Am 26. Juni 2007 war Jens Schröder von
blogcensus.de in der Blogsprechstunde von politik-digital.de und
den Blogpiloten. Er sprach über erste Ergebnisse bei der Vermessung
der Blogosphäre, erklärte die Zählmethode der Deutschen
Blogcharts und schwärmte von US-amerikanischen Blogs.

Moderator: Hallo und herzlich
willkommen zur Blogsprechstunde, dem Chat von politik-digital.de
in Kooperation mit den Blogpiloten. Unser Gast heute ist Jens Schröder,
der Macher der Deutschen Blogcharts. Mit seinem neuen Projekt Blogcensus.de
vermisst er zusammen mit Dirk Olbertz von blogscout.de die deutsche
Blogosphäre.

Moderator: Hallo Jens Schröder,
können wir beginnen?
Jens Schroeder
Jens Schröder: Sehr gern.

Moderator: Im Vorfeld konnten unsere Nutzer bereits
Fragen stellen und über diese abstimmen. Die Fragen mit den
meisten Stimmen eröffnen jetzt unseren Chat.

DAU: Du hast es ja schon mal erklärt, aber
ich hab es nicht ganz durchgeblickt: Wie werden die erfolgreichsten
deutschen Blogs ermittelt?

Jens Schröder: In den deutschen
Blogcharts
, die ich einmal wöchentlich erstelle, zählen
die Verlinkungen, die ein Blog innerhalb des letzten halben Jahres
von anderen Blogs bekommen hat. Dabei verwende ich die Daten der
Blogsuchmaschine Technorati, die auf dem Gebiet führend ist.
Dabei entsteht dann die Top 100 der meistverlinkten deutschsprachigen
Blogs – das sind zwar nicht unbedingt die meistgelesenen Blogs,
aber diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – beliebt
bei anderen Bloggern sind.

dakota: Warum bewertest du die Blogs eigentlich
nach Verlinkungen und nicht nach Leserzahlen?

Jens Schröder: Dafür gibt es zwei Gründe.
Einen ganz einfachen: Es gibt nicht für jedes Blog öffentlich
zugängliche Leserzahlen. Damit es solche Zahlen gibt, müssten
sich alle Blogs bei Counterdiensten wie Blogscout anmelden – und
das wird nie passieren, da es viele, viele Blogger gibt, denen Zugriffszahlen
egal sind oder die einfach nicht wollen, dass ihre Zahlen öffentlich
sind. Bei den Verlinkungen ist das etwas Anderes: Die lassen sich
jederzeit für alle existierenden Blogs oder Websites ermitteln.
Der zweite Grund ist, dass Verlinkungen interessanter sind. Viele
Leser kann man auch bekommen, wenn man über alle möglichen
populären Themen schreibt und dadurch viele Leute über
Suchmaschinen anlockt. Um verlinkt zu werden, muss man schon etwas
schreiben, dass sich von der Masse abhebt.

Miniblog: Die Blogcharts bewegen sich durch das
ausschließliche Zählen von Verlinkungen ja wenig. Was
sagst du zu dem Vorwurf, dass das kleine und neue Blogs gegenüber
den Platzhirschen zurückwirft?

Jens Schröder: Das kann ich ganz einfach
widerlegen. Wenn ich mir anschaue, wie viele von den Top 100-Blogs
von Beginn der Blogcharts an dabei sind, komme ich nur noch auf
35. Das heißt: 65 sind im Laufe der Zeit dazugekommen. Dadurch,
dass eben nicht uralte Verlinkungen zählen, sondern nur die
aus den vergangenen 180 Tagen, hat auch jedes neue Blog eine Chance.

Moderator: Daran anschließend:

katzencontent: Das Bildblog
steht ja seit Ewigkeiten ungeschlagen auf Platz eins der deutschen
Blogcharts. Hat überhaupt irgendein Blog die Chance, den Spitzenreiter
zu verdrängen?

Jens Schröder: Durchaus. Der Abstand zum
Zweitplatzierten war ja schon viel größer und schrumpft
zunehmend. Ich glaube durchaus, dass „Spreeblick"
und „Basic
Thinking
" mittelfristig auf jeden Fall eine Chance haben,
das „Bildblog" abzulösen.

bjýrn: Warum, glaubst du, gibt es so wenige
Frauen in der oberen Liga der deutschen Blogcharts?

