hg. von Nora Räthzel
Die Gewalt gegen Einwanderer steht mit einem Mal ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Und doch wird man den Eindruck nicht los, daß Ratlosigkeit herrscht, was die Ursachen und die möglichen Rezepte im Kampf gegen rassistische Gewalt angeht. Bis tief in die Neunziger Jahre hinein wurde der Rassismus in unserer Gesellschaft abgestritten oder zum Problem weniger verirrter Jugendlicher gemacht. Und irgendwie wurde die Schuld sogar Flüchtlingen zugeschrieben, so daß manche ernsthaft behaupteten, die drakonische Beschränkung des Asylrechts würde die Ausländerfeindlichkeit zum Verschwinden bringen. Das Asylrecht wurde eingeschränkt und die Zahl der Asylbewerber ging dadurch zurück, aber nicht der Rassismus. Deswegen sollte uns jedes Buch, das helfen kann, den Rassismus zu bestimmen und zu erklären, willkommen sein.
Fortentwicklung des Rassismusbegriffs: vom biologischen zum kulturellen Rassismus
Gut erforscht ist der Rassismus, der in Deutschland vor 1945 praktiziert wurde. Aber vielleicht verstellt uns die gute Forschungslage über die NS-Zeit den Blick für die Wandlungen des Rassismus. Und zwar in zweifacher Hinsicht: zum einen weil der Rassismus vor 1945 (nicht nur der der Nazis, sondern der aller Kolonialimperien) staatlich organisiert und von den politischen und wirtschaftlichen Eliten gefördert wurde. Dadurch droht die Möglichkeit einer quasi “selbstorganisierten” rassistischen Gewalt aus dem Bewusstsein zu geraten. Zum anderen aber muß wohl der Rassismusbegriff selbst aktualisiert werden.
Der herkömmliche rassistische Diskurs, der zur Definition des klassischen Rassismusbegriffs geführt hat, läßt sich so zusammenfassen: Rassismus liegt vor, wenn körperliche oder soziale Eigenschaften von Menschen dazu dienen, diese zu einer Gruppe zusammenzufassen, der (i.d.R. negative) körperliche, geistige und moralische Eigenschaften, die für erblich gehalten werden, zugeschrieben werden, und dies zu einer Benachteiligung oder Ausschließung dieser Gruppe bei der Verteilung knapper materieller und immaterieller Ressourcen durch eine dominante Gruppe führt.
Rassen, wie sie der herkömmliche Rassismus definiert, gibt es aus biologisch-genetischer Sicht schlichtweg nicht. Der Fortschritt der naturwissenschaftlichen Erkenntnis hat, zusammen mit den aus dem Nationalsozialismus gezogenen Lehren, dazu geführt, daß dieser Rassismus in Westeuropa im allgemeinen nicht mehr gesellschaftsfähig ist. Ausgehend von der Feststellung, daß Benachteiligung und Ausschließung von Minderheiten und Einwanderern auch heute noch gang und gäbe sind, haben Analysen rassistischer Diskurse zutage gebracht, daß heute die Stigmatisierung von Minderheiten und Fremden mit anderen Argumenten “begründet” wird: an die Stelle der erblichen Minderwertigkeit ist die behauptete Unvereinbarkeit der Kultur insbesondere von Einwanderern mit der Kultur der Aufnahmeländer getreten. Ein solcher Diskurs wird als “kultureller” oder “kulturalistischer” Rassismus bezeichnet.
Anders als beim biologischen Rassismus, der keinerlei wissenschaftliche Basis hat, begibt man sich aber auf ein ein glattes Terrain bei dieser Ausweitung des Rassismusbegriffs, denn es steht außer Zweifel, daß es Unterschiede in den Kulturen der verschiedenen Völker gibt. Und es kann ja nicht jede Mißfallensäußerung gegenüber Elementen einer fremden Kultur als Rassismus bezeichnet werden. Denn sonst wären fremde Kulturen sakrosankt. Oder ist etwa die Kritik an der in weiten Teilen Afrikas üblichen überaus grausamen Beschneidung der Mädchen rassistisch? Zu einer wahren Inflation des Rassismusbegriffs kommt es, wenn man auch festgefügte Vorurteile gegenüber Frauen oder alten Menschen als Rassismus bezeichnet. Auch die oft gehörte Meinung, Einwanderer müssten sich an die Verhaltensweisen und Normen des sie aufnehmenden Landes möglichst weitgehend anpassen, sie müßten sich also assimilieren (was auch oft euphemistisch als “integrieren” umschrieben wird), ist an sich nicht rassistisch, sondern ethnozentrisch, denn sie setzt ja voraus, daß Menschen diese Anpassungsleistung vollbringen können.
Nur wenn die kulturell begründete Ablehnung der ausgegrenzten Gruppe die Aussage enthält, daß deren Mitglieder generell die Anpassungsleistung nicht vollziehen können aufgrund ihrer inkompatiblen Kultur, dann darf m.E. von kulturellem Rassismus gesprochen werden. Um den neuen und den alten Rassismus auseinanderzuhalten, scheint mir der Vorschlag E. Balibars, den neuen Rassismus als Neorassismus zu bezeichnen und abzugrenzen, sehr beachtenswert.
Bei der Ursachenforschung kaum Fortschritte
Die Autoren dieses Bandes lassen – zu Recht – die Beschwichtigung, die nach jeder rassistischen Gewalttat zu hören ist, es seien nur Einzeltäter am Werk, nicht gelten. Als Ursachen für Rassismus betrachten sie, in je individueller Gewichtung, strukturelle sozio-ökonomische Gründe und rassistische Diskurse (welche z. B. Einwanderer als Kriminelle darstellen). Wer die in diesem Band gesammelten Aufsätze vergleicht mit älteren Werken, beginnend mit “The Authoritarian Personality” von Adorno et alii (1947) wird feststellen, daß die Ursachen, die zum Rassismus führen, schon lange bekannt sind. Zwar werden heute psychologische Ursachen, z.B. die autoritäre Familienstruktur, weniger betont, aber auch die anderen Ursachengruppen – ideologische und sozio-ökonomische Gründe – sind schon in den 30er und 40er Jahren grundsätzlich identifiziert worden.
Fazit
Die in diesem Band wieder abgedruckten Beiträge sind zwischen 1989 und 1992 zum ersten Mal erschienen, und nur wenige von ihnen wurden aktualisiert. Auch deshalb ist dieser Band nur ein Platzhalter. Seine Stelle sollte ein noch zu schreibendes Buch über den Neorassismus ausfüllen. Der historische Rassismus ist viel besser dokumentiert als der gegenwärtige. Dieser Sammelband vermittelt Denkanstöße hinsichtlich des Neorassismus, die aber noch auf eine Synthese warten. Gut ist, daß die Autoren über den deutschen Zaun schauen und auch die Erfahrungen der Niederlande, Großbritanniens und Italiens beschreiben. Es gibt keinen Zweifel, daß es (auch) strukturelle Ursachen für rassistische Gewalt gibt, welche mit vermehrter Repression – so nötig diese auch ist – nicht behoben werden können. Diese strukturellen Ursachen mit Feingefühl und Mut auf empirischer Basis herauszuarbeiten, bleibt eine Herausforderung für einen politisch-wissenschaftlichen Autor.