Am
Mittwoch, 9. Oktober, war Dieter Althaus:,
Ministerpräsident von Thüringen, zu Gast im tagesschau-Chat
in Kooperation mit politik-digital.de. Er diskutierte mit den Nutzern
über die Gesundheitsreform, die Koalition, und Demokratie.

Moderator: Herzlich Willkommen
zu 60 Minuten tagesschau-Chat. Zu Gast im ARD-Hauptstadtstudio ist
heute der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus.
Es gibt Ärger in der großen Koalition und damit haben
nicht unwesentlich die Ministerpräsidenten der Union zu tun.
Dieter Althaus ist deshalb, aber nicht nur aus diesem Grund, ein
hoch interessanter Gesprächspartner für uns. Guten Tag,
Herr Althaus, können wir beginnen?

Dieter Althaus:: Jawohl, wir können beginnen.

ciao: Ganz direkt: Sind die schlechten Umfrageergebnisse
der Anfang vom Ende der großen Koalition?

Dieter Althaus:: Nein, ich denke nicht. Wir haben schwierige Probleme
zu lösen und wir sind jetzt mittendrin, das erste Problem Gesundheitsreform
zu lösen. Die große Koalition wird halten und wird auch
den vorbesprochenen Weg gehen.

Moderator: Herr Althaus, laut ARD-Deutschlandtrend ist die Union
bei der Sonntagsfrage um 5 Punkte auf 30 Prozent abgerutscht. Ihre
Partei liegt demnach 3 Punkte hinter der SPD. Wie erklären
Sie sich das?

Dieter Althaus:: Es gab eine Anfangseuphorie nachdem in der großen
Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel die Union nach der Bundestagswahl
stand, und die Debatten der letzten Tage haben sicher auch Vertrauensverlust
mit sich gebracht. Aber im Grundsatz stehen beide großen Volksparteien
ähnlich da wie im letzten Jahr zur Bundestagswahl. D.h. Arbeit
an den Problemen in Deutschland ist angesagt und im Jahr 2009 muss
es dann auch wieder in den profilierten Wahlkampf gehen.

Shaber: Warum kann die SPD zulegen? Vielleicht
weil Sie geschlossener auftritt?

Dieter Althaus:: Die SPD ist im Grundsatz immer eher eine zentralistische
Partei. Wir sind eine föderale Partei und außerdem hat
die SPD erhebliche Führungsprobleme in den letzten Jahren bewältigen
müssen, so dass sie auch daraus ein hohes Maß an aktueller
Geschlossenheit entwickelt. Aber es ist drittens die Aufgabe für
beide Volksparteien, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit
der Politik zurückzugewinnen. Dabei dürfen wir nicht so
sehr auf die Umfragen schauen sondern uns an den Arbeitsaufgaben
orientieren.

dawei: Wieso bekommt man den Eindruck, dass die
CDU beim Thema Gesundheitsreform keine geschlossene Position beziehen
will / kann?

Dieter Althaus:: Die Gesundheitsreform ist eine der schwierigsten
Reformen. Das haben wir auch in den letzten Jahren gemerkt. Es gibt
zwei ganz unterschiedliche Positionen zwischen der Union und der
SPD. Mit dem jetzt gefundenen Reformkompromiss kann sowohl die Zukunftsfähigkeit
des Systems ermöglicht werden als auch durch mehr Transparenz
und Wettbewerbsfähigkeit bei weiteren Reformschritten gesichert
bleiben. Hierzu wird die Unionsführung auch in den nächsten
Wochen stehen.

lucky: Sehr geehrter Herr Althaus! Was soll man
zu diesem Jahrhundertwerk, der Gesundheitsreform sagen? Die richtigen
Ansätze sind da, aber zuviele Lücken im Detail. Vielleicht
sollte man sich überlegen, die Reform von ganz Neuem zu starten.
Wie man sieht, bringen die Kompromisse der SPD und ihrer Partei
nur Streitereien. Auch die acht Euro? Und noch mal ein Prozent vom
Gehalt zusätzlich. Das ist ganz schön viel Geld für
die neuen Bundesländer.

