(18. Mai 2006) Jan Schmidt entwickelt in seinem Buch “Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie” ein Modell, das Einsatzgebieten von privaten Aufzeichnungen über Unternehmenskommunikation bis zu politischen Dokumentationen gerecht wird. Der Bamberger Wissenschaftler liefert eine komplexe Analyse auf dem neuesten Stand der Forschung. Julia Sommerhäuser hat das Buch für politik-digital.de rezensiert.

Wer das neue Buch von Jan Schmidt zur Hand nimmt, meint schnell zu wissen, worum es geht. Der Titel der Monografie ist jedenfalls nicht zu übersehen. In weißer Schrift auf rot-schwarzem Hintergrund steht dort: „Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie.“ Ein klarer Titel, gut zu erkennen. Und dennoch stellt sich die Frage: Was ist damit gemeint?

Eine kurze Begriffsklärung erscheint sinnvoll. Die Kommunikationssoziologie beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die durch Kommunikationsprozesse hervorgerufen werden. Der Forschungsansatz untersucht beispielsweise, ob Kommunikation ein Bindemittel zwischen einzelnen Personen sein kann und wie sozialer Wandel durch Kommunikation entsteht.
Eben dieses Ziel verfolgt auch Jan Schmidt. Er möchte ein Analysemodell vorstellen und anwenden, mittels dessen man den Gebrauch von Weblogs und ihre Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche beschreiben kann. Bereits in der Einleitung präsentiert der Autor die Vorgehensweise, mit der er das oben genannte Ziel erreichen möchte. Zunächst werden Grundlagen der Weblogforschung vorgestellt. Darauf baut die Entwicklung eines Analysemodells auf, das die „Nutzung von Weblogs durch Verwendungsregeln, Netzwerke und technische Basis der Software dreifach gerahmt sieht“. Dieses Modell wird in den darauf folgenden Kapiteln auf unterschiedliche Einsatzgebiete der Weblogs übertragen (Journalismus, Politik etc.). In der anschließenden Fallstudie über den Weblog-Hoster twoday.net zeigt Schmidt, wie das Analysemodell in der Praxis anzuwenden ist.
Strukturelle Faktoren bestimmen die Nutzung von Weblogs
Es lohnt sich, inhaltlich ins Detail zu gehen, stellt der Autor doch einige interessante Thesen und Vermutungen auf. Die Einleitung ist dahingehend hilfreich, dass sie einen umfassenden Überblick zum inhaltlichen und methodischen Stand der Forschung gibt. Schmidt gelingt eine sinnvolle Kategorisierung der zahlreichen Ansätze – das allein nimmt dem Leser angesichts der ausufernden Weblog-Forschung einigen Schrecken. Doch so eingänglich und verständlich geht es nicht weiter: Schmidt entwirft ein Analysemodell, dessen Sinn sich zwar nach und nach erschließt, das aber dennoch sehr komplex bleibt.
Grundlage des Modells ist die Annahme, dass die Institutionalisierung von Weblogs nicht nur durch ihre technischen Möglichkeiten vorherbestimmt ist. Vielmehr geben auch strukturelle Faktoren vor, wie Weblogs in der Gesellschaft genutzt und etabliert werden. Für Schmidt ist es entscheidend, ein Modell zu entwerfen, das den unterschiedlichen Gebrauchsweisen der Weblogs gerecht wird. Weblogs werden nämlich ebenso in der internen Unternehmenskommunikation wie zur Verarbeitung persönlicher Erlebnisse eingesetzt, in der politischen Kommunikation ebenso wie zum Wissensmanagement.
Die Anwendungsgebiete werden durch drei Faktoren bestimmt: durch technische Merkmale, durch geteilte Regeln und durch hypertextuelle Netzwerke. Diese drei Elemente geben den so genannten „Nutzungsrahmen“ vor, der die Nutzung von Weblogs rahmt und selbst wiederum durch die Nutzung verändern wird.
