Der PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi
stand am 28. Juli 05 im tacheles.02 Live-Chat Rede und Antwort rund
um die Bundestagswahl und die Kooperation mit der WASG.

Moderator: Liebe
Politik-Interessierte, willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe
tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de
und wird unterstützt von tagesspiegel.de. Zum Chat ist heute
der designierte Spitzenkandidat der Linkspartei/ PDS, Gregor Gysi
ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Herr Gysi, können wir loslegen
mit dem 60-Minuten-Chat mit unseren Usern?

Gregor Gysi: Ja.

Moderator: Herr Gysi, in Umfragen werden dem Linksbündnis
derzeit gute Ergebnisse vorausgesagt. Wie viele ihrer potenziellen
Wähler, glauben Sie, können sich mit dem Konzept „demokratischer
Sozialismus“ identifizieren?

Gregor Gysi: Das weiß ich nicht, aber ich
glaube, dass die meisten unserer Wähler die derzeitige Gesellschaft
nicht als gerecht empfinden und insofern hoffen, dass Geschichte
weitergeht.

Moderator: Ist Ihnen hier Zuspruch von rechts
recht?

Gregor Gysi: Nein. Wir kriegen auch keinen Zuspruch
von rechts. Sie bekämpfen uns, aus ihrer Sicht zu Recht. Aber
ich hoffe, dass wir immer – nicht nur im Wahlkampf – Leute, die
mal rechts gewählt haben, überzeugen können, dass
das der völlig falsche Weg ist. Wenn sie uns dann wählen,
sind sie nicht mehr rechts. Das ist der Erfolg.

H . Schneider: Ich hatte gehofft endlich kommt
etwas Gutes und Ehrliches. Dann kam der Hammer – so ein dummes Wahlprogramm
(?) von ihnen das habe ich nicht verstanden. Warum lügen Sie?
Das haben sie doch nicht nötig bei den Gegnern. Traurig.

Gregor Gysi: Ich weiß nicht, ob sie es wirklich
gelesen haben. Wir sind die einzigen, die mehr soziale Gerechtigkeit
wollen und gleichzeitig Reformen und Steuern vorschlagen, mit denen
man sie auch finanzieren kann. Unser Programm ist auch wirtschaftsfreundlich,
denn ohne Kaufkraftsteigerung haben die kleineren und mittleren
Unternehmen in Deutschland immer schlechtere Karten auf dem Binnenmarkt.

weitblick: Herr Gysi, was macht Ihre Gesundheit?
Sie sahen vor einigen Tagen sehr angeschlagen aus. Können Sie
ein Mandat für 4 Jahre ausüben?

Gregor Gysi: Na das will ich doch hoffen. Nach
meinem ersten Infarkt hat mein Arzt gesagt, dass mir ein schwieriges
Jahr bevorsteht. Vielleicht auch mit einem vorzeitigen Ende. Wenn
ich das Jahr aber überstehe, kann ich hinterher 20 Jahre beschwerdefrei
sein. Ich habe mich für diese zweiter Variante entschieden.
Seit Februar 2005 ist das Jahr um und es geht mir gut, wobei ich
natürlich einige Lebensumstände auch geändert habe.

Z_P1a/8Xy: Herr Gysi, wie wird Ihr Zweckbündnis
denn nun heißen? Ich bin durchaus verwirrt.

Gregor Gysi: Letzteres tut mir leid. Meine Partei
trägt den Namen "Die Linkspartei". Die beschlossene
Kurzfassung heißt: "Die Linke". Die Landesverbände
dürfen als Zusatz "PDS" hinzufügen, was einige
tun und andere nicht. Aber: wenn es nach den Wahlen zu einer Vereinigung
mit der WASG kommt, dann muss natürlich noch einmal über
den Namen entschieden werden. Wir werden also sehen.

a_posteriori: Hallo Herr Gysi. Wie bewerten Sie
die kürzlich aufgetretenen Fragen seitens des Bundeswahlleiters?
Was wäre ggf. rechtlich zu unternehmen, falls die neue Linkspartei
nicht bundesweit antreten darf?

Gregor Gysi: Die Landeswahlausschüsse beschließen
– ich glaube am 17. August – ob sie die eingereichten Listen zur
Wahl zulassen oder nicht. Sollte wider Erwarten in irgendeinem Bundesland
die Liste von uns nicht zugelassen werden, gehen wir in Beschwerde
zum Bundeswahlausschuss und ggf. auch zum Gericht. Ich glaube aber
nicht, dass das passieren wird. Wir haben das Recht strikt beachtet.