Dieter Althaus:: Zum letzten: Die acht Euro sind nicht Additiv zu
dem einen Prozent zu sehen sondern die acht Euro gelten als Grundbeitrag
ohne die ein Prozent-Prüfung. Selbstverständlich bleibt
es darüber hinaus bei der Ein-Prozent-Deckelung. Die SPD will
die Bürgerversicherung und damit eher eine Gesundheitspolitik,
die sich über die Staatsmedizin definiert und die Union möchte
die solidarische Gesundheitsprämie. D.h. durch Transparenz
und Wettbewerb sowohl die Sicherung der Leistung für alle gewährleisten,
aber auch mehr Effizienz ermöglichen. Deshalb muss der Kompromiss
vermitteln. Das gefundene Ergebnis ist unter den gegebenen Umständen
akzeptabel und eröffnet Zukunft.

Börries: Sehr geehrter Herr Althaus, wieso
redet die große Koalition immer noch über die umständliche
Gesundheitsreform und wieso wird Ihr guter Vorschlag des bedingungslosen
Grundeinkommens, welches die Fragen der Gesundheitsreform beinhaltet,
nicht diskutiert? Hierzu noch die Frage: Haben Sie sich schon einmal
mit dem Wirtschafter Götz Werner (dm-Drogeriemarkt) über
Ihre Ideen verständigt? Und: herzlichen Dank für Ihre
Idee des Grundeinkommens!

Dieter Althaus:: Ich bin persönlich überzeugt, dass durch
das Bürgergeld sowohl die Arbeitsmarktprobleme als auch die
Sozialstaatsprobleme besser lösbar sind und viele Gespräche
mit Wissenschaftlern, Unternehmern, Gewerkschaftern und weiteren
bestätigen mich dabei. Auch mit Götz Werner sind wir im
Gespräch. Derzeit gibt es aber auch im Besonderen bei Union
und SPD Vorbehalte gegen eine so umfassende und grundsätzliche
Reform. Viele hoffen noch im System der bestehenden Regeln wieder
mehr Wachstum zu erreichen. Ich werbe für das Bürgergeld
und bin sicher, es wird auf der Tagesordnung bleiben. Ich bin auch
sicher, dass die Durchsetzungsfähigkeit eines solchen Modells
in den nächsten Jahren weiter steigt.

Weißwurst: Wie kann es eigentlich sein,
dass Herr Stoiber immer eine Extrawurst für seine Extrapartei
beansprucht?

Dieter Althaus:: Die Geschichte der Union ist die Geschichte der
zwei Parteien. Das erhöht den Abstimmungsbedarf. Aber es erhöht
auch die Chance, erfolgreich in den Landschaften Deutschlands Politik
zu gestalten. Aber wie für die CDU gilt auch für die CSU,
wir können nur gemeinsam erfolgreich sein. Und das heißt
Geschlossenheit und Loyalität zur Führung und zu den gefundenen
Kompromisslinien sind entscheidend.

Moderator: Sie gelten als absolut Merkeltreu – die jüngsten
Unternehmungen des Herrn Stoiber können Ihnen nicht gefallen.

Dieter Althaus:: In der Politik geht es nicht nach Gefallen und
Nichtgefallen. Ich muss mit öffentlichen Äußerungen
leben. Mein Eindruck ist, wir müssen alle sehr viel mehr dafür
tun, damit das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik
gesteigert wird. Das gilt im Übrigen nicht nur für Deutschland.
Dazu haben alle ihren Beitrag zu leisten und ich rufe auch alle
Kollegen ausdrücklich dazu auf.

Moderator: Auch Ihre Parteikollegen?

Dieter Althaus:: Das gilt für alle. Für die CDU, die CSU.
Aber ich meine in der heutigen Verfasstheit der deutschen Demokratie
gilt das auch für alle anderen demokratischen Parteien. Die
Demokratieakzeptanz ist nicht nur in den neuen Ländern rasant
gesunken und diese Warnsignale sollten wir alle ernst nehmen.

Name888: Geht Ihnen Herr Stoiber – wenn man das
mal so unverschämt formulieren darf – nicht gehörig auf
die Nerven mit eben diesen Sonderwünschen?

Dieter Althaus:: Gelassenheit ist eine der wichtigen Eigenschaften,
die ich in meiner Funktion haben muss.

Schnickschnack: Welche Rolle spielt Frau Ulla
Schmidt eigentlich noch in der Findung einer Lösung bei der
Gesundheitsreform?

