Am Montag dem 19. Januar 2009 war Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei im Deutschen Bundestag, zu Gast im tagesschau-Chat in Zusammenarbeit mit politik-digital.de. Er beantwortete Fragen der User zum Wahlergebnis in Hessen, zur aktuellen Finanzkrise und zu den Aussichten zur Bundestags- oder Europawahl.

Moderator: Herzlich Willkommen zum tagesschau-Chat. Die Hessen haben sich gestern von den "hessischen Verhältnissen" verabschiedet und eine klare Wahlentscheidung getroffen: Schwarz-Gelb. Verabschiedet hat sich auch Andrea Ypsilanti. Und mit ihr das "Projekt Rot-Grün-Rot". Hier im ARD-Hauptstadtstudio begrüße ich jetzt den Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi. Schön, dass Sie ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen sind. Können wir starten?

Gregor Gysi: Selbstverständlich! Endlich los!

Urs: Herr Gysi, warum konnte die Linkspartei in Hessen kaum etwas von den enttäuschten SPD-Wählern abgreifen?

Gregor Gysi: Diejenigen, die den rechten Flügel der SPD unterstützten sind zur FDP gegangen und die, die eher den linken Teil unterstützten, waren darüber enttäuscht, dass es indirekt ja auch an uns gelegen hat, dass das Projekt nicht zustande kam und zwar deshalb weil sich ja an uns die SPD spaltete. Wir haben uns erst 2007 vereinigt, also gab es auch noch im Landesverband Reibereien. Alles nicht so einfach. Immerhin: Die meisten Gegner und auch Medien dachten wir kommen nicht rein, aber wir sind drin.

Moderator: War ja auch sehr knapp.

Gregor Gysi: Aber beim letzten Mal war es noch knapper.

B. Kant: Während die großen Volksparteien Stimmen verlieren, gewinnen vor allem die Liberalen und die Grünen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene an Stellenwert. Wie geht die Linkspartei damit um? Ist die Zeit des stetigen Bergauf für Ihre Partei vorbei?

Gregor Gysi: Die LINKE hat ja indirekt erst an einer bundesweiten Wahl teilgenommen, nämlich im Jahr 2005. Damals bekamen wir 8,7 Prozent der Stimmen. Die nächste bundesweite Wahl erleben wir am 7. Juni – Europawahl. Wir hoffen auf eine Steigerung, weil wir die einzige nicht neo-liberale Fraktion im Bundestag sind.

Petzi: Hätte die SPD in Hessen ihre Wähler nicht eigentlich an Sie verlieren müssen, wenn das linke Potential zur Zeit so groß ist?

Gregor Gysi:
Sie hat sie ganz verloren. Das heißt, an Grüne oder FDP oder Nicht-Wähler und nur zu einem geringen Anteil an uns. Ich habe das vorhin schon versucht zu erklären.

Moderator:
"Soziale Gerechtigkeit" war für die hessischen Wähler das drittwichtigste Thema – doch damit ist entgegen Ihrer Aussagen die Linkspartei nicht assoziiert – machen Sie sich nicht etwas vor, wenn Sie so tun, als hätten Sie das Thema für sich allein gebucht?


Gregor Gysi: Die Buchung ist eine andere Frage als das Erreichen der Wählerinnen und Wähler. Meine Aussage stimmt und das kann ich ihnen Gesetz für Gesetz und beim Abstimmungsverhalten der anderen Fraktionen im Bundestag nachweisen. Aber ich darf sie daran erinnern, dass die PDS in früherer Zeit unter ein Prozent der Stimmen in einem Land wie Hessen erreichte. Wir liegen jetzt über fünf Prozent und das auch in den alten Bundesländern, in denen ein politischer Ansatz links von der SPD jahrzehntelang als ausgeschlossen galt. Ich finde, wir müssen nicht über unsere Schwäche philosophieren, sondern andere sollten über unsere Stärke nachdenken.

Milan: Was könnte zur Glaubwürdigkeit der Linkspartei beitragen?