Moritz M: Dr. Gysi, sind Sie und Ihre Partei bereit
Regierungsverantwortung auch auf Bundesebene zu übernehmen?
Unter welchen Bedingungen würden Sie einer Regierungskoalition
zustimmen, z.B. mit der SPD?

Gregor Gysi: Im Prinzip sind wir dazu bereit,
aber 2005 gibt es dazu keine reale Möglichkeit. Die Union,
SPD, Grüne und FDP sind neoliberal ausgerichtet. Wir verstehen
uns als Alternative dazu. Wir glauben nicht, dass man durch eine
Schlechterstellung von Alten, Kranken und Arbeitslosen und eine
Besserstellung von Vermögenden und Bestverdienenden eine Gesellschaft
sanieren kann und zu gerechten Lösungen kommt. Die anderen
Parteien sehen das leider so, also können wir mit ihnen nicht
koalieren, aber für andere gesellschaftspolitische Debatten
in Deutschland sorgen. Wenn die SPD zu ihren Traditionen in den
nächsten Jahren wieder zurück finden sollte, kann ich
mir für eine neue Richtung der Politik eine Zusammenarbeit
bis zu einer Koalition vorstellen, also vielleicht 2009.

Moderator: Können sie sich diese Zurückhaltung
in Bezug auf Koalitionen erlauben, wenn sie im Osten stärkste
Partei würden?

Gregor Gysi: Ja, weil es derzeit keine Partei
gibt, die in Ansätzen bereit wäre, unsere politische Richtung
zu teilen, gerade auch nicht für den Osten.

Moderator: Also verfahren sie nach dem Motto ganz
oder gar nicht – braucht nicht die Demokratie Kompromisse?

Gregor Gysi: Selbstverständlich braucht sie
die. Und wir beweisen unsere Kompromissfähigkeit in Berlin
und in Mecklenburg-Vorpommern. Aber es muss um Kompromisse gehen,
bei dem 2 oder 3 Partner in die gleiche Richtung wollen. Und genau
das ist derzeit nicht gegeben.

BarzelBart: Lieber Gregor Gysi! Gibt es konkrete
Pläne für eine Oppositionsarbeit nach den Bundestagswahlen?
Was will die PDS im Bundestag bewegen und wie?

Gregor Gysi: Ich hoffe, dass wir sehr viel stärker
als bisher im Bundestag vertreten sein werden und dadurch auch ganz
andere Möglichkeiten haben. Von unserer Stärke hängt
z.B. ab, ob, welche und wie viel Ausschussvorsitze wir bekommen,
wie lange unsere Redezeiten sind etc. Wir werden uns auf Schwerpunkte
konzentrieren, d.h. auf eine aktive Friedenspolitik. Wir wollen
z.B. dass unsere Soldaten aus Afghanistan zurückkommen. Wir
werden uns in der Wirtschafts-, Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
engagieren und natürlich immer wieder für eine gerechte
Vereinigung zwischen Ost und West. Je stärker wir werden, desto
mehr werden wir in Medien und in Parteien wahrgenommen, desto mehr
Einfluss bekommen wir auf die Richtung von Diskussionen und auf
den Zeitgeist.

Roth Berlin: Sehr geehrter Herr Gysi: Warum geben
Sie sich für so einen Honecker Ableger ‘Lafoni ‘ (Lafontaine)
hin? Im Saarland will man ihn wegen seiner Vergangenheit (junge
Mädchen angemacht im Rotlichtmilieu – siehe Trierischer Volksfreund
Archiv 5/2000) nicht mehr haben und ist nur noch eine Lachnummer.
Im 0sten agiert er jetzt als Rattenfänger Ein Scharlatan übelster
Art!!!

Gregor Gysi: Ich sehe Herrn Lafontaine anders
und habe ihn anders erlebt. Er hat mit Honecker ebenso gesprochen
wie CDU-Politiker. Wenn man in der DDR etwas erreichen wollte, kam
man an Honecker nicht vorbei. Die anderen Geschichten sind Erfindungen
der Boulevard-Medien. Sie sollten vorsichtig sein, so etwas zu glauben.
Im Übrigen: Ich habe eine Umfrage gelesen, wonach meine Partei
im Saarland durch ihn bei 20 Prozent liegen soll, viele Saarländer
sehen das also auch anders.

