Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden, war am Mittwoch, 11. Februar zu Gast im tagesschau-Chat in Zusammenarbeit mit politik-digital.de. Sie erneuerte ihre Kritik am Umgang des Vatikans mit dem Holocaust-Leugner Williamson und sprach sich für ein NPD-Verbot aus. Kurz vor Ende wurde der Chat von Unbekannten mit maschinellen Massenanfragen gestört.

Moderatorin: Herzlich willkommen beim tagesschau-Chat im ARD-Hauptstadtstudio. Aus München ist uns Charlotte Knobloch zugeschaltet, die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland. Ihnen ein herzliches Willkommen – vielen Dank, dass Sie sich Zeit für die Diskussion mit den Lesern von tagesschau.de und politik-digital.de nehmen. Können wir loslegen?

Charlotte Knobloch: Ja!

benny:
Frau Knoblauch, glauben Sie, dass die Vorfälle der vergangenen 14 Tage
in Rom rund um die Piusbruderschaft nachhaltig das Verhältnis zwischen
dem Vatikan und dem Judentum schädigen wird?

Charlotte Knobloch:
Ich hoffe nicht. Es ist natürlich viel in dieser Zeit passiert, was man
hätte verhindern können. Man hätte es zum Beispiel dadurch verhindern
können, indem man die Situation entschärft und die Piusbrüder und den
Herrn Williamson ganz entschieden sofort in die Schranken gewiesen
hätte.

beobachter: Wie empfanden Sie es, dass
ein Vertreter einer Glaubensgemeinschaft den Holocaust, das mit am
besten dokumentierte geschichtliche Ereignis, einfach leugnet?

Charlotte Knobloch:
Wir haben es hier mit einem Menschen zu tun, der sich mit den
Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad und mit diesem auf
eine Stufe stellt. Er findet damit natürlich ein offenes Ohr bei
Rechtsextremisten, aber ich weiß, dass es sehr viele Menschen gibt, die
diese Äußerungen verurteilen und das bestärkt mich.

Kölner: Für wie verbreitet halten Sie Antisemitismus innerhalb der katholischen Kirche in- und außerhalb Deutschlands?

Charlotte Knobloch:
Vor dem zweiten vatikanischen Konzil war der Antisemitismus in der
Kirche durch vorhandene Textstellen in einzelnen Themen und Büchern
vorhanden. Das hat sich nach dem zweiten vatikanischen Konzil und der
Haltung des Papstes und der Päpste nachhaltig verbessert, hat aber
jetzt durch die Aussage der Piusbrüder, die uns als Gottesmörder
bezeichnen, und der Aussage von Williamson, einen erheblichen
Rückschlag erlitten.

Moderatorin: Die nächste Frage an Sie ist zugleich eine, die viele User vorab für besonders wichtig bewertet haben.

Buchinger:
Sehr geehrte Frau Präsidentin Charlotte Knobloch, der Eichstätter
Bischof Gregor Maria Hanke kritisiert Frau Merkel für ihr Eingreifen
mit folgenden Worten: Es sei "unbegreiflich und empörend", wenn die
Kanzlerin "vom Papst klare Worte fordert in einem Zusammenhang, in dem
gerade Papst Benedikt es nie an Eindeutigkeit hat fehlen lassen". Wie
bewerten Sie eine solche Stellungnahme eines bayerischen Bischofs, der
zudem noch für die theologische Lehre in der Uni Eichstätt
verantwortlich zeichnet?

Charlotte Knobloch: Ich
glaube nicht, dass Bischof Hanke von seinen Äußerungen selbst überzeugt
ist. Ich habe es sehr begrüßt und die Ereignisse haben es mir ja
bestätigt, dass durch die sehr höfliche Aufforderung unserer Kanzlerin
Türen geöffnet wurden, die vorher noch verschlossen waren. Der
Eichstätter Bischof ist für seine extrem konservative Einstellung
bekannt. Er sollte es aber nicht soweit kommen lassen, dass man ihm
vorwerfen kann, dass er sich mit den bereits genannten Äußerungen
identifiziert.

