In dem von Perseus Publishing 2002 herausgegeben Buch We\’ve got Blog. How weblogs are changing our culture hat Rebecca Blood 34 Beiträge zum Thema Weblog-Kultur aus den Jahren 1999 bis 2002 zusammengestellt. Albert Meirer hat das Buch gelesen und für politik-digital.de rezensiert.
Das Buch „We’ve got blog“ entstammt den frühen Tagen der Blogosphäre, die sich in einer Fülle unterschiedlicher Herangehensweisen an das Thema Weblog niederschlägt. Die zumeist knappen Beiträge sind von passionierten Bloggern oder leidenschaftlichen Anti-Bloggern verfasst und zum Großteil ursprünglich im Netz erschienen. Sie beziehen sich teilweise aufeinander, ergänzen oder dekonstruieren einander; allesamt heraus aus der forschenden Haltung der Frühphase der Blogger-Selbstreflexion. Einer Zeit, in der noch nicht von Kommunikationsinfrastruktur, abmahnenden Urheberrechtsanwälten oder nervenden Spammern und Kommerzialisierern die Rede war. Denn damals schossen die Metaphern der Wunderkammern, Salons, Movements und (Medien-) Revolutionen nur so aus dem Boden.
Rebeccas Book
Rebecca Blood gibt in ihrem Eröffnungs-Essay (Rebecca`s-Pocket) zunächst die formale Definition vor: „a frequently update webpage with dated entries, new ones placed on the top – but that won`t tell you everything you need to know.“ Sie beschreibt die Entwicklung von der Frühphase, als Pionierform des Microcontent bis hin zu späteren Formen, wie dem öffentlichen Tagebuch und themenspezifischen Community-Weblogs. Blood schildert dabei ihre Hoffnungen zur Entwicklung von Weblogs in der Zukunft. Eines ihrer wichtigsten Anliegen: Eine Transformation der „audience“ zur „public“. Weg vom passiven, reflexhaften Konsumenten des „corporate media“-Konsenses hin zu einem reflektierten, selbstbewussten Umgang mit der eigenen und öffentlichen Meinung.
Our early Days in San Francisco
Die folgenden Beiträge sind in Inhalt, Form und Qualität sehr unterschiedlich, was zum Teil unterhaltend und erhellend wirkt, andererseits aber auch wundersam und Fragen aufwerfend.
Rebecca Mead beschreibt in ihrem halb-literarischen Beitrag „You´ve got Blog: How to put Your Business, Your Boyfriend, and Your Life Online“ den Blogger-Tratsch um das Leben und die Liebe im San Francisco von Meg und Jason, den Gründern des Blogger-Software-Anbieters Pyra-Labs.
Dieser stimmungsvoll-naive Beitrag provozierte Joe Clarc zu seinem Beitrag „Deconstructing ´You´ve got Blog´“. Er beklagt darin inzestuöse Cliquenbildung, neurotische Selbstdarstellung und die Tendenz, mehr über Leute zu reden als mit ihnen, was das demokratische Potential der Weblogs pervertiere. Erstaunlich viele Beiträge polemisieren gegen die sogenannte „A-List-Elite“ der meistgelesenen Blogger. Sie richten sich gegen eine quasi Sex-and-the-Cityfizierung des Blog-Phänomens, wodurch die Frage nach den Dimensionen eines möglichen realen „Cultural Change“ etwas in den Hintergrund gerät.
Bargers Wisdom – „Robots Idiocy“
Julian Dibbell liefert ein Portrait von Jorn Barger, der den Begriff „blog“ 1997 mit seinem Weblog robotwisdom prägte. Dibbel beschreibt den blog Barners, der an den Schnittstellen von Literatur, Wissenschaft und Journalismus angesiedelt ist, als Wunderkammer unserer Zeit. Barger, der Sammler, der Off-Kultur-Journalist, der Verfasser eines offenen, niemals endenden Online-Anmerkungsapparats zu James Joyces „Ullysses“ entzieht sich jeder Bloxploitation und verkündet: „I live on bread and water, so as not to submit to the idiots.“ Auch hier berichtet das Buch aus vermeintlich unschuldigeren Zeiten. Barger sollte seine hart erkämpfte Freiheit später für heftige anti-israelischen Polemiken einsetzen. Die Blogger-Community lehnte seine Auslassungen durchwegs als wirr und dümmlich ab, woraufhin Barger sich verfolgt fühlte und nach New Mexico verschwand. Für ein langes Jahr sollte sein Blog schweigen. Er selbst wurde von Bloggern vermisst und gesucht, wie ein verlorener Vater. Schließlich bloggte er wieder, allerdings wie manche meinen, ohne den alten Schwung und Witz.
Nisten wir jetzt alle im Online-Journal?
Zu anderen Bildern greifen diejenigen, die als Autoren oder Journalisten überzeugend schildern, wie sie neben ihrer professionellen Tätigkeit zum Bloggen fanden, und was sie daran nicht mehr loslies. Wie Paul Andrews, Kollumnist der Seattle Times: „Anyone connected with the WTO protests in Seattle knows, (…) that by the radio, newspaper and TV coverage, (…) alternative voices where not allowed to be heared.“ Andrews sieht den steigenden Zuspruch zu Weblogs parallel zur schwindenden Glaubwürdigkeit der „big media“. Seine Hoffnung: „the garden of information becomes more diverse.“
Dan Gillmore von den Mercury News beschreibt die Stärken des neuen Off-Journalismus in der gemeinsamen Meinungsbildung und Selbstaufklärung. Die Vorteile des Blog-Systems sieht Doc Searls in seiner Fähigkeit zur Selbstkorrektur, da Zulauf und Veröffentlichung nicht auf Basis von Macht und Geld, sondern durch gegenseitige Zustimmung und Verstärkung auf der Basis von Qualität organisiert werden. Er fühlt sich aufgrund der größeren Nähe zum sozialen Leben in den Weblogs an den Topos des Bazars versetzt, den er als weniger „entfremdende“ Frühform des Marktes visualisiert.
Eine neue Salon-Kultur sieht David Winer wachsen, da die Community–Weblogs sich als unverzerrte Orte ungezwungener Kommunikation bewähren, denen die korrekte Langeweile fremd ist.
Intergalaktisches und Globales
Abgerundet wird die bunte Zusammenstellung, in der auch Pessimisten und Skeptiker nicht zu kurz kommen, durch einige Hinweise fürs Ausprobieren und Selbermachen. Ein informatives Glossar und gut sortierte Link-Listen am Ende des Buches helfen dabei weiter. Natürlich, Sie können alle Artikel des Buches auch im Netz bekommen. Die Druckversion hat auch einige Ablehnung durch Blogger hervorgerufen, weil sie die Texte aus dem Zusammenhang reiße und die Links auf Papier nicht funktionieren. Die Lösung aus den Links Fußnoten zu machen ist allerdings durchaus gelungen. Außerdem ist die Übertragung blogospherischer Diskurse in das Gutenberg-Universum nicht ohne Reiz, da die Texte auch in Buchform teilweise funktionieren und neue Kontexte bilden.
Inzwischen steht das Bloggen auch im europäischen und globalen Zusammenhang von Debatten um eine sinnvolle Weiterentwicklung der Online-Kommunikation. Auch so gesehen sind die im Buch versammelten, grundlegenden Diskurse aus den Anfängen des amerikanischen Bloggens in jedem Fall eine Lektüre wert.