Hausmann: Wie gehen Sie mit dem ‘Zündeln’
mit rechten Parolen Ihres Kompagnons Lafontaine um? Wie bewerten
Sie dies?

Gregor Gysi: Er hat keine rechten Parolen. Durch
sein ganzes Leben hat er bewiesen, dass er mit Rechts nichts zu
tun hat. Ich fand seine Formulierung in Bezug auf "Fremdarbeiter"
sehr unglücklich. Das weiß er und er wird es nicht wiederholen.
Allerdings musste ich feststellen, dass dieser Begriff sowohl von
Otto Schily, dem Spiegel, der Bundeszentrale für Politische
Bildung und anderen benutzt wurde. Worum es ihm eigentlich ging,
die Bekämpfung von Lohndumping, da stimmen wir völlig
überein. Wer Lohndumping nicht bekämpft, sondern zulässt,
ist mit Schuld an Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.

Moderator: Lafontaine wiederholt es nicht, weil
Sie es ihm gesagt haben?

Gregor Gysi: Nein, weil er festgestellt hat, dass
er missverstanden wurde und wie die Medien versuchten, dieses Missverständnis
gegen ihn auszuschlachten.

Trueman: Hallo Herr Gysi, hat Ihre Partei die
nötigen Fachleute um den Arbeitsmarkt zu reformieren? Hartz
IV ist sozial ungerecht, da nicht abgestuft. Mein Vater hat nun
41 Jahre in die Kasse gezahlt, ist 57 Jahre und wird behandelt wie
… . Ist das sozial gerecht?

Gregor Gysi: Jede Versicherung muss sich nach
bestimmten Maßstäben richten. Es ist absurd, dass jemand,
der 5 Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat und jemand,
der es 30 Jahre tat, jeweils nur ein Jahr ALG I erhalten und nach
dem einem Jahr gleichwertig auf die von Ihnen beschriebene Arbeitsstufe
gestellt werden. Hartz IV muss deshalb aufgehoben, zumindest schwer
korrigiert werden. Vielleicht nicht für alle Gebiete, aber
für dieses Gebiet haben wir genug Spezialisten.

Moderator: Noch mal konkret zum Personal: Glauben
Sie, dass die WASG auf einen möglichen Wahlerfolg personell
vorbereitet ist? Haben Sie nicht die Furcht, dass das Linksbündnis
ein ähnliches Fiasko erleidet wie die Rechten, die sich in
vielen Landtagen mit unfähigen Abgeordneten bis auf die Knochen
blamierten?

Gregor Gysi: Im Unterschied zu Ihnen wundert es
mich nicht, dass die Rechten kein Personal haben. Wir haben schon
im Bundestag bewiesen, dass wir zu allen wichtigen Themen gute Beiträge
beisteuern können. Wir sitzen in 6 Landtagen in starken Fraktionen
und haben auch dort gelernt. Die Linkspartei tritt an und es sind
nur einige – nach meinem Eindruck geeignete – Leute von der WASG
dabei. Nach der Wahl, nach einer Vereinigung, wird sich das anders
mischen. Das Herausfordernde in der neuen Fraktion wird wohl für
mich auch darin bestehen, dass es erstmals eine Mehrheit von Westdeutschen
geben wird. Aber das spricht doch nicht gegen die Qualität
des Personals, oder?

Moderator: Sie sind also momentan froh, dass es
nur "einige" von der WASG sind?

Gregor Gysi: Das kann ich nicht beurteilen. Ich
habe kluge Leute von der WASG kennen gelernt, bei denen ich mich
freute, wenn sie in den Bundestag kämen, was nicht der Fall
sein wird. Das gilt auch für meine Partei. Und es gibt in beiden
Parteien auch andere. Was soll’s?

Moderator: Kommen wir zur Ökonomie:

Hausmann: Herr Gysi, mal ehrlich: sind die Finanzierungsvorschläge
von Ihnen nicht etwas utopisch? Wie entgegnen Sie den Argumenten
der Globalisierung? Sollen wir wieder eine Mauer um Deutschland
herum bauen?

UweHerrenkind: Werden Ihre Wahlversprechen finanzierbar
sein? Und wie?