Dieter Althaus:: Sie ist die zuständige Ministerin und wird
jetzt auch die Detailarbeit, die zu leisten ist, verantworten.

Meppen06: Auf Geschlossenheit einzuschwören
ist doch eigentlich ein sicherer Indikator, dass einiges im Argen
liegt?

Dieter Althaus:: Die Welt ist sehr viel komplexer und die Probleme
deutlich mehr als dass nicht auch offene Inhaltsdiskussionen um
den richtigen Weg notwendig wären. Häufig wird das leider
gleich als Streit tituliert. Wenn ich von Geschlossenheit rede,
dann meine ich das Stehen zu einer nach Diskussion gefundenen Linie.

Erfurt: Ich habe den Eindruck, dass in diesem
Reformwahn nur die Finanzen betrachtet werden, aber die Bürger
vergessen werden. Sind die zukünftigen Reformen wirklich noch
sozial?

Dieter Althaus:: Was ist sozial? Die BRD lebt seit vielen Jahren
über ihre Verhältnisse und finanziert das Soziale damit
auf dem Rücken der Zukunft. Es muss uns wieder darum gehen,
dass jeder einzelne die Chancen zur Beteiligung am Wirtschaftsleben
und an der für ihn notwendigen Solidarität erhält.
Und das heißt, der Staat muss die Regeln für das Wirtschaftsleben
und die Sozialordnung ändern. Dieses tun auch alle Nachbarn
in Europa. Die einen erfolgreicher, die anderen weniger erfolgreich
und Deutschland muss an dieser Stelle deutlich engagierter vorangehen.
Dazu ist die große Koalition aufgerufen und genau auf diesem
Weg befindet sie sich jetzt.

lucky: Was geschieht eigentlich, wenn sich die
Krankenkassen gegenüber der Politik quer stellen und diese
Reform ablehnen beziehungsweise nicht umsetzen?

Dieter Althaus:: Sie müssen sie umsetzen, wenn die Gesetzeskraft
vorhanden ist. Sie haben dann etwa anderthalb Jahre Zeit, sich auf
den Gesundheitsfond einzustellen. Durch den Einstieg in Wettbewerbsstrukturen
und durch mehr Transparenz wird es auch bei den Kassen zu Veränderungen
kommen, die den Patienten dienen.

StefanH: Die Gesundheitsreform ist wichtig, ja.
Aber mir kommt es so vor, als wenn sich die Große Koalition
an diesem Punkt geradezu aufhängt. Dabei gibt es wichtigere
Probleme, wie z.B. das des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft. Ging
man die Probleme des Landes vielleicht in der falschen Reihenfolge
an?

Dieter Althaus:: Es ist in drei Problemkreisen derzeit dringender
Handlungsbedarf: Wir müssen den Staatshaushalt sanieren, wir
müssen für mehr Wachstum und einen zukunftsfähigen
Sozialstaat reformieren und wir müssen in wesentliche Zukunftsbereiche
wie Bildung, Forschung und Ausbildung noch mehr investieren. In
der großen Koalition gibt es die Verabredung, dass in all
diesen Bereichen durch kleine Schritte positive Veränderungen
erreicht werden Auch die Gesundheitsreform wird Auswirkungen auf
den Arbeitsmarkt haben, z.B. durch die langfristige Abkopplung der
Dynamik der Gesundheitskosten von den Arbeitsmarktkosten. Und außerdem
ist der Gesundheitsmarkt einer der größten Arbeitsmärkte
in Deutschland also auch ganz konkret ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor.

Shaber: Wird es in der nächsten Legislaturphase
eine neue Gesundheitsreform geben?

Rosenflies: Wann muss denn der Entwurf der Gesundheitsreform
zum ersten Mal nachgebessert werden?

Pfeil-Magazin: Wird diese Reform beim nächsten
Regierungswechsel nicht eh wieder abgesetzt und eine neue kommt?

