Am Sonntag, 1. Mai, war Dietmar Hexel, Mitglied im
Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zu Gast im tacheles.02
Live-Chat von tageschau.de für "Bericht aus Berlin".
Dietmar Hexel beantwortete Fragen rund um das Thema Arbeit und zur
Zukunft der Gewerkschaften.
Moderator:
Herzlich Willkommen zum tagesschau-Chat nach dem "Bericht aus
Berlin". Die SPD schwingt im Wahlkampf die Antikapitalisten-Keule,
viele Arbeitnehmer geraten mit zunehmender Globalisierung immer
mehr unter Druck, haben wir gerade im "Bericht aus Berlin"
gesehen. Im ARD-Hauptstadtstudio begrüße ich zum Chat
Dietmar Hexel, Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Vor der ersten Frage noch eine Bemerkung: Ob Kapitalismus-Kritik
oder Mindestlohn-Debatte, Sie können Fragen zu allen Themen
stellen, die Sie interessieren. Wir sammeln die Fragen und stellen
sie im Laufe unseres Chats.
Treo:
Steuern wir auf einen Klassenkampf in der Gesellschaft zu?
Dietmar Hexel:
Wir steuern auf jeden Fall auf eine Polarisierung zu, wenn die Unternehmen
und ihre Verbände nicht ihre Politik ändern. Es ist nicht
hinnehmbar, dass Unternehmen als ihren Zweck das Renditeziel nennen.
Unternehmen haben die Aufgabe gute Produkte und Dienstleistungen
herzustellen und damit auch dem Kunden und der Allgemeinheit zu
dienen. Das ist verloren gegangen. Deshalb haben wir eine Polarisierung.
Hooker: Was
sagen Sie zu den Äußerungen von FDP Chef Guido Westwelle?
Moderator:
Ich denke, das bezieht sich auf die "Heuschreckenplage".
Dietmar Hexel:
Westerwelle hat nicht verstanden, was die Menschen im Lande bewegt.
Mit Heuschrecken sind Phänomene gemeint, die die Menschen beunruhigen.
Die Gewerkschaften haben die Menschen nicht beunruhigt. Wir haben
manchmal sogar verzweifelt auf die Entwicklung hingewiesen. Gewerkschaften
sind eine praktische Antwort auf den Kapitalismus und stellen ein
Schutzschild gegen "Heuschrecken" dar.
Blumenfrau:
Welche Taten werden der Kapitalismuskritik folgen? Oder war sie
nur hohles Gepolter?
Dietmar Hexel: Sie
darf kein hohles Gepolter bleiben. Es gibt mehrere Handlungsebenen.
Jeder Aufsichtsrat, jeder Betriebsrat kann etwas tun, jedes Kommunalparlament,
jedes Landesparlament, auch die Bundesregierung, z.B. beim Thema
Finanzspekulation. Vor allem müssen wir uns natürlich
europäisch aufstellen, um das frei floatende Finanzkapital
in die Schranken zu weisen. Viele Unternehmen
haben ein Problem mit den Rendite-Erwartungen. Sie sind eher an
realem Unternehmenskapital interessiert. Den Konflikt zwischen Realkapital
und Finanzkapital kann die Regierung zugunsten der Unternehmen beeinflussen.
Moderator:
Was wäre ihrer nach konkret das Wichtigste, was die Bundesregierung
sofort tun könnte / müsste?
Dietmar Hexel:
Sie müsste Druck auf Brüssel, also auf die EU und auf
alle Länder ausüben, dass die Steuergesetze in Europa
harmonisiert werden. Zweitens müsste sie Vorschläge machen,
wie weltweit neue Regeln für den Finanztransfer entstehen könnten.
Moderator:
Kommentar von:
einefrau: Ich
finde diese Diskussion pervers von der Seite der SPD und Gefolgschaft.
Die schlimmsten Kapitalisten sitzen heute in der Bundesregierung.
