Karl-Josef Laumann, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Union, ist am
8. Juli 2003 zu
Gast im tacheles.02 Live-Chat von tagesschau.de und politik-digital.de.
Manu:
Wie bewerten Sie die heute erschienenen Arbeitslosenzahlen?
Karl-Josef Laumann:
Ich bin der Meinung, dass die Arbeitslosenzahlen keine Entspannung für
den Arbeitsmarkt bedeuten. Die traurige Realität ist, dass heute
in Deutschland rund 300.000 Menschen mehr arbeitslos sind als vor einem
Jahr.
Heinz Müller: Herr Laumann, einige sehen in den neuen Arbeitslosenzahlen
einen konjunkturellen Aufschwung, da ein doppelt so starker Rückgang
zu verzeichnen war wie im Schnitt der letzten 10 Jahre. Stimmen Sie dem
zu?
Karl-Josef Laumann: Nein, dem stimme ich nicht zu, weil dieser
Rückgang auf ein sehr hohes Niveau – nämlich der höchsten
Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Kriegsende – bezieht.
Arbeitnehmer: Worauf führen Sie den Rückgang der Arbeitslosenquote
im Juni gegenüber Mai zurück?
Karl-Josef Laumann: Auf einen stetigen Beschäftigungsanstieg,
der rein saisonal zu begründen ist.
Rounm: Wie stehen sie zu den Reformplänen der Bundesregierung
in Sachen Steuer und Gesundheitsreform?
Karl-Josef Laumann: Bei der Gesundheitsreform versuchen wir ja
gerade notwendige erste Reformschritte gemeinsam mit der Bundesregierung
zu verabreden. Was ich höre, verlaufen diese Gespräche durchaus
erfolgversprechend. Was die Steuerreform anbelangt, bin ich sehr gespannt,
wie Schröder sie gegen finanzieren will. Eine Steuerreform auf Pump
ist gegenüber der jüngeren Generation unverantwortlich.
Wissen ist Macht: Herr Laumann, schadet eine innerparteiliche Auseinandersetzung,
wie jüngst wegen der Steuerreform geschehen, dem Image der Partei?
Karl-Josef Laumann: Natürlich hat das das Image der CDU beschädigt.
Rounm: Sehen sie den Haushaltsplan für 2004 als verfassungswidrig
an?
Karl-Josef Laumann: Der Haushaltsplan ist deshalb verfassungswidrig,
weil die Verschuldung die Höhe der Investitionen übersteigt.
Wissen ist Macht: Wie sehen Sie den Ausweg aus der Finanzmisere?
Der Großteil der Union fand den Ansatz, auf Pump zu leben, doch
gar nicht mal so schlecht, oder?!
Karl-Josef Laumann: Ich sehe den Ausweg aus der Misere zunächst
einmal in einer Reform des Arbeitsmarktes und klare Finanzierungsperspektiven
für die sozialen Sicherungssysteme. Dieses zusammen mit einer gegenfinanzierten
Steuerreform würde sicherlich Impulse für Wachstum und Beschäftigung
bringen.
Anni: Sie haben sich auch für Steuersenkungen ausgesprochen.
dies bedeutet für die Kommunen deutliche Mindereinnahmen. Glauben
Sie dass ein paar Euro mehr im eigenen Säckel besser sind als intakte
Schulen, Kindergärten, soziale Einrichtungen?
Karl-Josef Laumann: Wir brauchen dringend eine Reform der kommunalen
Finanzen. In den letzten Jahren haben Bund und Länder den Kommunen
immer mehr Aufgaben zugewiesen, ohne ihnen die dafür erforderlichen
Mittel am Gesamtsteueraufkommen des Staates zur Verfügung zu stellen.
Außerdem rächt es sich jetzt gewaltig, dass Schröder die
deutschen Großbetriebe und Banken durch die faktische Abschaffung
der Körperschaftssteuer nicht mehr an der Finanzierung des Gemeinwesens
beteiligt. Wir reden hier immerhin über 20 Mrd. Euro.
Rounm: Durch was kann man ihrer Meinung nach die Konjunktur ankurbeln,
ohne dies auf Kosten der nächsten Generation zu tun?
Karl-Josef Laumann: Reformen am Arbeitsmarkt, Stabilisierung der sozialen
Sicherungssysteme, gerade im Hinblick der demographischen Entwicklung
und einer Aufgabenkritik auf allen staatlichen Ebenen um auch zu einer
schlankeren Verwaltung unseres Landes zu kommen.