Dieter Althaus:: Nach meiner Kenntnis gab es elf Reformen seit der
Wiedervereinigung und sicher wird auch nach dieser Reform weiterer
Reformbedarf bestehen. Wichtig ist, dass mit der Weichenstellung,
die jetzt vorgenommen wird, die Effizienz des Gesundheitssystems
deutlich gesteigert wird und dass die Rahmenbedingungen für
Leistungserbringer Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser und
die Versicherten stabil sind. Beide Parteien, Union und SPD gehen
davon aus, dass sie später auf diesem Kompromiss aufbauend
ihre gesundheitspolitischen Vorstellungen umsetzen können.

hubiffm: Ich bin privat krankenversichert, aber
ich denke, die gesetzliche Krankenversicherung und die PKV vermischen
zu wollen (Annahmezwang in der PKV), das geht doch überhaupt
nicht zusammen. Entweder man entzieht der PKV die Daseinsberechtigung
gänzlich oder alles bleibt beim Alten und man nimmt Änderungen
bei Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung vor.

Dieter Althaus:: Wir wollen gerade nicht als Union die private Krankenversicherung
in ihrem Bestand und in ihrer positiven Wirkung gefährden.
Das war ein wichtiger Inhaltspunkt in der Auseinandersetzung mit
der SPD. Durch die jetzt gefundenen Kompromisse wird im Gegenteil
das Beispiel der privaten Krankenversicherung auch zum Orientierungspunkt
für die gesetzliche Krankenversicherung.

AngelaEngel: Weshalb haben die Bürger Deutschlands
den Eindruck, dass die SPD die Führung in der großen
Koalition übernommen hat? Und warum ist unsere CDU/CSU dem
Anschein nach so ins Hintertreffen geraten?

Dieter Althaus:: Angela Merkel trägt die Gesamtverantwortung
für die Bundesregierung und muss in diesen schwierigen Politikfeldern
am Ende vermitteln und auch das Ergebnis konsequent umsetzen. Der
neue Bundesvorsitzende der SPD ist nicht in die Bundesregierung
integriert und hat als Ministerpräsident die Möglichkeit
einer anderen, manchmal auch differenzierteren Betrachtungsweise.
Am Ende kommt es aber darauf an, dass die große Koalition
insgesamt Erfolg hat und wenn sie einen Erfolg für Deutschland
organisieren kann, dann wird das auch ein Erfolg für die Union
und Angela Merkel sein.

Moderator: Mit anderen Worten: Beck hat keine Verantwortung zu
tragen und kann sich deshalb besser profilieren – auf Kosten der
großen Koalition und der Union?

Dieter Althaus:: Das mag so sein. Am Ende ist es aber wichtig, dass
hier nicht parteipolitisches Kalkül im Mittelpunkt steht, sondern
das Wohl des Landes.

Shaber: Die FDP hat Umfrageergebnisse wie noch
nie. Könnte es nach der nächsten Bundestagwahl rot-gelb
heißen?

Dieter Althaus:: Ich hoffe nicht. Die Enttäuschungen über
die Kompromissschritte, die gegangen werden, sind natürlich
insbesondere bei den bürgerlichen Wählern festzustellen.
Es bleibt aber dabei: Die Union will im Besonderen die Reformen
für mehr Wirtschaftsdynamik voranbringen und das ist im Ergebnis
dann auch die Vorraussetzung, um den Sozialstaat zukunftsfähig
zu erhalten. Leider gibt es in Deutschland noch Parteien, die lieber
mit populär klingenden Aussagen den Eindruck vermitteln, als
könnte der Sozialstaat rhetorisch gesichert werden, er muss
aber von seinen Grundlagen her erarbeitet werden. Und das heißt:
mehr Freiheit für den Einzelnen und auch mehr Freiheit für
die Wirtschaft.

Philipp1984: Werden Sie bei der nächsten
Landtagswahl erneut als Ministerpräsident kandidieren oder
haben Sie bundespolitische Ambitionen?

Dieter Althaus:: Nein, ich werde 2009 wieder als Kandidat für
das Amt des Ministerpräsidenten antreten und hoffe auf Erfolg.

Tante: Warum hat die NPD Ihrer Meinung nach keine
Chance, in den Landtag von Thüringen gewählt zu werden?

