Am Freitag, 7. September, war ARD-Auslandskorrespondent Armin-Paul Hampel zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er
berichtete über die aktuelle Situation in Afghanistan und erklärte, was ein Abzug der internationalen Truppen für die Bevölkerung bedeuten könnte.

 

Moderator: Ich begrüße ARD-Korrespondent
Armin-Paul Hampel, der uns jetzt aus Neu-Delhi zugeschaltet ist.
Als Südasien-Korrespondent bereist er auch regelmäßig
Afghanistan und berichtet von dort. Über die Situation dort
wollen wir heute chatten. Herr Hampel, können wir loslegen?

Armin-Paul Hampel: Ok.

Armin-Paul Hampel
Armin-Paul Hampel
ARD-Auslandskorrespondent Südostasien

man: Hallo, Herr Hampel. Sie sitzen im Moment
in Indien. In welchen Abständen reisen Sie nach Afghanistan,
wann waren Sie zuletzt dort?

Armin-Paul Hampel: Zurzeit sind wir fast permanent
in Afghanistan. Ich selbst bin letzten Samstag zurückgekommen.

skepsis: Wie realistisch und objektiv ist das Bild,
dass uns deutsche Medien über die Situation in Afghanistan
vermitteln?

Armin-Paul Hampel: Nun, wir versuchen das Bild
so realitätsnah wie möglich zu erstellen, das gelingt
aber nicht immer, da Afghanistan die Heimat aller Gerüchte
ist. Allerdings wurde die Situation im Lande von einigen Medien
lange Zeit zu positiv dargestellt.

Marcus R.: Welches Bild hat die afghanische Öffentlichkeit
von den „Deutschen“, oder kann man in einem Land dieser
Größe überhaupt von EINER öffentlichen Meinung
sprechen?

Armin-Paul Hampel : Schwierig zu beantworten.
An sich mag man uns recht gern. Wir sind ja auch alte Freunde. Aber
oft sind wir für den normalen Afghanen einfach nur ISAF. Und
ISAF ist Amerika.

Rtz: Hat sich der Alltag der Menschen in Afghanistan
eigentlich in den letzten Jahren deutlich verändert?

Armin-Paul Hampel: In Kabul eindeutig ja. In einigen
Provinzstädten wie Herat und Kunduz auch ja. Aber das Gros
der Afghanen lebt auf dem Lande. Da hat sich viel zu wenig verändert.

Lallmann: Wie groß ist der Einfluss der Taliban
noch in Afghanistan?

Armin-Paul Hampel: An sich wollen 80 Prozent der
Bevölkerung die Taliban nicht. Aber die Taliban verfügen
in Schlüsselpositionen noch über viele Sympathisanten
oder auch Schläfer. Dazu kommt, dass sie fast den gesamten
Süden und den Osten des Landes mehr oder weniger unter Kontrolle
haben. Tagsüber regiert die ISAF, nachts die Taliban.

freedom_fighter: Sind militärische Erfolge
gegen die Taliban nicht eine Farce, da in Pakistan beliebig viele
neue Kämpfer rekrutiert werden können?

Armin-Paul Hampel: Na ja, der Nachwuchs läuft
auch nicht ununterbrochen. Und manche Familien haben schon hohe
Blutopfer gezahlt. Aber das Schwierige ist, dass auch die ISAF über
viel zu wenige Truppen verfügt, um das Land wirklich zu kontrollieren.
Wer das will, muss mit Bodentruppen in der Fläche präsent
sein. Das vermögen 50.000 ISAF- und US-Soldaten nicht zu schaffen.

Silvana: Begleitet Sie aufgrund der scheinbar lohnenden
„Entführungsindustrie“ ein mulmiges Gefühl
bei der Arbeit? Wie gefährdet sind Journalisten?

Armin-Paul Hampel: Mulmig kann man wohl sagen.
Seit der Entführung von italienischen und französischen
Kollegen sind auch wir Zielscheibe geworden. Wir sind sehr gefährdet,
würde ich sagen.

Moderator: Wie geht man im Alltag damit um?

Armin-Paul Hampel: Gottvertrauen und daran denken,
dass Weglaufen im entscheidenden Moment keine schlechte Taktik ist.
Aber vor Autobomben und Selbstmordanschlägen schützt diese
Devise leider nicht. Es ist dieses permanente unkalkulierbare Risiko,
dass es sehr unangenehm macht. Ganz zu schweigen von der Familie
zu Hause.

