Werner Schulz, MdB, war am 18. August
zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.
Im Mittelpunkt der Chat-Diskussion stand die Klage von Schulz gegen
die vorzeitige Auflösung des Bundestages vor dem Bundesverfassungsgericht.
Schulz verteidigte sein Vorgehen als notwenig für die demokratische
Kultur im Land.

Moderatorin: Liebe Politik-Interessierte,
willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein
Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Zum Chat ist heute der Grünen-Abgeordnete
Werner Schulz ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Herr Schulz, sind
Sie bereit für den 60-Minuten-Chat mit unseren Usern?

Werner Schulz: Selbstverständlich.

Moderatorin: Das Bundesverfassungsgericht wird
diese Woche voraussichtlich nicht mehr über den Urteilstermin
zur Bundestags-Neuwahl entscheiden. Haben Sie neue Wasserstandsmeldungen
aus Karlsruhe in welche Richtung die Entscheidung geht?

Werner Schulz: Nein, ich habe keine Vorankündigungen,
ich weiß nicht wann das Urteil verkündet wird und ich
weiß auch nicht, wie das Urteil ausfallen wird. Ich hatte
einen guten Eindruck bei der mündlichen Verhandlung, dass meine
Argumente dort angekommen sind und verstanden wurden.

Bürgerin: Lieber Herr Schulz, geht es Ihnen
wirklich um die Demokratie? Und falls ja, warum ist Ihr Umgang mit
der Demokratie so wenig entspannt und selbstsicher?

Werner Schulz: Es geht mir ausschließlich
um die demokratische Kultur. Tut mir leid, wenn man darum kämpft
und möglicherweise auch angestrengt wirkt. Aber sie können
wissen, das ist Engagement und keine Verkrampfung.

Madkiss: Herr Schulz, fürchten Sie nicht,
als ‘Buhmann der Nation’ zu gelten, sollte Ihre Klage vor dem BVerfG
Erfolg haben?

Werner Schulz: Nein, davor habe ich keine Furcht.
Mir ist es wichtiger, ein Verfassungspatriot zu sein, der nicht
nur an Sonn- und Feiertagen das Grundgesetz lobt, um es sich dann
am Freitag als Dietrich zurechtzubiegen für den Notausgang,
um aus der Verantwortung zu flüchten.

Torben22: Wie hoch rechnen Sie sich Chancen aus,
dass ihre Klage Erfolg hat?

Werner Schulz: Wenn man klagt, hofft man auf Erfolg.
Die Frage ist, wie könnte der Erfolg aussehen. Ich will der
Nation nicht die Lust auf Neuwahlen verderben aber ich möchte,
dass solch ein krummer Weg, den Bundestag aufzulösen, nicht
noch einmal beschritten werden kann.

ChristophV: Warum glauben Sie, dass das Verfassungsgericht
anders entscheiden könnte als 1983? ‘fingiert ‘ waren ja beide
Vertrauensfragen ganz offensichtlich. Aber dieses Mal nicht mehr
als damals.

Werner Schulz: Weil das 83er Urteil eine Schwachstelle
hat. Die heißt "Ermessensspielraum des Kanzlers"
und ich hoffe, dass dieser Ermessensspielraum diesmal klar definiert
wird, damit sich hier keine Willkür einschleichen kann. Denn
Ermessen kommt von Messen, hat etwas mit Maßstab zu tun. Und
wenn der fehlt, wird das ganze beliebig, kann der Bundeskanzler
durch reinen Argwohn auf Verdacht, ihm könnte die Mehrheit
fehlen, das Parlament nach Hause schicken. Das wäre ein Stück
Weimar in Berlin.

ClausM: Wie erklären Sie sich, dass Sie fast
Einzelkämpfer in dieser wichtigen Frage sind?

Werner Schulz: Wenn ein Einzelner wie der Bundeskanzler
in einer einsamen Entscheidung der Meinung ist, den Bundestag aufzulösen,
dann sollte es auch einem Einzelnen möglich sein, dagegen zu
stimmen. Meine Lebenserfahrung aus langen Jahren der Opposition
in der DDR lautet: Wenn einer es wagt in Übereinstimmungen
mit seinen Überzeugungen zu leben, werden auch andere Mut bekommen
und ein Stück ihrer Würde wiederfinden. In der bürgerlichen
Gesellschaft, in der wir leben, heißt das Zivilcourage.

Asdfre: Es geht Ihnen um die demokratische Kultur. Demokratie geht
vom Volk aus, dass Volk will Neuwahlen. Also, wo ist das Problem?