MM: Sehr geehrte Frau Knobloch!
Bundeskanzlerin Merkel hat vom Vatikan eine Klarstellung in Sachen
Williamson und Piusbruderschaft gefordert. Dies hat ihr viel Kritik
eingebracht. Ist ein deutsches Verfassungsorgan wie die Kanzlerin
aufgrund der historischen Situation Deutschlands verpflichtet, hier
eine Klarstellung einzufordern? Darf die Politik von einer Religion (ob
katholisch oder jüdisch oder andere) Positionen einfordern?

Charlotte Knobloch:
Nachdem was hier vorgefallen ist, hoffe ich, es bleibt eine
Einmaligkeit. Keiner von uns hätte sich vorstellen können, dass wir
Juden uns von einer Äußerung eines Bischofs distanzieren müssen, ihn
zur Rücknahme auffordern müssen, bevor es der Papst getan hat. Und
deswegen war die Kanzlerin als Repräsentantin eines Landes, das den
Holocaust verursacht hat, verpflichtet, zu diesem Thema eine eindeutige
Stellungnahme abzugeben. Meine Aufforderung an die jungen Menschen in
diesem Lande geht immer dahin, für die Zukunft die Verantwortung zu
übernehmen, die ihnen aufgetragen wird – sofern sie sie akzeptieren.
Damit dieser Völkermord, der in diesem Lande geschehen ist, nicht
wieder vorkommt. Das ist meine Aufforderung an alle unsere Nachkommen
und da gehört die Kanzlerin auch dazu.

Markus Diliberto:
Sehr geehrte Frau Knobloch, warum lädt die deutsch-jüdische Gemeinde
die Piusbrüder nicht ein, um ihnen in den ehemaligen
Konzentrationslagern die Verbrechen der Nazis erklären zu können?

Charlotte Knobloch:
Ich werde diese Frage in meinen Gremien mal besprechen. Sicher nicht in
der nächsten Zeit, denn sie können sich vorstellen, wie es mir zumute
ist, zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Aber wenn es heutzutage in
dieser geistig hochqualifizierten Bruderschaft Menschen gibt, die mir
erklären wollen, dass für sie der Holocaust noch etwas unbekanntes ist
– und dies auch glaubhaft erklären – dann gehe ich davon aus, dass man
sich vielleicht über ihre Frage Gedanken machen müsste.

Chefkoch81:
Zum Beitrag von Diliberto: Man müsste die Piusbrüder einmal nach
Auschwitz führen. Vielleicht ergeht es ihnen genauso wie dem Papst
damals, der sichtlich berührt war und große Worte sprach.

Ntexv:
Sehr geehrte Frau Knobloch, wäre es nicht sinnvoll, auch einmal die
Hauptleugner des Holocaust zu einem Gespräch in einem
öffentlich-rechtlichen Medium (Fernsehen) einzuladen? Ich finde, das
wäre die beste Gelegenheit, sie vor der Öffentlichkeit vorzuführen und
ihre abartigen und verlogenen Argumente zu widerlegen.

Charlotte Knobloch:
Ich kann hier natürlich über die Entscheidungen der Medien bzw. der
Fernsehanstalten nicht befinden, aber ich habe das Gefühl, dass wir es
mit Unbelehrbaren zu tun haben. Und ich glaube, dass wir diesen
Menschen kein Forum geben dürfen.

Aligator:
Hätten Sie es auch gut geheißen, wenn die Aufforderung von Angela
Merkel nicht öffentlich gefordert worden wäre, sondern über
diplomatische Kanäle?

Charlotte Knobloch: Gerade
weil die Aufforderung in dieser Form ergangen ist, hat sie eben das
bewirkt, was man bis jetzt nur als positiv bezeichnen kann.

timmy: Wie schätzen Sie die Verbreitung von Antisemitismus in Deutschland im Allgemeinen ein?

Charlotte Knobloch:
Das ist auch ein Thema, das mir große Gedanken macht. Weil ich eben
feststellen kann, dass es wieder einen sogenannten neuen Antisemitismus
gibt, der natürlich auf dem bereits bestehendem aufbaut. Die Tatsache,
dass man der Meinung ist – obwohl wir immer dieser Meinung
widersprechen – wenn man Israel kritisiert, sei man bereits ein
Antisemit: das sind alles Klischees, Vorurteile wie man es auch nennen
kann, die dem Antisemitismus wieder einen fruchtbaren Boden bereiten.

