ist teurer? Proprietäre Software
oder die Mitarbeiterschulung für OSS?
Ute Vogt: Für proprietäre Software muss man auch Schulungen
machen, die konkreten Kosten hängen vom Produkt und von den Kenntnissen
der Mitarbeiter ab.
Troll34: Linux und Co. sind doch Expertensysteme.
Für den Serverbereich mögen diese gut geeignet sein, aber
der typische Büronutzer ist doch damit total überfordert.
Ute Vogt: Das kann ich nicht bestätigen. Ich empfehle einen
Besuch beim LinuxTag, hier finden Sie Oberflächen, die Sie mit
einfachen Grundkenntnissen unmittelbar benutzen können.
HJB: Sehr geehrte Frau Vogt, meinen Sie wirklich,
dass die Microsoft-Produkte in der Verwaltung durch Open Source-Produkte
ersetzt werden können? Die Mehrzahl der Nutzer ist es gewohnt,
privat sowie dienstlich mit Microsoft-Produkten zu arbeiten (zumindest
in der Bw-Verwaltung). Jede Umstellung würde die Mehrzahl der Nutzer
verunsichern. Servermäßig würde ich OSS schon eher einsetzen.
Ute Vogt: Es geht nicht darum, grundsätzlich alle Microsoft-Produkte
zu ersetzen. Ziel der Bundesregierung ist es, Vielfalt zu gewährleisten.
Wir streben größtmöglichste Herstellerunabhängikeit
an. Viele Behörden können ohne Probleme OSS einführen.
ernst: Gibt es einen politischen Willen, nun nicht
mehr von einem Monopol aus Amerika abhängig zu sein?
Ute Vogt: Die Herkunft von Software spielt in einer globalen
Welt bei aufgeschlossenen Menschen hoffentlich keine Rolle mehr. Aber
auch Deutschland will sein großes Know-How bei Software-Lösungen
einbringen. Dazu braucht es Chancengleichheit.
Moderator: Dazu passend die Frage von:
HAnnelore: Ist die „Feindschaft“ zwischen
Microsoft und Linux-Anhängern nicht kontraproduktiv? Sollte man
nicht besser zusammenarbeiten?
Ute Vogt: Ja.
Moderator: Das war deutlich.
Berger: Linux wird eher im Server-Bereich eingesetzt.
Plant der Bund auch bei Desktops OSS einzusetzen?
Ute Vogt: Ja, im Justizministerium und auch bei der Bundesbeauftragten
für die Stasiunterlagen werden die Arbeitsplätze bereits auf
Linux gestaltet. Allein in der Behörde der Bundesbeauftragten betrifft
das ca. 2000 Arbeitsplätze.
BSDFan: Können Sie ein Beispiel angeben, wo man
abhängig von MS-Produkten war und sich dies nachteilig auswirkte?
Ute Vogt: Fragen Sie mal bei der Stadt Schwäbisch Hall.
Der dortige Oberbürgermeister Pelgrim wird sicher gerne über
die Geschichte der Linuxeinführung in seiner Stadt Auskunft geben.
Moderator: Zwei Nachfragen zur Kostenfrage:
Tux: Aber wenn man langfristig plant, ist Linux doch
preiswerter. Schulungen müssen nur einmal bezahlt werden. MS-Software
muss alle drei Jahre neu gekauft werden.
Ute Vogt: Das ist auch mein Eindruck.
rudolf: Also schafft man mit staatlichen Mitteln einen
neuen Markt. Können Sie dem Bürger mit wirklichen Zahlen dieses
Experiment plausibel machen? Warum sollte der Bürger dies bezahlen,
wenn man nicht wirklich davon überzeugt ist?
Ute Vogt: Wir schaffen keinen neuen Markt, sondern wir geben
dem Wettbewerb eine Chance. Und es wundert mich schon, dass aus manchen
Bereichen der Wirtschaft, die sonst immer nach Wettbewerb schreit, in
diesem Fall so große Ängste formuliert werden.
clara: Ich stelle mir die Frage, ob nicht der Aufwand
zur Pflege bei offenen Systemen viel höher ist. Sind sie anderer
Meinung?
Ute Vogt: Das kommt auf das jeweilige Produkt an.