Werner Schulz: Wir haben eine parlamentarische
Demokratie, der Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes, er
ist vom Volk gewählt und nicht an Weisungen gebunden. So steht
es in unserem Grundgesetz. Wie manipulierbar unsere Gesellschaft
ist, können sie daran sehen und erkennen, dass auf die beiden
Fragen "Rechnen sie mit Neuwahlen", "Wollen sie Neuwahlen,
wenn rot-grün in NRW verliert" bis zum 22. Mai, dem Tag
der Landtagswahl, zwei Drittel der Deutschen mit "Nein"
geantwortet haben. Erst als der SPD-Vorsitzende und der Bundeskanzler
Neuwahlen für den Herbst 2005 ankündigten ohne zu sagen
und zu wissen, wie das geht, haben zwei Drittel umgeschwenkt…und
sind jetzt für Neuwahlen. Ich fürchte nur, es ist nicht
die Lust auf Neuwahlen, sondern eher auf Abwahl und Protestwahl.

Moderatorin: Sie behaupten, der Kanzler wusste
nicht wie Neuwahlen funktionieren. Heißt das, Sie glauben,
das war eine Spontanreaktion des Kanzlers?

Werner Schulz: Es war ein unüberlegter oder
wenig durchdachter Schachzug. Vergleichbar mit denen, die man kennt,
wenn man sich in einer bedrängten Situation empfindet, einen
Befreiungszug durchführt, um den Gegner Schach zu bieten. Aber
die nächsten drei Züge überschaut, in denen man Schacht
matt gesetzt wird.

Moderatorin: Es heißt, nur einer der acht
Richter habe in der Verhandlung ausdrücklich Kritik geäußert,
mindestens vier Richter scheinen dagegen die Entscheidung.

Werner Schulz: Nein. Noch läuft die Auszählung
und die Frage ist, was ist ein Sieg. Es haben allein 8 Verfassungsrichter
zu entscheiden, ob es zu Neuwahlen kommt oder nicht, aber es ist
so oder so keine Katastrophe. Die Probleme, die der Bundespräsident
in seiner Erklärung genannt hat, hohe Staatsverschuldung, hohe
Arbeitslosigkeit, alternde Gesellschaft, zu wenig Nachwuchs werden
sich nicht durch eine Neuwahl lösen lassen.

Lars08: Inwieweit war Ihr Volkskammervergleich
Polemik und inwieweit war er ernst gemeint?

Werner Schulz: Der war eine Provokation. Der genaue
Satz lautete ja "Wir sollten die Rückkehr der Geschichte,
das ist ein aktueller Buchtitel des Außenministers nicht als
ein Stück Volkskammer veranstalten". Hier schwingt die
Sorge um die parlamentarische Demokratie mit. Die Volkskammer war
ja nicht das Unterdrückungsinstrument der SED-Diktatur, sondern
gespielte Demokratie, gespieltes Parlament, absurdes Theater. Aber
hätte ich zu dieser fingierten Vertrauensfrage nur absurdes
Theater gesagt, hätte es niemand groß aufgeregt. Daran
hat man sich schon gewöhnt. Die Volkskammeranspielung schafft
die Möglichkeit über den Zustand unserer Demokratie im
Gespräch zu bleiben.

eunice: Ist diese Entscheidung des Bundeskanzlers
das Grundgesetz in seinem Sinne zu interpretieren symptomatisch
für heutiges Politikverständnis? Ist das nicht eine verbreitete
Taktik jedes Wort im Gesetz je nach Wetterlage zu deuten?

Werner Schulz: Da ist viel dran. Wir erleben eine
Kanzlerdemokratie, die politische Begriffe in ihrem Interesse auslegt.
Nicht erst seit heute. Die Vertrauenskrise der Politik hat leider
einen langen Vorlauf und viele Mitverursacher.

smatti: Haben Sie keine Angst, mit dieser Klage
und der daraus entstehenden Unübersichtlichkeit die Politikverdrossenheit
zu erhöhen?

Werner Schulz: Im Gegenteil. Ich glaube, dass
die Politikverdrossenheit steigt, wenn man die Wähler in immer
kürzeren Abständen an die Wahlurnen ruft und sie erleben
müssen, egal wen man wählt, dass sich nichts wesentliches
ändert und verbessert.

ganoven_ede: Plädieren Sie für eine
Änderung des GG und die Aufnahme eines Selbstauflösungsrechts
des Bundestags?

