Klaus Ernst, Mitbegründer und
Vorstandsmitglied der WASG, war am 10. Juni zu Gast im tacheles.02
Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.

Moderator: Liebe Politik-Interessierte,
willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein
Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de. Zum Chat ist heute der Vorsitzende der WASG,
Klaus Ernst ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Herr Ernst, sind
Sie bereit?

Klaus Ernst: Ja, klar. Selbstverständlich.

Moderator: Sie haben harte Verhandlungen mit der
PDS hinter sich. Was mussten Sie denn für Konzessionen an Bisky
und Co machen?

Klaus Ernst: Wir hatten eigentlich ein anderes
Modell vor, wie wir die Zusammenarbeit gestalten können. Nämlich
die Gründung einer Wahlpartei, einer Partei die nur zur Bundestagswahl
antritt und erst später dann eine gemeinsame Partei aus WASG
und PDS wird. Aber das war rechtlich und organisatorisch nicht möglich.

alf: Was wollen sie anders machen als die Linken der SPD?

Klaus Ernst: Erstens: Wir werden das machen, was
wir vorher sagen. Zweitens: Wir werden unsere Positionen deutlicher
vertreten können, als die Linken in der SPD, die sehr oft als
Tiger startet und als Bettvorleger landet. Drittens: Wir werden
viel enger mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zusammenarbeiten.
Viertens: Wir werden uns für weitere politische Kräfte
öffnen.

Tomcat: In welchen inhaltlichen Punkten gab es
denn keine Übereinstimmung mit der PDS?

Klaus Ernst: Wir sind uns noch nicht einig, welchen
Namen das neue Projekt hat. Einesteils muss berücksichtigt
werden, dass die Bürger in den neuen Bundesländern, die
Partei wiedererkennen, die sie bisher gewählt haben. Andererseits
muss in dem Namen das Neue sichtbar werden, dass die neue Partei
auch im Westen gewählt wird. Es wird uns sicher etwas einfallen.

rk: Wie links wird die Linke sein? Sozialdemokratisch (Reformrücknahme)
oder sozialistisch (Sozialisierung von Betrieben)?

Klaus Ernst: Die SPD ist soweit nach rechts gerückt,
dass links von ihr viel Platz entstanden ist. Unser neues Projekt
muss dieser Breite im linken Spektrum Rechnung tragen. Wir dürfen
uns nicht am Rand des linken Spektrums positionieren, sondern so
dass unsere politischen Positionen von ehemaligen Sozialdemokraten
genauso unterstützt werden können wie von ehemaligen Mitgliedern
der PDS. Entscheidend ist, dass wir die Menschen in dem Land dort
abholen wo sie stehen. Wer seiner Bewegung zu weit voraus ist, läuft
in die Gefahr, im Gefängnis auf sie warten zu müssen.

Peter L?ch: Als Vorstandsmitglied der WASG Köln
und Direktkandidat LTW NRW sage ich Ihnen, dass um die 80% der WASG
diesen Weg nicht mitgehen wird. Und was ist mit der Mitgliederbefragung?

Klaus Ernst: Selbstverständlich werden wir
über die Grundsatzentscheidung, neues Projekt ja oder nein,
unsere Mitglieder genauso befragen müssen wie über die
Frage: gemeinsames Auftreten mit der PDS bei den Bundestagwahl.
Ich hoffe, dass es uns gelingt die Dimension des Neuen sichtbar
zu machen, die darin liegt eine vereinigte Linke in der BRD zu kreieren,
die so stark ist, den neoliberalen Mainstream etwas entgegen setzen
zu können. Bei den Bundestagswahlen bestünde die Gefahr,
dass beide Parteien an der 5%-Hürde scheitern, wenn sie gegeneinander
antreten und damit nicht einmal eine neue Opposition im Bundestag
vertreten wäre.

igor: Wie viel Druck hat denn Lafontaine gemacht, dass es zum Bündnis
kommt?

Klaus Ernst: Oskar Lafontaine hat mir erklärt,
schon vor einigen Wochen, dass er ein gemeinsames Projekt unterstützen
würde, wobei die Betonung auf gemeinsam lag.

Moderator: Ein gesundheitlich angeschlagener Gregor
Gysi und ein marginalisierter Oskar Lafontaine. Wie viel sind diese
beiden Politiker wert, abseits vom schönen Schein der Namen?

