Am Donnerstag, 20. Januar, war Bundesjustizministerin Brigitte Zypries
von 12.30 bis 13.30 Uhr zu Gast im BMJ-Live-Chat. Sie beantwortete
Fragen zur ‘Patientenverfügung’, mit deren Eckpunkten sich
das Kabinett im März 2005 beschäftigen will.
Moderator: Herzlich willkommen
im Chat des Bundesministeriums für Justiz bei politik-digital.de!
Unser heutiger Gast ist Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
In den nächsten 60 Minuten werden wir uns in diesem Live-Chat
aus Berlin mit dem Thema "Patientenverfügung" auseinandersetzen
und hoffen auf interessante Fragen von Ihnen, liebe Chatter und
Chatterinnen. Die Fragen werden von unseren Moderatoren jetzt entgegengenommen.
Im November letzten Jahres legte Bundesjustizministerin Zypries
Eckpunkte für einen Gesetzentwurf für eine zukünftige
Regelung der Patientenverfügungen vor. Im März will sich
das Kabinett mit den Eckpunkten beschäftigen, im Juni soll
ein Entwurf voraussichtlich in den Bundestag eingebracht werden.
In Kraft treten könnte das Gesetz dann zum 1.1.2006. Das Gesetz
soll rechtlich verbindliche Grundlagen schaffen, wie mit dem Willen
von Menschen im Krankheitsfall umgegangen wird, wenn dieser Mensch
nicht mehr entscheidungsfähig ist. In einer Patientenverfügung
kann ein Patient, der
zum Beipiel ins Koma fällt, genaue Anweisungen hinterlassen,
inwieweit lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt werden
sollen. Damit soll das Gesetz den Bereich der Sterbebegleitung und
so genannten "passiven Sterbehilfe" regeln. "Eine
aktive Sterbehilfe wird es nicht geben", stellte Ministerin
Zypries bereits klar. Über die Möglichkeiten und Grenzen
von Patientenverfügungen werden wir uns nun unterhalten. Sind
Sie bereit, Frau Ministerin?
Brigitte Zypries: Ja.
Moderator: Die Regelungen zu Patientenverfügungen
sind in vielen Ländern unterschiedlich. Gibt es ein Vorbild
für das Gesetz in Deutschland? Wie sind die Erfahrungen dort?
Brigitte Zypries: Es gibt ganz unterschiedliche
Regelungen in den Ländern, da haben Sie recht. Auch in Deutschland
gibt es derzeit keine Regelung zur Patientenverfügung, es sind
aber über 100 verschiedene Muster im Umlauf. Unser Vorschlag
basiert auf den Arbeiten einer Arbeitsgruppe. Dort waren u.a. die
Kirchen, Ärzte, Vertreter der Hospizbewegung, Medizinethiker
und Juristen vertreten.
Vaterschaftstester: Warum ist eine Neuregelung
der Patientenverfügung eigentlich nötig geworden?
Brigitte Zypries: Es gibt keine Neuregelung
der Patientenverfügung, sondern es wird eine erstmalige Regelung
geben. Diese ist nötig geworden, weil nach Schätzungen
der deutschen Hospizstifung ca. 7 Millionen Patientenverfügungen
erstellt worden sind
und die Menschen mehr Rechtssicherheit einfordern.
RosiRosi2: Steht der Gedanke einer Patientenverfügung
nicht dem hippokratischen Eid der Ärzte entgegen? Kann man
von einem Arzt wirklich verlangen, lebenserhaltene Maßnahmen
zu beenden?
Brigitte Zypries: Nein, denn Ärzte
dürfen auch heute nur dann behandeln, wenn der Patient in die
Behandlung eingewilligt hat.
Petra P.: In den Niederlanden sehen Experten
eine aktive Sterbehilfe durch Ärzte nicht nur bei schweren
körperlichen Krankheiten wie Krebs, sondern auch bei schweren
psychischen Störungen als zulässig an. Wie beurteilen
Sie diese Entwicklung?
Brigitte Zypries: Ich halte das nicht
für richtig. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten
und wird auch verboten bleiben.
BackChecker: Was ist eigentlich auszusetzen
an einer "aktiven Sterbehilfe "? In Umfragen wird dies
von vielen Bürgern gefordert.
Brigitte Zypries: Aktive Sterbehilfe
bedeutet, dass ein Anderer durch die Gabe von Mitteln den Tod eines
Menschen herbeiführt. Was viele Bürger fordern, ist nicht
dies, sondern vielmehr ein schmerzfreies Sterben und keine Behandlung
gegen ihren Willen.
