Katherina
Reiche ist am 19. Januar 2004 zu Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de
und politik-digital.de.

 

Moderator: Liebe Politik-, Bildungs- und Forschungs-Liebhaber,
herzlich willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02
ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt
von tagesspiegel.de und von sueddeutsche.de. Im ARD-Hauptstadtstudio
begrüße ich heute Katherina Reiche, die bildungs- und forschungspolitische
Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag. Frau Reiche, kann es losgehen?

Katherina Reiche: Ja, gerne.

Moderator: Erst mal eine ziemlich allgemeine, aber
interessante Frage:

pweber: Frau Reiche, sollte prinzipiell jeder in Deutschland studieren
können oder können wir uns das nicht mehr leisten?

Katherina Reiche: Jeder, der dazu in der Lage ist, der über die
Fähigkeit verfügt zu studieren, soll auch in Zukunft eine
Hochschule besuchen können. Wir haben das Begabungspotenzial in
Deutschland noch lange nicht ausgeschöpft.

Bert B.: Guten Tag, Frau Reiche! Was genau verstehen Sie unter einer
Innovationskultur in Deutschland?

Katherina Reiche: Innovationen sind Erfindungen oder Entwicklungen,
die die Gesellschaft / Wissenschaft in einem großen Schritt nach
vorne bringen, quasi revolutionieren. Wir sind in Deutschland nicht
mehr an der Spitze, wenn es um den Export von Spitzentechnologie geht.
Wir sind gut in der höher- und hochwertigen Technologie. Das muss
sich wieder ändern. Wenn wir wissen, dass in Zukunft z.B. der Bereich
Life Science immer entscheidender wird, kann man es nicht unkommentiert
lassen, dass wir Jahre hinter den USA zurückliegen. Deshalb wünsche
ich mir ein Land, in dem wir Freiheit von Forschung und Lehre wirklich
umsetzen, wo wir mehr Ja zu Chancen sagen und weniger langatmige Debatten
zu möglichen Risiken führen.

Moderator: Hätten Sie ein Beispiel für die Unterschiede zwischen
Spitzen- und hochwertiger Technologie? Also wo wir wirklich vorn liegen
und wo wir nur mit an der Spitze dabei sind?

Katherina Reiche: Zum Beispiel liegen wir bei der Chemie- und bei der
Automobilbranche ganz vorne, im Bereich Datenverarbeitung nur noch auf
Platz 8, bei der Biotechnologie auf Platz 9 oder bei der Materialforschung
auf Platz 4.

Moderator: Welche Quelle zitieren Sie da?

Katherina Reiche: Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik.

Bulfrau: Bisher werden schlechte wie gute Studierende gleichmäßig
auf die Universitäten verteilt. Die von der SPD angekündigten
Leitlinien zur Innovations- und Wissenschaftspolitik beinhalten das
Ziel, begabte Studierende besonders zu fördern. Was haben sie daran
auszusetzen?

Katherina Reiche: In den vergangenen 30 Jahren war das Wort Elite verpönt.
Gerade die SPD hat mit großer Hartnäckigkeit negiert, dass
Menschen unterschiedlich begabt sind. Das gilt für die Schule,
für die Ausbildung und auch für die Hochschulen. Wenn nun
ausgerechnet diese SPD kommt und die Eliteförderung für sich
entdeckt, dann ist das für mich sehr unglaubwürdig. Als Rockefeller
vor über 50 Jahren zum Präsidenten der Harvard University
kam und fragte, was man brauche, um eine Elite-Uni zu gründen,
sagte er: 50 Millionen Dollar und 200 Jahre. Das zeigt zwei Dinge deutlich:
1. Universitäten brauchen mehr Geld und mehr Freiheit und 2. Eliten
kann man nicht verordnen, die wachsen.

Moderator: Dann würden Sie angesichts auch gewisser kultureller
Unterschiede (Spendenverhalten von privaten Organisationen etc.) vermutlich
die Frage von DW1 mit Nein beantworten, oder?

DW1: In ihren Vorschlägen will sich die SPD am großen Vorbild
Amerika orientieren. Und zieht als Beispiel Elite-Universitäten
wie Harvard, Columbia oder Stanford heran. Ist vor dem Hintergrund der
verschiedenen Bildungssysteme in Deutschland und Amerika ein deutsches
Harvard möglich?