Dieter Althaus:: Wir müssen dafür arbeiten, dass sie nicht
gewählt wird. Das heißt, wir müssen deutlich machen,
dass diese rechtsradikale Partei weder ein Inhaltsprofil für
eine freiheitliche Gesellschaft noch Personen hat, die glaubwürdig
für die Demokratie stehen. Die NPD schadet der Demokratie und
schadet dem Ruf eines Landes und wenn Wählerinnen und Wähler
ihren Protest über die aktuelle Politik ausdrücken wollen,
dann sollten sie die Alternativen im demokratischen Parteienspektrum
nutzen oder sollten sich vor der Wahl – auch jetzt schon – in der
Debatte mit uns über ihre Vorstellungen und unsere Möglichkeiten
in der Politik austauschen.

Moderator: Stimmen Sie mir zu. Insbesondere im Osten verlieren
derzeit viele Menschen den Glauben an die Demokratie?

Dieter Althaus:: Das ist leider so. Zum Teil gibt es dafür
persönliche Erfahrungsgründe: Lange Zeit arbeitslos zu
sein erhöht nicht das Vertrauen in die handelnde Politik, aber
genau da muss unsere gemeinsame Verantwortung über Parteigrenzen
hinweg wahrgenommen werden. Die Demokratie ist wohl die schwierigste
Staatsform, aber die einzige Staatsform, die dauerhaft Freiheit
und soziale Gerechtigkeit sichern kann.

Moderator: Wie kommt es in diesem Zusammenhang an, wenn Herr Tiefensee
um weitere 15 Jahre Geduld bittet, was die Angleichung der Lebensverhältnisse
im Osten an den Westen anbelangt?

Dieter Althaus:: Um Geduld zu bitten ist, so denke ich, für
die Politik kein geeignetes Mittel. Politik muss Perspektiven aufzeichnen
und muss durch konkretes Handeln die Menschen ermutigen und gleichzeitig
ihnen ermöglichen, diese Perspektiven zu erreichen. Wir brauchen
junge Menschen in diesem Land und durch langfristige Negativszenarien
erreichen wir nicht, dass sich genau diese jungen Menschen hier
einbringen.

muc: Wäre der erfolgreichere Weg, den Rechten
das Wasser abzugraben, nicht eine Bundespolitik, die klare Perspektiven
bietet und keinen Reform-Kompromiss-Hickhack, der alles noch schlimmer
macht?

Dieter Althaus:: Klare Politikperspektiven sind wichtig, aber genau
da liegt das Problem. Die Wählerinnen und Wähler haben
im Jahr 2005 eben keine klare Entscheidung gefällt. Weder Union
noch SPD können so ihre Programmatik eins zu eins umsetzen.

SaschaDerichs: Sind Sie für einen neuen Versuch,
die NPD verfassungsrechtlich zu verbieten?

Dieter Althaus:: Ich bin kein Jurist. Ich denke, die politische
Auseinandersetzung steht im Mittelpunkt und wenn eine juristische
Auseinandersetzung erneut angestrengt werden soll, müsste der
Erfolg gesichert sein. Sonst geht die NPD indirekt gestärkt
aus einem solchen Verfahren hervor. Zu allererst muss die Demokratie
lernen, mit den Gegnern der Demokratie durch politische Auseinandersetzung
erfolgreich zu bleiben.

Trollo: Warum ziehen Sie gegen das Bürgerbegehren gegen das
thüringische Erziehungsgesetz gerichtlich zu Felde? Glauben
sie nicht an den mündigen Bürger?

Dieter Althaus:: Noch ist erstens die Entscheidung nicht gefällt
und zweitens ist die Aussage des Verfassungsgerichtshofes sehr eindeutig:
Volksbegehren sind nur möglich, wenn sie nicht deutlich in
die Landeshaushaltsgesetzgebung eingreifen. Genau das wird geprüft
und morgen wird entschieden. Es ist besser, die Rechtsfragen vor
einem Volksbegehren zu beantworten als danach. Darin waren sich
SPD, PDS und Union in der letzten Legislaturperiode einig.

Mowo: Was sagen Sie als ehemaliger Lehrer, Direktor
und Kreisschulrat zur Diskussion um die "Verwahrlosung"
der Schule in Deutschland? Und inwieweit ist es überhaupt möglich,
an die Elternhäuser der "Problemkinder" heranzukommen?
Denn viele Probleme würden doch durch mehr Kontrolle und Fürsorge
durch die Eltern gelöst, oder?