Moderator: Eine Frage des Nutzers Horst
See: Wo beginnt hier zu Lande verbotene "aktive Sterbehilfe",
die als "Tötung auf Verlangen" unter Strafe steht?
Brigitte Zypries: Wenn jemand aktiv Mittel
gibt, nicht um die Schmerzen zu lindern, sondern um den Tod herbei
zu führen.
Horst See.: Ärzte befürchten,
es werde künftig Kranke geben, die sogar von Ärzten oder
Angehörigen überredet werden, ihren Tod zu verlangen.
Die bloße Möglichkeit der Tötung auf Verlangen könne
Druck auf Kranke erzeugen, dies auch zu fordern. Wer trotz seiner
Krankheit weiterleben will, muss dies plötzlich besonders begründen.
Wie realistisch sind die Befürchtungen?
Brigitte Zypries: Eine Tötung auf
Verlangen wird es nicht geben. Das ist aktive Sterbehilfe und die
ist und bleibt verboten. Bei Patientenverfügungen geht es lediglich
darum, dass der Behandlungswille des Patienten auch dann berücksichtigt
wird, wenn sich der Patient nicht mehr äußern kann.
Angela: Wie beurteilen Sie einen Therapieabbruch
vor der Sterbephase, wenn er der in einer Patientenverfügung
oder im Gespräch mit dem Arzt bekundeten Willen des Kranken
entspricht?
Brigitte Zypries: Wenn der Patient keine
Therapie möchte, muss der Arzt dem Willen entsprechen. Denn
jede Behandlung ohne die Einwilligung des Patienten kann als Körperverletzung
strafbar sein.
BackChecker: Für wie verbindlich
halten Sie die rechtliche Umsetzung einer neuen Patientenverfügung?
Brigitte Zypries: In der Patientenverfügung
muss der Wille des Patienten zur Überzeugung des Arztes niedergelegt
sein. D.h. je konkreter auf die jeweilige Situation bezogen, desto
verbindlicher. Und die Patientenverfügung sollte nicht so alt
sein.
Wir empfehlen, sie alle zwei Jahre zu bestätigen.
Moderator: Noch mal zwei Nachfragen zur
Unterscheidung "aktive" und "passive" Sterbehilfe:
Golo Mann: Eine PV die "töten
auf verlangen " fordert, ist die illegal?
Brigitte Zypries: Einer solchen Patientenverfügung
darf niemand nachkommen – weil Tötung auf Verlangen strafbar
ist.
W. Pfennig: Wird mit der PV nicht ein
Stein ins rollen gebracht, der schließlich erst bei der aktiven
Sterbehilfe zum liegen kommt?
Brigitte Zypries: Nein. Gerade um weiteren
Forderungen nach aktiver Sterbehilfe entgegen zu treten, ist es
wichtig, dass sich Patienten darauf verlassen können, dass
ihr Wille auch dann befolgt wird, wenn sie sich selber nicht mehr
äußern können.
Moderator: Nun einige Fragen, die sich
auf die konkrete Handhabung mit Patientenverfügungen beziehen:
Albert aus Tübingen: Wo ist die
Vollmacht am Besten aufgehoben? Zu Hause beim Hausarzt oder bei
einer Organisation?
Moderator: Ich gehe davon aus, dass die
Patientenverfügung mit "Vollmacht" gemeint ist.
Brigitte Zypries: Wo Sie sie aufheben
ist im Grunde egal. Wichtig ist, dass ihr Hausarzt, ihre Angehörigen
oder Freunde darüber informiert sind.
Albert aus Tuebingen: Welche Hilfsorganisationen
bieten die Möglichkeit der Archivierung von Verfügungen
an?
Brigitte Zypries: Das tun z.B. der Humanistische
Verband Deutschlands und die Deutsche Hospiz Stiftung.
Cantaloupe: Muss eine Patientenverfügung
notariell beglaubigt sein?
Brigitte Zypries: Nein.
Gregor: Wie kann jemand eine Vorsorgevollmacht
ausstellen, wenn er nicht im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte
ist?
Brigitte Zypries: Zur Erteilung einer
Vorsorgevollmacht (das ist was anderes als eine Patientenverfügung)
muss man geschäftsfähig sein. Eine Broschüre zur
Vorsorgevollmacht und zur Patientenverfügung können Sie
unter www.bmj.bund.de anfordern.
Albert aus Tuebingen: Ist es sinnvoll,
die Vorsorge-Vollmacht mit einer Betreuungsverfügung zu verbinden?
