Die USA haben einen neuen Präsidenten: Was bedeutet dies für die Beziehungen zu Deutschland? Und worüber hat Barack Obama bei seiner Vereidigung mit seiner Tochter gelacht? Diese und mehr Fragen beantwortete der ARD-Korrespondent Klaus Scherer am 21. Januar 2009 live aus Washington im tagesschau-Chat in Zusammenarbeit mit politik-digital.de.

Moderator: Herzlich Willkommen zum tagesschau-Chat. Die Augen der Welt waren gestern auf Washington gerichtet. Allein in Deutschland haben Millionen die Amtseinführung von Präsident Obama live in TV und Internet miterlebt. Vor welchen Herausforderungen steht der 44. Präsident der Vereinigten Staaten? Aus dem Studio Washington ist uns jetzt ARD-Korrespondent Klaus Scherer zugeschaltet. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Herr Scherer, Sie sind online, können wir starten?

Klaus Scherer:
Ja. Danke und Gruß in die Runde.

Moderator:
Sie haben gestern von den Feierlichkeiten für Tagesschau und Tagesthemen berichtet. Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Klaus Scherer: Die Menge der Leute, die seit den Nachtstunden in der Kälte ausgeharrt haben und auch die aufgewühlte Art, in der manche, gerade ältere Schwarze geantwortet haben.

Moderator: Ganz pannenfrei war der Ablauf der Feier nicht: ein Wortdreher beim Amtseid. Und "Wolfgang" hat folgendes beobachtet:

Wolfgang: Kurz bevor Obama zu Richter Roberts trat, musste er lachen. Dann sagte er zu seiner Tochter: "That´s for you". Daraufhin lachten alle umstehenden Menschen. Was war da los?

Klaus Scherer: Mir schien, er sagte das nicht zu seiner Tochter, sondern zu seiner Frau, weil er kurz zu vor ein kleines Podest besteigen musste, um offenbar beim Amtseid nicht kleiner dazustehen als seine Frau.

Newark: Wie ist die Stimmung gegenüber Obama abseits der Euphorie? Müssen wir damit rechnen, dass er vermehrt Opfer von Anschlägen wird?

Klaus Scherer: Er hatte ja schon als Kandidat früher – mehr als jeder andere – ein umfangreiches Sicherheitsteam des FBI um sich. Die Furcht ist sicherlich da und womöglich begründet. Die Parade, die er hinter Glas abnahm, spricht dafür. Um so erfreulicher nahmen die Leute dann gerade jene Szenen auf, als er und Michelle dennoch die Panzerlimousine verließen und die Paraderoute zum Teil zu Fuß abschritten. Wir hatten während des Parteitages in Denver auch schon mal Meldungen, wonach Attentate in Vorbereitung gewesen seien. Die schienen mir aber etwas übertrieben.

Dieter: Wie reagieren eigentlich die McCain-Wähler auf den neuen Präsidenten und die großen Feierlichkeiten zu seiner Amtseinführung? Feiern die fröhlich mit oder gibt es da eine Anti-Haltung?

Klaus Scherer:
Teils, teils. Generell muss man sagen, dass Obama auch jetzt historische Sympathiewerte im Lande hat. Auch unter jenen, die ihn damals nicht gewählt haben. Bei McCain fällt auf, dass er als einziger Obamas Rede gestern nicht kommentieren wollte, während andere Republikaner sie ausdrücklich lobten. Mag daran liegen, dass Obama seinen Wahlgegner in der Rede nicht erwähnt hat.

Moderator: Wie ist Obamas Antrittsrede insgesamt aufgenommen worden? Halten Sie sie für eine "große Rede"?

Klaus Scherer: Sie wurde breit gewürdigt als gute Rede, auch als angemessene Rede, die sowohl die Krise nicht verschwiegen hat, als auch dem Anlass gerecht wurde, den es zu feiern galt. Es war sicher kein Auftritt, wie man ihn aus dem Wahlkampf kannte, mit wogendem Applaus nach jedem Satz. Aber das ist dann wohl auch das Präsidiale.

roswellmiracle: Die Antrittsrede hörte sich schon nach radikalen Veränderungen an. Wie realistisch ist eine derart radikale Veränderung der amerikanischen Politik?

Klaus Scherer: Er hat sicherlich bestmöglich den Boden bereitet, um auch radikale Kursänderungen umzusetzen. Mehrheiten zu organisieren, dürfte ihm auch möglich sein. Ein Beispiel ist die Abwägung zwischen nationaler Sicherheit und den Grundwerten der Verfassung. Da hat er sich klar von der Bush-Administration distanziert. Am Beispiel Guantanamo wird sich das niederschlagen. Und da werden ihn sicher nicht nur seine Gegner sondern auch seine Anhänger bald am Ergebnis messen.

Melfi:
Ist schon klar, was mit den Guantanamo-Gefangenen werden soll? Manche Länder wollen ihre Staatsbürger ja scheinbar gar nicht wieder aufnehmen.