Buchinger:
Frau Präsidentin Knobloch, Sie sprechen ganz bewusst die "jungen
Menschen in diesem Lande an". Was können wir hier in Deutschland, in
Europa, konkret in der Jugendarbeit gegen den erneut aufflammenden
Antisemitismus tun?

Charlotte Knobloch: Indem
man den jungen Menschen sagt, dass sie in einem Land leben, in einem
demokratischen Land, dass sie in diesem Land eine Zukunft haben. Dass
sie einen gesunden Patriotismus entwickeln sollen, dass sie ihr Land
gegen verbale Angriffe verteidigen sollen und dass sie summa summarum
allen Grund haben, ihr Land zu lieben. Immer in Hinblick aber auch
darauf, dass sie auch die Vergangenheit dieses Landes im Blickfeld
haben und gerade dann, wenn sie sich all das aneignen, was ich jetzt
vorgeschlagen habe, dann sind sie auch gefeit gegen Rechtsradikalismus
und den Versprechungen, die die NPD und ihre Helfershelfer ihnen
täglich vorführen.

uhri: Ich denke, Frau
Knobloch weiß im Gegensatz zu Markus Diliberto, dass es nicht Sache der
Juden ist, Antisemitismus zurückzuweisen. Das wäre die Aufgabe einer
aufgeklärten Gesellschaft und nicht die der Opfer.

Charlotte Knobloch:
Antisemitismus und der Judenhass ist natürlich eine Aufgabe, die die
Allgemeinheit zu regeln hätte. Schon im Hinblick auf die Vergangenheit
dieses Landes. Aber wir werden manchmal sehr alleine gelassen, werden
mit Sonntagsreden beruhigt. Aber Handlungen, wie zum Beispiel das
Verbot der NPD und ihrer Parteienfinanzierung in Angriff zu nehmen, die
ja die Grundlagen für den Antisemitismus weiter verbreiten, vermisse
ich eben.

timmy: Wie stehen Sie denn zum NPD-Verbot?

Charlotte Knobloch:
Ich kenne die Nachteile, die momentan vorhanden sind, um dieses
NPD-Verbot nochmal anzugehen. Es geht aber auch nicht an, dass eine
antidemokratische Partei es für sich in Anspruch nimmt, von Demokraten
gewählt zu sein und demokratisch gewählt zu sein. Die NPD verachtet das
Grundgesetz, verachtet unsere Werte und deswegen muss etwas geschehen,
damit sie nicht ihre abscheulichen Ideen und Beurteilungen weiterhin
unter jungen Menschen – vor allem im Internet – verbreiten kann.

Zumindest
sollte sie nicht mehr in der Lage sein, Steuergelder von Menschen, die
diese Inhalte der NPD auch ablehnen, für ihre eigenen Zwecke zu
benutzen – vor allem auch für Zwecke, die diesem unserem Land in der
Welt einen negativen Stellenwert geben. Das hat dieses Land in der
heutigen Zeit nicht verdient.

abc: Es scheint,
als würden antisemitische Klischees wie etwa das "des Juden" als
lästigen, nachtragenden Mahners in letzter Zeit immer offener geäußert.
Stellen Sie eine Zunahme manifest antisemitischer Positionen bzw. eine
Auflösung des gesellschaftlichen Kommunikationstabus für
antisemitischen Einstellungen und Ideen in Deutschland fest?

Charlotte Knobloch:
Ich habe diesem Land nicht den Rücken zugewandt, obwohl meine Biografie
und mein damaliges Erleben mich fast dazu gezwungen haben. Ich wäre
glücklich und zufrieden, wenn ich nicht immer als lästiger Mahner
dargestellt würde, sondern dass die Menschen, die das Mahnen als
negativ empfinden, mit mir zusammen, mit uns zusammen, ein Bollwerk
errichten würden gegen diesen Antisemitismus. Und ich bin aber trotzdem
ein Optimist.

Ich werde es nie zulassen, dass Hitler Recht gehabt
hätte, wenn es hier keine Juden mehr geben würde, sondern ich baue
weiter an der Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland, das mir auch
Recht gibt und in vielen neu errichteten Möglichkeiten, wie
Synagogenneubauten und Gemeindezentrenneubauten. Und ich freue mich,
dass es auch diesen Grund gibt, Optimist zu sein.