Wenn ein/e Arbeitslose/r 55-jährige/r mit Harz 3 so erniedrigt
ist, wie die Leute, die nie gearbeitet haben und auch nicht arbeiten
wollen, ist das mehr als ungerecht. Dann den Moralapostel spielen
und die Kapitalisten beschimpfen: Das ist unmoralisch.
Dietmar Hexel: Ich
kann nicht für die SPD sprechen. Für die Gewerkschaften
sage ich: Wir haben sehr große Schwierigkeiten und auch langen
Widerstand organisiert, dass Hartz IV keine negativen Folgen für
Menschen hat, die z.B. lange gearbeitet haben. Wir bleiben dabei:
Es ist nicht hinnehmbar, dass Arbeiter oder Angestellte nach dreißig
oder vierzig Jahren Berufstätigkeit mit 55 arbeitslos werden
und anschließend fast alles verlieren, was sie angespart haben.
Das müssen wir ändern.
Katja Klee: Warum
distanziert sich der DGB in NRW so stark von der SPD? Mit welcher
Partei wollen Sie denn in Zukunft arbeiten???
Dietmar Hexel:
Der DGB und die Gewerkschaften arbeiten nicht mit einer bestimmten
Partei. Die Gewerkschaften arbeiten parteiübergreifend. Wir
vertreten die Interessen von 7 Millionen Mitgliedern, die in verschiedenen
Parteien organisiert sein können. Wir beurteilen Parteien nach
ihrem Programm und ihrem konkreten Handeln.
Ökonom44:
Die Marktmechanismen regeln den Markt nicht mehr. Aber auch der
Einfluss der Gewerkschaften tendiert immer weiter gegen Null (sagen
die Mitgliederzahlen). Wer kann die Diktatur der Unternehmen noch
bremsen?
Dietmar Hexel: Der
Einfluss der Gewerkschaften ist nicht nur von der Mitgliederzahl
abhängig – aber natürlich auch. Deshalb ist es wichtig,
Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, wenn man gegen den unregulierten
Kapitalismus ist. Kritisieren und schimpfen alleine hilft nicht.
Historisch und aktuell sind Gewerkschaften gerade wegen des Kapitalismus
entstanden. Sie sind organisierte Gegenmacht gegen die Macht und
Willkür der Kapitalseite. Das Problem ist, dass wir dies im
nationalen Maßstab nicht mehr ausreichend bekämpfen können.
Die internationale Arbeit der Gewerkschaften, besonders in Europa
wird deshalb wichtiger. Außer den Gewerkschaften sehe ich
keine sozial starke Gegenbewegung der die Renditenjäger bremsen
kann.
DwD:
Was halten sie von den Meinungen, dass gerade die Gewerkschaften
mit ihrer Politik Arbeitsplätze verhindern?
Dietmar Hexel:
Das halte ich für völlig falsch. Wenn die Gewerkschaften
nicht vor über zehn Jahren die 35 Stunden-Woche durchgesetzt
hätten, gäbe es noch mehr Arbeitslose. Die Konkurrenz
mit Billiglohnländern können wir uns nicht leisten. Gewerkschaften
verhindern niemals neue Arbeitsplätze. Im Gegenteil: Wir fordern
in den Aufsichtsräten regelmäßig die Investitionen
zu erhöhen, Ausbildungsplätze zu schaffen und nicht den
Gewinn zum größten Teil an die Aktionäre zu geben.
Das Geld muss in den Unternehmen, und damit bei den Arbeitsplätzen
bleiben.
miller-chr:
Der Organisationsgrad der Gewerkschaften nimmt so gut wie überall,
wie gerade bemerkt, ab. Wie wollen die Gewerkschaften ihr Vorgehen,
insbesondere Streiks, allgemein und öffentlich rechtfertigen,
wenn selbst ihre Mitglieder sich mehr und mehr davon distanzieren?