Jens Schröder: Die Frage ist verdammt schwierig
zu beantworten. Ich kann da auch nur mutmaßen. Ein Großteil
der Top 100 besteht aus Blogs, die sich mit bestimmten Fachthemen
auseinandersetzen. Und ich glaube, dass gerade bei diesen Fachblogs
die Frauen noch deutlich unterrepräsentiert sind.

panorama: Wieviel Zeit geht eigentlich dafür
drauf, die deutschen Blogcharts zu erstellen?

Jens Schröder: Das kann man so generell nicht
sagen – das ist von Woche zu Woche unterschiedlich. Es sind aber
bestimmt fünf bis zehn Stunden pro Woche. Die meiste Zeit brauche
ich dabei auch gar nicht für die Erstellung der Top 100 an
sich, sondern eher für die ständige Recherche. Technorati
bietet ja keine Liste von gut verlinkten deutschsprachigen Blogs
an. Ich muss daher ständig recherchieren, welche Blogs gut
verlinkt sind, um in meiner internen Liste alle Blogs dabei zu haben,
die in die Top 100 einsteigen könnten.

Blogger: Wer ist denn in den letzten Monaten der
größte Aufsteiger in den deutschen Blogcharts?

Jens Schröder: Zum einen wohl Stefan
Niggemeier
, der momentan stark zulegt – zum anderen wohl das
RBB-Blog des Eisbären Knut,
dass in der größten Knut-Hype-Zeit einen riesigen Sprung
gemacht hat, aber auch jetzt noch in jeder Woche zehn bis zwanzig
Verlinkungen dazu bekommt.

Moderator: Zum geplanten neuen Design:

donvanone: Anfang des Jahres hast du ja angedeutet,
dass die Blogcharts ein neues Erscheinungsbild bekommen soll. Wie
sieht es denn damit aus? Vor allem in Bezug auf eine graphische
Visualisierung
die die Charts meiner Meinung nach deutlich aufwerten würde
(ohne ihren momentanen Wert schmälern zu wollen).

Jens Schröder: Ich habe das im Deutsche Blogcharts-Blog
schon angedeutet.
Ich plane noch für für dieses Jahr einen umfassenden Relaunch
der Blogcharts-Seite, in dessen Zusammenhang auch solche grafischen
Gimmicks dazukommen soll. Man soll zum Beispiel jederzeit für
alle Blogs eine Kurvengrafik ansehen können, die zeigt, wie
sich Platzierung und Verlinkungszahl entwickelt haben. Wann genau
der Relaunch kommen wird, weiß ich allerdings noch nicht.
Auf jeden Fall aber noch 2007.

rumpel: Wie groß ist die Reichweite deutscher
Blogs? Lässt sich was darüber sagen, wie viele Menschen
Blogs lesen?

Jens Schröder: Um es klar zu sagen: Zum jetzigen
Zeitpunkt nicht. Es gab zwar immer wieder Umfragen, bei denen auch
danach gefragt wurde, ob man Blogs liest. Doch die Zahlen, die dabei
herauskamen, waren meist viel zu hochgegriffen. Seriöse Untersuchungen
zu diesem Thema sind mir (zumindest in Deutschland) nicht bekannt.

Moderator: Kommen wir mal zum neuen Projekt, blogcensus.de:

rollmops: Mit Blogcensus
habt ihr schon über 140.000 Blogs gefunden. Was glaubst du,
wie viele kommen da am Ende zusammen?

Jens Schröder: Die 140.000 Blogs, die wir
bei Blogcensus gefunden haben, sind Blogs, die seit dem Start des
Projekts Anfang Mai aktualisiert wurden. Würde man noch alle
toten oder ungepflegten Blogs hinzuzählen, käme man wohl
auf noch viel größere Zahlen. Wir sind selbst gespannt,
wie lang die Zahl noch wachsen wird. Da wir aber tote Blogs und
solche, die nicht mehr gepflegt werden, nach einer gewissen Zeit
wieder aus unserer Datenbank rausschmeißen wollen, könnte
die Zahl auch wieder schrumpfen.