Moderator: Haben Sie selbst dort konkrete Gefahrensituationen
erlebt?

Armin-Paul Hampel: Konkrete Gefahren? Ja, einige.

Henryk: Wie werden Sie als westlicher Journalist
von Regierung und Bürgern behandelt? Wie kommen Sie an Informationen?

Armin-Paul Hampel: Die Masse der Afghanen ist uns
gegenüber immer noch sehr gastfreundlich. Aber so einige Male
schlägt uns auch Antipathie entgegen. Die Regierung lässt
uns verhältnismäßig viel Freiheit. Aber Informationen,
die man aus den unterschiedlichsten Gründen en masse zugespielt
oder berichtet bekommt, sind häufig nicht von einer Märchenstunde
zu unterscheiden.

Moderator: Und nach welchen Kriterien beurteilen
Sie dann Ihre Quellen?

Armin-Paul Hampel: Drei unterschiedliche Quellen
müssen mir im Großen und Ganzen denselben Sachverhalt
schildern. Nur so geht es.

SandStein: Sie sagten, die ISAF verfüge über
zu wenig Truppen. Sind Sie der Meinung, dass eine Entmachtung der
Taliban mit mehr Truppen möglich wäre?

Armin-Paul Hampel: Kein Zweifel. Aber ich nenne
ihnen einen Vergleich, SandStein: Hier in Indien hat die Armee nur
für das Kaschmirgebiet circa 650.000 Soldaten über Jahre
stationiert. Dann können Sie sich ausrechnen, was man in Afghanistan
bräuchte. Durch die ebenso vorhandenen Sympathien für
die ISAF dürfte es sich ungefähr um die gleiche Zahl handeln.
Es könnte vielleicht auch mit 300.000 Mann zu schaffen sein.
Jedenfalls sehr viel mehr, als die Staatengemeinschaft bereit ist,
an den Hindukusch zu entsenden.

m1a1: Das hieße also: Um Afghanistan zu befrieden,
müsse sich der Westen auf einen längeren und durchaus
blutigen Konflikt einstellen?

Armin-Paul Hampel: Ob er noch so lange dauert,
weiß ich nicht. Dass er blutig wird, scheint gewiss. Aber
sind wir bereit, bei einem hohen Blutzoll noch länger am Hindukusch
zu bleiben? Ich glaube nicht. Wenn es dort RICHTIG ernst wird, ziehen
wir ab.

Moderator: Zwei Fragen gebündelt:

afgh: Was würde ein Abzug oder eine Reduzierung
der Einsatztruppen für die Bevölkerung in Afghanistan
bedeuten?

Neo: Könnte das Land auch ohne die Bundeswehr-Truppen
auskommen? Wie beurteilen Sie einen möglichen Abzug?

Armin-Paul Hampel: Die Afghanen, bzw. ihre Warlords
und Drogenbarone würden das Land wieder unregierbar machen.
Aber da wir militärisch hier nicht gewinnen können, wäre
nur durch die Stärkung des zivilen Sektors etwas zu erreichen.
Mit vollem Bauch kämpft keiner gerne. Aber dazu müssten
die Hilfsgelder auch wirklich in die Regionen fließen. Das
tun aber von den Milliarden, die ins Ödland fließen,
höchstens 20 Prozent. Der Rest wird von der völlig korrupten
Staats- und Polizeiführung einkassiert. Und deshalb, Neo, macht
ein Abzug der Truppen, besser eine Reduzierung, nur Sinn, wenn man
ein überzeugendes ziviles Aufbaukonzept vorlegt. Diese Projekte,
die überall im Lande greifen müssten, könnten dann
militärisch geschützt werden.

Fidelis: Man sieht immer Bilder aus Afghanistan,
wo arme und verlassene Dörfer erscheinen. Gibt es andere Bilder
und Gebiete, die für den Zuschauer ein Gefühl von Hoffnung
und Entwicklung in Afghanistan erwecken? Wie würden Sie die
moderne Gesellschaft Afghanistan beschreiben?