Werner Schulz: Das wäre sicher die beste
Lösung. Sie müssen wissen, ich habe 1989/90 am Verfassungsentwurfs
des Runden Tisches mitgearbeitet. Dort hatten wir in Art. 55 Abs.
3 ein Selbstauflösungsrecht des Parlamentes mit Zweidrittelmehrheit
vorgesehen. Es wäre gut gewesen, man hätte diesen demokratischen
Aufbruch aus dem Osten nicht nur als Systemzusammenbruch verkannt.

GJHler: Können sie sich mehr direkte Demokratie
(Abschaffung der Parteilisten durch Direktkandidatenranking, Bürgerbegehren/Volksentscheide)
vorstellen?

Werner Schulz: Ich bin ein großer Anhänger
von direkter Demokratie. Schauen Sie, der Ruf "wir sind das
Volk", diese vier Worte bringen doch auf den Punkt, was der
Anspruch der friedlichen Revolution war. Das ist der beste Ausdruck
von direkter Demokratie, Mitbestimmung und Einmischung in die eigenen
Angelegenheiten.

bernd40: Guten Tag Herr Schulz, ich kann es nicht
nachvollziehen, dass Sie gegen die Entscheidung des Bundespräsidenten
klagen. Selbst wenn Sie aus verfassungsrechtlicher Sicht berechtigte
Zweifel haben, müssen Sie doch den Zustand unseres Landes sehen,
Deutschland ist in der aktuellen politischen Situation doch völlig
unregierbar geworden, was meinen Sie dazu?

Werner Schulz: Das sehe ich anders. Der Bundeskanzler
Gerhard Schröder könnte mit einer beherzten Entscheidung
die verquickte Situation zwischen Bundestag und Bundesrat, diesen
gordischen Knoten, auflösen. Die Föderalismusreform ist
an einem strittigen Punkt gescheitert: Wer für die Bildungspolitik
zuständig ist, der Bund oder die Länder. Bei der angewachsenen
Mehrheit der CDU-regierten Länder im Bundesrat könnte
der Bundeskanzler unter Verzicht auf den Anspruch, für die
Bildung ist der Bund zuständig, sofort die Reform unserer föderalen
Ordnung bekommen. Das heißt, nur noch 30 Prozent der Gesetze
würde durch den Bundesrat laufen und der Zustimmung durch die
Länder bedürfen. Das würde ihm und seiner Regierung
weitaus mehr Kraft und Gestaltungsmöglichkeit geben, als eine
noch so grandios gewonnene Bundestagswahl.

Moderatorin: Es gäbe noch andere Möglichkeiten:

GJHler: Warum ist der Kanzler nicht einfach zurückgetreten?

Werner Schulz: Das frage ich mich auch. Das wäre
die sauberste Lösung gewesen, hier hätte er vor allen
Dingen nicht die Hilfe der Abgeordneten gebraucht, die er bei seiner
Flucht aus der Verantwortung zu Fluchthelfern gemacht hat. Ein souveräner
Bundeskanzler hätte durchaus eine Regierungserklärung
abgeben können, nach dem Motto: "Ich trete zurück,
um den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Das ist kein Aufgeben
meiner Politik, sondern ein neuer Anlauf mit den Erkenntnissen was
bisher gut lief, was falsch lief und was besser gemacht werden kann".

regenrinne: Herr Schulz, die Grünen waren
mal als Bürgerrechtspartei angetreten. Seit sie regieren ist
davon nicht mehr viel zu sehen? Warum sind die Grünen die besseren
Bürgerrechtler als die FDP?

Werner Schulz: Wir sind mit Sicherheit nicht die
besseren Menschen und im einzelnen muss sich das immer zeigen, wer
die Bürgerrechte verteidigt und bewahrt. Es gibt durchaus Schnittmengen
zwischen politischen Kräften, die eine liberale Grundüberzeugung
haben, für die Freiheit ein hoher Wert ist. Der Unterschied
zur FDP zeigt sich darin, dass die Grünen zumindest nach meiner
Vorstellung Freiheit mit sozialer Verantwortung und sozialen Engagement
verbinden.

Zaunkönig: Sie haben die zu enge Loyalität
der Grünen gegenüber der SPD und zum Kanzler kritisiert.
Wie hätte Ihrer Meinung nach eine klarere Abgrenzung in der
Vergangenheit aussehen können? Oder wie kann sie in Zukunft
aussehen, wenn Rot-Grün doch gewinnt?