Klaus Ernst: Meine Wahrnehmung ist, dass sie nach
wie vor Säle füllen, dass sie bei den Medien bei weiten
mehr wahrgenommen werden als wir und dass sie – und das zeigen die
Umfrageergebnisse – für mehrere Prozentpunkte stehen.

AndreasKrug85: Nach dem derzeitigen Stand der
Dinge werden wohl WASG Mitglieder auf einer offenen Liste der Vereinigten
Linke – PDS (?) antreten – sehen Sie die Gefahr, dass Ihre Mitglieder
zur PDS überlaufen?

Klaus Ernst: Die Gefahr sehe ich eigentlich nicht,
weil die Kulturen beider Parteien durchaus unterschiedlich sind.
Übrigens hätten dies die Mitglieder, die dies denken,
schon vorher tun können – haben sie aber nicht.

Kollege_B: Wäre die Partei bereit in eine
Regierung mit SPD und Grünen einzutreten?

Klaus Ernst: Wir gehen davon aus, dass wir im
Bundestag die einzige Oppositionspartei sein werden. Nicht, weil
wir nicht gestalten wollten, sondern weil es keine im Bundestag
vertretene Partei gibt, von der man annehmen könnte, dass sie
auch nur ansatzweise Positionen vertreten würde, die eine Koalition
möglich macht. Aus diesem Grunde scheidet aus meiner Sicht
eine Regierungsbeteilung aus.

valpolitschella: Sie wollen doch nur die 70er
aufbacken – ist das nicht eher konservativ?

Klaus Ernst: Das wäre es in der Tat, wenn
wir es wollten. Natürlich muss z.B. das Sozialsystem der BRD
neu gestaltet werden. Wir brauchen keine Hungerkur sondern ein Fitness-Programm.
Selbstverständlich müssen wir darüber nachdenken,
wie wir ein Steuersystem gestalten, dass ein effektiver Sozialstaat
erhalten bleibt. Entscheidend ist, dass in der BRD künftig
nicht der Ellenbogen das wichtigste Körperteil wird. Das ist
kein Weg zurück, sondern eher ein Weg nach vorn.

Horst.S.: Ich meine die Kritik, dass die WSAG
der CDU in die Hände spielt, weil sie die SPD schwächt
und dass es besser wäre innerhalb der SPD für Veränderung
zu sorgen.

Klaus Ernst: Veränderung in der SPD sind
aus meiner Sicht nicht zu erreichen. Selbst Abgeordnete konnten
dies nicht erreichen. Im Gegenteil. Durch eine weitere Unterstützung
der Partei wird man unglaubwürdig, wenn man wirklich Sozialdemokrat
ist. Sozialdemokratie definiert sich nicht damit, was ein Kanzler
in einer Politik der Beliebigkeit gerade entscheidet, sondern nach
Grundpositionen, die gemeinsam in einer Partei definiert werden.
Nicht wir haben dazu beigetragen, dass die CDU gestärkt wird,
sondern die Politik der letzten 7 Jahre der Bundesregierung. Im
Übrigen: Die unterschiedlichen Positionen zwischen CDU und
SPD sind kaum noch wahrnehmbar. Merkel wird das fortsetzen, was
Schröder eingeleitet hat.

Moderator: Sie fordern gesicherte Arbeit und gerechte
Einkommen für alle. Aus welcher Wundertüte nehmen Sie
Ihre Wohltaten?

Klaus Ernst: In diesem Land fehlt es an Nachfrage
und Nachfrage ist die Voraussetzung für Arbeitsplätze.
Nachfrage entsteht nicht durch "Wir müssen den Gürtel
enger schnallen" und sparen. Wir wollen ein Zukunfts-Investitionsprogramm
von mindestens 20 Milliarden in diesem Jahr, dass dadurch finanziert
wird, dass die Steuergeschenke an Spitzenverdiener, an Unternehmen,
an Vermögende zurückgenommen werden. Mit diesen Zukunftsinvestitionen
könnten in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Aufbau und Erhaltung
der Infrastruktur zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.

Klaus Ernst: Hätten wir das Steuersystem
wie vor 5 Jahren, wäre unser Programm schon finanziert.

Rotfront: Glauben sie ernsthaft, dass sie in einer
globalisierten Welt wirklich den deutschen Sozialstaat retten können
oder müsste man nicht vielmehr über Alternativen jenseits
des Kapitalismus nachdenken?