Moderatorin:
Das heißt, Sie sehen eine positive Entwicklung? Kann man von einer
Normalisierung des jüdischen Lebens in Deutschland sprechen?

Charlotte Knobloch:
Ich würde noch nicht von einer Normalisierung sprechen, sondern ich
würde von einem positiven Miteinander sprechen, das sich nach einem
jahrzehntelangem Nebeneinander entwickelt hat. Normalität muss wachsen.
Normalität kann man nicht als Befehl durchführen, vor allem, wenn man
heute noch die Menschen nach ihrer Religionszugehörigkeit beurteilt und
nicht nach ihren charakterlichen Eigenschaften.

HermyMA:
Sehr geehrte Frau Knobloch, wo würden Sie die Grenze ziehen zwischen
Kritik und Antisemitismus – beziehungsweise wo fängt Antisemitismus an?

Charlotte Knobloch:
Antisemitismus fängt für mich an, wo sich Kritik unsachlich,
beleidigend darstellt: In dem man uns, die Überlebenden und ihre
Nachkommen, als Helfershelfer von Hitlers Vernichtungspolitik
bezeichnet und weitere Klischees verbreitet werden.

Sarah Rosenthal:
Sehr geehrte Frau Knobloch, als in Deutschland geborene Jüdin
interessiert mich besonders: Halten Sie eine Kritik am Staat Israel –
zum Beispiel aufgrund des Vorgehens im Flüchtlingslager Gaza –
zwangsläufig für antisemitisch?

Charlotte Knobloch:
Ich muss immer wieder betonen, dass sachliche Kritik nicht
Antisemitismus darstellt. Die Regierung in Israel muss sich einer
massiven Kritik ihrer Bevölkerung unterziehen. Sachliche Kritik hat
immer auch etwas Positives, sie kann manchmal zum Nachdenken anregen.




Moderatorin: Damit wir thematisch nicht zu
sehr springen, habe ich inzwischen ein paar eingetroffene Fragen im
Chat zum Thema Israel gesammelt:

same: Hallo nach München. Frau Knobloch, wie bewerten Sie das Wahlergebnis in Israel?

Charlotte Knobloch:
Das noch nicht endgültige Wahlergebnis. Die Wählerstimmen der
Soldatinnen und Soldaten sind nämlich noch nicht ausgezählt. Momentan
werden sich die einzelnen Parteien, sollten sie sich nicht für eine
Große Koalition entscheiden, sehr schwer tun, eine für alle
zufriedenstellende Regierungskoalition einzurichten.

aysam:
Sehr geehrte Frau Knobloch, ich habe eine Frage zu den Wahlen in
Israel. Befürchten Sie, dass aufgrund der Wahlergebnisse in Israel,
lassen Sie es mich einen "Rechtsruck" nennen, der Friedensprozess
weiter geschwächt und darüber hinaus der Antisemitismus in Europa neuen
Nährboden gewinnen könnte?

Buchinger: Sehr
geehrte Frau Präsidentin, die Wahlen in Israel sind voraussichtlich
gelaufen. Was sagen Sie zu Rechtsnationalen, wie Benjamin Netanjahu und
seinem Kollegen Liebermann, auch hinsichtlich einer wohl möglichen
Regierungsbildung? Gibt es in Israel auch Rechtsextremismus?

Charlotte Knobloch:
Es gibt rechte Parteien, aber es gibt keinen Rechtsextremismus. Ich
hoffe sehr, dass es eine Regierungsbildung geben wird, die den Frieden
der Völker in diesem Gebiet an erster Stelle in ihrem Programm hat.

Frank:
Guten Tag Frau Knobloch. Glauben Sie, dass es langfristig eine
Alternative zu einem Staat Israel und einem Staat Palästina geben kann?

Charlotte Knobloch:
Die bisherigen Regierungen haben sich immer dafür eingesetzt, dass es
zwei Staaten, einen Staat Israel und einen Staat Palästina, in der
Zukunft geben wird. Ich konnte auch immer wieder lesen, dass die
Vereinigten Staaten, wie auch die Europäer, dies auch als Ziel sehen.
Und ich hoffe, dass diese Konstruktion sich entwickeln wird und den
Menschen dort den Frieden bescheren wird.