Gregor Gysi: Bisher haben wir nur den Entwurf
eines Wahlprogramms. Wir diskutieren darüber und es gibt Anträge.
Am 27. August werden wir es in endgültiger Fassung verabschieden.
Manche Sozialleistungen haben einen Prozesscharakter, d.h. es ginge
erst im Laufe einer im Programm beschriebenen Entwicklung. Bezahlbar
ist das, denn wir haben nicht weniger Geld als vor sieben Jahren.
Wir unterbreiten keine Steuervorschläge, die über den
Steuern von Kohl liegen. Und Kohl war wohl kein Erzlinker? Die Abwanderung
von Unternehmen hängt nicht von gerechten Steuern, sondern
von der Entwicklung des Binnenmarktes ab. Wenn ein Produkt massenhaft
in China gekauft wird, wird jedes Unternehmen versuchen, es auch
dort herzustellen. Wir müssen in Deutschland unsere spezifischen
Standortvorteile entwickeln. Wir brauchen einen sehr hohen Stand
an Wissenschaft, Forschung, Kultur, eine gute Infrastruktur, geringe
Kriminalität und hochqualifizierte Bevölkerung, d.h. ein
sehr gutes Bildungssystem. Die Vernachlässigungen auf diesem
Gebiet bezahlen wir mit einer Vielzahl von Arbeitsplätzen.
Für die kleinen und mittleren Unternehmen brauchen wir mehr
Kaufkraft, d.h. höhere Löhne und Sozialleistungen. Die
Arbeitslosigkeit in den USA, GB, Schweden und Dänemark ist
deutlich niedriger als in Deutschland, weil dort seit Jahren die
Nettolöhne um 5 Prozent und mehr jährlich steigen, während
sie bei uns nur um die Inflationsrate rumkrepelt. Es ist ein Irrtum
zu glauben, dass mehr soziale Gerechtigkeit der Ökonomie schadet.
Seit 7 Jahren haben wir Sozialabbau. Die Folge: Die Ökonomie
ist geschwächt und die Arbeitslosigkeit hat zugenommen.

Rubbeldikatz: Wieso kriegen kleine Unternehmen
durch höhere Löhne mehr Kaufkraft?

Gregor Gysi: Nicht die Unternehmen, sondern die
Leute bekämen mehr Kaufkraft. Sie kaufen mehr Waren und nehmen
mehr Dienstleistungen in Anspruch – und das nutzt dann auch den
kleinen und mittleren Unternehmen. Seitdem es sozial in Deutschland
bergab geht, nimmt das Kaufverhalten der Bevölkerung mit der
Folge ab, dass immer mehr Unternehmen in Insolvenz gehen.

Kurtchen: Was sagen Sie den Bürgern, wenn
sie höhere Kaufkraft nicht in deutsche Produkte investieren,
d.h. somit nicht unsere Wirtschaft stärken?

Gregor Gysi: Das kann man niemandem verübeln.
Die Leute richten sich nach Preis und Qualität – das ist auch
in Ordnung. Wenn die Wettbewerbsbedingungen fair sind. Aber steigende
Kaufkraft zeigt im Dienstleistungsbereich und im Handel immer unsere
Unternehmen. Die Erfahrung zeigt, dass außerdem auch mehr
in Deutschland hergestellte Produkte gekauft werden.

Wirtshausberater: Die Arbeitslosigkeit in GB ist
deshalb niedriger, weil man eine über 10jährige Rosskur
der Sozialsysteme unter Maggie Thatcher hinter sich hat

Gregor Gysi: Die Arbeitslosigkeit wurde abgebaut,
als die Nettolöhne wieder stiegen. Ich bin und bleibe der Meinung,
dass die Rosskur von Maggie Thatcher dem Land geschadet hat und
eben nicht zum Abbau von Arbeitslosigkeit führte. Es geht auch
nicht um jede Arbeit, sondern um Arbeit in Würde. Sicher ist
aber richtig: Die Wirtschaft hat zwei Seiten, nämlich Angebot
und Nachfrage. Wenn man radikal wie Frau Thatcher und nicht ganz
so radikal aber in der Tendenz gleich wie unsere gegenwärtige
Bundesregierung nur die Kosten für das Angebot verbessert und
die Nachfrage völlig vernachlässigt, dann sehen wir jetzt
die Folgen. Es gibt Zeiten, in denen man etwas mehr für die
Nachfrage tun muss. Bei uns wird es höchste Zeit etwas für
die Nachfrage zu tun, das sieht inzwischen selbst ein Herr Rürup
so, der ja wohl kein Linker ist.