Klaus Ernst: Der Gedanke über Kapitalismus
überwindende Projekte ist sicher nicht falsch. Gegenwärtig
hilft er nur nicht weiter. Wir müssen Antworten auf die Frage
geben, wie wir unser Sozialsystem gestalten wollen, wie wir zu mehr
Arbeitsplätzen kommen wollen und wie wir Steuergerechtigkeit
erreichen. In diesen Bereichen gibt es sehr wohl nationale Handlungsmöglichkeiten.
Ein Beispiel: In der BRD ist es einfacher, ein Werk zu schließen
und die Beschäftigten zu entlassen als in Frankreich. Ein Ergebnis
des nationalen Kündigungsschutzes. In den USA ist das Steueraufkommen
am BIP 3,1 % aus Vermögens- und Erbschaftssteuer, in der BRD
0,9 % – ein Ergebnis nationaler Steuerpolitik.

Moderator: Jetzt werden Sie programmatisch in
die Zange genommen, Herr Ernst:

Sparta: Wäre eine Luxussteuer denkbar?

Klaus Ernst: Ja. Das Steuersystem ist so zu gestalten,
dass vom Schicksal besonders begünstigte Personen auch einen
angemessenen Beitrag zum Sozialstaat leisten.

io: Es wird nicht reichen nur die Spitzen der Spitzen zu belasten.
Was halten Sie von einer Einheitsrente, einer Grundsicherung (Siehe
ALG2 auf deutlich höherem Niveau)?

Klaus Ernst: Wir sind, sowohl als WASG als auch
als PDS, dafür dass alle Bürger unseres Staates in Würde
leben können, deshalb unterstützen wir eine Mindestsicherung.

Scharnbeck2: Denken Sie, dass Sie auch nur einen
Wirtschaftsvertreter für sich gewinnen?

Klaus Ernst: Die Realisierung unseres Programms
führt dazu, dass insbesondere Nachfrage im Mittelstand entstehen
wird, von dem die dort vorhandenen Unternehmen unmittelbar profitieren
werden. Im Übrigen hat die Politik der letzten Jahren, die
einseitig auf die Unternehmerinteressen ausgerichtet war – wie man
an den Arbeitslosenzahlen ablesen kann – nicht gerade große
Erfolge gebracht.

apo: Der Kapitalismus ist sicher nicht abzuschaffen. Jeder kleine
Rentner will eine hohe Dividende am Kapitalmarkt! Glauben Sie ernsthaft,
dass Sie diese Haltung ändern können?

Klaus Ernst: Dass ein Rentner eine vernünftige
Rente will, ist doch in Ordnung. Auch seine Rendite am Kapitalmarkt
erzielt er nur, wenn Arbeit dahinter steckt. Kapitalgedeckte Sozialversicherungssysteme
funktionieren auch nur, wenn entsprechend viele Menschen in Arbeit
sind. Unsere Politik trägt dazu bei und sorgt daher auch für
sicherere Renten, egal ob kapitalgedeckt oder solidarisch organisiert.

-donteatyellowsnow-: Sie treten mit dem Anspruch
an, ein Partei für Arbeiter und Rentner zu sein. Denken sie,
dass eine solche "Klassenzugehörigkeits-Diskussion"
noch zeitgemäß ist?

Klaus Ernst: Es geht schlicht darum, eine Politik
zu entwickeln, welche die Interessen der Mehrheit der Bürger
unseres Landes zum zentralen Entscheidungspunkt macht. Im Übrigen
erlebe ich in meiner Praxis als Gewerkschaftssekretär sehr
oft "Klassenkampf von oben": Da werden Leute erpresst,
längere Arbeitszeiten ohne Lohn zu akzeptieren oder gekündigt
zu werden. Da werden Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen, obwohl
das Unternehmen in guter wirtschaftlicher Situation ist. Das fordert
Daimler 500 Millionen Euro von der Belegschaft, obwohl das Unternehmen
alles andere als ein Sanierungsfall ist.

alfons: Streben Sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer an?

Klaus Ernst: Nein. Eine Mehrwertsteuer ist eine
Verbrauchssteuer und trifft besonders Bürger mit niedrigerem
Einkommen mehr, als Bürger mit höherem Einkommen. Warum?
Geringverdiener sind gezwungen, einen sehr hohen Anteil ihres Einkommens
zu konsumieren – der wird durch die Mehrwertsteuer voll getroffen.
Je höher das Einkommen, desto höher ist auch der Anteil
der nicht konsumiert wird, also von der Mehrwertsteuer nicht betroffen
wird. Prozentual von ihrem Einkommen werden durch Erhöhung
der Mehrwertsteuer Geringverdiener mehr belastet als Großverdiener.

alfons: Was machen Sie, wenn sich eine Mehrheit der WASG-Landesverbände
gegen die Zusammenarbeit mit der PDS ausspricht?