Dirk:
Geehrte Frau Präsidentin, ich möchte da nachhaken. Was bedeutet denn
für sie "Rechtsextremismus"? Was sagen Sie zu ultranationalistischen
Strömungen in Israel, die einem palästinensischen Staat eine klare
Absage erteilen und arabischstämmige Israeliten "ausbürgern" möchten?

Charlotte Knobloch:
Eine israelische Regierung, die sich jetzt, in absehbarer Zeit, sicher
konstituieren wird und die die demokratischen Werte noch in ihr
Regierungsprogramm aufnehmen wird, wird diese angesprochenen Themen
sicher nicht vertreten.

JBraun: Zur
"Zwei-Staaten Lösung": Glauben Sie wirklich ernsthaft, dass nach dem
neuerlichen Rechtsruck in Israel noch eine tragfähige Mehrheit für
diese Position besteht?

Charlotte Knobloch: Ich
kann mir sehr gut vorstellen, dass die Verantwortlichen zu der
Überzeugung kommen, dass zwei starke Parteien, die sich ja jetzt
abzeichnen, eine Regierung bilden können.

uwe wällner:
Dass Sie als Jüdin eine besondere Beziehung zur Bevölkerung Israels
haben, ist nur verständlich und lauter. Allerdings sind ja fast 25
Prozent der israelischen Staatsbürger nichtjüdischen Glaubens. Hegen
Sie auch zu dieser Gruppe eine besondere Solidarität?

Charlotte Knobloch:
Ich habe eine Solidarität für Menschen, die sich auch in dieser
Hinsicht darstellt: Dass sie Menschen sind – und wie man so schön sagt
– auch an das Gute im Menschen glauben.

Moderatorin: Hier kommen zwei Fragen aus dem Pre-Chat, für die sehr viele User gestimmt haben:

Leonardo: Ist "Verzeihen" eine Haltung, die für Sie in Bezug auf die Shoah möglich ist?

Charlotte Knobloch:
Es gibt kein Verzeihen einer Überlebenden für sechs Millionen Opfer,
die die Shoah verursacht hat. Ich kann nur für mich persönlich eine
Äußerung abgeben, aber nicht für die Menschen, die nicht mehr unter uns
sind.

ida: Sie lehnen das Projekt
"Stolpersteine" strikt ab, nannten die Initiatoren sogar einmal
"Gedenktäter". Was macht diese Leute in ihren Augen zu Tätern?

Moderatorin:
Zu dieser Frage eine Info: "Stolpersteine" sind in vielen Städten
verbreitete Gedenksteine in Pflasterstein-Größe aus Metall, auf denen
Namen, Geburts- und Todesdaten von Holocaust-Opfern lesbar sind – eine
Aktion des Kölner Künstlers Gunter Demnig.

Charlotte Knobloch:
Bei den Stolpersteinen handelt es sich aus der Natur der Sache heraus
um keine angemessene und würdige Form des Gedenkens. Passanten gehen
achtlos an Stolpersteinen vorbei oder schlimmer noch, laufen darüber
und treten darauf. Hunde verrichten an den Stolpersteinen ihre
Notdurft. Wir sollten das Andenken von Menschen – und darunter auch
meine Familie – die Verfolgung und Entwürdigung erleben musste, bevor
sie auf schreckliche Weise ermordet wurden, nicht nochmals entwürdigen
und sprichwörtlich mit Füßen treten.

timmy: Wie gestaltet sich derzeit das Verhältnis zum Zentralrat der Muslime in Deutschland?

Charlotte Knobloch:
Wir hoffen und sind wirklich interessiert an einem guten Einvernehmen
mit den zuständigen Gremien des Islams. Sind aber auf der anderen Seite
sehr überrascht, dass gerade an den antiisraelischen Demonstrationen
mit den Rechtsradikalen auch viele Islamisten teilgenommen haben.

Moderatorin:
Hier kommt eine User-Frage zu folgendem Hintergrund: Der Zentralrat der
Juden war am 27. Januar 2009 der Feierstunde des Bundestages zum
Holocaust-Gedenktag mit der Begründung ferngeblieben, seine Vertreter
seien bei der Feier nie persönlich begrüßt worden. Dies hatte im
Bundestag Verwunderung ausgelöst.

ninu: Sehr
geehrte Frau Knobloch, in letzter Zeit erscheint es mir, als würde sich
die jüdische Gemeinde in Deutschland immer öfter von der Mehrheit der
Gesellschaft (aber auch von der Politik – Stichwort Holocaustgedenktag
– ) alleine gelassen fühlen. Welche Form der Unterstützung im Kampf
gegen Antisemitismus wünschen Sie sich und wie sollte die Solidarität
der nicht-jüdischen Bevölkerung aussehen?