Katherina Reiche: Es ist immer richtig sich an jemandem zu orientieren,
der besser ist als man selbst. Wir werden das aber nicht über Nacht
haben. Wir haben in Deutschland viele Fakultäten renommierter Hochschulen,
die schon jetzt Spitzenforschung betreiben. Aber Harvard hat ein Stiftungskapital
von 19,3 Milliarden ein Jahresetat von 2,5 Milliarden Dollar. Die Uni
Köln verfügt im Jahr über 656 Millionen Euro, in Harvard
ist das Betreuungsverhältnis 1:7, in Köln 1:125. Diese Zahlen
zeigen unser Problem. Wir sollten den Universitäten erlauben, ihr
eigenes Geld einzunehmen. Das sind – natürlich neben der Grundfinanzierung
durch die Länder – Lizenzgebühren, Industrieverträge,
das Einwerben privaten Kapitals und natürlich Studienbeiträge.

herzinfarkt257: Sollten nicht anstelle wenige Elite-Unis zu unterstützen,
lieber gute Institute oder herausragende Ideen und Dozenten dezentral
unterstützt werden? Dann versickerten die Mittel nicht in Verwaltungen
und die Empfänger hätten Ansporn, sich immer neu zu beweisen
für neue Mittel (wie es bei der DFG ja üblich ist).

Moderator: DFG = Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Katherina Reiche: Ich bin sehr dafür, Mittel im Wettbewerb zu
vergeben. Gerade die DFG, die ja maßgeblich die Forschung an den
Universitäten fördert, hat hier eine herausragende Bedeutung.
Wir brauchen auch weniger Bürokratie, wenn es um Anträge geht.
Ich denke nur an EU-Forschungsprogramme. Im Wettbewerb wird sich dann
herausstellen, welcher Wissenschaftler oder welche Fakultät wirklich
Spitze ist.

Moderator: Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin
Teufel hat angekündigt, sein Land wolle den Staatsvertrag über
die Zentrale Studienplatzvergabe (ZVS) kündigen, wenn es keine
Einigung gebe, dass sich Hochschulen künftig die Studenten selbst
aussuchen und Studiengebühren erheben dürfen. Sieht so aus,
als ob die Studiengebühren kommen – ob politisch herbeiverhandelt
oder vor dem Verfassungsgericht eingeklagt, was ja derzeit sechs Bundesländer
tun. Wie stehen Sie zu Teufels Vorschlag?

Katherina Reiche: Wir kommen um Studienbeiträge auch in Deutschland
nicht herum. Schon jetzt fehlen den Hochschulen in Deutschland zwischen
3 und 4 Mrd. Euro, davon 1 Mrd. für die Lehre. Die 6 Bundesländer
klagen nicht für die Einführung von Studiengebühren,
sondern gegen die Bestimmung im Hochschulrahmengesetz (HRG), dass das
Erheben von Studiengebühren untersagt ist. Meiner Auffassung nach
muss das HRG nicht nur in diesem Punkt deutlich entschlackt werden.
Es muss Hochschulen gestattet werden, Studienbeiträge zu erheben.
Die Studierenden müssen nur unmittelbar spüren, dass sich
die Bedingungen für sie verbessern, d.h. überschaubare Seminare,
keine Auslosung bei Praktika und Begleitung bei ihrer beruflichen Laufbahn.

Moderator: Ein Kommentar zu Ihrer Rechnung in Sachen der Jahresetats
Köln und Harvard:

bagelcat: Und zeigen diese Zahlen nicht auch, dass an deutschen Unis
noch Effizienzsteigerungen möglich sind – schließlich kann
Harvard mit dem 3,8fachen Etat der Uni Köln eine 25fach bessere
Betreuung anbieten?

Moderator: Zwei leicht verschiedene Fragen mit der gleichen Zielrichtung:

Kultusministerium: Braucht Deutschland nicht die Erhaltung seines offenen
Bildungszuganges, den andere Länder so nicht haben?

Dekannater: Sollte es aber nicht darum gehen, mehr Menschen an die
Hochschule zu holen und gerade auch Menschen aus niedrigen sozialen
Schichten? Da sind Gebühren Gift!

Katherina Reiche: Die Einführung von Studienbeiträgen muss
mit einem breiten Angebot von Stipendien erfolgen. Ich bin jedoch der
Meinung, nicht jeder der will, muss an einer Hochschule studieren können,
sondern jeder, der die entsprechenden Fähigkeiten besitzt. Deshalb
brauchen die Hochschulen die Möglichkeit, sich Studenten selbst
auszuwählen. Auch das ist derzeit in Deutschland nicht möglich.
Das Modell der nachlaufenden Gebühren übrigens erscheint mir
als das sozial verträglichste. Das heißt, die Beiträge
für ein Studium werden erst dann erhoben, wenn jemand über
ein gesichertes Einkommen verfügt, sprich einen Job hat. Das würde
auch eine größere Bindung zwischen Studierenden und seiner
ehemaligen Hochschule erzeugen, denn auch das ist eine große Stärke
des amerikanischen Systems – das Alumni-System.

huth1971: Wie verträgt sich ihre Meinung zu den Hochschulgebühren
mit der Tatsache, dass es ihnen möglich war, ohne derartige Gebühren
zu bezahlen? Sind sie nicht der Meinung, künftige Studenten sollten
genau wie sie behandelt werden?

