Am Freitag, 07. November 2008, war David Crawford, Deutschland-Korrespondent des "Wall Street Journal", zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Der gebürtige US-Amerikaner sprach mit den Chat-Gästen über die Wahl Barack Obamas zum zukünftigen Präsidenten der USA, die Potentiale einer neuen Regierung, sowie die möglichen Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen.
Moderator:
Herzlich willkommen im tagesschau-Chat. In dieser Woche haben die
Wähler in den USA Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal wird ein
Afro-Amerikaner ins Weiße Haus einziehen – im Januar löst
Hoffnungsträger Barack Obama den unbeliebten George W. Bush ab. Hier
im ARD-Hauptstadtstudio begrüße ich jetzt David Crawford, er ist
Deutschland-Korrespondent des Wall Street Journal. Vielen Dank, Herr
Crawford, dass sie zum tagesschau-Chat gekommen sind. Sind Sie bereit
für die erste Frage?
David Crawford: Ja.
Redo: Wie haben Sie die Wahlnacht erlebt?
David Crawford: Auf zwei Wahlparties – erst bei
Bekannten von mir (eine Journalistin die ich hier in Berlin kenne) –
und dann bin ich so gegen 1 Uhr früh zu der Veranstaltung,
organisiert durch die US-Botschaft. Und da war ich bis kurz vor 3
Uhr, bin dann nach Hause und habe dann von zu Hause aus beobachtet,
bis ich wusste, wie die Wahl ausgegangen ist und versuchte ein paar
Stunden Schlaf zu bekommen, weil Mittwoch auch ein Arbeitstag war.
Moderator: Sie haben hoffentlich die Wahlsendung
der ARD geguckt?
David Crawford: Zum Teil. Man schaltet von Sender
zu Sender. Ich finde es gibt ein bisschen zu viel Talk und zu wenig
Information über die genaue Situation, Auszählungssituation etc.
bei den deutschen Sendern. Aber auf der anderen Seite muss man die
Pausen überbrücken. Als Amerika-Kenner hätte ich eine andere
Auswahl von Gästen gehabt. Es gibt eine Handvoll Leute, die immer
wieder vorkommen. Man hätte andere Personen suchen können.
Moderator: Der Wille der Deutschen ist nun auch
umgesetzt. Laut Umfragen hätten rund 80 Prozent Barack Obama ihre
Stimme gegeben, wenn sie denn gedurft hätten. Wie wirkt die Obamania
auf Sie?
David Crawford: Ich finde die Obamamanie ist
wichtig, weil es Obama nicht nur ein Mandat in den USA durch seine
Wahl gibt. Sondern es bedeutet, dass seine Unterstützer auch im
Ausland von ihren eigenen Regierungen berücksichtigt werden. Obama
hat auch Unterstützer in Deutschland und das hat auch einen Einfluss
auf die Politik hier in Deutschland. Eine Bundespolitik muss das dann
auch berücksichtigen – auch wenn sie in ihrer eigenen Politik
natürlich eigene Interessen verfolgen.
Lemann: Obama hat ja bereits stärkeres
Engagement der Nato in Afghanistan eingefordert – was wird das
konkret für Deutschland bedeuten? Mehr Truppen? Mehr Kampfeinsätze?
David Crawford: Solche Entscheidungen werden
grundsätzlich in Deutschland getroffen. Welche Politik Obama in
Afghanistan bringen wird, das wissen wir noch nicht. Er hat auch noch
keinen Zugang zu allen Informationen über Afghanistan und er wird
erst einmal entscheiden müssen, wo es hingeht. Er hat erst einmal
gesagt, dass er glaubt, dass Afghanistan wichtiger wäre für die
amerikanischen Interessen als Irak zum Beispiel. Er könnte sich auch
vorstellen, Truppen aus dem Irak abzuziehen und in Afghanistan
einzusetzen. Aber ob er von Deutschland Truppen im Süden von
Afghanistan verlangt oder ob er amerikanische Truppen im Irak behält
oder, oder, oder… Das sind alles Fragen, die Obama selbst derzeit
noch nicht beantworten kann. Bisher hat er nicht alle Informationen
gehabt. Die amerikanische Regierung hat bisher viele Entscheidungen
anhand von Geheiminformationen getroffen. Wenn er die tatsächliche
Lage sieht, vielleicht entscheidet er dann ganz anders.