Gregor Gysi: Wir haben uns 2007 gebildet und müssen die innere Einheit noch vollenden. Das ist ein wichtiges Moment. Wir hatten uns, wie ich es 2008 sagte, zu dieser Zeit schon zusammengefunden, waren aber noch nicht vereinigt. In Hessen habe ich mich gefreut, dass ich Interesse und Leidenschaft nicht nur dort, sondern auch in Thüringen, Sachsen, etc, spürte. Wir haben zwar programmatische Grundsätze, müssen aber auch noch die eine oder andere Frage klären. Ich glaube wir sind in einer ganz guten Entwicklung. Deutschland normalisiert sich europäisch, was eine Linke betrifft. Außerdem: In Europa bröselt gerade die Linke, hier wird sie stärker.

Reisende:
Wie sehen sie die Linke im Osten zum Vergleich zur Linke im Westen? Änderungen nötig?

Gregor Gysi:
Die Linke im Osten hat dort einen anderen Stellenwert, eine andere Tradition. Sie liegt bei Umfragen und auch real zwischen 25 und 30 Prozent. Sie ist im Osten eine Volkspartei. Im Westen ist die Situation anders. Nach 1949 gab es dort nie ein relevantes Bedürfnis nach einer Partei links von der Sozialdemokratie. Relevant entstand das mit Schröder und der Entsozialdemokratisierung der SPD. Und dies wurde mit 4,9 Prozent der Stimmen im Westen 2005 deutlich. Im Augenblick sind wir dabei, auch dieses Ergebnis zu steigern. Ich bitte, dies alles nicht zu unterschätzen. So leicht wie das aussieht, ist es auch nicht das hinzubekommen.

Moderator: Warum denn nicht?

Gregor Gysi:
Nach 1945 wurden in der alten Bundesrepublik zu einem großen Teil die Eliten aus der NS-Zeit übernommen. Ihnen wurden drei Punkte erklärt, nämlich dass sie jetzt demokratisch werden müssten, sich den Antisemitismus abzuschminken hätten, aber antikommunistisch bleiben dürfen. Dass gelang auch wegen der Erfahrungen der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, wegen der DDR, wegen der SED, wegen der Mauer, undenkbar in Italien oder Frankreich. Bei der Entwicklung der PDS hatte sie es nicht nur politisch sondern auch kulturell sehr schwer im Westen Fuß zu fassen. Auch deshalb, weil die DDR für die Bundesbürger viel weiter weg war, als die BRD für die DDR-Bürger. Und was uns nun in der Zeit mit Hilfe der WASG, mit der wir uns vereinigt haben und mit Hilfe von Oskar Lafontaine und anderen gelungen ist, ist schon ganz erheblich, wenn ich mir die Zeit vorher ansehe. Ich hatte an den Westen mit mehr als ein Prozent nicht mehr geglaubt, wobei ich mich fragte, wie die Leute auf die Entsozialdemokratisierung der SPD reagieren werden. Sie kamen nicht zu uns, sondern bildeten die WASG. Aber die Vereinigung, die auf Veranlassung von Oskar Lafontaine bewerkstelligt wurde, die hat unseren Charakter verändert, sie hat uns zu einer bundespolitischen Kraft gemacht.

MM65: Wie hoch sehen Sie die Chancen für "Die Linke", bei den Landtagswahlen in Thüringen? Wird Bodo Ramelow Ministerpräsident?

Gregor Gysi: Ich denke, dass wir zumindest als zweitstärkste Partei im Thüringer Landtag bestätigt werden. Ich glaube und hoffe, auch deutlich stärker als die SPD, und dann muss sich die SPD vielleicht entscheiden, ob sie Juniorpartner bei der CDU oder bei uns werden will. Matschie von der SPD erklärt folgendes: Sollte die SPD stärker als die Linke sein, will er mit der Linken koalieren, sollte die Linke stärker als die SPD sein, will er mit der CDU koalieren. Mit anderen Worten: Der Inhalt ist ihm egal. Aber ich glaube, dass es gute Chancen gibt für Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen zu werden.