Lamer: Da OSS kostenlos ist, kostet es doch Arbeitsplätze
unserer Programmierer hier?
Ute Vogt: OSS ist nicht kostenlos, sondern Lizenzkosten-frei.
Verdient wird selbstverständlich auch im diesem Bereich, und zwar
über Dienstleistungen.
Bebop: Wie gehen Sie mit der Angst um, freie Software
könnte Arbeitsplätze kosten? Immerhin kostet sie ja nicht!
Ute Vogt: Wir sind der Meinung freie Software schafft Arbeitsplätze.
Sowohl bei kleinen als auch bei großen Unternehmen.
WannaBeWizzard: Gibt es eigentlich genug Anbieter
zu OSS in Deutschland? Ist das Angebot an Schulungen etc. ausreichend
oder besteht dort Bedarf? Lohnen Sich da Firmengründungen?
Ute Vogt: Auf dem LinuxTag lässt sich besichtigen, dass
sich Firmengründungen lohnen. Es gibt bereits eine Anbietervielfalt
und natürlich entsprechende Schulungen. Aber für neue Ideen
ist immer noch Platz. Dass ist ja der Sinn des kreativen Wettbewerbs.
OSSHacker: Werden Sie die Weiterentwicklung von OpenSourceSoftware
fördern?
Ute Vogt: Wir stecken kein Geld in Programmierungen neuer Produkte,
sondern unterstützen Projekte und vorhaben. Dabei wird OSS auch
auf die Bedürfnisse der Verwaltung angepasst. Damit wird natürlich
auch Weiterentwicklung vorangetrieben. Produkte und Dienstleistungen
sollen vom Markt kommen.
Pierre: Wie viele Arbeitsplätze möchte der
Bund im Bereich OSS schaffen, bzw. gibt es angestrebte Zahlen?
Ute Vogt: Die Zahl ist nicht festgelegt, da jedes Ministerium
und jede Behörde dies für sich selbst bestimmt.
Rab: Wie können Kommunen von der Erfahrungen
des Bundes bei OSS profitieren? Die Probleme vor Ort sind doch ganz
anders?
Ute Vogt: Der Bund versteht sich als Koordinator. Wir können
nicht alle Erfahrungen selbst gemacht haben. Aber wir vermitteln Kontakte,
z.B. OSS-Kompetenzzentrum auf der Website www.kbst.bund.de.
rudolf: Sie sprachen vorhin die europäische Ebene
an. Wie sieht die Entwicklung in den anderen EU-Staaten derzeit aus?
Ute Vogt: Sehr unterschiedlich. Es gibt auch Staaten, die uns
bereits etwas voraus sind, z.B. die Niederlande. Insgesamt sind sich
die Europäer einig, mehr Open Source einzusetzen und offene Standards
zu fördern. Dazu gab es gestern hier in Karlsruhe auch die Konferenz
der Vertreter der Europäischen OSS-Kompetenzcenter.
Moderator: Neues Thema:
Arne: Wie ist der Zusammenhang zwischen OSS und Softwarepatenten?
Wie kommt das zusammen: Einerseits fördert der Staat OSS und auf
der andere Seite muss er Gesetze in genau die andere Richtung exekutieren?
Ute Vogt: Noch muss überhaupt kein Gesetz exekutiert werden.
Derzeit wird auf europäischer Ebene eine Richtlinie diskutiert,
um die Rechtslage zu vereinheitlichen.
URSUS: Wie stehen die Chancen, Software-Patente auf
EU-Ebene zu verhindern?
Ute Vogt: Es geht nicht darum, die Richtlinie zu verhindern,
sondern sie so zu gestalten, dass Software als solche nicht ohne weiteres
zu patentieren ist. Als nächstes kommt es auf die Entscheidung
des Europäischen Parlamentes an. Leider haben sich die Mehrheitsverhältnisse
nach den Europawahlen verändert und wir wissen noch nicht, wie
das neue Parlament sich äußern wird. Bisher war das EP für
eine enge Beschränkung der Patentierung. Ich hoffe, dass diese
Position auch beibehalten wird, denn dann wird weiter über die
Details der Richtlinie verhandelt.
kalug: Was ist Ihre Position zu Softwarepatenten?
Werden Sie an der Demonstration gegen Sowftarepatente teilnehmen?