Moderator: Aus Russland kam ein
Glückwunsch-Telegramm der besonderen Art, dazu auch eine der am
häufigsten gestellten Fragen aus dem Chatroom: Wie wird sich Obama
hinsichtlich der Georgienkrise und den geplanten
Raketenschildsystemen in der Nähe Russlands verhalten?
David Crawford: Erstmal wird er nicht direkt auf
die Rede von dem russischen Präsidenten reagieren. Er ist noch nicht
der amtierende amerikanische Präsident. Er hat aber gesagt, dass er
sich vorstellen kann, mit allen Leuten zu reden. Auch mit Personen,
wo es Meinungsverschiedenheiten gibt. Möglicherweise wird er
versuchen, eine eigene Beziehung zu dem russischen Präsidenten
aufzubauen. Aber die eine Rede des russischen Präsidenten wird nicht
die amerikanische Politik ändern. Wir müssen über die Zeit sehen,
wie es sich weiter entwickelt. Im Übrigen kann man sagen, dass Obama
nach Aussage des gewählten Vize-Präsidenten Joe Biden
möglicherweise von seinen ausländischen politischen Konkurrenten in
den ersten Monaten seiner Amtszeit geprüft wird. Es kann sein, dass
wir die ersten Vorzeichen zu einer Prüfung jetzt schon gesehen
haben.
obi: Wird die Obamamanie nicht nach hinten los
gehen, wenn die Leute merken, dass die ersten Probleme nicht so
einfach lösbar sind und Obama nicht der Messias ist, als der er
manchmal dargestellt wird?
David Crawford: Sicherlich. Bisher hatte die
Obamamania davon gelebt, dass seine Politik noch nicht definiert ist.
Er ist jetzt neu und viele können ihre eigenen Träume in seine
zukünftige Politik versetzen. Natürlich muss er diese jetzt selber
über eine Vielzahl von Feldern seiner Politik festlegen. Und da gibt
es unterschiedliche Meinungen und es wird auch Enttäuschungen geben.
Wir wissen z.B. noch nicht im Detail, wie er zu Umweltfragen steht,
wie er in der Militärpolitik und in anderen Feldern direkt
entscheiden wird. Es wird emotional belegte Fragen geben und er wird
die einen glücklich machen und die anderen enttäuschen. Das wird
sehr interessant zu sehen, wie lange diese Mania anhält. Das ist
sehr teuflisch. In den hundert Tagen – das entspricht etwa 3 Monaten
– wo es politische Flitterwochen gibt – vielleicht dauert es bei ihm
länger, vielleicht weniger, das wissen wir noch nicht.
Moderator: Dazu auch die nächste Frage:
gast0782: Fürchten Sie, dass unter Umständen
durch den Hype um Barack Obama seine Fähigkeiten und vor allem
Möglichkeiten zur Bewältigung der vielen Probleme in den USA
überschätzt werden?
David Crawford: Überschätzung könnte kommen
von Leuten, die weniger Verständnis dafür haben, wie eine
amerikanische Politik zusammengesetzt wird und welchen Zwängen ein
amerikanischer Präsident unterliegt. Die Entscheidungsträger einer
Bundesregierung z.B. haben seit Jahrzehnten mit amerikanischen
Präsidenten zu tun und sie kennen diese Zwänge. Und sie wissen, was
ein amerikanischer Präsident entscheiden kann und was nicht. Andere
Kenner, die beruflich mit internationaler Politik zu tun haben,
werden nicht sehr überrascht. Aber viele seiner Anhänger werden
erst einmal möglicherweise erkennen müssen, dass ein amerikanischer
Präsident nicht einfach reinkommen und alles ändern kann. Amerika
ist ein sehr sehr großes Schiff – wenn man diese Metapher benutzt –
und kann nur sehr langsam gelenkt werden.