Klaus Ernst: Wenn die Mehrheit der Mitglieder
der WASG sich gegen dieses Projekt ausspricht, wird es nicht zustande
kommen. Ich hoffe aber, dass möglichst viele unserer Mitglieder
erkennen, dass es nicht nur um die Bundestagswahl 2005 geht, sondern
um ein gemeinsames Projekt der fortschrittlich demokratischen Kräfte
unseres Landes, das die politische Landschaft in der BRD im Interesse
vieler Bürgerinnen und Bürger neu ordnen kann.

Bischof: Es fällt auf, dass der Bundesvorstand
Ihrer Partei intern sowie über die Medien verbal zielgerichteten
Einfluss auf die WASG-Mitglieder nimmt. Machen sie damit letztlich
Politik gegen die eigene Partei?

Klaus Ernst: Der Bundesparteitag hat uns aufgefordert
in Gesprächen die Frage von Zusammenarbeit zu klären.
Das haben wir getan und sind dabei zu einem Vorschlag gelangt, den
wir in der Partei zur Debatte stellen müssen. Das ist auch
gut so. In unserem Gründungsprogramm und in der Debatte auf
dem Parteitag wurden inhaltliche Positionen der WASG bestimmt, die
wir auch mit den jetzigen Vorschlägen zur Zusammenarbeit mit
weiteren demokratischen Kräften umsetzen wollen. Insofern richtet
sich unser Vorgehen keineswegs gegen die eigene Partei, sondern
versucht, Beschlüsse in die Realität umzusetzen.

Moderator: Es sind ja noch ein paar Wochen bis
zur Wahl, aber jetzt dürfen Sie mal einen ehrlichen Tipp abgeben:

Bender4: Herr Ernst, ist es wirklich Ihr Ernst,
das ihre Linke Liste um die 10% der Stimmen erreichen könnte?

dk72b: Die Prognosen sagen 18% – was sagen Sie?

Klaus Ernst: Ich gehe davon aus, dass wir drittstärkste
Partei in diesem Bundestag werden könnten und ich glaube, dass
wir mit den beiden Spitzenkandidaten zurzeit ein Ergebnis von 8
bis 10 Prozent erreichen können.

Le Buque: Sie haben das Bündnis maßgeblich
geschmiedet. Welche Zukunft hat ein Klaus Ernst zwischen zwei Medienstars
wie Gysi und Lafontaine?

Klaus Ernst: Ich freue mich, dass wir Lafontaine
und Gysi als Medienstars haben, die vor allem auch mit großem
rhetorischen Geschick unsere Positionen mehrheitsfähig machen
können. Ich persönlich werde dieses Projekt weiter unterstützen.
Es ist vollkommen unerheblich, ob ein Klaus Ernst in den Medien
ist.

Edelkastanie: Ich habe den Eindruck, dass im Westen
die Leute der PDS und der WASG aus völlig unterschiedlichen
Kulturen kommen: Die einen repräsentieren die z.T. antikommunistische
alte Sozialdemokratie der alten Bundesrepublik, die anderen die
alten Kommunisten der alten BRD. Glauben Sie, dass ein Bündnis
von so unterschiedlichen Leuten überhaupt bis zur Bundestagswahl
halten kann?

Klaus Ernst: Ja, weil sie jetzt in beiden Parteien
die extremen Pole beschrieben haben. Die Zukunft des Projekts liegt
ja gerade darin, sich auf das Neue einzulassen.
Und aus meiner Sicht sind viele Mitglieder beider Parteien zu einem
solchen Aufbruch bereit. Die Mitglieder der PDS haben die Chance,
dass ihre Interessen in einem größeren Projekt, als es
die PDS ist und werden kann, vertreten werden. Die Bürger in
den alten Bundesländern haben die Chance, eine starke linke
demokratische Kraft zu bekommen, die ihre Themen wieder in die Politik
einbringt. Das ist für beide von Vorteil.

Moderator: Sie klingen auch sehr aufbruchsbereit
und engagiert – warum dann eigentlich kein Engagement in ihrer ursprünglichen
politischen Heimat SPD – die Opposition gibt doch auch immer die
Chance zur Kurskorrektur.