Armin-Paul Hampel: Gehen sie in die Stadt Herat
im Westen. Das sieht dort alles klasse aus, wie im tiefsten Frieden.
Aber man darf nicht vergessen: Der Druck der Islamisten ist überall
in Asien erheblich. Also auch eine friedliche Gesellschaft in Afghanistan
wäre stark auf den Koran fixiert. Mit allen einschränkenden
Lebensformen, die wir kennen, besonders für Frauen. ABER manchmal,
Fidelis, beschleicht mich der Verdacht, dass die Reaktionen des
Islam nur eine Antwort auf eine extrem tabulose, nennen Sie es morallose,
westliche Gesellschaft ist. Die Menschen wollen das wirklich nicht.
Auch ganz ohne Koran, zumindest nicht in Südasien.

Melvin: Welchen Einblick haben Sie (auch durch
Informanten) in die Strukturen und Ausbildungslager der Al-Qaida?

Armin-Paul Hampel: So gut wie keine.

LupoL: Welche Rolle spielt Afghanistan noch als
Rückzugs- oder Ausbildungsort von Terroristen? Gibt es die
Camps noch?

Armin-Paul Hampel: Ebenfalls, so gut wie keine.
Aber, um beide Fragen näher zu beantworten: Wir wissen sehr
genau, durch viele Informanten, dass die Al-Qaida ausgezeichnete
Trainingsmöglichkeiten in den Stammesgebieten im östlichen
Pakistan hat. Das sind gutausgebildete Kämpfer mit viel Kampferfahrung.
Sie sind grausam und gnadenlos. Wo sie eingreifen, wird es ernst
für die ISAF. Und ihre Führer sind meist Usbeken oder
Tadschiken. Sie sind seit Jahren dort, haben in lokale Familien
eingeheiratet und sind damit in die Clans aufgenommen. Heißt,
sie sind keine Fremden mehr.

Defrag: Was halten Sie von Innenminister Schäubles
Plänen, Aufenthalt in Terrorcamps im Ausland unter Strafe zu
stellen? Nützt das etwas?

Armin-Paul Hampel: Gelächter… Na, da
bin ich mal auf die Aufklärung und Beweisführung in einem
solchen Fall gespannt. Wie soll man das nachweisen? Vermuten vielleicht,
vage Hinweise. Aber Beweise?

Horst1956: Wie viel bekommt man vom Drogenanbau
in Afghanistan mit?

Armin-Paul Hampel: Jede Menge, Horst. Sie brauchen
nur ihre Augen aufzumachen. Der Drogenanbau erstreckt sich von Nord
nach Süd. Allein die Provinz Helmand produziert so viel Opium,
wie alle anderen Drogenländer zusammen.

Horst1956: Schreitet die örtliche Polizei
dagegen ein?

Armin-Paul Hampel: Nein! Sie kassiert mit. Nur
wenn es zu Streitigkeiten kommt, greift die Staatsmacht mal durch.
Aber das ist ein Tröpfchen. Aber die Bauern bauen Opium nicht
gerne an.
Sie wissen, dass sie unrecht tun. Aber sie haben keine andere Einnahmequelle.

Moderator: Unsere Chat-Zeit ist leider gleich um.
Herr Hampel, noch Zeit für eine letzte Frage?

Armin-Paul Hampel: Ok.

Investigativer: Würden Sie im Kriegseinsatz
als „embedded journalist“ teilnehmen, um Bilder zu bekommen?

Armin-Paul Hampel: Ich habe einige Zeit geschwankt.
Heute beantworte ich die Frage mit „Nein“. Erstens traue
ich den Amerikanern militärisch, wenn es Bodenkampf geht,
nicht viel zu. Zweitens ist der Forderungskatalog der US-Armee so
umfangreich, dass alle Punkte gerade mal auf 18 Seiten passen. Da
steht mehr drin, was ich nicht darf, als die Möglichkeiten,
meiner Arbeit seriös nachzugehen.

Moderator: Vielen Dank für Ihr Interesse
am heutigen tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.
Unser Dank gilt im besonderen Armin-Paul Hampel, der sich die Zeit
genommen hat. In Kürze können Sie das Chat-Protokoll bei
tagesschau.de nachlesen. Ihnen allen noch einen schönen Tag!

Armin-Paul Hampel:
Danke für ihr Interesse. Tschüss
nach Daheim.