Bayer: In welchem Land wird es die nächste rot-rote Koalition geben? Was ist ihr Tipp? Saarland oder Thüringen?

Gregor Gysi: Es kann beides gleichzeitig passieren und auch etwas anderes. Ich möchte nicht gerne einen Tipp abgeben, weil ich mich ja vielleicht auch vertippe. Zumal noch Sachsen und Brandenburg hinzukommen, auch mit nicht schlechten Chancen. Ich würde mal sagen, in einem der vier Bundesländer werden wir mindestens mit regieren.

Moderator:
Die Saar-SPD schließt Rot-Rot – auch nach der Hessen-Wahl – nicht aus. Ihr Kollege Oskar Lafontaine kann also auf Regierungsbeteiligung hoffen.

Gregor Gysi:
Auch dort gibt es die Schwierigkeit, dass sich der SPD-Kandidat unterschiedlich äußert. Je nachdem, ob wir stärker oder schwächer als die SPD werden. Das ist zwar inhaltlich nicht zu erklären – aber eben SPD. Im Saarland ist es nicht unwahrscheinlich, dass es eine neue Regierungsform gibt. Aber bisher haben wir nur eine Abgeordnete im Saarland, die zu unserer Partei übergetreten ist. Wir waren dort noch nie mit einer Fraktion vertreten. Aber das macht nichts, wir packen auch alles auf einmal.

Jack: Halten Sie eine rot-rote Koalition auf Bundesebene für ausgeschlossen?

Gregor Gysi:
Im Jahre 2009 halte ich sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für ausgeschlossen. Wir liegen inhaltlich viel zu weit auseinander, sowohl beim Afghanistan-Krieg, sowohl bei der Steuergerechtigkeit, sowohl bei den Renten, bei Hartz IV, bei der Agenda 2010, die Übereinstimmungen sind viel zu gering. Deshalb erklären wir, dass die SPD auf Bundesebene zur Zeit für uns nicht koalitionsfähig ist.

Moderator: Zum Thema Regieren: Hätte die Linkspartei in Hessen stärker den Oppositionskurs fahren sollen – kann sie allgemein nur profitieren, wenn sie sich dem Regieren verweigert und auf Protest macht?

Gregor Gysi: Nein, das ist ein einfacher aber falscher Ansatz, denn in der Regierung kann man mehr verändern als in der Opposition, obwohl die Veränderung mit Opposition beginnt. Aber es ging ja um eine Tolerierung und die ist schwierig, weil man nicht in der Regierung drin ist, weil man an Koalitionsverhandlungen teilnimmt, aber die Regierung dennoch irgendwie stützt. Deshalb lautet meine These: Eine Tolerierung darf es immer nur einmal geben. Das eine Mal ist in Hessen aufgebraucht. Jetzt geht es in die Opposition und später kann es auch einmal um Regierung gehen, aber nach meiner Vorstellung nicht mehr nach Tolerierung.

Obligatorischinteressiert:
Wie genau sieht die Linkspartei ihre neue Rolle in Hessen?

Gregor Gysi:
Die Fraktion muss jetzt landes- aber auch bundespolitisch die Alternative zu den anderen Fraktionen bilden. Wie im Bundestag sind auch dort alle anderen Fraktionen für die Teilnahme der Bundeswehr am Afghanistan-Krieg, nur unsere Fraktion ist dagegen. Wir wollen Armut in der Gesellschaft überwinden. Das heißt, wir fordern Steuergerechtigkeit einerseits und einen gesetzlichen Mindestlohn, die Überwindung von Hartz IV und höhere gesetzliche Renten andererseits. All das lässt sich auch in der Landespolitik übersetzen und genau das muss die Fraktion leisten. Wenn sie diesen Kurs fährt, wird sie als einzige klar von den anderen Fraktionen zu unterscheiden sein, zumal zu erwarten ist, dass Grüne und FDP zu arrogant auftreten werden.

Rudi: Ist es der Verdienst der Linkspartei, dass alle Parteien die sozialen Themen entdecken, oder ist es nicht eher ein Produkt der Finanzkrise?