Karlchen567: Hallo Herr Gysi, nach ihrem Wahlprogramm
wollen Sie die Mehrwertsteuer für Handwerker auf 7 % senken.
Das müssten Sie in der EU einstimmig (!!!) genehmigen lassen
– es gibt ja einen Mindeststeuersatz von 15%. Genau darüber
streiten die schon seit Jahren ohne Ergebnis und mit 25 EU-Mitgliedern
wird es nicht besser. Da wird der Wähler ja von Ihnen schön
für dumm verkauft.

Gregor Gysi: Viele Regelungen müssen heute
innerhalb der EU abgestimmt werden. Deutschland hat die Regelung
für sieben Prozent Mehrwertsteuer für bestimmte Produkte.
Wir wollen diese Regelung erweitern auf einige Medikamente und auf
bestimmte Handwerksdienstleistungen. Letzteres aus sozial-ökologischen
Gründen, damit sich Reparaturen im Vergleich zum Neukauf wieder
lohnen. Dass das nicht so ist, ist auch ein Problem für andere
EU-Länder. In einem Wahlprogramm schreibt man fest, wofür
man streiten und kämpfen will. Im Bundestag, in der EU und
anderswo. Wir werden auch immer schreiben, dass wir für Frieden
kämpfen, auch wenn wir wissen, dass die viel mächtigere
USA-Regierung das anders sieht. Die Leute sollen mitbekommen, wofür
wir streiten. Sie wissen, dass wir vieles nicht, zumindest nicht
sofort, umsetzen können. Solange wir keine absolute Mehrheit
haben, mit der ja sowohl weder Sie noch ich rechnen.

C187: Die Pendlerpauschale auf 40 Cent zu erhöhen,
ist doch eine Subventionen für Besserverdienende. Sozialschwache
leben doch eher in Ballungsräumen?!

Gregor Gysi: Wir haben in strukturschwachen Regionen
– u.a. im Osten – eine gänzlich andere Situation. Für
einen Arbeitsplatz fahren die Leute auch aus größeren
Städten hunderte von Kilometern. Nehmen sie eine junge Familie
mit zwei schulpflichtigen Kindern. Den Eltern wird heute gesagt,
sie sollen flexibel sein, was bedeuten kann, dass sie jedes Jahr
oder alle zwei Jahre den Arbeitsort wechseln müssen. Ohne eine
gerechte Pendlerpauschale können sie sich das nur leisten,
wenn sie den Wohnort wechseln. Dann aber müssen die Kinder
jedes mal umgeschult werden und das bei einem Bildungssystem, das
keine einheitlichen Standards kennt, das in jedem Bundesland unterschiedlich
ist. Diese Kinder werden in ihren Lebenschancen erheblich beeinträchtigt.
Wer also für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ist,
muss es den Leuten gleichzeitig ermöglichen, in der Regel im
Interesse der Kinder den Wohnort beibehalten zu können. Im
Osten kommt noch hinzu, dass wir ansonsten auch vergreisen.

Moderator: Letzte Frage: Wie viel Prozent trauen
Sie Ihrer Partei bei der Bundestagswahl zu?

Gregor Gysi: Meiner Partei traue ich diesbezüglich
alles zu, aber ich weiß wie unterschiedlich Wählerinnen
und Wähler sind. Ich finde unser Ziel, drittstärkste politische
kraft im Bundestag zu werden, herausfordernd und lohnend, weil wir
andere Diskussionen in Deutschland bekämen die wir meines Erachtens
dringend benötigen.

Moderator: Unsere Zeit ist bereits um. Vielen
Dank an alle User für das große Interesse. Etliche Fragen
sind leider unbeantwortet geblieben. Vielen Dank, Herr Gysi, dass
Sie sich Zeit für den Chat genommen haben. Das Transkript dieses
Chats finden Sie auf den Seiten der Veranstalter. Den nächsten
Chat gibt es am Donnerstag, den 11. August, ab 13.00 Uhr mit dem
CDU-Bundestagsabgeordneten Günter Nooke. Das tacheles.02-Team
wünscht allen noch einen angenehmen Tag!

Gregor Gysi: Ich bedanke mich für die interessanten
Fragen und wünschen allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern alles
Gute. Ich möchte, dass jeder und jede zur Wahl geht, weil ansonsten
die Nachbarin oder der Nachbar für sie mitentscheidet. Kurzum:
ich appelliere an Ihr Selbstbewusstsein. Auf Wiedersehen.