Moderator: Für viele Bürger sind die Unterschiede der
Konzepte von Regierung und Opposition im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
kaum feststellbar. Können Sie in wenigen Worten die wesentlichen
Unterschiede verdeutlichen?
Karl-Josef Laumann:
1. Die CDU ist der
Meinung, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit, wenn sie der
Beschäftigungssicherung dienen, auf betrieblicher Ebene durchgeführt
werden müssen.
Diese Abweichung vom
Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung lehnt Rot-Grün kategorisch
ab.
2. Mittelständische
Betriebe bis 20 Beschäftigte sollten für Neueinstellungen vom
Kündigungsschutzgesetz freigestellt werden.
3. Überprüfungen
aller Schwellenwerte im Betriebsverfassungsgesetz auf Einstellungshemmnisse.
4. Eine Zusammenführung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wo wir Fördern und Fordern stärker
zusammenbringen.
5. brauchen wir eine
Entkoppelung der sozialen Sicherungssysteme vom Faktor Arbeit.
6. Stopp aller Frühverrentungsmodelle,
weil sie die Beiträge zu stark belasten.
kai arbeitslos: Sie wollen den Kündigungsschutz herabsetzen.
Wie rechtfertigen Sie die massiven Eingriffe in die Arbeitnehmerrechte???
Dieses: zu 1: Nehmen Sie dabei nicht leichtfertig die Lockerung
des Kündigungsschutzes in kauf?
Karl-Josef Laumann: Ich nehme keinen Arbeitnehmer mit unseren Vorschlägen
seinen Kündigungsschutz, sondern alle unsere Vorschläge sollen
nur für Neueinstellungen gelten…
In der jetzigen Arbeitsmarktlage
halte ich alles, was zu Einstellungen führt, für sozial.
Theo: Meinen Sie nicht Herr Laumann, das Ihr Motto: "Sozial
ist, was Beschäftigung schafft" zu einseitig ist?
Karl-Josef Laumann: Nein. Das größte soziale Problem
– ich möchte fast sagen: gesellschaftspolitische Problem – in unserem
Land ist die Perspektivlosigkeit von über 4 Millionen arbeitslosen
Menschen.
Heinz Müller: Aber neu eingestellte Arbeitnehmer sollten doch
auch Kündigungsschutz erhalten, oder etwa nicht?
sozial eingestellt:
Es soll also zwei Klassen von Arbeitnehmern geben?
Karl-Josef Laumann: Zwei Klassen von Arbeitnehmern gibt es heute
schon, weil der Kündigungsschutz in Betrieben mit fünf Arbeitnehmern
noch nie gegolten hat. Wir wissen aber, dass in diesen Betrieben nicht
geheuert und gefeuert wird, sondern die Inhaber mit ihren Mitarbeitern
sehr verantwortungsbewusst – gerade weil man sich persönlich kennt
– umgehen. Und ich denke dieses Kriterium kann auch für Betriebe
mit 20 Beschäftigten gelten.
Rounm: Wie stehen sie zu Betriebstarifverträgen?
Karl-Josef Laumann: Ich bin kein großer Anhänger von
betrieblichen Tarifverträgen. Es hat sich bewährt, dass wir
in Deutschland die Tarifauseinandersetzung außerhalb der Betriebe
führen und bislang auch gelöst haben. Ich sage deshalb klar
ja zur Ordnungsfunktion des Flächentarifvertrages…
bin aber der Meinung,
dass die Betriebsvertragsparteien aus Gründen der Beschäftigungssicherung
auch abweichen können
ach Herr Laumann: Halten Sie es nicht für übertrieben,
den gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit komplett zu streichen? In anderen
Ländern funktioniert das auch!
Karl-Josef Laumann: Die CDU schlägt nicht vor, den gesetzlichen
Anspruch auf Teilzeit zu streichen, sondern wir möchten diesen Anspruch
begrenzen für Arbeitnehmer, die Erziehungspflichten für Kinder
haben oder nahe Familienangehörige pflegen.
Moderator: Noch eine Nachfrage zum Thema Tarifvertrag:
Manu: Was genau meinen Sie mit einer Ordnungsfunktion für
einen Flächentarifvertrag?
Karl-Josef Laumann: Die Ordnungsfunktion liegt darin, dass unterschiedliche
Betriebe einer Branche zumindest in größeren Regionen einheitliche
Lohnbedingungen haben.
Moderator: Noch eine Anmerkung zur Teilzeit:
wißbegierig: Aber Teilzeit schafft doch auch Arbeitsplätze,
oder?!