Ihr Benutzername: Barack Obama hat nicht nur in
den USA, sondern weltweit viele Hoffnungen geweckt. Inwiefern glauben
Sie, dass der Faktor Hoffnung sich als ein Zugpferd für einen
tatsächlichen "change" erweisen könnte?
David Crawford: Ich denke, dass Barack Obama sehr
viel ändern wird. Alleine wenn man betrachtet, wie viel sein
Vorgänger George W. Bush geändert hat, dann wissen wir, dass es
möglich ist, viel zu ändern. Wenn er in seiner Politik auf
traditionelle Aktivitäten zurück lenkt, wie bisherige Präsidenten
vor George W. Bush, wird dann dieses international sehr gern gesehen
. Er hat gesagt, dass er z.B. die Gefängnisse auf Guantanamo
schließen will. Er hatte auch viele Entscheidungen von Präsident
Bush kritisiert und gesagt, dass er Änderungen machen wird, dass er
auch international mehr mit seinen internationalen Partnern
konsultieren wird. Ich denke, in dieser Richtung kann er etwas
bewirken. Das sind auch Änderungen von Bedeutung. Man hat gesehen:
In wenigen Monaten nach dem 11. September, als eine ganze Welt
praktisch Seite an Seite mit den USA gestanden hat, hat die
US-Regierung sich in eine Quasi-Isolation, die Koalition der
Willigen, bewegt. Ich denke, dass ein Präsident Obama für Amerika
eine viel viel größere Koalition sucht. Das müssen wir abwarten.
Arno Nym: Ist nicht bei Obama die Gefahr gegeben,
dass er bei einem erneuten Terroranschlag in den USA gleich doppelt
so hart wie jeder Republikaner reagieren müsste, um zu zeigen, dass
er eine starke Führungspersönlichkeit ist?
David Crawford: Ich möchte nicht spekulieren,
wir müssen sehen, wie er als Präsident agiert. Man hat aber im
Wahlkampf gesehen, dass er nicht jemand ist, der doll draufhaut, wenn
er unter Druck gesetzt wird. In den Debatten ist er relativ stark
unter Druck gesetzt worden, hat aber gelassen darauf reagiert. Das
ist natürlich nicht zu vergleichen mit einem großen Anschlag, aber
ich möchte ihm nicht unterstellen, dass er im Übermaß reagieren
würde.
Daniel Rückenschiedt: Wie hoch ist die Gefahr
einzuschätzen, dass ein Attentat auf Barack Obama ausgeübt wird?
Und von welcher Seite ist damit zu rechnen?
David Crawford: Ich denke, es gibt immer Leute,
die Hilfe brauchen, die sich möglicherweise mit Gewalt profilieren
wollen, aber die Fähigkeiten des Personenschutzes haben sich sehr
stark in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Ich denke, dass er gut
geschützt ist.
dude: Mit ihrem Brief eines Christen aus Obamas
Amerika 2012 hat die christliche Rechte ja noch einmal mit letzter
Kraft und allen Mitteln versucht, Obama zu stoppen – ohne Erfolg. Wie
denken Sie wird das Verhältnis Obamas zur christlichen Rechten
während seiner Amtszeit aussehen?
David Crawford: Ich denke, man kann nicht eine
Politik machen, die allen Leuten recht ist. Es gibt Christen, die
z.B. Obamas Politik ablehnen, weil er sich nicht eindeutig gegen
Abtreibung positioniert. In anderen Fragen aber würden sie ihn
möglicherweise unterstützen. Obama sagte, er will ein Präsident
für alle Amerikaner sein. Wir müssen sehen, wie gut er das schafft.
Cakelady: Obama ist der erste Afro-Amerikaner,
der ins Weiße Haus gewählt wurde. Doch noch immer herrschen
Rassismus und Feindseligkeit gegenüber den Schwarzen und
Afro-Amerikanern in einigen großen Teilen der Vereinigten Staaten.
Obama wird immer wieder gerne als zweiter John F. Kennedy bezeichnet,
hat er doch eine gewisse Intelligenz und Rückhalt eines Großteils
der Bevölkerung. Halten Sie es für möglich, dass ihn auch ein
ähnliches Attentat treffen könnte oder er Ziel eines
Terroranschlages werden könnte, gerade wegen seiner Hautfarbe und
Beliebtheit?