Klaus Ernst: Diese Frage ist insofern obsolet,
als dass man mich schon ausgeschlossen hat. Die SPD ist zu einem
richtigen Wechsel nicht in der Lage. Sie müsste ihr gesamtes
Führungspersonal auswechseln, will sie glaubwürdig bleiben.

Das Vorgehen des Kanzlers mit der vorgezogenen Bundestagswahl, seine
Agenda 2010 abstimmen zu lassen und die Akzeptanz der Partei zeigt,
dass man zu einem Kurswechsel nicht bereit ist.

Moderator: Kommentar:

gerhardt: Ich finde es gut, wenn es eine vereinigte
Line geben wird. Das ist eine Chance, die Demokratie in diesem land
zu stärken. Und es ist nach 15 Jahren Wiedervereinigung an
der Zeit.

Roland: Die Debatte um eine neue Linke ist teilweise
sehr polemisch. Da fordern Sie ein sozialeres Deutschland, reden
von Besteuerung der Reichen und Abschaffung von den jetzigen Bestimmungen
vom Arbeitslosengeld II, überlassen aber die realistischen
Zahlen den anderen Parteien. Auch ich bin für ein sozialeres
Deutschland, halte aber gar nichts von falschen Hoffnungen. Nutzen
Sie nicht ein wenig aus, dass die Menschen Angst vor der Zukunft
haben?

Klaus Ernst: Unsere Vorschläge zur Finanzierung
der Sozialsysteme sind durchgerechnet und machbar. Ein Beispiel:
Im Jahre 2000 waren die Einnahmen des Staates aus der Körperschaftssteuer
noch über 20 Milliarden Euro. Im Jahre 2001 hat das Aufkommen
der Körperschaftssteuer das Niveau der Hundesteuer unterschritten.
Allein aus den Steuergeschenken der letzten Jahre ist unser Zukunftsinvestitionsprogramm
mehr als finanzierbar.

Gerry Levin: Lafontaine und Gysi sind Medienstars,
aber sie sind meines Erachtens auch eitel und haben beide in entscheidenden
Situationen fluchtartig ihre Positionen verlassen – Gysi als Wirtschaftssenator
in Berlin, Lafontaine als Finanzminister. Glauben Sie, auf die beiden
können Sie sich auch in stürmischen Zeiten verlassen?

Klaus Ernst: Lafontaine hat in seinem Leben alles
erreicht, was man erreichen kann. Oberbürgermeister, Ministerpräsident,
Parteivorsitzender – das er mit uns nicht Papst und auch nicht Bundeskanzler
werden kann, ist ihm klar. Gysi ist ebenfalls ein erfahrener Politiker.
Beiden ist gemeinsam, dass sie eine klare politische Zielsetzung
haben, die sie unabhängig von der politischen Großwetterlage
vertreten. Ein hohes Maß von politischer Beständigkeit
und Verlässlichkeit, die wir in unserem Land brauchen. Lafontaine
ist zurück getreten, weil er mit der Politik der Regierung
nicht mehr einverstanden war. Viele treten zurück, weil sie
Dreck am Stecken haben. Ich halte seine Motive für ehrenwerter,
als die Motive der anderen, die an ihrem Sessel kleben bleiben,
nach dem Motto: ich fliehe nicht aus der Verantwortung, obwohl sie
keiner mehr haben will.

Mineralogiestudent: Glauben Sie, dass die SPD
nach einer Wahlniederlage zu einer Kursänderung bereit ist?

Klaus Ernst: Nach einer Wahlniederlage wird es
in der SPD ein Hauen und Stechen geben. Die SPD wird sich vermutlich
nach einer Zeit der Regeneration wieder links positionieren. Die
Bürger werden ihr diesen Richtungswechsel nicht glauben.

Moderator: Unsere Zeit ist schon wieder um. Vielen
Dank an alle User für das große Interesse. Etliche Fragen
sind leider unbeantwortet geblieben. Vielen Dank, Herr Ernst, dass
Sie sich Zeit für den Chat genommen haben. Das Transkript dieses
Chats finden Sie auf den Seiten der Veranstalter. Den nächsten
Chat gibt es am Donnerstag, 16.6.05, von dreizehn bis vierzehn Uhr
mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Kristina Köhler. Das tacheles.02-Team
wünscht allen noch einen angenehmen Tag!

Klaus Ernst: Tschüss und einen schönen
Tag.