Personalisierung – Kompetenz – Parteien: Ein internationaler Vergleich von Dr. Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Augsburg
Die Wahlkampfstrategie der Grünen im Bundestagswahlkampf 2002 war genau auf ihren Spitzenkandidaten Joschka Fischer zugeschnitten. Der beliebteste deutsche Politiker lächelte von zahlreichen Plakaten, absolvierte eine Unmenge von Wahlkampfauftritten und witzelte bei Harald Schmidt. Als die ersten Hochrechnungen am Wahlsonntag bekannt wurden, krächzte er mit heiserer Stimme: „Wir haben unser Ziel erreicht!“ Joschkas Partei hatte ein unerhört gutes Ergebnis eingefahren und die Berichterstatter waren sich einig, dass das vor allem dem Außenminister zu verdanken sei. Ein Beweis für die totale Personalisierung der Politik?
Frank Brettschneider ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Augsburg und hat darüber ein Buch geschrieben. „Spitzenkandidaten und Wahlerfolg“ wurde allerdings nicht etwa in fünf Tagen verfasst, sondern beschäftigt sich mit mehr als 30 Wahlen im Zeitraum von 1960 bis 2000 in der Bundesrepublik Deutschland, den USA und Großbritannien. Entsprechend gründlich hat Brettschneider auch recherchiert, in wie weit die vorherrschende Meinung der erhöhten Personalisierung im Wahlkampf tatsächlich der Wahrheit entspricht.
Was ist Personalisierung?
Was unter „Personalisierung der Politik“ überhaupt zu verstehen ist, variiert von Autor zu Autor. Brettschneider unterscheidet deshalb zwischen Personalisierung in Bezug auf die Wahlkampfführung, die Medienberichterstattung und das Wählerverhalten. „Stellenwert von Kandidatenorientierungen im sozialpsychologischen Modell“ nennt der Wissenschaftler schon seinen ersten Teil. Doch halb so wild, das Modell selbst ist nämlich einfacher zu verstehen als sein Name, Brettschneider modifiziert es auch noch und unterzieht das modifizierte Modell einem Praxistest: Die Parteiidentifikation ist demnach ein langfristiger Faktor, Parteien- und Kandidatenorientierungen sind dagegen kurzfristige Faktoren, zusammen bestimmen sie die letztendliche Wahlentscheidung. Bei der Untersuchung geht es Brettschneider nicht um kurzfristige Trends, sondern um Regelmäßigkeiten. Alles empirisch im zweiten Teil des Buches belegt, versteht sich. Wobei der Autor zugibt, dass die Datenlage äußerst unbefriedigend sei.
Kandidatenorientierung und Wählerverhalten
Sein Ergebnis für die „erste Personalisierungsbehauptung“ ist trotzdem deutlich. Sie ist falsch, „Candidate-Voting“ variiert von Wahl zu Wahl und Land zu Land, es gibt keinen längerfristigen Trend. Natürlich hängt die Personalisierung des Wählerverhaltens stark von verschiedensten Bedingungen ab. Bei amerikanischen Präsidentschaftswahlen ist der Kandidat wichtiger als seine Partei. Wenn für die Wähler kaum Unterschiede in den Parteiprogrammen zu erkennen sind, orientieren sie sich stärker an den Kandidaten. Und je weniger sich diese ähneln, desto wichtiger ihre Person für die Wahlentscheidung. Vor allem Wechselwähler neigen zum „Candidate-Voting“, beispielsweise wenn sie den Kandidaten „ihrer“ Partei negativ, seinen Kontrahenten hingegen positiv.
Wahlkampfführung
Auch die „zweite Personalisierungsbehauptung“ widerlegt der Professor. Danach seien unpolitische Merkmale für die Beurteilung der Kandidaten in den letzten Jahrzehnten wichtiger geworden. Davon gingen wahrscheinlich auch die Christdemokraten aus, als sie Michael Spreng als Wahlkampfmanager holten und fortan Home-Stories über Edmund Stoiber in Boulevard-Blättern platzierten. Doch nichts dergleichen ist belegt, im Gegenteil. Wähler orientieren sich viel stärker an „Leadership-Qualitäten“ wie Führungsstärke, Entscheidungsfreude und Tatkraft als an Alter, Charme und Ausstrahlung. Weiterhin behauptet Brettschneider, die Wahlkampfführung sei zwar professionalisiert, doch nicht personalisiert worden. Es habe immer mal wieder stärker personalisierte Wahlkämpfe gegeben, wie bei der „Willy-Wahl“ 1972 oder unter Konrad Adenauer. Wenn, dann sei dieser Trend in den USA anzutreffen, dort institutionell bedingt durch die sogenannten „Primaries“. Trotz Fernseh-Wahlkampf und amerikanisierten Methoden stehen bei deutschen Wählern immer noch die Themen im Vordergrund.
Medienberichterstattung
Immerhin, in einem Bereich sieht auch Brettschneider die fortschreitende Personalisierung. Die Medienberichterstattung konzentriere sich tatsächlich immer mehr auf die Spitzenkandidaten, und zwar in allen drei untersuchten Ländern. Er bilanziert dies nicht ohne eine ironische Anmerkung. Gerade diejenigen betreiben eine verstärkte Personalisierung, die die „Personalisierung der Politik“ immer stärker beklagen und darin eine Gefahr für die Demokratie befürchten.
Alles in allem ein ziemlich wissenschaftliches Buch, dessen Ergebnisse direkt nach dem Wahlkampf 2002 ein wenig unglaubwürdig wirken.