Katherina Reiche: Mein Studium musste ich in der Tat nicht bezahlen.
Allerdings habe ich mein Chemie-Studium in 9 Semestern absolviert und
trotzdem nebenbei als Assistentin an der Universität gearbeitet.
Mein Jahr in den USA habe ich mir durch ein Stipendium finanziert und
ebenfalls durch Arbeiten an der amerikanischen Universität. Gerechtigkeit
heißt nicht, "jeder so lange er will und was er will",
sondern zielgerichtet und effizient zu studieren. Noch einmal: Studienbeiträge
werden nur akzeptiert, wenn sich gleichzeitig die Bedingungen an den
Hochschulen verbessern.

Moderator: Noch mal zur "nachlaufenden Studiengebühr",
dem so genannten australischen Modell:

HeikoHirt: Und wenn der Studi hinterher keinen Job kriegt, ist die
staatliche Aufwendung umsonst gewesen?

Katherina Reiche: Auch die internationalen Studienfinanzierungsmodelle
kalkulieren mit Ausfallraten.
Australien beispielsweise rechnet mit Ausfallraten von 15 bis 20 %.
Dies kann aber kein Argument dafür sein, auf die restlichen 80%
zu verzichten. Auch in Deutschland wird sich ein solcher Bildungskreditmarkt
sehr viel schneller entwickeln als wir es glauben, wenn das Verbot im
HRG erst mal fällt.

Moderator: Wie könnte das australische Modell mit dem BAföG
kombiniert werden?

Katherina Reiche: Die Umstellung auf ein Studienbeitragsmodell ist
eine komplette Umstellung. Die Stipendien und ein staatlich finanziertes
Kreditmodell soll es aber auch weiterhin gerade einkommensschwachen
Schichten ermöglichen, Zugang zu den Hochschulen zu erhalten.

StudiTrier: Australien ist nun aber wirklich nicht das beste Beispiel.
Gerade in Australien herrscht starke Ungerechtigkeit zwischen den Reicheren
und den Ärmeren, da schon in der Schule Gebühren verlangt
werden. Und wenn man nicht an einer der besseren und teueren Schulen
ist, kommt man kaum in die besseren Studiengänge.

Katherina Reiche: Für mich ist es schwer zu vermitteln, dass die
Kita-Gebühren steigen, das Studium aber umsonst ist. Der selbständige
Handwerker und sein Sohn, der die Nachfolge antritt, zahlen mit ihren
Steuern das Umsonst-Studium für andere. Ein Studium ist immer auch
eine persönliche Investition in die Zukunft. Es ist auch eine Art
Risikoversicherung gegen Arbeitslosigkeit. Zumindest die Statistik sagt
uns, dass ca. 3% der Akademiker, jedoch 8% der Ausgebildeten und gar
25 % der Menschen ohne Abschluss von der Arbeitslosigkeit bedroht sind.

huth1971: Wie stehen sie zu der Forderung, auch von den ehemaligen
Studenten die Gebühren einzufordern, die trotz entsprechender Möglichkeiten
nicht im studierten Beruf tätig sind? Hier stellt sich die Frage
der Sinnhaftigkeit der Ausgaben.

Katherina Reiche: Das australische Modell richtet sich nicht nach der
Art des ergriffenen Berufes, sondern nach der späteren Einkommenssituation.
Das Modell der nachlaufenden Gebühren orientiert sich somit daran,
dass überhaupt nach Ablauf des Studiums eine Stelle angetreten
wird, nicht nach dem Berufsfeld.

Moderator: Zur Größenordnung:

StudiTrier: In Australien würde ich für mein Studium an einer
Durchschnitts-Uni pro Term 3000 Euro zahlen müssen. Wie soll ich
mir eine solche Investition leisten können, auch wenn ich sie erst
nachher zurückzahle?

Katherina Reiche: Momentan sprechen wir in Deutschland über Beiträge
von ca. 500 Euro / Semester.