Ute Vogt: Ganz ohne Softwarepatente wird es auf europäischer
Ebene nicht gehen. Für mich ist entscheidend, dass Interoperabilität
bewahrt wird, die Offenlegung von Schnittstellen in jedem Fall gesichert
bleibt und der Grundgedanke der freien Software sich in der Richtlinie
wiederfindet. Damit bin ich für eine enge Beschränkung der
Patentierungsmöglichkeiten. Damit möchte ich nicht nur den
OpenSource Bereich schützen, sondern auch die deutschen Software-Entwickler
insgesamt.
Moderator: Weitere Themen:
Timmi: Wie steht es mit der Sicherheit von Open-Source
Betriebssystemen wie BSD oder Linux. Sind diese wirklich sicherer gegenüber
Viren, Dialern und Hackerangriffen?
Ute Vogt: OSS-Lösungen sind nicht per se sicherer. Aber
durch individuelle Lösungen kann Sicherheit besser implementiert
werden. Bei Angriffen bietet die Vielfalt einen Schutz vor Massenschäden.
Bebop: Wie sieht es mit der Archivierung von Daten
aus, gibt es da Probleme mit OSS oder MS?
Ute Vogt: Damit sind wir wieder beim Thema offenes Dokumentenformat
– Wir brauchen hier eine Einigung aller Beteiligten.
Moderator: Nachfrage zur Migration zu OSS:
SlashChatter: Welche Schwierigkeiten bei der Umstellung
auf OSS treten denn auf? Sie meinten Justiz-Ministerium und Stasibehörde
würden umsteigen.
Ute Vogt: Es gibt die üblichen Probleme, die es immer gibt,
wenn man Systeme grundsätzlich neu installiert. Erfahrungen und
Probleme sind im Migrationsleitfaden des BMI dokumentiert. Download
unter www.kbst.bund.de.
heidelberger: Fördern Sie denn den Einsatz von
Open Source auch wirklich aktiv genug, mal ganz selbstkritisch? Auf
Ihrem Schreibtisch steht doch sicher auch ein Gerät mit Microsoft-Software,
oder?
Ute Vogt: Mein Arbeitsplatz im Ministerium hat in der Tat Microsoft-Software.
Aber viele Server laufen auch in unserem Haus auf Linux. Es geht uns
nicht um ein Entweder – Oder, sondern um Chancengleichheit und Vielfalt
für alle Beteiligten.
Bünde: Welche persönlichen Erfahrungen haben
sie mit Open Source? Etwa mit ihrem PC?
Ute Vogt: In meinem eigenen PC ist wie bereits ausgeführt
noch keine Open Source. Aber ich habe Anwendungen bereits auf kommunaler
Ebene getestet.
Moderator: Vorletzte Frage:
Polizei: Microsoft ist ja erstmalig auch auf dem Linuxtag
vertreten. Besuchen sie auch deren Stand und führen Gespräche?
Ute Vogt: Microsoft habe ich bereits auf der Cebit besucht.
Bei meinem heutigen LinuxTag-Besuch hatte ich andere Schwerpunkte. Aber
das hat keinen tieferen politischen Grund. Wir grenzen nicht aus, sondern
erweitern schlicht das Angebot.
Moderator: Zum Abschluss der 60 Minuten:
ketkar: Wie hat Ihnen die Messe heute gefallen?
Ute Vogt: Prima.
Moderator: Liebe Linux-Freunde und Skeptiker, liebe Frau Vogt,
ganz herzlichen Dank für Ihre Teilnahme am Live-Chat. Leider ist
eine Stunde schon vorbei, danke für die vielen Fragen und Ihre
Antworten. Leider können nicht alle beantwortet werden. Weitere
Informationen finden sie im Internet unter www.kbst.bund.de oder www.staat-modern.de.
Der Chat wurde von politik-digital.de durchgeführt. Wir wünschen
allen einen schönen Tag und viel Spaß beim Linuxtag.
Ute Vogt: Vielen Dank für das Interesse. Bringen Sie sich
weiter in dem Thema ein und vergessen nicht, dass die politischen Rahmenbedingungen
entscheidend sind für Entwicklungen in Deutschland und Europa.
Und dass Sie durch Teilnahme an Wahlen Einfluss nehmen können!