Brigitte Zypries: Ja, es kann sinnvoll
sein, beides zu verbinden. In unserer Broschüre "Betreuungsrecht"
finden Sie dazu viele Hinweise.
Moderator: Nachfrage zur Situation bei
Menschen, die nicht im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte
sind:
Qgeist: Das heißt, geistig Behinderte
haben kein Recht, eine Patientenverfügung zu schreiben?
Brigitte Zypries: Nicht jede geistige
Behinderung führt zur Einwillungsunfähigkeit. Das heißt,
es kommt auf den Einzelfall an. In solchen Fällen sollte man
sich am besten ausführlich mit Vertretern von Behindertenvereinen
oder einem Arzt Ihres Vertrauens beraten.
butterblume: Frau Zypries, wenn man die
Patientenverfügung nicht notariell beglaubigen lassen muss,
woher weiß man dann, dass sie echt ist?
Brigitte Zypries: Zunächst einmal
schaut man auf die Schrift. Bei Problemen oder Zweifelsfragen muss
ein Gericht entscheiden. Es bietet sich an, die Patientenverfügung
von einem Zeugen unterschreiben zu lassen oder vom Hausarzt.
Moderator: Es gab ja auch Kritik an der
Idee, diese Patientenverfügung auch mündlich erteilen
zu können. Wieso kann man dies dennoch aus Ihrer Sicht gefahrlos
machen?
Brigitte Zypries: Patientenverfügungen
müssen meines Erachtens in jedem Stadium der Erkrankung erteilt
werden können. Auch wenn man nicht mehr schreiben kann oder
wenn keine Zeit ist.
Tolpus: Wird es eine Rechtsberatung seitens
BMJ geben?
Brigitte Zypries: Das BMJ darf kein Rechtsberatung
machen. Wir informieren über die genannten Broschüren.
Rechtsrat erhalten Sie bei Anwälten, Notaren oder anderen dazu
befugten Stellen. Viele Verbände bieten ebenfalls Informationsmaterial
an.
Moderator: Hier der genaue Link zur Broschüre:
http://www.bmj.bund.de/media/archive/694.pdf
LuLu: Eine Gerichtsentscheidung kann
aber mitunter Jahre dauern. Ist das nicht unzumutbar für Betroffene?
Sollte man nicht lieber den Notar gesetzlich als Zeugen festschreiben?
Brigitte Zypries: In diesen Fällen
geht eine Gerichtsentscheidung schnell. Wenn Sie sicher gehen wollen,
lassen Sie einen Zeugen unterschreiben.
Golo Mann: Erklären Sie doch bitte
den Unterschied zwischen einer Patientenverfügung und einer
Vorsorgevollmacht. Ich bin verwirrt.
Else Arnold: Was ist der Unterschied
zwischen Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung?
Brigitte Zypries: Mit einer Patientenverfügung
(PV) bestimmt
der Unterschreibende, welche medizinische Behandlung er in dem Fall
haben will, in dem er nicht mehr äußerungsfähig
ist. Mit einer Vorsorgevollmacht erteilt man einer Vertrauensperson
Vollmacht in vermögensrechtlichen und persönlichen Angelegenheiten.
Diese Person entscheidet dann für mich, wenn ich selbst dazu
nicht mehr in der Lage bin. Mit einer Betreuungsverfügung gibt
man dem Gericht eine Empfehlung, wer als Betreuer bestellt werden
sollte. Das ist nur dann erforderlich, wenn man keine Vorsorgevollmacht
erteilt hat.
Senior Rossi: Darf ein Lebenspartner,
wie zum Beispiel der Ehemann, für seine Frau entscheiden, wenn
diese nicht mehr in der Lage ist, sich zu äußern?
Brigitte Zypries: Nur wenn es eine Vollmacht
gibt.
Moderator: Noch eine Nachfrage zur Angst,
dass die Patientenverfügung "nicht sicher" sei.
h.Domin: Wie fälschungssicher ist
das Ganze? Kann mit Patientenverfügungen nicht massiv Schindluder
getrieben werden?
Brigitte Zypries: Nein, davon gehen wir
nicht aus. Aber besser ist es, Vorsorge zu treffen, z.B. durch Zeugen
oder einen Notar.
Gregor: Wenn ein Amtsgericht einen gesetzlichen
Betreuer ernennt, wie kann man Einfluss auf die Wahl des gesetzlichen
Betreuers nehmen.
Brigitte Zypries: Durch eine Betreuungsverfügung.