Moderator: Das heißt, die140.000 Blogs sind
also alle noch aktiv?

Jens Schröder: Aktiv zumindest in dem Sinne,
dass nach dem 1. Mai etwas in sie hineingeschrieben wurde.

dawebo: Wie zuverlässig arbeitet denn die
Software von Blogcensus? Wie stellt sie fest, dass ein Blog tatsächlich
aus Deutschland ist?

Jens Schröder: Zum einen sind unsere Suchmechanismen
so programmiert, dass sie zum großen Teil nur deutschsprachige
Blogs finden. Wir schauen uns die gefundenen URLs dann aber auch
noch einmal an, um die durchgerutschten Blogs (also englischsprachige,
Spam-Blogs, et cetera) auszusieben. Wir überlassen also letztlich
nicht den Maschinen allein die Entscheidung, ob es sich um ein deutschsprachiges
Blog handelt.

Styler: Könnt ihr mit Blogcensus auch Nutzerzahlen
ermitteln und so rausfinden, wie viele Menschen in Deutschland Blogs
lesen?

Jens Schröder: Nein. Darum geht es uns auch
gar nicht. Wir wollen einfach herausfinden, wie viele Blogger es
gibt – und zusätzlich, wie viele von denen männlich und
wie viele weiblich sind, aus welchen Städten die meisten Blogger
kommen und so weiter. Im Gegensatz zu Diensten wie den Blogcharts
oder Blogscout sollen also nicht die populären Blogs im Vordergund
stehen, sondern die Masse.

Surprise1000: Wenn ihr euch tatsächlich alle
Blogs, die Blogcensus findet, selbst anseht, habt ihr da auch schon
was festgestellt, was ihr als typisch für die deutsche Blogosphäre
bezeichnen würdet?

Jens Schröder: Im Gegenteil. Wir merken eher,
wie viele unterschiedliche Anlässe für ein Blog existieren.
Es macht auch aus dem Grund Spaß, sich all diese Blogs anzuschauen,
weil man damit erst mitkriegt, dass das Vorurteil, die deutschen
Blogs würden sich nur um sich selbst drehen und nur die Blogosphäre
thematisieren, Quatsch ist. Für ein paar populäre Blogs
gilt das vielleicht, aber insgesamt gibt es erfrischend viele Blogs,
die damit nichts am Hut haben. Es gibt zum Beispiel extrem viele
Blogs, die aus dem Grund exisitieren, weil jemand für ein halbes
Jahr in Neuseeland ist oder als Aupair in den USA – und für
Freunde und Familie werden dann halt die Erlebnisse gebloggt. Das
typische deutsche Blog gibt es auf keinen Fall.

Blogbiene: Wie lange wollt ihr das Projekt fortführen?

Jens Schröder: Solange es uns Spaß
macht. Und momentan macht es uns noch viel Spaß. Interessant
werden unsere Zahlen ja auch erst, wenn Tendenzen aus den Ergebnissen
ablesbar sind. Also zum Beispiel: Wächst die Zahl der aktiven
deutschen Blogs? Oder schrumpft sie? Von daher ist das Projekt ganz
klar darauf angelegt, mehrere Jahre zu existieren.

Keinerda: Wie seit ihr überhaupt auf die
Idee gekommen, sowas wie Blogcensus zu starten?

Jens Schröder: Dirk Olbertz, mit dem ich
Blogcensus betreibe, und ich haben ja mit Blogscout
und den deutschen Blogcharts schon Dienste, die sich mit dem Messen
der Popularität von Blogs beschäftigen. Das war uns aber
nicht genug. Wir wollten endlich auch mal wissen, wie viele Blogs
es abseits der wenigen populären gibt, wie groß die deutsche
Blogszene insgesamt ist. Und weil wir beide Statistikfans sind,
haben wir nicht weiter darauf gewartet, dass sich jemand anders
diesem Thema widmet, sondern haben es einfach selbst gemacht.

Moderator: Wann wird es denn erste spezifischere
Erkenntnisse geben?