Dietmar Hexel:
Die Mitglieder distanzieren sich nicht – sonst würden sie nicht
streiken. Der Organisationsgrad in Deutschland ist je nach Branche
unterschiedlich. Er beträgt zwischen 10 und 95 Prozent. Wir
werden im Bereich der Stahlindustrie sehen, dass eine gut organisierte
Belegschaft für ihre Interessen eintritt. Das Problem sind
vor allem Kleinbetriebe, denken Sie an Frisöre, Hotelangestellte
und Fleischereien. Dort sind die Gewerkschaften zwar auch organisiert,
aber nicht immer stark genug. So wünschen wir uns realistische
Vorschläge, dies zu ändern. Manche fordern Lohnnebenkosten-Senkung
und meinen Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Tatsache ist allerdings
auch, dass die Sozialversicherungsbeiträge durch die deutsche
Einheit sehr belastet sind. Die gesamte Abgabenquote für Sozialbeiträge
ist allerdings in den letzten Jahren nicht besonders gestiegen.
Zugarbabe:
Wie wäre es denn mit Unternehmenstarifverträgen statt
Branchen?
Dietmar Hexel:
Es gibt Unternehmenstarifverträge in vielen Firmen. Der Trend
geht im Moment zu Haustarifverträgen. Das ist aber durchaus
ein Problem, weil dann der Konflikt um Lohn und Leistung nicht mehr
in der Branche ausgetragen wird, sondern in jedem Betrieb. Wir raten
dazu nicht. Wir wollen beim Flächentarifvertrag bleiben, der
sehr flexibel ist und auch Möglichkeiten für die Unternehmen
offen lässt. Nebenbei: Es gibt ungefähr 66.000 Tarifverträge
in der Bundesrepublik. Von einem Korsett für alle kann also
nicht gesprochen werden. Wichtig ist: Immer mehr Betriebe haben
keinen Tarifvertrag. Da werden dann Hungerlöhne gezahlt. Das
müssen wir ändern.
helmutkohl:
Die Gewerkschaften können, wie die Parteien, den Menschen keine
Visionen mehr vortragen. Der Einzelne wird durch die Politik dazu
gebracht, nur noch an sich zu denken. Alle jammern, besonders die
CDU. Die Gewerkschaften sind alt und verstaubt, so mein Gefühl.
Meinen sie das wird sich jemals ändern?
Dietmar Hexel: Aber
sicher! Die Gewerkschaften sind überhaupt nicht verstaubt.
Wir haben einen großen Zulauf an jungen Mitgliedern. Die zentrale
Botschaft der Gewerkschaft ist: Solidarität statt Egoismus,
Gerechtigkeit statt verschärfter Ungleichheit.
ibo:
Ich glaube, wenn man extrem links wählt werden die Arbeitgeber
mehr unter Druck geraten. Was sagen Sie dazu?
Dietmar Hexel:
Ich weiß nicht, was Sie mit "extrem links" meinen.
Die Geschichte lehrt uns, dass bisher extreme Parteien ein Problem
nicht lösen konnten. Heute sind die Zusammenhänge einer
Gesellschaft viel komplexer. Wir haben internationalen Handel und
Produktion. Wir haben eine gigantisch große Produktivität.
Zwischen 6,5 und acht Millionen Menschen in Deutschland arbeiten
nicht. Trotzdem sind wir Exportweltmeister und produzieren eine
Unmenge von Gütern. Ich sehe nicht, wie dies von einer extremen
Partei gelöst werden könnte. Komplexe Situationen erfordern
demokratische Dialoge. Einfache Antworten gibt es keine.
Moderator: Was halte Sie von der Wahlalternative
Arbeit und soziale Gerechtigkeit WASG, die jetzt in NRW antritt?
Nicht unbedingt extrem, aber neuer Mitspieler am linken Rand.
Dietmar Hexel:
Ich würde sie als Mitspieler am linken Rand bezeichnen. Sie
ist das Ergebnis eines Unbehagens, dass bestimmte Themen in den
Parteien nicht mehr vorkommen. Allerdings zeigen die Äußerungen
von Müntefering und auch von Gerald Weiss von der CDU, dass
nicht vergessen wurde, wo den kleinen Leuten der Schuh drückt.
friedeauferden:
Wird die Kapitalismuskritik den Wahlkampf in NRW noch einmal zu
Gunsten der SPD umdrehen?
