(Buchbesprechung) In „Das Internet in Deutschland“ von Edgar Einemann liegt der Fokus auf digitalen Unterschieden in deutschen Großstädten. Woran liegt es, dass das Internet im Ruhrgebiet und im Osten der Republik weniger verbreitet ist? Sonja Domeyer hat das Buch für politik-digital.de gelesen.

Auf 172 Seiten stellt Einemann, Professor für Informatik und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Bremerhaven, die Ergebnisse seiner Untersuchung der gegenwärtigen Internetlandschaft in der Bundesrepublik dar. Diese werden mit 93 Tabellen und 90 Schaubildern für den Leser umfangreich bebildert. Durch die Kooperation vieler großer Internetunternehmen gelang es Einemann, fundierte Daten für seine Analyse zu erhalten. Dabei stellten auch namhafte Unternehmen wie GMX und die zentrale Registrierungsstelle für Domains, DENIC eG, ihre Nutzerzahlen zur Verfügung. Kombiniert mit eigenen Erhebungen Einemanns bilden diese Daten die Grundlage für seine Betrachtungen.
Netzwerkgesellschaft
Bevor Einemann mit der Analyse der Internet-Stärke der 50 größten deutschen Städte beginnt, erläutert er im ersten Kapitel seines Buches detailliert die Wichtigkeit und Auswirkung einer vernetzten Gesellschaft, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Hierbei greift er auf die Leitsätze von Karl Marx, Max Weber, einem der Mitbegründer der Soziologie und Manuel Castells zurück. Viele verwendete Zitate des berühmten Soziologen Castells stammen aus seinem grundlegenden Werk „Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“. Sie sollen dem Leser einen Einblick in die abstrakte Welt der Netzwerkgesellschaft (ein eigens von Castells geprägter Begriff) geben. Die Kernthese Castells dient Einemann zugleich als Basis seiner regionalen Untersuchung:Netzwerke stützen sich im heutigen Informationszeitalter auf Informations- und Kommunikationstechnologien, und dies hat Auswirkungen auf die soziale Morphologie der Gesellschaftsstruktur. In anderen Worten: Wir leben nicht mehr im Industrie- sondern im Informationszeitalter, begegnen uns in sozialen Netzwerken im Internet, was Auswirkungen auf die Hierarchien einer Gesellschaft, auf das Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Bürger hat.
Ostdeutschland und Ruhrgebiet weit abgeschlagen
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Analyse der deutschen Internetlandschaft im zweiten Kapitel. Anhand der ermittelten und zur Verfügung gestellten Nutzerzahlen und mit Hilfe einer großen Zahl von Untersuchungsfaktoren nahm Einemann die 50 größten deutschen Städte, in denen 26% der Bevölkerung leben, in Bezug auf ihre Internet-Stärke genauer unter die Lupe. Dabei wurden erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern festgestellt: Überdurchschnittlich stark ist die Internet-Dichte im Rheingebiet und im Süden Deutschlands, gefolgt von einem durchschnittlichen Niveau in Norddeutschland und sehr schwachen Werten im Osten und im Ruhrgebiet. Absoluter Spitzenreiter im City-Ranking ist die Stadt München, die 82% der Faktoren erfüllen konnte. Im Gegensatz rangiert Mülheim mit 19,6% am Ende der Rangliste. Einemann spricht von einer digitalen Dreiteilung der Bundesrepublik. Eine digitale Spaltung liege jedoch nicht vor – „digitale Differenzierung“ sei der zutreffendere Begriff, da sich zwischen den Extrempunkten ein ausgewogenes Gefälle abzeichnete. Auch innerhalb der Stadtteile einzelner Städte wurden Abstufungen festgestellt.
Innovations- und Entwicklungszentren liegen vorn
Der Zusammenhang von Wohlstandsverteilung und Internet-Stärke wird überraschend deutlich. Alle Städte mit einem hohen Anteil an Akademikern oder Studenten lagen in der Untersuchung über dem Durchschnitt. Auch Städte mit wirtschaftlichen Innovations- und Entwicklungspotential schnitten besonders gut ab. Hierbei führt wiederum die Stadt München das Ranking an. Anscheinend wird wirtschaftliche und soziale Stärke also durch das Internet weiter gefördert. Es folgen der Raum Stuttgart, Karlsruhe und Heidelberg sowie Frankfurt am Main, Wiesbaden, Mainz und Darmstadt. Interessanterweise liegt Berlin als Bundeshauptstadt mit 47,9% leicht unter dem Durchschnitt und gehört nicht zu den Spitzenreitern.
Bremen als Beispiel
Neben der gesamtdeutschen Analyse hat Edgar Einemann auch einzelnen Stadtbezirke und Ortsteile seiner Heimatstadt Bremen untersucht. Er fand so heraus, dass es in der Tat einen Zusammenhang gibt zwischen dem Akademiker-Anteil und der Stärke des Internets in einem Bezirk – und das gilt nicht nur für die Hansestadt. Die soziökonomischen Unterschiede innerhalb Bremens zeichneten sich klar in den Ergebnissen ab. Bemerkenswert ist, dass einzelne Personen in internet-schwachen Ortsteilen ähnlich große Mengen an abgerufenen und verschickten Daten aufweisen können wie Personen aus internet-starken Bezirken. Das legt die Vermutung nahe, dass es Internet-Junkies überall gibt.
“Das Internet in Deutschland” ist ziemlich reich an Daten und Tabellen. Letztere dienen oft dazu, die umfangreiche Datenmasse zu visualisieren und verständlicher zu machen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, hat einen echten Schatz im Schrank. Denn bei aller Fachsimpelei ist Einemanns Buch zum Glück so geschrieben, dass jeder Internet-Interessierte etwas davon hat.