Werner Schulz: Es gab viele Probleme, wo wir uns
als der bravste Koalitionspartner erwiesen haben, seit es Koalitionen
gibt. Zähneknirschen ist eben keine Konfliktbewältigung.
Konflikte muss man austragen, damit die Bürger sehen, wie letztlich
Kompromisse entstehen. Daran hat es gemangelt. Schauen sie, allein
wie wir bei dem Neuwahl-Coup des Kanzlers vor die Koalitionstür
gesetzt wurden.

Moderatorin: Sie kandidieren in Berlin direkt
für den Bundestag, nachdem Ihnen ein sicherer Platz auf der
Landesliste der Grünen verwehrt blieb. Für die Direktkandidatur
wurden sie nun jedoch mit großer Mehrheit gewählt. Fühlen
Sie sich von Ihrer Partei insgesamt gut unterstützt?

Werner Schulz: Insgesamt habe ich diese Unterstützung,
das zeigen die vielen Reaktionen und E-Mails, die mich von der Basis
der Partei erreicht haben. Reibungen hat es mit dem grünen
Establishment gegeben. Aber was wäre Politik ohne Meinungsstreit?
Den möchte ich auf sachliche und vernünftige Art und Weise
auch gerne weiterführen.

Moderatorin: Aber war er nicht eher persönlich:

jetztred_I: Wie wird Ihre politische Zukunft aussehen?
Bei den Grünen sind Sie ja eher isoliert.

Werner Schulz: Das kann ich so nicht erkennen.
Frau Roth hat z.B. große Schwierigkeiten, in Bayern aufgestellt
zu werden, weil ihre Kritik an meiner Bundestagsrede als überzogen
empfunden wurde. Interessant ist ja, dass die Kritik vor allem von
denen Mitgliedern der Fraktion kam, die sich bei der Vertrauensfrage
enthalten hatten. Da war auch schlechtes Gewissen mit im Spiel.
Und sie haben sich mit dieser überzogenen Kritik selbst keinen
Gefallen getan.

Daniel_Stuttgart: Herr Schulz, wären Sie
im Falle einer Neuwahl für ein Rot-Rot-Grünes Bündnis?

Werner Schulz: Mit einer Partei, die im Moment
nur als Listenverbindung existiert, die noch keine innere Festigkeit
vorweist, deren Richtung und Programm noch nicht klar ist, kann
man keine Koalition eingehen. Insofern kommt nur Rot-Grün in
Frage.

Moderatorin: Und Schwarz-grün? Die Grünen-Fraktionsspitze
hat Ihren Forderungen widersprochen, auch ein schwarz-grünes
Bündnis nach der Bundestagswahl in Erwägung zu ziehen.
Der Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker
Beck, erklärte in Berlin: „Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün
scheiden gleichermaßen aus!“ Finden Sie die Entscheidung
engstirnig?

Werner Schulz: Die Weigerung ist sowohl in der
CDU als auch im Grünen Establishment zu hören. Aber ich
war schon immer der Auffassung, dass wir eine Äquidistanz zu
beiden großen Volksparteien besitzen und auch den Mut haben
sollten, über große Koalitionen hinaus zu denken. Denn
diese ist kein Modell für die Zukunft.

Moderatorin: Noch mal zu Rot-rot-grün:

buerger: Aus dieser Antwort ersehe ich, dass Sie
so was nicht ausschließen würden Herr Schulz.

Werner Schulz: Es gilt ja der Grundsatz, dass
alle demokratische Parteien koalitionsfähig sein sollten. Deswegen
kann man die weitere Entwicklung der Linkspartei. PDS heute noch
nicht einschätzen. Im Moment ist es eine Sammlungspartei, wo
sich im Kern die PDS mit enttäuschten ehemaligen SPD-Mitgliedern
und Gewerkschaftern aus dem Westen zusammen geschlossen hat. Ob
daraus eine regierungsfähige Partei wird, entscheidet sich
in dieser Partei. Es ist der zweite Versuch einer Westausdehnung
der PDS, beim erstem Mal ist das gescheitert, hatten sich nur die
Reste der Vierten Internationale für die PDS interessiert und
führten zum Misserfolg der PDS bei der letzten Bundestagswahl.
Um regieren zu können brauchen sie stabile innerparteiliche
Verhältnisse. Das scheint mir bei der PDS im Moment nicht gegeben
zu sein.

Zurbriggr: Herr Schulz, hoffen Sie auf ein Direktmandat?
Ist Herr Thierse nicht ein zu starker Konkurrent?