Dieter Althaus:: Die Eltern zu stärken, ihnen zu helfen und
sie auch zu fordern, ihre Erziehungspflicht wahrzunehmen, ist ganz
entscheidend. Und deshalb ist es auch wichtig, dass in Deutschland
dem Thema Erziehung wieder ein wichtiger Stellenwert zukommt. Über
Jahrzehnte ist Eltern und auch Lehrern von bestimmten politischen
Gruppen ausgeredet worden, als Autoritäten aktiv zu sein. Erziehung
beginnt immer durch das konkrete Vorbild und deshalb brauchen wir
auch eine enge Partnerschaft zwischen Lehrern und Eltern. Dort aber,
wo die Eltern oder Alleinerziehende ihre Pflicht überhaupt
nicht erfüllen, muss der Staat handeln, damit am Ende nicht
die Kinder oder Jugendlichen die Leidtragenden sind. Außerdem
ist es wichtig, dass wir im Besonderen dort, wo eine große
Anzahl von ausländischen Mitschülerinnen und Mitschülern
vorhanden sind, mehr für die Integration getan wird.

Sagenhaft: Stichwort Atomkraft: werden Sie es
schaffen, das Wahlversprechen der SPD zu brechen und damit der Stromlobby
entgegenzukommen?

Dieter Althaus:: Deutschland ist mit Technologieführer auf
diesem Gebiet und hat die modernsten und sichersten Atomkraftwerke.
Es muss uns gelingen, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
die regenerativen Energien stärker genutzt werden können,
um damit sowohl die fossilen Energieträger als auch später
die Atomenergienutzung einzuschränken und zu überwinden.
Aus technischer Sicht ist die Diskussion in Deutschland nicht zu
verstehen. Sie begründet sich fast ausschließlich ideologisch.

AndreasKrug: Eine Länderfrage: Die Union
ist in Thüringen im Sturzflug, die SPD gewinnt an Boden. Glauben
Sie an eine erneute absolute Mehrheit 2009, Herr Althaus?

Dieter Althaus:: Ich glaube nicht nur daran sondern ich arbeite
dafür und wir stehen mitten in den notwendigen Umsetzungen
unserer Politik. Ich denke heute nicht schon an Wahlen, sondern
meine ganze Aufmerksamkeit dient dem Land und seiner weiteren positiven
Entwicklung.

Mage81: Also ich finde, dass die "Wähler"
eine klare Entscheidung getroffen haben, denn wir hatten ca. 50%
Nichtwähler. Aber von den Politikern wurde dies wieder mal
nicht als Problem erkannt.

Dieter Althaus:: Doch. Das Problem der Nichtwähler ist genauso
erkannt wie das Problem, dass sich die Wähler nicht entschieden
haben. Nur die Konsequenz der Politik kann eben nicht sein, dass
wir uns zurückziehen. Sondern wir müssen aus dem schwierigen
Wahlergebnis eine handlungsfähige Mehrheit bilden und das ist
jetzt die große Koalition. Alle Bürger in Deutschland
tragen Verantwortung für die Demokratie auch für ihr Tun
oder Lassen müssen sie sich rechtfertigen.

E-tutor: Herr Althaus, wie stehen Sie zu dem heute
vorgenommen Atomwaffentest durch Nordkorea? Welche Konsequenzen
wird dieses nach Ihrer Einschätzung haben?

Dieter Althaus:: Die internationale Staatengemeinschaft hat klare
Absprachen getroffen, denen Nordkorea zuwider handelt. Die UNO und
der Sicherheitsrat müssen sich deshalb mit diesen Atomwaffentests
beschäftigen und einen Weg suchen, wie auch Nordkorea sich
an diese internationale Abmachungen hält.

hartes-hartz: Sie wollen ja jetzt beim Arbeitslosengeld
II die Bedingungen für die Arbeitsaufnahme verschärfen.
Unterstützen Sie das? Wie viele Millionen Euro Einsparung versprechen
Sie sich denn davon?