Dietmar Hexel:
Ich bin kein Hellseher!
vollmerth:
Halten Sie die Einführung von Höchstarbeitszeiten (25-30
Wochenstunden) für wünschenswert? Das immer knappere Gut
‘Arbeit ‘ muss doch auch gerecht verteilt werden!
Dietmar Hexel: Ich
bin eher für einen Korridor. Arbeitszeiten von 25 bis 30 Stunden
können dazu beitragen, das Problem von Arbeitslosigkeit einerseits
und Produktivität andererseits zu lösen. Intelligentes
Management und starke Betriebsräte haben dazu mit den Gewerkschaften
bereits Vereinbarungen getroffen. Sie können das z.B. bei Rasselstein,
einem Dosenhersteller, oder bei Siemens in Erlangen, aber auch in
der chemischen Industrie besichtigen. In Zukunft werden wir alle
wieder weniger arbeiten – auf den Lebenszeitraum bezogen.
Kugler:
Macht denn nationale Gewerkschaftsarbeit noch Sinn? Wie wollen Sie
denn Jobs, vor allem im niedrig qualifizierten Bereich in Deutschland
erhalten, wenn die Spielregeln in anderen Ländern viel unternehmerfreundlicher
sind. Wenn die Gewerkschaften in Zukunft noch Einfluss haben wollen,
doch dann nur wenn sie international agieren?
Dietmar Hexel:
Einerseits stimmt das. Deswegen haben wir unsere europäischen
Aktivitäten verstärkt. Der nächste Schritt könnten
zum Beispiel europäische Tarifverträge sein. Andererseits
ist die Mehrheit der Arbeit nicht internationalisiert. Denken Sie
einmal an Krankenschwestern, Altenpfleger, Schulen, alle öffentlichen
Einrichtungen, die Warenhäuser und Fensterputzer. Also kurzum:
alle Dienstleistungen, die wir hier direkt im Lande für ein
angenehmes Leben brauchen. Sie können nicht ausgelagert werden
und es gibt auch keinen Grund für Lohndumping in diesem Bereich.
fletho:
Ich bin aus der Gewerkschaft ausgetreten, weil ich es nicht mehr
aushalte, wie die Gewerkschaften in der Mittelmäßigkeit
verharren. Arbeitslose sind den GEWs egal. Bereiche, in den Tarife
nicht mehr gezahlt werden, geben sie verloren. Junge Menschen, die
schon gar nichts anderes mehr kennen als Honorar- und Zeitverträge
erreichen sie so jedenfalls überhaupt nicht.
Dietmar Hexel:
Ich möchte Sie einladen, wieder einzutreten. Mittelmäßigkeit
wird nicht besser, wenn gute Leute austreten. Wir werden in den
Bereichen stärker, die Sie nennen: Zeitarbeiter, befristete
Arbeitsverhältnisse, Job-Hopper, Freelancer im Internet-Bereich,
freiberufliche Redakteure und andere. Aber Sie haben Recht: Das
Hauptklientel von uns ist in den Betrieben. Aber wir lernen dazu.
fletho:
Ihre – im Kern richtige – Verteidigung von Arbeitnehmerrechten trifft
meine Lebensrealität so was von überhaupt nicht, dass
sie mir wie ein Fossil aus alten Zeiten vorkommen. Ich würde
gerne an Ihre Solidaritätsappelle glauben, aber meine Generation
(30somethings) kann damit nichts anfangen; und zwar, weil wir es
nicht gerecht finden, dass Tarife gezahlt werden und daher teilweise
nicht eingestellt wird.
Moderator:
Nachfrage an Fletho: In welcher Branche arbeiten/ arbeiteten Sie?
Dietmar Hexel: Zur
ersten Frage: Vermutlich werden viele demnächst nicht in einem
Job und schon gar nicht in einer Firma arbeiten. Darauf stellen
sich Gewerkschaften ein. Wir brauchen eine neue Work-Life-Balance.