Gregor Gysi:
Beides. Als die Linke entstand, spielte im Denken der Leute die Sozialfrage eine große Rolle, aber nicht in der veröffentlichten Medienmeinung, nicht bei den anderen Parteien. Durch unsere Wahl in den Bundestag mit 8,7 Prozent entdeckten dann verstärkt auch wieder die Medien und die anderen Parteien die soziale Frage. Seit dem gab es Diskussionen in der CDU, in der SPD und auch bei den Grünen. Die Finanzkrise hat das ganze natürlich enorm verschärft und die Fragen noch deutlicher auf die Tagesordnung gerückt. Wir haben als Partei damit zu tun, sind es aber keineswegs allein, sondern vor allem ist es das Denken der Bevölkerung.

ALtpHil0wl0wg3:
Herr Dr. Gysi, v.a. seit Beginn der Finanzkrise hört man von den Politikern der "Linke" immer weniger. Sind Sie in den Medien unterrepräsentiert oder kann es tatsächlich – und das frage ich als Linker – sein, dass die einzige "große" sozialistische Partei in Deutschland auf dieses Szenario nicht vorbereitet war?

Gregor Gysi: Wir werden diesbezüglich zu wenig in den Medien dargestellt. Schon im März 2008 haben wir darauf hingewiesen, dass eine Finanzkrise kommen wird. Im Unterschied zur Bundesregierung waren wir auch nicht der Meinung, dass das eine US-Angelegenheit sei, die uns nichts anginge. Wir waren auch nicht der Meinung, dass eine Bank, die in Island pleite geht, ohne Folgen in Deutschland bleibt. Schon im Oktober 2008 schlugen wir ein Konjunkturprogramm von 50 Milliarden Euro für das Jahr 2009 vor, als die Regierung nur darüber schwafelte und nachdachte. Wir haben gesagt, dass der regulierte Finanzmarkt die entscheidende Ursache für die Finanzkrise ist und dass wir deshalb Hedgefonds und anderes verbieten müssten.Wir haben auch gesagt, dass der Schutzschirm der Bundesregierung falsch aufgestellt ist, so dass er von den Banken nicht in Anspruch genommen wird. Wenn die Banken keine Kredite vergeben, dass heißt ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht werden, müssen sie vergesellschaftet werden. Bei anderen Unternehmen sehen wir das anders. Im Unterschied zu Frau Merkel wollen wir kein Staatseigentum bei ihnen sondern Belegschaftsmiteigentum, bis zu 49 Prozent, damit in den Unternehmen ein Interessenausgleich stattfindet. Wir hatten also eine Menge Ideen, aber sie haben zu wenig davon gehört.

Moderator: Zum Thema Medienpräsenz: Heute am Tag nach der Hessen-Wahl sind sie als einzige Partei im tagesschau-Chat.

Gregor Gysi:
Das ist ein guter Beginn.

Moderator:
Sie kommen also wieder?

Gregor Gysi:
Klar.

rhannig: Guten Tag Herr Gysi. Helmut Schmidt hat in einem Kommentar geschrieben, was wir jetzt erleben ist nicht nur eine Finanzmarktkrise, es ist eine Krise des Kapitalismus. Wie sehen die Konzepte der Linken aus, wenn sich diese Krise dramatisch auf alle Bereiche der Wirtschaft ausbreiten sollte?

Gregor Gysi: Es ist eine schwerwiegende Krise des Kapitalismus. Aber ein demokratischer Sozialismus, wie ich ihn mir vorstelle, steht leider noch nicht auf der Tagesordnung. Es gibt eine Weltwirtschaft, aber keine Zuständigkeit für Weltpolitik. Die müsste nach unserer Vorstellung bei der UNO begründet werden, die dafür demokratisch zu reformieren ist. Wir dürfen uns Hedgefonds, Zweckgesellschaften, Leerverkäufe, den Verkauf von Verbriefungen (könnte ich alles versuchen kurz zu erklären) nicht bieten lassen. Wenn wir die nächste Finanzkrise verhindern wollen, die Wirtschaft wird davon betroffen sein, die Zahl der Arbeitslosen wird wieder zunehmen, dass alles ließe sich nur verhindern, wenn der Bund jetzt gigantisch investiert. Also seinerseits die Wirtschaft ankurbelt. Deshalb brauchen wir Investitionen in Bildung, in das Gesundheitswesen, in die Energiewende und in die Bahn. Wir brauchen aber auch Kaufkraftstärkung durch Anhebung des Sockelbetrages von Hartz IV, durch Steigerung der gesetzlichen Renten und durch einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Dann ließen sich die Folgen einigermaßen abwenden, aber diesen Weg werden die Regierung und die Koalition nicht gehen.