Wer das Analysemodell von Jan Schmidt erst einmal verstanden hat, kann die restlichen Ausführungen gut nachvollziehen. Immer nimmt er nämlich auf das Modell Bezug– es zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch. Sei es bei der Beschreibung verschiedener Blogarten (Tagebücher, K-Blogs) oder bei der Fallstudie zu twoday.net – durch die wiederholte Anwendung des Modells erkennt der Leser, wie er das Modell in der Praxis anwenden kann.
Theorie mit klarer Stellungnahme
Doch der Praxisbezug allein ist nicht entscheidend. Auch theoretische Ausführungen kommen nicht zu kurz. Angenehm ist, dass Schmidt dabei klar Stellung bezieht. So erhält der Leser ein deutliches Fazit, das zweigeteilt ist. Der erste Teil bezieht sich auf Weblogs: Schmidt hält fest, dass Weblogs seiner Meinung nach keine Revolution darstellen, da sie immer der Logik und den Zwängen ihrer Anwendung durch den Nutzer unterliegen. Dennoch möchte der Autor dem Angebotstypen eine Wirkung nicht völlig absprechen. Er stellt fest, dass Weblogs Handlungsoptionen eröffnen und erweitern. Es war beispielsweise noch nie so einfach, selbst Inhalte im Netz zu publizieren.
Der zweite Teil betrifft den technologischen Wandel allgemein: Hier macht der Autor deutlich, dass die Folgen des technischen Fortschritts nicht von der Technik an sich bestimmt werden, sondern in erster Linie von ihrem tatsächlichen Einsatz und Gebrauch. „Erst in der Aneignung durch den Menschen“, so Schmidt, „realisieren sich die Potentiale des Internets und der Weblogs”.
Jan Schmidt ist selbst ein Weblogger und Wissenschaftler, der sich an der Universität Bamberg mit Netzwerken und Weblogs auseinandersetzt. Aus diesem Grund basiert das Buch auf einem enormen Wissensschatz zu diesem Thema, was sich in einer hohen Detailfreudigkeit widerspiegelt. Der Autor ist Experte – und das merkt man.
Aus diesem Grunde ist das Buch auch vorwiegend für Experten geeignet. Der Verfasser richtet sich nach eigenen Angaben „vorrangig an einen sozialwissenschaftlich orientierten Leserkreis, aber auch an diejenigen Blogger, die an einer wissenschaftlichen Reflexion über ihr […] Tun interessiert sind“. Die Blogger sollten dabei jedoch ein fundiertes wissenschaftliches Know-How haben, denn sonst besteht die Gefahr, dass sie ihr eigenes Tun nicht wieder erkennen, so verwissenschaftlicht erscheint es.
Der akademische Stil findet sich auch im Sprachgebrauch wieder. Es gibt kaum Auflockerungen durch Beispiele; auch an die zahlreichen Fußnoten muss sich der Leser erst gewöhnen. Das motiviert nicht immer zum Weiterlesen. Der Autor jedenfalls scheint es nicht darauf angelegt zu haben, auch für Einsteiger und Fachfremde populär zu sein.
Auf dem neuesten Stand der Forschung
Ist man jedoch selbst Wissenschaftler oder Weblog-Kenner, bietet das Buch einigen Service. Besonders hilfreich ist das umfangreiche Literaturverzeichnis, das auf dem neuesten Stand der Forschung ist. Der Forschungsstand über Weblogs kann zwar nur eingeschränkt aktuell sein, weil beinahe täglich neue Weblog-Studien vor allem im Internet publiziert werden. Dennoch bietet das Verzeichnis eine gute Basis für weitere Recherchen.
Insgesamt erscheint das Buch zu einem Zeitpunkt, an dem die Weblog-Forschung beginnt, sich zu institutionalisieren. Das zeigt sich an den zahlreichen Sammelbänden und Studien, die derzeit erscheinen und an den vielen Konferenzen und Lesungen, die immer beliebter werden. Jan Schmidts Buch erscheint zu diesem Zeitpunkt demnach folgerichtig als Beitrag zu einer höchst aktuellen Forschungsdiskussion.