Konkret: Es muss neue Produkte der Gewerkschaften geben, die auch
für Betriebswechsler und für kurze Phasen der Arbeitslosigkeit
sinnvoll sind. Wichtiger als bisher werden auf jeden Fall Weiterbildungsangebote,
das Recht auf bezahlte Qualifikation und Tarifverträge über
Arbeitsplatzsicherheit über den Betrieb hinaus.
fletho:
Ich arbeite eigentlich in einer ganz gut gehenden Branche: Pharma.
Dietmar Hexel:
Ja prima, was ist dann Ihre Klage? Ich weiß aber: Viele Pharmareferenten
haben z.B. keine geregelten Arbeitszeiten oder fühlen sich
überlastet. Die Arbeitszufriedenheit hat möglicherweise
auch in der Pharmaindustrie abgenommen. Können Gewerkschaften
für Sie etwas tun?
Ann Arbor:
Ich arbeite in den Vereinigten Staaten. Hier werde ich nach Leistung
bezahlt, es gibt exzellente Strukturen für berufstätige
Eltern, als Arzt werde ich nicht sozialnivellierend wie eine Krankenschwester
bezahlt. Was will ich eigentlich in Deutschland, Europa stirbt aus
laut Geburtenrate. Alle halten sich mit endlosen Diskussionen und
gegenseitigen Schuldzuweisungen auf anstatt wirklich etwas zu verändern.
Ich denke: Wenn Arbeitnehmer ihre Arbeitsplätze sichern wollen,
dann muss man mal vom ‘hohen Ross’ runter in Deutschland oder der
polnische, portugiesische, spanische Arbeitnehmer freut sich.
Moderator: Jammern
wir zuviel?
Dietmar Hexel:
Allgemein wünsche ich mir mehr Optimismus in Deutschland, von
allen! Allerdings bin ich der Ansicht, dass es in den USA nicht
unbedingt besser ist als in "Old Europe". Die Spanne zwischen
Arm und Reich ist noch viel größer. Es gibt jede Menge
Suppenküchen, keine gesetzliche Krankenversicherung, kaum Schutz
im Alter. Die amerikanische Bevölkerung ist geteilter Meinung,
wie man das ändern soll. Sicher ist, Amerika ist keine Blaupause
für Europa. Sie haben auch eine andere Geschichte und Kultur.
Gramaton86:
Glauben sie nicht, dass zu viel Regulierung den Arbeitsmarkt zerstört?
Dietmar Hexel: lch
glaube, dass der Arbeitsmarkt nicht überreguliert ist. Wir
beklagen ja im Moment gerade den ungezügelten Kapitalismus.
Wenn Sie Kapitalismus zähmen wollen, brauchen Sie Regeln und
Regularien. Sonst herrscht Wildwest. Dort wo es Regelungen gibt,
die nicht sinnvoll sind, werden die Gewerkschaften einverstanden
sein, sie aufzuheben. Der Schutz der Arbeitnehmer vor Willkür
und Macht muss jedoch gewahrt bleiben.
SibylleausmWedding:
Die Neuregelung sei kontraproduktiv und schaffe mehr Bürokratie
und Rechtsunsicherheit, sagt Arbeitgeberpräsident Hundt zum
Thema Mindestlohn. Was meinen Sie?
Dietmar Hexel:
Es gibt noch gar keine Regelung. Ich glaube, dass es auch sehr einfach
zu regeln ist. Gefragt sind ja im ersten Schritt die Tarifparteien,
also wir und die Arbeitgeber. Herr Hundt muss nicht unterschreiben,
wenn er der Meinung ist, es sei bürokratisch.
Martin Weiss:
Was halten Sie von dem Vorschlag Managergehälter per Gesetz
von den Börsenkursen ihrer Unternehmen abzukoppeln?
Dietmar Hexel:
Von dem Vorschlag halte ich nichts. Für die Managergehälter
ist der Aufsichtsrat verantwortlich. Ich bin allerdings dafür,
dass Manager keine Aktienoptionen bekommen und ihre Gehälter
auch nicht nach dem Börsenkurs bemessen sind. Der Börsenkurs
sagt über den wahren Wert eines Unternehmens nichts oder nicht
viel aus. Die derzeitigen Managergehälter sind schon sehr hoch.