Klaus Scherer: Obama hat gestern schon angeordnet, dass alle Militärverfahren – zumindest für 120 Tage – angehalten werden. Zudem ist seine Aussage stets klar gewesen, Guantanamo schließen zu wollen. Andererseits räumt er ein, dass auch er noch nicht weiß, was mit einem Teil der Häftlinge geschehen soll und spricht von einem Jahr bis zur endgültigen Schließung. Die Frage, ob andere Länder auch Häftlinge aufnehmen, wird da sicher eine Rolle spielen. Das betrifft dann auch Deutschland.

jubilee: Welche Auswirkungen wird die Präsidentschaft Obamas auf den deutschen Bürger haben, was wird sich für uns verändern?

Klaus Scherer:
Zum einen wird es eine atmosphärische Veränderung geben, das hat sich ja schon in Berlin gezeigt. Die Deutschen mochten Bush nicht und das hatte ja auch seine Gründe. Obama gibt sich nicht als Unilateralist, sondern als Weltbürger, Brückenbauer und Versöhner. Mit Blick beispielsweise auf die Klimapolitik dürfte es etwa Kanzlerin Merkel künftig leichter fallen, in der G8-Runde Fortschritte zu erzielen. Mit Blick auf Kampfeinsätze – etwa in Afghanistan – wird es umgekehrt schwieriger, Dinge abzulehnen. Weil nun das Argument fehlt, es gebe zu wenig gemeinsame Interessen mit der Bushregierung.

Anonymous: Wie stark wird der Einfluss der alten Eliten sein, Richter, CIA, FBI und so weiter? Hat Obama reell genug Macht, um Dinge grundlegend zu verändern?

Klaus Scherer:
Die Tatsache, dass er bisher alle Hürden genommen hat, in der Partei, bei der Wahl etc., beweist sicherlich schon, dass er sich als Newcomer gegen alte Eliten behaupten kann. Getragen immer von seinen eigenen Anhängern und dem, was er Bewegung nennt. Das haben die Eliten sicherlich begriffen. Das heißt nicht, dass er keine Kompromisse wird machen müssen, beispielsweise bei dem Finanzpaket zur Wirtschaftshilfe. Da werden die Republikaner sicherlich noch den Preis drücken wollen. Oder, ganz schwierige Sachlage: Bei Vermittlungsbemühungen im Nahen Osten.

me2: Denken Sie, dass Obama in den ersten Jahren seiner Regierung einen Politikwechsel im Nahen Osten umsetzen kann?

Claudia aus Berlin: Welche Strategie verfolgt Obama in Bezug auf den Krieg in Gaza?

Klaus Scherer: Er hat bei seinen Besuchen im Gegensatz zu McCain die Autonomiegebiete immer miteinbezogen. Er hat sich auch für die Zweistaatenlösung stark gemacht, anderseits der Hamas signalisiert, solange sie Israel auslöschen wolle, werde es keine Verhandlungen geben. Wann er und seine Außenministerin Clinton eine offene, aktive Rolle übernehmen wollen, halte ich selbst für eine sehr spannende Frage. Er wird sicher nicht den Fehler George W. Bushs wiederholen, der sich zuletzt noch in Nobelpreispose in Annapolis gefiel, als würde er noch eben im Nahen Osten Frieden organisieren. Anderseits kann er sich auch nicht heraushalten. Was für manche Kritiker schon jetzt einen Schatten auf seine Amtszeit werfen könnte, war sein Schweigen zum Gazakrieg mit dem Verweis, er sei ja noch nicht im Amt. Zumal klar war, dass er sich etwa in der Wirtschaftspolitik sehr wohl auch schon zuvor geäußert und festgelegt hat.

Moderator:
Eine Nachfrage dazu:

Sebastian: Haben Obama oder seine Administration schon vor dem Amtsantritt und in der Übergangsphase die amerikanische Nahostpolitik mitgestaltet? Oder wie funktioniert so ein Übergang von einen zum anderen Präsidenten in so wichtigen Punkten?

Klaus Scherer: Obama selbst hat die Übergangsphase mitgestaltet und dafür auch Präsident Bush gelobt. Dieser hat wiederum Obama den Gefallen getan, ihm schon freie Hand für das Ausgeben von über 300 Milliarden Dollar als Finanzhilfe für die Banken zu geben. Wo die Grenzen dessen sind, was er schon vorab durchsetzten wollte und konnte, werden wir wohl erst später erfahren – wenn überhaupt.

Olhao: Es hieß, Obama hätte alle noch nicht umgesetzten Direktiven von George W. Bush gestoppt. Um was ging es da genau und ist das ein alltäglicher Vorgang, der bei jedem Präsidentenwechsel so gemacht wird?

java: Mit welchen Last-Minute-Gesetzen G. W. Bushs wird sich der neue Präsident rumärgern müssen?

Klaus Scherer: Es wurden da bereits zwei genannt: Zum einen ein Artenschutzgesetz, das im Kampf gegen den Klimawandel nützlich gewesen wäre. Das hat die Bushregierung aus ihrer Sicht noch unschädlich gemacht. Zudem trat eine Verordnung in Kraft, wonach Klinikpersonal den Dienst verweigern kann, etwa bei Abtreibungen, die es ablehnt. Ob es noch zu umstrittenen Amnestien von Weggefährten – etwa in Sachen Irak, Guantanamo etc. – gekommen ist, ist bisher unklar. Bush selbst hat sich auf seiner letzten Pressekonferenz geweigert, Fragen hierzu zu beantworten.

us-fan:
Was passiert jetzt mit Bush, wird er wegen Guantanamo angeklagt?