David Crawford: Das ist im Grunde die gleiche
Frage wie vorhin. Es gab schon vor wenigen Tagen ein angebliches
Komplott, das vereitelt worden ist. Ich denke, es wird immer solche
Komplotte geben. Er muss damit leben und ich denke, es gibt
Möglichkeiten ihn zu schützen und er wird meiner Ansicht nach
ausreichend geschützt. Aber er muss sich zwischen Volksnähe und
absoluter Sicherheit bewegen. Einen hundertprozentigen Schutz wird es
niemals geben können. Ich möchte nicht, dass er sich in einem
absolut sicheren Raum aufhält und keinen Zugang zu seinem Wahlvolk
bekommt.
dagobert: Obama kommt aus einfachen
Verhältnissen, welche Lobby hat er, auf die er sich beim Hinarbeiten
auf einen Wandel stützen kann?
David Crawford: Ich denke, er hat sehr viele ganz
normale Leute, natürlich haben die afro-amerikanischen Wähler
großes Vertrauen in ihn. Sicherlich, wenn man das Thema
Wirtschaftskrise betrachtet, die große breite Masse, die
amerikanischen Wähler trauten ihm eher zu als seinem Konkurrenten,
die Anliegen der Normalbürger in seiner Politik zu berücksichtigen,
z.B. dass einfachen Familien geholfen würde. Wenn man eine Situation
hat wie heute, wo viele tausende Familien Angst haben, ihr Zuhause zu
verlieren durch die Hypothekenkrise, dann wird die amerikanische
Bevölkerung von dem neuen Präsidenten verlangen, dass diesen Leuten
geholfen wird. Er wird auch gemessen daran, wie viel Schutz er den
Leuten bieten kann, die ihn gewählt haben.
gast33: Wird Obama eine protektionistische
Wirtschaftspolitik durchführen?
David Crawford: Er will nicht als schwach gelten.
Und Protektionismus ist ein Feld, wo es viele Interessen in den USA
gibt. Vor allem in Wirtschaftszweigen wie Textilbranchen oder anderen
gefährdete Branchen, die durch ausländische Konkurrenz gefährdet
sind. Auf der anderen Seite: Die amerikanische Politik ist
international und er hat internationale Partner. Es gibt andere
Branchen in den USA, die davon leben, am internationalen Handel
teilzunehmen. Ich denke, er wird zum Teil protektionistisch
entscheiden und in anderen Situationen weniger. Aber das ist ein
großes Minenfeld für ihn, weil seine Wähler direkt betroffen sind.
simone: Mit welchen Maßnahmen könnte es Barack
Obama gelingen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und den Menschen
mehr Sicherheit zu verschaffen?
David Crawford: Ich denke, die Wirtschaft
anzukurbeln ist etwas, was international geschehen muss. Wir haben
gesehen, dass die Rettungsmaßnahmen die gemeinsam gemacht werden,
von z.B. Zentralbanken in vielen Ländern, der Europäischen
Zentralbank, der Bank of England, der Bank in Japan. Obama wird es
nicht im Alleingang machen können. Es gibt in den USA die
Diskussion, ob es ein Rettungspaket geben sollte, auch um die eigene
Wirtschaft anzukurbeln – das heißt, Geld auszugeben. Er wird jetzt
sicherlich viele Programme anschauen, Vorschläge machen, was die
Regierung tun kann, um Arbeitsplätze zu schaffen. Es kommt heute ein
neuer Arbeitsmarktbericht und es werden sicher keine guten
Nachrichten für die USA sein. Da sind viele hunderttausend
Arbeitsplätze im letzten Jahr verloren gegangen. Eine Politik einer
Bundesregierung, die auch Arbeitsplätze schafft, indem neue
Infrastrukturprojekte gestartet werden und vorhandene Projekte
ausgebaut werden, kann viel stärker wirken als wenn man neue
Projekte startet. Solche Maßnahmen werden gesucht und da kann er
etwas tun.
ichbineinberliner: Welche finanziellen Spielräume
hat Barack Obama für die Umsetzung seiner Politik?