Werner Schulz: Wolfgang Thierse ist als Spitzenkandidat
der SPD sowieso im nächsten Bundestag. Ich finde, Pankow als
Musterbezirk der deutschen Vereinigung, wo Ost und West zusammen
gekommen sind, der mit dem Prenzlauer Berg den attraktivsten kulturellen
Anziehungspunkt bietet, wo Leute wohnen, arbeiten, feiern und träumen
wollen, sollte zwei starke Persönlichkeiten im Bundestag haben.
Meine Devise lautet deswegen ‚Zwei für Pankow’.
Wer Schulz wählt entscheidet sich nicht gegen Thierse.

Moderatorin: Aber auch der CDU-Politiker Günter
Nooke und der Berliner PDS-Chef Stefan Liebich stellen sich auch
zur Wahl.

BerlinRockt: Herr Schulz, in Ihrem Wahlbezirk
tummelt sich ja geradezu politische Prominenz der Parteien. Welche
Chancen rechnen sie sich aus, sich dort durchzusetzen? Können
sie dabei vom Vorbild Ströbele etwas lernen?

Werner Schulz: Richtig. Die Chance ist da. Christian
Ströbele hat bewiesen, dass die Bündnisgrünen in
der Hauptstadt ein Direktmandant holen können. In seinem Wahlkreis
ist die Hälfte des Prenzlauer Berges, die andere Hälfte
ist in meinem Wahlkreis. Geteiltes Potential ist doppelter Erfolg.
Das heißt, wir können zwei Direktmandate in der Hauptstadt
erreichen.

Franz Josef III: Angesichts des glaubwürdigen
aber einsamen Kampfes den Sie führen, was verbindet Sie eigentlich
noch mit der Grünen Partei der heutigen Tage, insbesondere
mit Joschka Fischer, der sich zu einem aalglatten Opportunisten
der Macht gewandelt hat?

Werner Schulz: Was mich mit den Bündnisgrünen
verbindet, ist die ökologische Herausforderung in ihrer Gesamtheit.
Diese Fragen entscheiden über unsere Zukunft. Also eine nachhaltige
Gesellschaft, die nicht die Energiereserven dieser Erde sinnlos
verbraucht, sondern auf erneuerbare Energien, auf nachwachsende
Rohstoffe, auf Klima- und Umweltschutz und natürlich ganz wichtig
auf den Nachwuchs unserer Gesellschaft, d.h. Kinder und Bildung,
setzt. Das sind ökologische Ziele, unabhängig davon, ob
sie Joschka Fischer noch im Kopf hat oder nicht.

GJHler: Sie blühen ja richtig auf, so als
Wahlkämpfer, was passiert wenn sie es nicht schaffen, engagieren
sie sich innerparteilich?

Werner Schulz: Ja, selbstverständlich. Ich
bleibe Mitglied dieser Partei, die ich im ersten Namensteil, Bündnis
90, ja mitbegründet habe. Politik spielt sich schließlich
nicht nur im Bundestag ab.

danielm2601: Werden Sie ein Buch über diese
Ereignisse der letzten Monate schreiben?

Werner Schulz: Über die letzten 15 Jahre
am besten. Weil die Erfahrungen nach 1990 für mich sehr aufschlussreich
waren und wenn man an der Weiterentwicklung unserer Demokratie und
an der strategischen Neuausrichtung unserer Partei interessiert
ist, dann muss man diese Gedanken zu Papier bringen.

kasi: Haben Sie nach Einreichung der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht
noch einmal persönlich mit dem Bundeskanzler gesprochen?

Werner Schulz: Nein, er hat weder vor noch nach
der Klage persönlich mit mir gesprochen. Ich glaube, er war
‚not amused’.

Moderatorin: Wann rechnen Sie nächste Woche
mit der Entscheidung des Gerichts?

Werner Schulz: Das vermag ich nicht zu beantworten.
Ich glaube, dass es im Laufe der nächsten Woche passieren wird.

Moderatorin: Unsere Zeit ist bereits um. Vielen
Dank an alle User für das große Interesse. Etliche Fragen
sind leider unbeantwortet geblieben. Vielen Dank, Herr Schulz, dass
Sie sich Zeit für den Chat genommen haben. Das Transkript dieses
Chats finden Sie auf den Seiten der Veranstalter. Den nächsten
Chat gibt es Morgen ab 13.00 Uhr mit dem CSU-Generalsekretär
Markus Söder. Das tacheles.02-Team wünscht allen noch
einen angenehmen Tag!

Werner Schulz: Herzlichen Dank für die vielen
interessanten Fragen. Es hat mir viel Spaß gemacht und zeigt
doch, wie lebendig und interessiert unsere Gesellschaft ist. Vielleicht
täuschen wir uns manchmal über die Politikverdrossenheit.