Dieter Althaus:: Im Gegenteil, wir wollen nicht die Bedingungen
für die Arbeitsaufnahme verschärfen sondern wir wollen
die Anreize für die Arbeitsaufnahme verstärken. Das gelingt
auch dadurch, dass wir uns bemühen, dem Grundsatz zu folgen,
dass diejenigen, die zumutbare Arbeit ablehnen, Sanktionen erhalten.
Dies ist auch deshalb fair, weil viele in Deutschland für ihren
Lebensunterhalt hart arbeiten und das häufig auch im Niedriglohnbereich.
Es mag sein, dass der Ausgangspunkt der Diskussion auf Bundesebene
die gestiegenen Ausgaben sind. Für mich ist es vielmehr die
Frage, wie wir wieder mehr Menschen in reguläre Arbeit bekommen.
Es kann uns nicht egal sein, wenn immer mehr Menschen ohne Möglichkeit,
durch eigene Arbeit die Existenz zu sichern, letztlich in eine vollkommene
Abhängigkeit von der öffentlichen Hand geraten.

Philipp1984: Von Seiten der SPD (Struck, Beck)
wird oft gegen Frau Merkel gestichelt und Ihre Autorität in
der Partei in Frage gestellt. Warum stärken die Unions-Ministerpräsidenten
ihr nicht demonstrativ den Rücken, um Geschlossenheit zu demonstrieren?

Dieter Althaus:: Ich bin da sicher der Falsche, der diese Frage
beantworten muss, weil ich die Auffassung teile, dass wir Angela
Merkel in ihrer schwierigen Aufgabe den Rücken stärken
müssen. Ich sage das nicht nur wegen Angela Merkel und ihrer
Funktion, sondern im Besonderen wegen der schwindenden Akzeptanz
der Demokratie und ihrer Verfahren.

Moderator: Teilen Sie denn den Befund, dass ihr von den Ministerpräsidenten
nicht demonstrativ der Rücken gestärkt wird?

Dieter Althaus:: Nein, die Sozialdemokraten haben ja das Pech –
oder das Glück aus ihrer Sicht, dass sie kaum Ministerpräsidenten
haben und deshalb ist es ein besonderer Wert, dass die Union in
Berlin die Hauptverantwortung trägt aber dazu auch noch in
elf Ländern. Und es hat in den letzten Monaten seit Bestehen
der Bundesregierung nicht ein einziges Bundesratsverfahren gegeben,
das Ministerpräsidenten nicht im Sinne der Bundesregierung
entschieden hätten.

Baumann: Herr Ministerpräsident, hat die
Bundeskanzlerin als ostdeutsche Politikerin eine ganz besondere
Aufgabe zu erfüllen, der sie eigentlich gar nicht gerecht werden
kann?

Dieter Althaus:: Sie trägt die Erfahrungen aus der DDR-Zeit
und auch aus der Wendezeit mit sich. Und sie wirkt im Besonderen
auch für das Zusammenwachsen in Deutschland. Es ist ein Beweis
für den Fortschritt bei der deutschen Einheit, dass in der
Union sowohl die Führung der Partei als auch die Kanzlerschaft
durch eine Ostdeutsche wahrgenommen wird. Hier haben andere Parteien
noch erheblichen Nachholbedarf.

Trollo: Wo wird Deutschland am Ende der Legislaturperiode wirtschaftlich
und gesellschaftlich stehen?

Dieter Althaus:: Schwere Frage. Ich hoffe, dass wir durch die Reformen
den jetzt sichtbaren Wirtschaftaufschwung Rückenwind verleihen
können. So dass die Arbeitslosigkeit weiter sinkt, die Zukunftsfähigkeit
der Sozialsysteme verbessert ist und der Standort Deutschland international
und national, das heißt auch für junge Menschen wieder
attraktiver wird.

Moderator: Das waren 60 Minuten tagesschau-Chat.
Wir bedanken uns bei allen, die mitgemacht haben. Unsere Bitte um
Verständnis an jene, die wir heute mit ihrer Frage nicht berücksichtigen
konnten. Unser besonderer Dank gilt Dieter Althaus, der sich für
uns Zeit genommen hat. Der nächste Chat findet am Montag, dem
16. Oktober statt. Unser Gast ist dann ab 16.00 Uhr der Präsident
der Deutschen Forschungsgesellschaft, Ernst-Ludwig Winnacker. Das
letzte Wort gehört Ihnen, Herr Althaus.

Dieter Althaus: Es waren spannende und vielfältige
Fragen, die beweisen, wie viele Menschen interessiert sind an den
aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen. Ich ermuntere sie auch
weiterhin: Bleiben sie aktiv, die Demokratie, wir alle brauchen
sie. Vielen Dank.