Perle: Wir dürfen aber eine inhaltsorientierte Studienreform nicht
vergessen, oder? Nur Strukturen ändern reicht nicht. Was sind da
ihre konkreten Vorschläge?

Katherina Reiche: Wir stecken mitten im Bologna-Prozess, das heißt,
in der Internationalisierung unserer Studiengänge. Unsere Studienabschlüsse
und die Zeit, die man zum Abschluss eines Studiums braucht, müssen
international vergleichbar sein. Nach 6 bis 8 Semestern soll man einen
Bachelor-Abschluss erhalten, nach weiteren 4 einen Master-Abschluss.
Daran kann ein Promotionsstudium folgen. Das hat Konsequenzen für
den Aufbau von Studiengängen. Wir können uns dem Wettbewerb
jedoch nicht entziehen.

Moderator: Noch einmal zu den Studiengebühren, deren Höhe
und der Frage, wie sie finanziert werden sollen:

96er: Aber die Frage war gut: Wie soll ich 1000 Euro im Jahr finanzieren?

M.Watermann: Aber auch diese 500 Euro müssen irgendwie erst einmal
bezahlt werden. Da es auch Studierende gibt, die ihr Wissen hart erlernen
müssen, sprich stundenlang büffeln müssen, können
die nicht nebenbei arbeiten, um ihren Lebensunterhalt UND Studiengebühren
zu finanzieren! Wie stellen sie sich das konkret vor? Welche Möglichkeiten
haben diese "Nicht-Überflieger"?

Katherina Reiche: Stipendienmodelle und Darlehensmodelle der Banken,
zum Beispiel der KfW

Moderator: … KfW = Kreditanstalt für Wiederaufbau, eine Bank
des Bundes ..

Katherina Reiche: werden es auch Nicht-Überfliegern ermöglichen,
ein Studium aufzunehmen.

96er: Die größten Probleme der deutschen Hochschulen liegen
in der Lehre, nicht in der Forschung, oder?

Katherina Reiche: Die Stärke von amerikanischen Universitäten
liegt darin, dass sie den Humboldtschen Grundsatz "Lehre aus Forschung"
perfektioniert haben. Forschung und Lehre sind hier ganz eng verzahnt.
Für uns in Deutschland heißt das, außeruniversitäre
Forschungseinrichtungen in Hochschulen viel stärker miteinander
zu vernetzen als dies derzeit mit gemeinsamen Professuren oder Projekten
der Fall ist.

HAnnes: Von 1980 bis heute sind die öffentlichen Ausgaben für
Hochschulen real um 15 Prozent gesunken – bei zugleich massiv steigenden
Studentenzahlen. Da waren Kohl und die CDU also stark dabei oder? Wo
sehen sie ihre Verantwortung an der Misere?

Katherina Reiche: Die Hochschulen werden maßgeblich durch die
Länder finanziert. Der Bund besitzt Kompetenzen in der Gemeinschaftsaufgabe
Hochschulbau. In diesem Jahr hat Rot-Grün den Hochschulbau um 135
Mio. Euro (von 1,1 Mrd. Euro) zusammengestrichen. Von den Hochschulbaumitteln
werden nicht nur neue Gebäude errichtet, sondern es wird auch in
Geräte investiert. Das ist für mich ein Lehrbeispiel, wie
man es nicht machen sollte.

Friedrich Heinemann: Gleich zu Beginn des Superwahljahrs 2004 wollen
die Genossen um Schröder der Union und der FDP ein Thema klauen,
konservative Begriffe besetzen, Modernität simulieren. Verloren?

Katherina Reiche: Keineswegs. Rot-Grün hat in den vergangenen
Jahren nur wenig getan um Deutschland auf zukunftsfähigen Innovationsfeldern
nach vorne zu bringen. Die grüne Gentechnik wurde nahezu ausgebremst,
der Ausstieg aus der Kernkraft führt zum Zusammenbruch des Know-Hows
in Deutschland im Gebiet der Kernenergienutzung, der Transrapid fährt
in Shanghai und nicht in Deutschland, die Nanotechnologie – eines der
Innovationsfelder der Zukunft – wird zusammengestrichen. Durch die Chemikalienpolitik
der EU ist der Chemiestandort Deutschland in Gefahr. Der jetzt einberufene
Gipfel hat außer einem "Jetzt-haben-wir-mal-drüber-geredet"
nichts gebracht.