Jola102: Wie genau sollen Ihre (teuren!) Ziele finanziert werden – noch mehr Schulden in Zeiten der Wirtschaftskrise?

Klaus Retzki:
Sie fordern "Steuergerechtigkeit einerseits und einen gesetzlichen Mindestlohn, die Überwindung von Hartz IV und höhere gesetzliche Renten andererseits…". Wie wollen Sie das finanzieren? Provokant gefragt: Wem soll das, was verteilt werden soll, genommen werden?

Gregor Gysi:
Der Bundeshaushalt muss anders geführt werden als der private. Beim privaten gilt die Regelung: Habe ich mehr Geld, kann ich mehr ausgeben – habe ich weniger, nur weniger. Beim Bundeshaushalt muss die Regel umgekehrt sein. Hat dieser hohe Einnahmen, soll er Schulden abbauen. Hat er geringe Einnahmen, muss er Schulden aufnehmen, nämlich um die Wirtschaft anzukurbeln. Kinder und Jugendliche ohne Zukunft haben wir dann, wenn wir ihnen keine ausreichende Bildung und Ausbildung zukommen lassen. Im Verhältnis der 15 alten EU-Mitgliedsländer liegen wir hinsichtlich unserer Steuern- und Abgabenquote fünf Prozent unter dem Durchschnitt. Hätten wir nur diese fünf Prozent mehr Einnahmen, ließen sich all unsere Vorschläge finanzieren.Woran denken wir dabei? Wir wollen ebenfalls einen höheren Grundfreibetrag bei der Einkommenssteuer. Wir wollen für die durchschnittlichen Verdienenden den Steuerbauch beseitigen. Das geht nur, wenn wir den Spitzeneinkommenssteuersatz auf 50 Prozent erhöhen, den man für all das bezahlen muss, was man mehr als 80.000 Euro verdient.

matze79: Wie sieht es mit Verstaatlichungen aus?

Gregor Gysi: Wir schlagen eine Vergesellschaftung der Banken vor, daraus könnte genossenschaftliches oder Belegschaftseigentum werden, ebenso ist an ein Kommunal-, Landes-, oder Bundeseigentum zu denken. Im Übrigen sind wir gegen Verstaatlichungen und nur bei größeren Unternehmen (ab ca. 500 Beschäftigte) für die schrittweise Begründung von Belegschaftsmiteigentum bis höchstens 49 Prozent.

Noch ein Nachtrag zu der vorherigen Frage: Hinzu kommen die notwendige Vermögenssteuer, eine Börsenumsatzsteuer (bei nur ein Prozent bedeutete dies jährlich eine Mehreinnahme von 70 Milliarden Euro) und eine Millionärsabgabe.

Michi: Werden durch solche Steuersätze die Leistungsträger nicht demotiviert?

Gregor Gysi: Erstens ist das auch nur eine Theorie, dass die die besonders viel verdienen auch besonders viel leisten. Wieso hat Ackermann soviel geleistet, wenn seine Bank im letzten Quartal ein Minus von über vier Milliarden Euro einfährt?

Moderator: Und jetzt mal ernsthaft.