Jens Schröder: Das wird noch ein paar Wochen
dauern. Wir sind über die Zahl der Blogs und die damit verbundene
Arbeit, die in Blogcensus steckt, selbst überrascht und müssen
nebenbei ja auch noch Geld verdienen.

june: Nochmal zu den Blogcharts: Welche anderen
Kategorien könnte man für die Hitliste zugrundelegen?
Kannst du spekulieren, was sich dann an der derzeitigen Reihenfolge
verändern würde?

Jens Schröder: Es gibt verschiedene Ansätze.
Leserzahlen, Abonnentenzahlen der RSS-Feeds, et cetera (RSS-Feeds
fassen Artikel, zum Beispiel Weblogeinträge webkompatibel zusammen.
Ein RSS-Feed ist eine textbasierte Datei, die aus dem Titel, einer
Zusammenfassung und einem Link zu zur kompletten Nachricht besteht.
Sie können von den Nutzern kostenlos abonniert werden, Anm.
d. Red.). Diese Werte lassen sich aber nicht so genau messen, wie
das für Verlinkungen gilt. Und wie sich die Reihenfolge verändern
würde? Es gäbe vorne noch viel mehr Blogs, die lustige
Videos verlinken.

Moderator: Kommen wir mal zum Blog popkulturjunkie.de:

musicismyradar: Warum tust du es dir eigentlich
Woche für Woche an, die deutschen Musikcharts abzuhören?

Jens Schröder: Das frage ich mich manchmal
selbst :-). Ich glaube, mir war es einfach zu langweilig, nur über
gute Musik zu schreiben. Es macht ja auch irgendwie Spaß,
über schlechte Musik zu lästern und zu schimpfen.

Moderator: Was ist das schlechteste Lied, das
dir dabei untergekommen ist?

Jens Schröder: Da fallen mir ein paar ein.
Das sind meist Karnevalslieder, Mallorca-Schlager oder unterirdischer
Deutsch-Rap.

casino-king: Was siehst du dir eigentlich lieber
an – Videos auf YouTube oder deutsche Fernsehsendungen?

Jens Schröder: Natürlich Fernsehsendungen.
YouTube-Videos sind ja eher Fastfood für zwischendurch. Ich
liebe beispielsweise US-Serien wie „Lost", „Prison
Break", „24", und so weiter.

Moderator: Die nächste Frage ist ein Klassiker:

holladiewaldfee: Welche Blogs liest du denn selbst
gerne – auch außerhalb der deutschen Blogcharts?

Jens Schröder: Ich lese immer mehr amerikanische
Blogs, weil es dort unfassbar viele tolle Blogs gibt, zum Beispiel
Lost
Remote
", „TV
Squad
", „Idolator"
oder „Pop
Candy
". Bei den deutschen Blogs lese ich nach wie vor sehr
gern „allesaussersport",
Anke Gröner
– und natürlich „franziskript.de".

Moderator: Was haben denn amerikanische Blogs,
was vielen deutschen fehlt?

Jens Schröder: Ein paar Jahre Vorsprung vielleicht.
Ich denke, in ein paar Jahren wird es auch in Deutschland noch viel
mehr großartige Blogs geben.

kalle: Gibt es einen Trend zu erkennen, wohin sich
die deutsche Blogosphäre entwickelt?

Jens Schröder: Nein, nicht wirklich. Wie
oben bereits erwähnt: Es gibt Tausende verschiedene Anlässe,
ein Blog zu führen. Natürlich wird es in Zukunft noch
mehr Blogger geben, die versuchen werden, mit ihrem Blog Geld zu
verdienen, weil sie einfach auch sehr viel Zeit hineinstecken. Aber
genau so wird es immer die große Masse von Bloggern geben,
die einfach nur bloggen, weil es Spaß macht.

Moderator: Das waren 60 Minuten Blogsprechstunde
mit Jens Schröder. Danke für die vielen Fragen und an
Jens Schröder für die Antworten. Das letzte Wort gebührt
dem Gast:

Jens Schröder: Oh, welch Druck… Mir fällt
kein großartiges Schlusswort ein. Wie wär’s mit ein bisschen
(unbezahlter) Werbung? Hört Euch das neue Editors-Album
an – und kauft es anschließend auch!