Moderator: Ein Eindruck, dem man sich in der tat manchmal nicht erwehren
kann:

rathfelder: Wie kommt es eigentlich, dass in der politischen Konversation
nur noch vom Versagen der Gegenseite die Rede ist. Dies ist eine Ausdrucksform,
die man aus er der Bildzeitung und ähnlichen Gazetten kennt. Es
ist außerdem wenig hilfreich und kaum konversationsfördernd.
Gerade, wenn sie von Bildung reden, sollten sie die Konzepte der Gegenseite
differenzierter kritisieren.

Katherina Reiche: Ich anerkenne durchaus, dass Rot-Grün in den
vergangenen Jahren den Haushalt des BMBF wenn nicht verdoppelt, aber
doch gesteigert hat. Auch im Bereich der roten Gentechnik sind positive
Entwicklungen zu verzeichnen. Man kann aber nicht rote Gentechnik fördern
und die grüne vollkommen ausbremsen, aus ideologischen Gründen.
Mir fehlt eine ganzheitliche Strategie, wie wir Deutschland im Bereich
der Bio-, Nano- oder optischen Technologie nach vorne bringen können.
Das reicht eben vom Mathe-Unterricht in der Schule bis hin zu verstärkter
Forschung an den Hochschulen. Von Bürokratieabbau bis Unternehmensförderung.
Wir führen die Debatte um den Innovationsstau in Deutschland sehr
wohl im Detail. Aber viele interessante Vorschläge werden durch
tagesaktuelle Debatten schnell verschüttet.

Teetrinker: Wir reden immer davon, dass wir Eliten erzeugen müssen.
Deutschland blutet sprichwörtlich aus, weil die existierenden Eliten
ins Ausland gehen. Der jüngste Marketing-Professor Nordamerikas
ist Deutscher, hat gerade das Land verlassen. Was möchten sie tun,
um diese Eliten wieder nach Deutschland zu holen?

Katherina Reiche: In der Tat haben im Jahr 2002 111.000 Menschen Deutschland
verlassen, davon 25.000 Wissenschaftler im Jahr 2003 waren es schon
117.000, Tendenz steigend. Was wir brauchen, ist 1. Innovationspolitische
Leitvisionen und Innovationsstrategien in Wirtschaft, Wissenschaft und
Politik. 2. Unsere Hochschulen brauchen die Freiheit zu mehr Profilbildung,
mehr Geld. 3. Wir müssen ideologisch motivierte Wissenschafts-
und Forschungsdebatten beenden. Wir waren mal das Land der Dichter und
Denker, Naturwissenschaftler und Ingenieure. Das müssen wir wieder
werden. 4. Wir brauchen einen stärkeren Schulterschluss zwischen
Politik und Wissenschaft. Wissenschaftler müssen spüren, dass
sie und ihre Arbeit willkommen sind, und dass es um mehr als Lippenbekenntnisse
geht.

Moderator: Zum Umsetzungsproblem, bei denen die es tun müssen,
den Bundesländern:

koksio: Von der Autonomie der Hochschulen haben die Wissenschaftsminister
der Länder stets nur geredet, trauen den Rektoren und akademischen
Gremien aber nicht über den Weg. Wie kann sich das ändern?

Schavama: Deutschen Ministerialbürokraten in den Ländern
dürfte ein längerer Lernprozess bevorstehen. Sie sind es in
der Regelungswut gewohnt, die Hochschulen bis ins kleinste Detail fernzusteuern.
Wie wollen sie das ändern? Beamtenstatus abschaffen bei Hochschullehrern?

Moderator: Und bei den Ministerialbürokraten?

Katherina Reiche: Wenn wir das Hochschulrahmengesetz auf Bundesebene
deutlich entschlacken, müssen auch natürlich die Länder
die Hochschulen "in die Freiheit entlassen". Baden-Württemberg
tut dies bereits. Der BAT in seiner jetzigen Form ist in der Tat so
für die Wissenschaft nicht zu halten. ..

Moderator: … BAT = Bundesangestelltentarif …

Katherina Reiche: Auch bei der Verbeamtung von Professoren wird es
Veränderungen geben müssen. Leistung muss sich auch da mehr
lohnen.

Moderator: Unsere Stunde ist um, vielen Dank für Ihr Interesse.
Vielen Dank, Frau Reiche, dass Sie zu uns gekommen sind. Das Transkript
dieses Chats finden Sie auf den Seiten der Veranstalter. Noch ein Terminhinweis:
am Mittwoch, 21. Januar, chattet Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
(SPD) um13.00 Uhr. Das tacheles.02-Team wünscht allen noch einen
schönen Tag!

Katherina Reiche: Ich bedanke mich bei den Usern und vor allem bei
dem netten Team vor Ort für den Gedankenaustausch. Bleiben Sie
tacheles.02 gewogen.