David Crawford: Finanziell wird es sicherlich
eng, alleine durch die Tatsache, dass der amerikanische Haushalt
derzeit ein sehr, sehr großes Defizit inne hat, das die
Staatschulden in der Amtszeit von George W. Bush von einem Plus in
ein Minus von vielen Billionen Dollar verschlechtert hat. Durch die
Rettungsmaßnahmen, die jetzt schon bekanntgegeben sind, wird noch
mehr Geld ausgegeben. Auf der anderen Seite: Die amerikanische
Wirtschaft ist sehr groß und es gibt natürlich Raum für neue
Projekte und die Finanzierung von neuen Projekten, so lange es
internationales Vertrauen in die amerikanische Wirtschaft gibt.
Amerika gilt als ein Land, in das man auch in wirtschaftlich
schwierigen Zeiten investieren kann. Aber Obama muss vorsichtig
agieren, denn dieses Vertrauen darf er auf gar keinen Fall verlieren.
gast0782: Während des Wahlkampfes wurde Obama
öfter als Sozialist und manchmal sogar als Kommunist bezeichnet. Für
mich nicht ganz nachvollziehbar. Hängt das mit der Sicht der
Amerikaner auf die "grenzenlose" freie Marktwirtschaft
zusammen oder gibt es andere Gründe dafür?
David Crawford: Da müssen sie eher Herrn McCain
fragen, wieso er ihn als Sozialist beschrieben hat. Ich denke, das
sind Wahlkampfbegriffe. Obama selber würde sich niemals als
Sozialist oder als Kommunist bezeichnen. Im Übrigen gibt es den
Begriff "sozial", die SPD, oder die CSU haben z.B. diesen
Begriff in ihrem Namen, und niemand bezeichnet sie als sozialistisch
oder kommunistisch.
Moderator: Stichwort John McCain: Er hat in der
Wahlnacht sehr versöhnliche Töne angeschlagen, hat Sie das
überrascht?
David Crawford: Nein, ich denke, das zeigt
einfach die Tatsache: Wahlkampf ist Wahlkampf und wenn der Wahlkampf
vorbei ist, dann müssen alle Leute sich zusammenschließen, damit es
dem Land die nächsten vier Jahre gut geht.
Moderator: Was wird Ihrer Ansicht nach aus Sarah
Palin? Sie scheint ja schon, von einer Kandidatur 2012 zu träumen.
David Crawford: Sarah Palin wird zunächst nach
Hause gehen, nach Alaska. Es gibt eine große Auseinandersetzung in
der republikanischen Partei über die Rolle, die sie im Wahlkampf
spielte. Wie gut sie mit dieser Kritik umgeht, wird sehr wichtig sein
für ihre politische Zukunft. Aber ich glaube, wir werden mehr über
ihre politischen Chancen wissen, nachdem die ersten Enttäuschungen
von diesem Wahlkampf verflossen sind.
Moderator: Spekulieren wir mal, mit welchem
Personal wird Obama ins Rennen gehen? Eine erste Entscheidung hat er
ja schon getroffen.
David Crawford: Er wird jetzt Signale setzen mit
seinen Entscheidungen. Er will Leute benennen, die sofort als
kompetent und zuverlässig gelten. Was er auf gar keinen Fall braucht
, ist ein schneller Rücktritt wegen irgendwelcher Skandale. Zum
Beispiel der Finanzminister: Er wird jemanden ernennen müssen, der
das Vertrauen der Finanzwelt erhält – das ist eine sehr elitäre
Welt. Er wird aber auch jemanden benennen müssen, der Vertrauen bei
der breiten Bevölkerung findet. Das ist nicht so einfach, weil diese
Leute ein Signal in viele Richtungen senden. Zu den genauen
Personalien möchte ich jetzt noch nichts sagen, denn wir werden
sicher überrascht sein.
Moderator: Nur eine Frage dazu noch:
Mark0001: Wird Powell im Kabinett vertreten sein?
David Crawford: Ich denke, dass Obama ihn gerne
in seinem Kabinett gehabt hätte. Colin Powell gilt als loyal und ich
denke, jeder Präsident würde ihn berücksichtigen. Ob Powell das
will ist eine andere Frage. Der Presse war aber zu entnehmen, dass er
nicht zur Verfügung steht.