Sie haben mit Leistung nichts mehr zu tun. Spätestens ab einer
Million Euro pro Jahr – dafür muss eine Krankenschwester sechzig
Jahre arbeiten – ist die Vergütung nicht mehr an Leistung gekoppelt,
sondern nur noch Statussymbol. Jeder Aufsichtsrat muss nach dem
Aktiengesetz entscheiden, was er für "angemessen"
hält. Eine Nebenbemerkung: Der Begriff "Angemessenheit"
kam 1931 ins Spiel. Der damalige Reichspräsident sah sich in
Folge der Wirtschaftskrise veranlasst, die ausufernden Managergehälter
zu begrenzen.
MamboGTT:
Reden wir mal über die Chancen, die die Globalisierung mit
sich bringt. Was für Vorteile hat Deutschland durch die Globalisierung?
Und bitte: Keine pauschale Verteufelung!
Mut_zur_Lücke:
Der internationale Wettbewerb reißt das Kartenhaus des deutschen
Wohlfahrtsstaats ein. Die Angst der Deutschen vor der Veränderung
ist verständlich. Aber ist sie Ihrer Meinung nach überhaupt
begründet?
Dietmar Hexel:
Die Globalisierung bringt für Deutschland große Chancen.
Nicht umsonst sind wir Exportweltmeister. Auch die EU-Osterweiterung
hat bisher überwiegend positive Effekte bei uns in Deutschland.
Unsere Exportquote in diese Länder ist gestiegen. Das Hauptproblem
bei der Globalisierung ist der unregulierte Finanzverkehr, gegen
den auch nationale Regierungen oft wenig tun können. Zum Wohlfahrtsstaat:
Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland steigt jedes Jahr. Seit
50 Jahren fast kontinuierlich. Wieso sollten wir uns einen anständigen
Wohlfahrtsstaat nicht leisten können? Wir müssen natürlich
bedenken, dass die Wiedervereinigung eine riesige wirtschaftliche
Leistung war. Das gesellschaftlich erwirtschaftete Produkt ist nicht
gesunken! Wir leben nicht in Armut und haben auch keinen Anlass
für eine Mangelverwaltung. Problematisch ist, dass die Spaltung
in Arm und Reich, zugenommen hat. Viele Familien, vor allem Alleinerziehende
sind arm geworden. 1,5 Millionen Kinder leben von Sozialhilfe. Ein
Skandal, den wir in unserem Wohlfahrtsstaat nicht zulassen dürfen.
Wir müssen allerdings intelligente, neue Finanzierungsmöglichkeiten
schaffen – und, die es sich leisten können, müssen wieder
Steuern zahlen.
Moderator: Und
angesichts der schlechten SPD-Umfragenwerte noch ein Ratschlag für
die Sozialdemokraten:
Barschel: Wäre
es nicht in dieser Situation günstig für die SPD, Herrn
Oskar Lafontaine aus dem Hut zu zaubern? Ein Mann, der das Volk
versteht…
Dietmar Hexel:
Ich kann der SPD keine Ratschläge geben. Ich finde nur, Oskar
Lafontaine hat seine Chance gehabt. Er war Finanzminister, er hätte
in der Verantwortung bleiben sollen.
Moderator:
Das war eine Stunde Politik-Chat mit Dietmar Hexel vom DGB-Bundesvorstand.
Vielen Dank für Ihr Interesse, vielen Dank, Herr Hexel, dass
Sie zum Chatten gekommen sind. Der nächste Chat ist für
den 12. Mai geplant. Dann werden wir ab 13:00 Uhr mit Ottmar Schreiner
chatten, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Arbeitnehmer in
der SPD und Kritiker vieler Reformvorhaben der rot-grünen Koalition.
Dietmar Hexel:
Vielen Dank für die Fragen und Anregungen. Es hat mir Spaß
gemacht. Denken Sie daran: Gewerkschaften sind eine praktische Antwort
auf den ungezügelten Kapitalismus und gegen Heuschrecken!