(20. Juli 2006) Weblogs erfahren schon seit einiger Zeit gewaltigen Auftrieb in Deutschland. Seit kurzer Zeit boomen auch die Corporate Blogs. Unternehmen entdecken die lange als “öffentliche Tagebücher” durchgewunkenen Weblogs als Instrument der Kommunikation.
So bloggten nicht nur kürzlich sechs Studenten für Coca-Cola live aus Turin über die Olympischen Winterspiele, auch Saftkelter und Möbelbauer sind auf den Blog-Siegeszug aufgesprungen. Das Buch “Weblogs professionell” kommt also zur rechten Zeit.
“Grundlagen, Konzepte und Praxis im unternehmerischen Umfeld” – so der Untertitel – werden auf knapp 250 Seiten präsentiert. Die Autoren sind keine Unbekannten: So sind etwa mit Christoph Neuberger und Hans-Jürgen Bucher zwei der bekanntesten Online(Journalismus)-Forscher und mit Ansgar Zerfaß ein bekannter PR-Wissenschaftler vertreten. Mit Klaus Eck und Martin Röll sind zwei Weblogberater an Bord, die wichtige Blogs zum Thema führen (PRBlogger und E-Business Weblog ), und auch einige andere Autoren nutzen das Medium selbst (beispielhaft etwa media-ocean von Steffen Büffel).
Die Gliederung des Bandes in Einführung und drei Hauptkapitel (Unternehmenskommunikation, Journalismus sowie Technik und Praxis) ist recht schlüssig gelungen, die Abstimmung der Beiträge hätte jedoch feiner sein können, um häufige Wiederholungen zu vermeiden – etwa bei den zahlreichen Definitionen von Weblogs. Etwas deplaziert wirkt im einführenden Teil der Text von Sven Przepiorka, der eine Kombination der Instrumente Wiki und Weblog mit zusätzlicher Gewichtung der Inhalte vorschlägt. Als Werkzeug des Knowledge Managements ist dieses Konzept zwar interessant, aber im Einführungsteil scheint es etwas weit zu greifen – zumal es noch keine Praxiserfahrungen gibt. Przepiorkas Idee, die er gerade für seine Dissertation vertieft, ist übrigens ein wenig knapper gefasst auch auf seiner Website nachzulesen.
Weblogs in der Unternehmenskommunikation
“Unentbehrlich oder überschätzt”? – mit dieser Frage ist der Beitrag der Münsteraner Kommunikationswissenschaftlerinnen Ulrike Röttger und Sarah Zielmann überschrieben, der den Teil “Unternehmenskommunikation” eröffnet. Alle Autoren wählen als Antwort eine ausgewogene Empfehlung: Weblogs in der Unternehmenskommunikation seien “kein Selbstzweck”. Einig sind sie sich außerdem in ihrer Warnung an Unternehmen, die Blogosphäre zu unterschätzen. Aktuelle Fälle – nach Veröffentlichung des Buches geschehen – stützen diese Warnung: Das PR-Desaster, das vor kurzem die deutsche Gruppe von Transparency International erleben musste einerseits und der Umsatz, den kurzzeitig die “Grup Tekkan” einfährt, nachdem sie bei den Blogs ntropie und Spreeblick an die Oberfläche gespült wurde, andererseits, sind überzeugende Beispiele.
Blog Monitoring, also die Beobachtung von Themen und Beiträgen in der Blogosphäre, wird den Kommunikationsverantwortlichen in Organisationen empfohlen – ein in der Blogger-Gemeinde unpopuläres, aber als Instrument der Umweltbeobachtung von Unternehmen in anderen Bereichen altbekanntes Vorgehen. An anderer Stelle im Buch wird das Sponsoring von Weblogs als Möglichkeit angeführt, “auf bestehende Blogs und deren Leserschaft Einfluss zu nehmen”. Auch das dürfte vielen Bloggern sauer aufstoßen.
Ansgar Zerfaß und Swaran Sandhu werfen einen näheren Blick auf Executive Blogs, also im weiteren Sinne auf Führungsebene geführte Corporate Blogs. In kurzen case studies stellen sie unter anderem das interne Weblog von Klaus Kleinfeld (Siemens), das bekannte von Richard Edelman (Edelman PR) und das von Jonathan Schwartz vor, der gerade CEO bei Sun Microsystems wurde.