John: War es zu erwarten oder ist es etwas völlig
Neues, dass ein Demokrat sich Republikaner mit ins Boot holt?
David Crawford: Es gab schon einmal so einen
Fall. Präsident Carter z.B. hatte mindestens ein Kabinettsmitglied
in ein anderes Amt übernommen, welches vorher beim republikanischen
Präsidenten aktiv war. Bei Clinton war z.B. auch ein Republikaner im
Kabinett.
Wing8613: Bush nannte die Mächtigen der
Wirtschaft stets "seine Basis".Wird sich Obama gegen den
Lobbyismus behaupten können? Wird er die Macht der Öl-, Automobil-
und Waffenkonzerne eindämmen können?
Mark0001: Wird Obama sich an die liberale
Waffengesetzgebung heranwagen?
David Crawford: Ich denke, niemand wird alle
Lobbyisten verhindern können. Auch wenn Obama das will, wird er
akzeptieren, dass er viel Rat bekommen wird – gewollt oder ungewollt.
Er wird diesen Rat bekommen von den Lobbyisten verschiedener
Industriezweige. Er wird aber auch Vorschläge von seiner
Beratermannschaft bekommen und wir müssen dann sehen, wie viel
Einfluss Vertreter aus anderen Organisationen in seiner Regierung
bekommen werden. Da wird er Zeichen setzen mit seinen Entscheidungen.
Ich denke, dass viele seiner Wähler von ihm erwarten, dass er anders
vorgehen wird als George W. Bush. Ich denke selber, dass er sehr viel
stärker die Interessen von normalen Bürgern berücksichtigen wird
als sein Vorgänger.
Stephen: Wie denken Sie über das
deutsch-amerikanische Verhältnis unter Obama als Präsident?
David Crawford: Ich denke, dass es nun gute
Chancen gibt, dass die Beziehungen besser werden. Übrigens, die
Politik eines demokratischen Präsidenten entspricht vielmehr der
deutschen politischen Mitte als die Politik der republikanischen
Parteien in den USA.
Jürgen: Obama hat sich für seine
außenpolitische Wahlkampfrede Deutschland als Tribüne ausgesucht.
Könnte das darauf hindeuten, dass Obama zu Deutschland besondere
Beziehungen pflegen wird?
David Crawford: Ich denke, Obama hat diese Bühne
bewusst ausgesucht, weil es schon wichtige internationale Reden in
Berlin gab: John F. Kennedys Rede vor dem Rathaus Schöneberg, Ronald
Reagans Rede am Brandenburger Tor. Er musste sich als staatsmännisch
zeigen und er wusste, dass er viel Begeisterung in Berlin finden
wird, die sich natürlich in Fernsehbildern sehr gut präsentieren
lässt in den USA. Er wollte eigentlich vor dem Brandenburger Tor
sprechen. Ich wäre nicht überrascht, wenn er seine Chance als
Präsident bekommen wird.
PeterD: Denken Sie, dass Obama darauf bestehen
wird, dass deutsche Soldaten auch im Süden Afghanistans eingesetzt
werden? Wenn ja, wird die deutsche Regierung darauf eingehen müssen,
um zu Beginn der Regierungszeit Obamas für gute Verhältnisse zu
sorgen?
David Crawford: Ich glaube nicht, dass diese
Frage entscheidend wird für die deutsch-amerikanischen Beziehungen
und ich glaube auch nicht, dass Obama verlangen oder darauf bestehen
wird, dass die Deutschen mehr Truppen nach Afghanistan schicken. Wie
ich vorhin sagte, denke ich, dass Obama jetzt seine
Afghanistan-Politik finden muss. Und wir wissen nicht, wo dies
hingehen wird. Ich wäre im Übrigen nicht überrascht davon, wenn er
selber darauf hinarbeiten würde, dass die amerikanischen Truppen
abgezogen werden. Das sind alles Fragen, die offen sind. Wir müssen
einfach abwarten.