Gregor Gysi:
Im übrigen wissen auch die wirklichen Leistungsträger, dass sie nicht gut leben, wenn sie von Armut umgeben sind. Es gibt ja auch genügend linke Leistungsträger die gerechte Steuern fordern. Was ist denn so schlimm daran, wenn ich von dem, was ich mehr als 80.000 Euro verdiene, die Hälfte behalten kann und die Hälfte für das Allgemeinwohl abzugeben habe? In Schweden gibt es zum Beispiel eine Vermögenssteuer, in Deutschland nicht.Wie viel vermögende Schweden kennen Sie, die deshalb nach Deutschland gezogen sind? Ich kenne keinen.

Joes: Wie wollen sie erreichen, dass die zukünftige Generation (wozu auch ich gehöre) nicht unter der Schuldenlast die SIE erzeugen leiden muss?

Gregor Gysi:
Zur Zeit erzeugen wir ja noch keine Schuldenlast, sondern eher die Bankiers. Wegen der Pleiten-Banken müssen Milliarden zur Verfügung gestellt werden, nicht wegen der Linken.

Moderator: Aber Sie sind auch immer für höhere Staatsverschuldung.

Gregor Gysi
: Aber es gibt den Grundsatz, dass wir dann Schulden abbauen müssen, wenn wir wegen einer funktionierenden Wirtschaft gute Einnahmen haben. Wenn die Wirtschaft aber nicht floriert, muss aber investiert werden. Wir sind keineswegs immer für höhere Schulden, sondern machen das abhängig von der wirtschaftlichen Situation. Gestiegene Sozialleistungen und höhere Einkommen dienen übrigens der Binnenwirtschaft.

Moderator: Kommen wir zu letzten Frage:

B. Kant: Eine große Anzahl an Bundesländern werden nun von Schwarz-Gelb regiert. Sehen Sie das als ein erstes Anzeichen für eine kommende schwarz-gelbe Bundesregierung nach den demnächst anstehenden Bundestagswahlen? Welche Rolle wird die LINKE hierbei spielen? Und wie sieht die Zusammenarbeit mit der SPD in der Opposition dann aus?

Gregor Gysi:
Ich kann ein schwarz-gelbes Bündnis für die Bundesebene nach der Bundestagswahl nicht ausschließen. Aber die Tendenz in den Ländern hatte immer zwei Folgen in der Bundesrepublik. Zunächst setzte sich eine solche Tendenz auch auf der Bundesebene durch, um sofort anschließend zu kippen und wiederum schrittweise zu einer anderen Tendenz in den Ländern zu führen. Schwarz-gelb könnte also kurz vor dem Höhepunkt stehen. Aber es gibt ja auch ein danach. Was die SPD und uns betrifft, ist es ziemlich einfach: Wenn die SPD wieder in der Opposition ist, wird sie auch wieder sozialdemokratischer, nähert sich uns also an. Aber wenn sie dann wieder in der Regierung ist: Auweia, auweia. Dann bräuchte sie schon so was wie uns, die sie daran hindert wieder nach Rechts zu gehen.

Moderator: Das war der tagesschau-Live-Chat am Tag nach der Hessen-Wahl. Vielen Dank, liebe User, für Ihre Fragen. Leider konnten nicht alle stellen. Das Chatprotokoll finden Sie in Kürze auf tagesschau.de und politik-digital.de. Herzlichen Dank, Herr Gysi, für Ihre Zeit. Das Team von tagesschau.de wünscht allen noch einen schönen Tag.

Gregor Gysi: Liebe Nutzerinnen und Nutzer, ich bin zu einer Zeit aufgewachsen als es noch nicht einmal den Begriff "Computer" gab, geschweige denn man lernte damit umzugehen. Sie sollen wissen, dass ich das Internet insofern für eine Bereicherung halte, als es Herrschaftswissen Schritt für Schritt ausschließt. Diktaturen funktionieren aber nur, wenn sie Herrschaftswissen horten können. Ich kenne alle Probleme beim Internet, sehe aber vor allem diesen großen Vorteil. Ich bin mal gefragt worden, wie ich das Internet nutze. Na sagen wir mal, etwas zu mäßig. Aber immerhin auch für meine Bankerledigungen. Aber ich weiß auch welcher Fortschritt darin steckt. Alles Gute.