Martin Röll schließlich betrachtet am Beispiel des britischen National Institute for Mental Health Weblogs als “Werkzeuge im Wissensmanagement” und prognostiziert einen breiten Einsatz in der Zukunft.
Weblogs und Journalismus
Die mittlerweile ruhiger geführte Debatte, ob Weblogs eine Gefahr für den klassischen Journalismus darstellen, bleibt nicht unbeachtet. Christoph Neuberger vertritt in seinem kompakten, schlüssigen Beitrag eine deutliche These: Im Internet stünden professionell-redaktionelle (also klassisch-journalistische), technische (etwa Nachrichten-Suchmaschinen) und partizipative (Blogs, Wikipedia u.a.) Vermittlungsformen nebeneinander. Sie konkurrieren seiner Ansicht nach nicht, sondern ergänzen sich. Hans-Jürgen Bucher und Steffen Büffel sehen das ähnlich und vergleichen Blogs mit Piratenradios und Alternativpresse. Qualitätskontrolle fehle nicht, sondern finde nach der Veröffentlichung durch die Leser statt.
Martin Welker stellt das Verhältnis von Bloggern und Journalisten auf empirische Füße und beantwortet die Frage, wie Journalisten Weblogs nutzen: als Quellen der Recherche, thematische Seismographen, zur Meinungsbildung und – in geringerem Maße – auch zum Publizieren. Auch Welkers Urteil ist eindeutig: “Weblogs sind primär eine Chance für den Journalismus – und keine Gefahr”.
Technik und Praxis
Markus K. Westner gibt zu Beginn des Praxisteils einen guten Überblick über ausgewählte Weblog-Skripte und -Services. Dass er als Einsteiger-Anbieter neben blogger.com nur noch seinen eigenen Dienst blogigo vorstellt, hinterlässt allerdings einen schalen Geschmack. Nicola Döring von der TU Ilmenau widmet sich dem “Moblogging”, also dem Bloggen von unterwegs in der Regel mittels Handy, und stellt die noch raren Anwendungsbeispiele im unternehmerischen Bereich vor.
Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach (der das Blog Haltungsturnen führt) präsentiert die dpa-Tochter news aktuell, bei der stark auf RSS und Tagging gesetzt wird – ähnlich wie Przepiorkas Beitrag sitzt dieses Thema etwas anschlusslos im Buch. Weblogs selbst kommen in diesem Fall überhaupt nicht vor.
Nach einem knappen Verweis auf den Internet-Wahlkampf des amerikanischen Politikers Howard Dean fasst Hansjörg Schmidt die Erfahrungen der Hamburger SPD mit Weblogs im Wahlkampf 2003/2004 zusammen. Die Hanseaten haben mit dem Negativblog “Wo war Ole?” und dem Kandidatenblog mirowfuerhamburg.de (zur Zeit nicht mehr online) Experimentierwillen bewiesen. Leider hat der Kandidat Thomas Mirow nicht selbst gebloggt, sondern ein fünfköpfiges Team damit betraut.
Zuletzt wird das Sponsoring von Nico Lummas Umzugsblog durch die Online-Immobilienbörse immobilienscout24 vorgestellt und Herausgeber Tim Fischer analysiert einmal mehr den Klassiker der Blog-Unfälle, “Jambagate”.
Der richtige Einstieg
“Weblogs professionell” verzichtet auf Anleitungen, aber nicht auf grundlegende Erklärungen. Die Autoren verfallen erfreulicherweise nur selten in Technik- bzw. Fachjargon. Beides wird Kommunikations- und anderen Verantwortlichen in Organisationen den Einstieg in die Blogosphäre erleichtern. Auffällig ist das schlechte Lektorat: Da wird etwa die Frankfurter Allgemeine zur Allgemeinen Frankfurter Sonntagszeitung und ihr Autor Stefan Niggemeier – schon als Mitgründer des Bildblogs eigentlich kein Unbekannter – in der Fußnote zu “S. Niergemeyer”. Ulrike Röttger und Sarah Zielmann wurden im Autorenverzeichnis gleich ganz vergessen. So etwas wird der relativ schnellen Produktion des Buches geschuldet sein, das dadurch – trotz der rasanten Entwicklung des Themas – recht aktuell ist. Kurzum: eine mit 34 Euro etwas teure, aber sehr hilf- und infromationsreiche Lektüre.