Charlotte Knobloch:
Hier geht es vor allem um diejenigen, die Menschen und die Bevölkerung
erreichen. Das sind die Medien, das sind die Kirchen. Und hier freue
ich mich, wenn ich eine ausgewogene Berichterstattung – aber auch einen
Beitrag der Kirchen – feststellen kann, die das jüdische Leben, das
sich sehr – zumindest zahlenmäßig – positiv entwickelt hat, auch
unterstützen. Und die Möglichkeiten sind natürlich mit einer
Wahrnehmung, dass Unterstützung vorhanden ist, in der Öffentlichkeit
gegeben oder sollten gegeben sein.

Peter: Wird
in Deutschland von muslimischer Seite auf den Zentralrat der Juden in
Deutschland zugegangen und wie entwickelt sich dieser Dialog?

Charlotte Knobloch:
Es gibt verschiedene Dialoge in diesem Bereich in verschiedenen Stätten
und wenn er sich weiterentwickelt, kann man das nur positiv sehen.

luna:
Frau Knobloch, meinen Sie nicht, dass die Nicht-Teilnahme des
Zentralrats der Juden an der Veranstaltung zum Holocaust Gedenktag eine
zu empfindliche Reaktion war?

Charlotte Knobloch:
Das ist eine Empfindlichkeit, die sich schon jahrelang, wenn sie
überhaupt vorhanden ist, festgesetzt hat. Aber ich bin guten Mutes,
dass in Zukunft an diesem so wichtigen internationalen Gedenktag auch
die Überlebenden wahrgenommen werden. Und dass vor allem mit den jungen
Menschen die an diesem Tag in den Bundestag eingeladen sind, ein
effizienter Dialog mit Überlebenden stattfinden kann.

Horst:
Frau Knobloch, wäre es nicht Zeit in Deutschland, dass einmal ein
Deutscher jüdischen Glaubens Bundespräsident wird? Es würde dem
Verhältnis der Deutschen zum Judentum einen unglaublichen Schub geben.

Charlotte Knobloch:
Wenn unsere Jugendlichen oder die jüngeren Mitglieder unserer Gemeinden
sich der Politik zur Verfügung stellen würden, wäre das wirklich –
meiner Ansicht nach, für mich persönlich – ein willkommener Anlass,
auch darüber nachzudenken, inwieweit solche Personen in die höhere
Politik eingebunden werden können.

neville: Sehr
geehrte Frau Knobloch, haben Sie Hoffnung, dass eines Tages der
Polizeischutz für die Synagogen in Deutschland nicht mehr nötig sein
wird?

Charlotte Knobloch: Diese Hoffnung habe
ich bereits im Jahre 1990 zum Ausdruck gebracht in Zusammenhang mit der
Errichtung unserer neuen Gebäude – Synagoge und Gemeindezentrum. Leider
bin ich eines besseren belehrt worden, dass diese Schutzmaßnahmen noch
verstärkt werden müssten, bis zum heutigen Tag, anstatt sie langsam
abbauen zu können.

Moderatorin: Das war bereits
eine gute Stunde hier im tagesschau-Chat. Herzlichen Dank, Charlotte
Knobloch, dass Sie sich Zeit für die Diskussion mit den Lesern von
tagesschau.de und politik-digital.de genommen haben. Ein Dankeschön
auch an unsere User für die vielen Fragen, die wir leider nicht alle
stellen konnten.

Charlotte Knobloch: Ich freue
mich, dass ich einen Dialog führen konnte – mit Unbekannten natürlich –
aber ich wünsche mir gleichzeitig, dass das Miteinander, das ich
anstrebe und das ich auch sehe, sich entwickelt, weiterhin den Erfolg
zeigt, den ich mir wünsche und der uns allen nur Positives bringen kann.

Der Chat wurde moderiert von Corinna Emundts, tagesschau.de.