Klaus Scherer: Das würde mich wundern. Da ist die Tradition, Amtsvorgänger unbeschadet zu halten, doch sehr eindeutig. Allerdings sagte Obama zuletzt in einem Fernsehinterview, niemand stehe über dem Gesetz. Das dürfte dann auch für Bush gelten.

Kölsche Jung: Wie schnell kann Obama eigentlich den Irak-Abzug schaffen und wie schnell will ihn die Mehrheit der Amerikaner?

ronni: Was ist Obamas Irak-Strategie? Drin bleiben scheint falsch, aber komplett raus gehen hinterlässt Chaos.

Klaus Scherer: Seine Wahlkampfaussagen, innerhalb eines Jahres den Irak zu räumen, hatte er schon vor der Wahl etwas differenziert und dann öfter von einem verantwortungsvollen Rückzug gesprochen. Derzeit nennt er keine Fristen mehr. Klar aber ist, dass er die Gewichte von Irak nach Afghanistan verlagern möchte, wobei ihm Militärstrategen da fast einhellig Recht geben.

Dr. Meyer: Ist schon absehbar, welche Pläne Obama für Afghanistan hat? Wird er mehr deutsches Engagement fordern?

Klaus Scherer: Schwere Frage! Er hat sich zuletzt recht offen geäußert, es gehe nicht an, dass Amerika die Dreckarbeit mache und andere nicht. Die Bundesregierung verwies danach darauf, dass er ja nicht ausdrücklich von Deutschland gesprochen habe und das Militäreinsätze im Süden Afghanistans in Deutschland nicht durchsetzbar seien. Ob sie damit weiterhin Erfolg hat, halte ich für offen. Ob es bekannt wird, ist eine andere Frage. Vieles wird da erstmal hinter den Kulissen abgesteckt. Und das passiert auch schon.

Jan2101: Guten Tag. Wie nehmen die – gebildeten – Amerikaner Obamas Weltgewandtheit und vor allem seine Deutschlandnähe auf? Welches Verhältnis speziell zu Deutschland sieht die amerikanische Öffentlichkeit bei ihm?

Klaus Scherer: Also, sein Auftritt in Berlin vor 200.000 Anhängern hat ihm im Wahlkampf hierzulande nicht geholfen, wenn nicht sogar geschadet. Für viele Amerikaner ist zu viel Zuspruch aus Europa eher verdächtig. Unter besser gebildeten Landsleuten mag das anders aussehen, ihr Bedarf nach einem besseren Image Amerikas in der Welt hat sicherlich zu Obamas Wahlerfolg beigetragen.

pedersen:
Hat Obama in der momentanen Situation überhaupt die Möglichkeit, ein großer Präsident zu werden?

Klaus Scherer: Ob er die Möglichkeit hat, weiß ich nicht, aber er hat sicherlich die Gelegenheit. Viele Anhänger sagten uns: Mein Gott, er hätte sich doch eine andere Zeit aussuchen können. Andererseits, wenn er Erfolg hat, wird er genau deswegen einer der großen Präsidenten werden können.

Moderator: Die 45 Minuten sind schon vorbei, wir müssen leider zum Schluss kommen:

D. Wiefel: Wie sieht oder sah der erste Arbeitstag des Präsidenten aus?

Klaus Scherer: Zunächst ging er in die Kirche, dann Treffen mit den Sicherheitsberatern und Oberkommandierenden mit Blick auf Irak und Afghanistan. Zweites großes Thema: Das Wirtschaftspaket. Damit sind die Prioritäten klar. Zudem muss er noch Frau Clinton ins Kabinett wählen lassen, ihr fehlte gestern noch die Zustimmung eines Senators. Und er wird sicherlich – weil er es jeden Tag tut – auch seine Sportstunde nicht vergessen.

Moderator:
Und "jerry" möchte noch wissen:

jerry: Haben Sie selbst ein Obama-Geschenk gekauft?

Klaus Scherer:
Ich habe meinem Sohn, neun Jahre, aus Chicago von der Wahlnacht ein Poster mitgebracht, wie es die Anhänger gewöhnlich immer hoch hielten. Es steht noch immer in seinem Fenster.

Moderator:
Das war der tagesschau-Chat am Tag des Amtsantritts von Präsident Obama. Vielen Dank, liebe User, für Ihre Beteiligung! Das Chatprotokoll finden Sie in Kürze auf tagesschau.de und politik-digital.de. Herzlichen Dank, Klaus Scherer, für Ihre Zeit! Grüße von Berlin nach Washington! Das Team von tagesschau.de wünscht allen noch einen schönen Tag.

Klaus Scherer:
Danke auch, vor allem für die vielen interessierten Fragen!

Der Chat wurde moderiert von Thomas Querengässer, tagesschau.de