Peter Schreinfeldt: Machen Sie einen Vorschlag:
Wie muss sich Europa verhalten, um einen maximalen Gewinn aus der
neuen Machtkonstellation zu erzielen.
David Crawford: Ich denke Europa muss auf Obama
zugehen, das werden sie auf jeden Fall tun. Und es sollte eine
beidseitige Bereitschaft geben, eine gemeinsame internationale
Politik in den Feldern der gemeinsamen Interessen zu finden. Es gibt
viele Felder mit gemeinsamen Interessen.
jakob7: Obama wirkt im Vergleich zu anderen
Präsidentschaftskandidaten weniger erfahren. Ist es möglich, dass
er dadurch leichter beeinflussbar ist?
David Crawford: Wenn man einen amerikanischen
Präsidenten wählt, wählt man nicht nur eine Person, sondern einen
Präsidenten und 7.000 neue Mitarbeiter. Da wird es viele Experten
geben, die in allen Feldern beraten. Auch viele Leute, die in
früheren Regierungen gearbeitet haben. Und ich denke, es wird von
einem Präsidenten erwartet, dass er ein Alleskönner ist. Aber
natürlich wird es Felder geben, wo er sich stärker beraten lässt
als in anderen. Wir haben im Wahlkampf gesehen, dass er sehr fähig
ist, dass er Koalitionen bilden kann, dass er eine der kreativsten
Strukturen z.B. in der Gewinnung von Spenden und in vielen anderen
Feldern hatte. Zu sagen, dass er unerfahren ist, ist zu kurzsichtig.
Natürlich ist er ein erfahrener Mensch und ich habe überhaupt keine
Angst, dass wir Schwierigkeiten bekommen würden. Wenn man schaut,
wie viel Akzeptanz er gefunden hat: von einem der reichsten Männern
Amerikas (Warren Buffet) bis zu kleinen Leuten, die um ihre
finanzielle Zukunft bangen. Von Bürgerrechtlern bis hin zu Leuten,
die frühere Regierungen mitgetragen haben. Ich denke, er hat eine
breite Unterstützung. Wir müssen uns nur anschauen, wie viele
Glückstränen nach seiner Wahl vergossen worden sind, das war
einmalig.
Mame: Gab es irgendwo Berichte über
Wahlbetrug/Manipulation?
David Crawford: Es gab natürlich vor der Wahl
viel Diskussionen über Wahlbetrug. Am Wahltag gab es auch viele
Diskussionen darüber, auch viele Meldungen über Probleme. Aber das
Wahlergebnis war so eindeutig, dass ich denke,diese Diskussion ist
für jetzt beendet.
Moderator: Die Stunde ist um, lieber Herr
Crawford, was möchten Sie noch loswerden?
David Crawford: Barack Obama ist ein
Hoffnungsträger für die ganze Welt und das wird ihm helfen in
seinen ersten Monaten als Präsident. Er wird sicher bemüht sein,
diese Hoffnungen gut als politisches Kapital einzusetzen und es wird
sehr spannend, wie gut er das umsetzen kann. Es gab 1976 eine
ähnliche Wahl von Jimmy Carter, wo es viele Hoffnungen gab und
letztendlich ist er nicht wiedergewählt worden. Er hat jetzt die
Chance mit seiner Antrittsrede im Januar die Begeisterung der
amerikanischen Bevölkerung möglicherweise auszubauen. Es gibt
keinen großen amerikanischen Präsidenten, der keine große Rede
präsentierte bei seinem Antritt. John F. Kennedy hat viel
Begeisterung erzeugt. Obama ist ein guter Redner, er hat viele Leute
inspiriert und wir müssen sehen, wie lange diese Begeisterung
anhält.
Moderator: Das war eine gute Stunde
tagesschau-Chat. Herzlichen Dank, Herr Crawford, dass Sie sich die
Zeit genommen haben, und herzlichen Dank, liebe User, für die vielen
Fragen, die wir leider nicht alle stellen konnten. Das Protokoll des
Chats finden Sie in Kürze zum Nachlesen auf tagesschau.de und
politik-digital.de. Das Team von tagesschau.de wünscht allen noch
einen schönen Tag!