Karl-Josef Laumann: Teilzeit ist ein gutes Instrument, vorhandene
Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Aber ich finde nicht, dass
es hier auf ein Rechtsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber geben muss,
es sei denn, es geht um Pflege oder Kinder.
heinz Y.: Warum pochen Sie so auf die Beibehaltung des Meisterzwanges?
Karl-Josef Laumann: Weil sich der Meisterbrief insbesondere in
der handwerklichen Berufsausbildung sehr bewährt hat. Das deutsche
Handwerk bildet zur Zeit 500000 junge Menschen breit handwerklich aus,
und ich fürchte, wenn wir den Meisterzwang aufgeben, dass mittelfristig
die breite Basis handwerklicher Fähigkeiten unserer Arbeitnehmer
abnimmt.
Wenn will noch ein
Standortvorteil haben, ist es gerade dieses duale Berufsausbildungssystem.
Moderator: Apropos Ausbildung: 70.000 Jugendliche werden – das
meldet die Bundesanstalt für Arbeit heute – bei der Lehrstellensuche
in diesem Jahr leer ausgehen. Eine dramatische Zahl, oder?
Karl-Josef Laumann: Diese Zahl macht mir große Sorgen – dadurch
dass die Bundesregierung mit der weitgehenden Zerschlagung der Handwerksordnung
zu großer Unsicherheit gerade im Mittelstand beiträgt, befürchte
ich, dass die Zahl noch eher größer wird. Im Notfall bin ich
dafür, dass wir jeden Ausbildungswilligen, der keine Lehrstelle gefunden
hat, im Herbst auch ein über den Staat finanziertes überbetriebliches
Ausbildungsangebot machen müssen.
Moderator: Vor allem in Ostdeutschland sieht es für Jugendliche,
die eine Lehrstelle suchen, düster aus. Wie kann da der Staat helfen?
Kann er überhaupt helfen?
Karl-Josef Laumann: Der Staat hat gerade in Ostdeutschland schon
in der Vergangenheit erhebliche überbetriebliche Ausbildungsplätze
angeboten und in dieser Situation muss er dieses auch weiterhin tun.
Heinz Müller: Wie wollen Sie Arbeitgeber davon überzeugen,
mehr Lehrstellen zu schaffen?
Karl-Josef Laumann: Indem durch eine verlässliche Politik
gerade der Wirtschaft wieder eine verlässliche Grundlage für
ihr Handeln gegeben wird.
Wissbegierig: Herr Laumann, was würden Sie denn Ihren eigenen
Kindern raten, um sich erfolgreich um eine Lehrstelle zu bewerben?
Karl-Josef Laumann: Sich persönlich bei Ausbildungsbetrieben
vorzustellen und sich vor allen Dingen mit diesen Unternehmungen vorher
ein wenig beschäftigen. Das persönliche Gespräch und die
Tatsache, dass man sich mit seinem zukünftigen Arbeitgeber beschäftigt
hat, macht immer noch einen guten Eindruck.
Manu: Bestimmt die Politik wirklich die Wirtschaft? Ist es nicht
eher andersherum?
Karl-Josef Laumann: Die Politik kann nur dafür sorgen, dass
es Rahmenbedingungen gibt, die es der Wirtschaft ermöglichen, sich
zu entfalten.
Wissen ist Macht: Sind die Jugendlichen also selbst schuld, wenn sie
keinen Arbeitsplatz bekommen?
Karl-Josef Laumann: Zur Zeit haben wir in Deutschland objektiv
gesehen zu wenig Arbeitsplätze. Allerdings bin ich der Meinung, dass
einen jungen Menschen vorübergehend auch jede Arbeit zuzumuten ist.
Rounm: Wie stehen sie zu einer Sondersitzung des Bundestages, wie
es Angela Merkel am letzten Donnerstag dem Bundeskanzler angeboten hatte,
während der Sommerpause?
Karl-Josef Laumann: Damit habe ich kein Problem, denn der Bundeskanzler
sollte seinen vielen Ankündigungen endlich in Gesetzestexten ganz
konkret dem Bundestag vorlegen.
Moderator: Unsere Zeit ist leider um. Vielen Dank an alle User
für das Interesse. Vielen Dank Herr Laumann, dass Sie sich die Zeit
für den Chat genommen haben. Entschuldigung nochmals für die
Verspätung zu Beginn. Die Technik…
Karl-Josef Laumann:
Es hat Spaß gemacht. Beschäftigen Sie sich weiter mit Politik,
schließlich geht es um unser aller Zukunft.