Klassenbester: Es gibt auch Berichte,
aus dem Ausland, die nachdenklich stimmen. So ein Fall aus England,
Oktober 2004: Ärzte setzten dort gerichtlich das Ende von lebenserhaltenden
Maßnahmen bei zwei schwerkranken Säuglingen durch, und
zwar gegen den Willen der Eltern. Darf das Ihrer Meinung nach sein?
Brigitte Zypries: Der Fall hat nichts
mit einer Patientenverfügung zu tun.
User number one: Haben Sie von diesem
Fall gehört? Eine Familie hat aus religiösen Gründen
einer lebensnotwendige Bluttransfusion für ihr Kind nicht zugestimmt.
Die Eltern hatten als Vormund offenbar dieses Recht. Wie soll man
mit einem solchen Fall umgehen? Ändert eine Neuregelung der
Patientenverfügung etwas an einem solchen Problem oder ist
das schlicht eine Frage des Vormundschaftsrechtes?
Brigitte Zypries: Diese Verfügung
über die Kinder überschreitet nach deutschen Recht die
Grenzen des Sorgerechts. Gerichtlich kann das Sorgerecht entzogen
werden – für die Entscheidung über die Behandlung.
Moderator: Die Medizin ermöglicht
eine Lebenserhaltung bei immer schlimmeren Krankheitsbildern. Hierzu
folgende Frage:
Anna Gram: Wie kann man den technischen
Fortschritt in seiner PV berücksichtigen?
Brigitte Zypries: Indem man notiert,
welche Behandlung man wünscht und welche nicht.
Und man sollte die Patientenverfügung mindestens alle zwei
Jahre erneuern.
Moderator: Benötigt der Patient
dabei dann nicht genaue Kenntnisse des technisch Machbaren?
Brigitte Zypries: Je besser man informiert
ist, desto genauer kann man festlegen, was man an Behandlung wünscht
und was nicht.
DuDu: Sie lehnen aktive Sterbehilfe mit
dem Hinweis auf die Menschenwürde ab. Ist aber nicht die Menschenwürde
das einzig wirkliche Argument für aktive Sterbehilfe?
Brigitte Zypries: Die Menschenwürde
gebietet den Menschen einen schmerzlosen Tod zu gewähren und
nicht das Leben absichtlich zu verkürzen. Wichtig ist, dass
wir in Deutschland die Hospize weiter ausbauen und die Schmerzmedizin
verbessern.
Moderator: Der Chef des Marburger Bundes
forderte dafür mehr Geld. Was sagen Sie dazu?
Brigitte Zypries: Die Kassen zahlen das
(zumindest teilweise) und über darüber hinaus gehende
Forderungen muss man mit meiner Kollegin Ulla Schmidt reden.
Moderator: Zum Gesundheitswesen eine
Frage:
Horst See.: Welche Auswirkungen hat die
Patientenverfügung auf die Krankenkassen?
Brigitte Zypries: Keine.
suse: Wie lange wird es noch dauern,
bis die Regelung zur Patientenverfügung verabschiedet wird?
Brigitte Zypries: Ich hoffe in der zweiten
Hälfte dieses Jahres.
BackChecker: Soweit ich weiß, gibt
es doch schon eine Patientenverfügung. Meine Eltern haben diese
notariell beurkunden lassen und auch angewendet. Was soll die Diskussion
überhaupt?
Brigitte Zypries: Es geht um die stärkere
juristische Verbindlichkeit von Patientenverfügungen. Schön,
dass es bei Ihren Eltern keine Probleme gab. Viele Menschen haben
da andere Erfahrungen gemacht.
Moderator: Wir kommen bereits zur letzten
Frage, zweimal die gleiche:
dubi_OS: Frau Zypries, haben Sie persönlich
eine Patientenverfügung?
Andrea Doria: Vielleicht etwas privat,
haben sie eigentlich vorgesorgt? Also eine PV?
Brigitte Zypries: Ich setze mich gerade
damit auseinander, aber es sind in der Tat schwere Fragen zu beantworten.
Moderator: Liebe Chatter und Chatterinnen,
sehr geehrte Frau Ministerin! Unsere Zeit ist schon wieder abgelaufen.
Für Ihre Teilnahme an diesem Chat des Bundesministeriums für
Justiz möchten wir uns herzlich bedanken. Leider konnten nicht
alle Fragen beantwortet werden, es waren schlicht zu viele. Der
Chat wird auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Justiz
(http://www.bmj.bund.de/) sowie auf der Seite von politik-digital.de
(http://www.politik-digital.de) dokumentiert. Wir wünschen
allen Beteiligten einen guten Tag und hoffen, mit diesem Chat weitere
Aufklärungsarbeit zum Thema "Patientenverfügung"
geleistet zu haben.